Montag, 12. August 2013

Diktatur und Angst

Vampyr (1932)
Ein Artikel von Martin Lohmann unter dem Titel "Angst essen Seele auf" im aktuellen Vatican Magazin (noch nicht online verfügbar) hat mich etwas unbefriedigt gelassen. Es geht um die "Diktatur des Relativismus", um die verpatzte Ökumene durch das EKD Papier zur Familie, um Homosexuelle Partnerschaften etc.
Der Autor, den ich sonst sehr schätze, reitet mir viel zu sehr und viel zu oberflächlich auf Begriffen rum und kommt irgendwie nicht recht zur Sache. Raffael Bonelli wird ausgiebig zitiert, ebenso Gabriele Kuby. Es geht um Den Begriff "Diktatur", der habe was mit Angsthaben und Angstmachen zutun, dies wiederum habe was mit Narzissmus zutun und am Ende konstatiert der Autor, dass uns ja die Geschichte lehre, dass Diktaturen nicht lange halten.

Hier wird m.E. schon gleich zu Beginn und dann wiederum am Ende der Begriff "Diktatur" über Gebühr strapaziert, denn die von Joseph Ratzinger und dann Benedikt XVI. so genannte "Diktatur des Relativismus" ist keine Diktatur im politischen Sinn, auch wenn sie sich dort inzwischen breit auswirkt. Nein, diese Diktatur besteht nicht in Parteiprogrammen und Machtapparaten. Sie macht sich derlei Insrtrumente zunutze, das ist wahr. Aber es ist nicht ihre Natur. Diese Diktatur liegt vielmehr in den Köpfen der Menschen und ist somit eine Diktaturform, von der die real existierenden staatlichen Diktaturen immer nur träumen konnten. George Orwell hat uns in 1984 wunderbar illustriert, wie langwierig und schwierig es ist, eine Diktatur wirklich in den Köpfen ankommen zu lassen. Da braucht es langanhaltende Kriege, eine großflächige Umwandlung der Sprache uvm.
Die Diktatur des Relativismus hat ihren Beginn aber nun bereits in den Köpfen und kann sich darum Zeit lassen und ganz behutsam etwa die Sprache ummodeln.

Die Angst, von der Lohmann spricht, ist freilich sehr real. Aber im Unterschied zu den klassischen Diktaturen, die durch eine äußeren Macht Angst erwecken, liegt bei der Diktatur des Relativismus die Angst im je einzelnen Menschen selbst begründet. Erst sekundär wird sie durch "Toleranzforderungen" und die damit einhergehende Intoleranz auch nach außen propagiert. (Noch eine Bemerkung zur Diktatur des Relativismus: hier.)
Der französiche katholische Philosoph Ernest Hello - vor gut 130 Jahren gestorben, hat er in gewisser Weise das gesamte 20. Jahrhundert mit seinen Abgründen fürchterlich präzise vorausgeahnt - umschreibt im grunde das gleiche Phänomen der Angst überaus treffend. Er benutzt die Vokabel "Gewohnheit" und meint damit die allzu bequeme Klammerung des Menschen an sich selbst, die letztlich zum Tod führt. Einige Worte von ihm diesbezüglich gehen mir nicht mehr aus dem Kopf:
»O Menschennatur! Das Gewicht, darunter du zusammenbrichst, ist dein eigenes, und dieses Gewicht, das du nicht zu tragen vermagst, weil du zu schwach bist, du vermagst es anzubeten, weil du blind bist.
O Menschengeschöpft! Die Gewohnheit hat noch größere Macht über dich als die Leidenschaft. Du hängst an ihr, auch wenn sie quälend ist, bloß weil sie deine Gewohnheit ist. Du hängst an all deinem Eigentum, selbst an deinem Unglück, wenn es nur dein Werk ist!
O Menschengeschöpf! Deine Qual wird dir zum Götzen, wenn diese Qual nur von dir selbst stammt.
Sobald der Glanz der ewigen Freude dich überfluten will, jammerst du nach der Trauer der Vergangenheit, bloß weil sie dein war! Wenn der Purpurmantel, die Gabe Gottes, sich dir bietet, streichelst du mit zitternden Händen die zerfetzten Lumpen des alten Leichentuchs.« (aus: Mensch und Mysterium)

Wiederum Ernest Hello hat auch die Attraktivität von dem, was wir "Diktatur des Relativismus" nennen, sehr gut ins Wort gebracht:
»Der Mensch hat Geschmack an dem "Bei-sich-Sein". Jeder für sich, sagt er, jeder bei sich. Nun, das Grab ist ja für jeden Menschen ein Bei-sich-Sein. Er findet Geschmack am Grabe.« (ebd.)

Uns ruft freilich der Herr zu (Mk 4,40): Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?

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