Donnerstag, 28. Januar 2021

Thomas von Aquin über die Kirche

»Viertens ist sie fest (apostolisch). – Ein Haus heisst fest:

1. Wenn es auf gutem Fundamente ruht. – Das eigentliche Fundament der Kirche aber ist Christus, denn: "ein anderes Fundament kann niemand legen, als das gelegt ist, und das ist Christus Jesus" (1Kor 3,2). Das fernere Fundament sind dann die Apostel und ihre Lehre. Deshalb ist dieses Haus fest und heißt es in der Apokalypse (Apk 21,14), dass die Mauer der Stadt zwölf Grundsteine hatte, worauf die Namen der zwölf Apostel geschrieben waren; und darum auch wird die Kirche "apostolische" genannt und Petrus zur Andeutung ihrer Stärke Felsenmann.
2. Es erhellt die Festigkeit eines Hauses ferner daraus, wenn es trotz Erschütterung nicht eingestürzt werden kann. – Die Kirche aber konnte nie zerstört werden, und zwar nicht: von den Verfolgern, vielmehr erstarkte sie nur während den Verfolgungen, und ihre Verfolger und die, gegen welche sie selbst auftrat, erlagen. Denn: "wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschmettert werden, und auf wen er fällt, den wird er zermalmen" (Mt 21,44). Nicht auch von den Häresien, vielmehr, je mehr Irrtümer auftraten, um so mehr wurde die Wahrheit allseitig beleuchtet, denn es gilt von den Irrlehrern das Wort: "Sie sind Menschen verdorbenen Sinnes, verworfen in Glaubenssachen, aber sie werden es nicht weit bringen" (2Tim 3,8). – Aber auch von den Versuchungen des Satans konnte sie nicht überwunden werden; denn die Kirche ist wie ein Turm, in welchem jeder Schutz sucht, der wider den Teufel kämpft: "Ein fester Turm ist der Name des Herrn" (Spr 18,10). Und deshalb strengt sich der Teufel besonders an, sie zu zerstören, aber er wird nicht Meister, denn der Herr hat gesagt: "Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen" (Mt 16,18), d. h. sie werden gegen dich Krieg führen, aber nicht die Oberhand gewinnen. Daher kommt es auch, dass nur die Kirche Petri (dem bei der Aussendung der Jünger Italien zufiel) immer im Glauben fest blieb. Und während anderswo entweder der Glaube gar nicht ist, oder vermischt mit vielen Irrtümern, so ist doch die Kirche Petri im Glauben stark und von allen Irrtümern rein, was nicht zum Verwundern ist, da der Herr zu Petrus gesagt: "Ich habe für dich gebetet, Petrus, damit dein Glaube nicht wanke" (Lk 22,32).« (aus seinem "Katechismus")

Mittwoch, 27. Januar 2021

Kirche ja, Gott nein

Selten: Schlaglichter auf Gott.
Nicht wenige Menschen außerhalb der Kirche scheinen nach der Maxime zu leben: "Gott ja, Kirche nein". Sprich: Man sucht Gott, aber meint, ihn in der Kirche sicher nicht finden zu können.

Nicht wenige Menschen innerhalb der Kirche - besonders in ihren Institutionen, ihren (stets wachsenden) Verwaltungsapparaten und ihren Gremien - scheinen nach der Maxime zu Leben: "Kirche ja, Gott nein". Sprich: Man will und braucht die Kirche als Dienstleister, als Arbeitgeber oder als "Ort der Mitbestimmung" und redet auch gerne viel über diese Strukturen (vgl. hier); aber das mit Gott (Glaubensinhalte, Moral) wird als Privatsache angesehen, über die man nicht spricht, und bezüglich der sich niemand (auch kein Papst!) bei jemand anderem einmischen darf: man glaubt (oder glaubt nicht) und lebt nach eigenem Gusto.

 

... Vielleicht ist die Einstellung der zweiten Gruppe ein nicht unwesentlicher Grund dafür, warum die erste Gruppe nicht fündig wird...?

Dienstag, 26. Januar 2021

Die Methode von "Gemeinsam am Tisch des Herrn" - Teil 2

Ich setze hierfür die Lektüre von Teil 1 (hier klicken) voraus, wo ich anhand zweier Beispiele das intellektuell bankrotte Vorgehen im ÖAK-Papier dargelegt habe.

Da nun öffentlich ist, dass der ökumenische Arbeitskreis Rom theologische Inkompetenz attestiert (hier), sei noch ein Wort nachgeschoben. Drei Punkte:

1) Das für die katholische Amtstheologie wichtige Faktum, dass Jesus bei der Einsetzung der Eucharistie ganz bewusst nur die Apostel dabei haben wollte und keine anderen Jünger (auch keine Frauen), - "Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen" (Lk 22,15) - umgeht man in GaTH dadurch, dass man sich auf den sekundären Bericht(!) des Paulus im ersten Korintherbrief konzentriert, der sich natürlich mit seinem Brief an alle Gemeindeglieder richtet: "Bei der Weisung steten Gedächtnisses handelt es sich nicht um einen Befehl zur Wiederholung der Worte Jesu, der sich gar nur an seine Jünger bzw. die Zwölf (vgl. Mk 14,17) als Vorbilder späterer Amtsträger richtet. Die in der 2. Person Plural formulierten Weisungen bei Paulus haben alle an der gegenwärtig vollzogenen Mahlfeier Beteiligten im Blick." (3.5.3.)

Zugleich erweckt man hier auch den Eindruck, als gäbe es eine weit verbreitete Irrmeinung, derzufolge der Wiederholungsbefehl sich bloß auf die "Worte Jesu" beziehe, was dann mit dem Fokus auf die Apostel als Adressaten vermengt und somit gleichfalls als Irrtum untergeschoben wird. Faktisch wird so diese fiktive Irrmeinung der katholischen Amtstheologie unterstellt, womit sie hier indirekt (zwischen den Zeilen, ohne dies explizit so zu sagen, aber im Kopf des Lesers sehr deutlich mitschwingend) gleich doppelt als Irrtum hingestellt wird. Das muss man den Autoren lassen: Sie sind sehr geschickt im Manipulieren.


2) Das peinliche Detail, dass nach Jesu eigenen Worten der Kelch das "Blut zur Vergebung der Sünden" wahrhaft enthält, wird dadurch verwischt, dass man einen gedanklichen Keil zwischen den Kelchinhalt und das "Trinken aus dem Kelch" treibt (3.5.2.): Alle sollen aus dem Kelch trinken, weil alle der Vergebung der Sünden bedürfen. Punkt. Nächster Satz: Diese Vergebung der Sünden "wird ihnen geschenkt kraft Jesu Tod, dessen 'Blut für viele vergossen wird'". Abgesehen von der unsauberen Formulierung (das "Blut von Jesu Tod", nicht das "Blut Jesu"?) wird hiermit dem Leser suggeriert, dass Jesu Tod eine deutlich vom Herrenmahl zu unterscheidende Angelegenheit ist, jeder Zusammenhang zwischen diesen beiden ist bloß eine "Deutung", und nicht in der Sache (oder Handlung) selbst gegeben.


3) Der wesentliche Punkt liegt wohl darin, dass man ja nun irgendwie vermeiden muss, die Realität der Vergegenwärtigung von Jesu Kreuzesopfer in der Eucharistie anzuerkennen. Das tut man dadurch, dass man stattdessen von einer "Vergegenwärtigung des letzten Mahls Jesu mit seinen Jüngern" (3.5.) spricht. Das ist natürlich eine recht geschickte Formulierung, der man als Nicht-Theologe leicht aufsitzen kann. Formulierungen wie z.B. "Vergegenwärtigung des letzten Abendmahls" haben sich schon spürbar im Theologensprech etabliert und sind auch immer häufiger z.B. in der Erstkommunionvorbereitung anzutreffen. Faktisch ist es aber die Entsorgung der katholischen Lehre: Nicht mehr Jesu Kreuzesopfer wird gegenwärtig, sondern nur noch sein Abschiedsmahl. Der Befehl Jesu "Tut dies zu meinem Gedächtnis" bezieht sich dann folglich nur noch auf eine "Wein-Gabe" und eine "Brot-Handlung" (3.5.1.), hat aber mit Jesu Tod nur noch im Sinne einer nachträglichen, intellektuellen "Deutung" zu tun (siehe Punkt 2).

Nur scheinbar besser ist dieser Passus in GaTH.: "Die Weisung: 'Dies tut zu meinem Gedächtnis!' (1 Kor 11,24f.; Lk 22,19) schreibt der Feier die Erinnerung an Jesus ein. Erinnerung ist – biblisch betrachtet – immer Vergegenwärtigung des Erinnerten, hier des Heilstodes Jesu. [...] Die Erinnerung an Jesus besitzt identitätsstiftende Kraft." (3.10.4)

Hier findet unmittelbar nach der Wiedergabe von Jesu Befehl ein (auch für viele Theologen kaum bemerkbarer) gedanklicher Sprung statt, der an den verwendeten Begriffen deutlich wird, wenn man weiß, worauf zu achten ist. Nämlich Folgendes: Das Gedächtnis, wie es die Evangelien und Paulus berichten, ist ein aktives Tun, nicht jener kognitive Vorgang, den wir als "Erinnerung" bezeichnen: Jesu Befehl lautet "tut dies zu meinem Gedächtnis!", nicht "erinnert euch an mich". Wenn hier unvermittelt von "Erinnerung" gesprochen wird, dann ist das gerade nicht tätig (kultisch) gemeint, sondern bezeichnet einen rein gedanklichen Vorgang.

Mit dem hier gebrauchte Begriff der "Vergegenwärtigung" wird der Leser wiederum geschickt manipuliert, denn es wird der Einruck erweckt, als meine man - gut katholisch (biblisch) - die objektive Vergegenwärtigung von Jesu Tod und Auferstehung. Tatsächlich wird hier aber ein umgangssprachlicher Begriff "Vergegenwärtigung" verwendet. Dass "Erinnerung ... – biblisch betrachtet – immer Vergegenwärtigung des Erinnerten" meint, stimmt nur, wenn wir von einem umgangssprachlichen Begriff der Erinnerung und Vergegenwärtigung ausgehen: Man selbst kann sich etwas "vergegenwärtigen", indem man eine Erinnerung wachruft, oder jemand anders kann uns durch eine Erinnerung etwas "vergegenwärtigen". Diese umgangssprachliche Verwendung findet sich auch in der Bibel öfter (z.B. 2Tim 1,4-6; Tit 3,1; 2Petr 1,13; 3,1). Jesu Befehl "tut dies zu meinem Gedächtnis" muss von dieser Umgangssprache deutlich unterschieden werden. Ihr biblisches Fundament ist die Pessachfeier, bei der durch den Verzehr der Speisen und die Erzählung des Exodus dieser selbe Exodus "gegenwärtig" wird. In Jesu Umprägung dieses den Exodus vergegenwärtigenden Mahles wird er selbst, Gottes Sohn, real gegenwärtig mit Fleisch und Blut, der unser Exodus aus der Sünde (Weg, Wahrheit Leben) ist. Weil nun eine göttliche-menschliche Person gegenwärtig wird und nicht ein "Ereignis", ist diese Gegenwart  weitaus "realer" und "erfahrbarer", als es das Pessach je war: Es handelt sich um ein wahrhaftiges personales Gegenüber, das mich anschaut.

Jedenfalls: Durch die unvermittelt in GaTH eingeführte umgangssprachliche "Erinnerung" und "Vergegenwärtigung" kann dann auch genauso umgangssprachlich "die Erinnerung an Jesus identitätsstiftende Kraft besitzen". Dass es der real gegenwärtige Jesus selbst ist, der in der Eucharistie die Identität und die Einheit der Feiernden und IHN empfangenden Gemeinde bewirkt und garantiert, wird damit aber gerade nicht gesagt. Sondern es bleibt bei einer je einzelnen oder wechselseitigen "Erinnerung an Jesus". Man kann es auch als das Finden eines gemeinsamen Interesses an diesem Jesus beschreiben, das dann "identitätsstiftende Kraft" hat. Das ist zwar auch schon etwas durchaus Wertvolles und Schönes, aber es ist etwas, das auf jedes zufällige Zusammentreffen zweier Christen zutreffen kann - es ist nicht der Inhalt des katholischen Eucharistieglaubens.


Das Dokument "Gemeinsam am Tisch des Herrn" hat (in Anlehnung an die Rede vom "Papiertiger") letztlich nur eine Papierökumene zum Ziel, der es nicht um das "bleiben in der Wahrheit" (2Joh 1,2) oder gar um eine echte gemeinsame Gottesbeziehung geht, sondern deren Zweck darin besteht, eine vertraglich (auf Papier) abgesicherte Scheinbeziehung herzustellen. Mehr nicht. Es geht um Begriffe und Formulierungen für einen Kompromiss, es geht um semantische Feinheiten und gefühlte (und entsprechend manipulierbare) Inhalte. Es geht nicht um so etwas wie Wahrheit oder Wirklichkeit. Es geht um ein Papier "für die Akten".

Statt einer wahrhaftigen Ökumene des Bekenntnisses und der Liebe zu Jesus Christus, statt einer Ökumene des Zeugnisses (martyria) vor der Welt, der Diakonie an den Menschen und des Gebets vor und zu Gott, möchte man (mittels bewusster Irreführung und Manipulation ungebildeter Massen?) einen falschen (weil von der Wahrheit losgelösten) kurzweiligen und lokal eng umgrenzten (Deutschland!!) Anschein von Einheit herstellen, notfalls auch um den Preis einer Ablösung von der Weltkirche und eines tiefen Bruches der Beziehungen zu den Kirchen der orthodoxen und östlichen Traditionen.


Rom hat die Manipulation in "Gemeinsam am Tisch des Herrn" durchschaut. Da diese Manipulation aber sehr geschickt versteckt ist, musste Rom in seinen Ausführungen, wie es die neuerliche Entgegnung des ÖAK formuliert, mit "vielen Vermutungen ('eigentlich') und schillernden Komparative[n] ('eher')" arbeiten, die ihm nun der ÖAK wiederum zum Vorwurf macht. Auch sehr gewitzt! Die neuerliche Stellungnahme des ÖAK ist nur ein weiterer Versuch der Manipulation, aufbauend auf der vorherigen. Man ist sich seiner Sache übrigens absolut und unumstößlich sicher: Die eigenen exegetischen Befunde etwa, werden einfach als "unbestreitbar" bezeichnet, auch wenn es sich dabei v.a. um Behauptungen und Phantasiegebilde handelt. Genau so funktioniert eine Ideologie. Das Resultat kann entsprechend nur eine auf sandiger Ideologie erbaute Scheinstruktur sein...

Montag, 25. Januar 2021

Bedenkliche Impfstoffe

Auf kath.net (hier) war vor einigen Tagen eine Stellungnahme von vier Bischöfen zu lesen, die gegen anderslautende vatikanische Verlautbarungen die Meinung vertraten, dass auf keinen Fall die aktuellen Impfstoffe gegen Covid-19 verwendet werden dürften. Dort heißt es:

»Im Fall von Impfstoffen, die aus den Zelllinien abgetriebener menschlicher Föten hergestellt wurden, sehen wir einen klaren Widerspruch zwischen der katholischen Lehre, die Abtreibung kategorisch und ohne den Schatten einer Zweideutigkeit in allen Fällen als schwerwiegendes moralisches Übel, das nach Rache zum Himmel schreit (siehe Katechismus der katholischen Kirche Nr. 2268, Nr. 2270) ablehnt, und der Praxis, Impfstoffe aus Zelllinien abgetriebener Föten in Ausnahmefällen eines „Notfalls“ als moralisch akzeptabel anzusehen, und zwar aufgrund einer entfernten, passiven, materiellen Mitwirkung. Die Argumentation, dass solche Impfstoffe moralisch zulässig sein können, wenn es keine Alternative gibt, ist in sich widersprüchlich und für Katholiken nicht akzeptabel.«

Diese Aussage ist falsch. Wer sich diesen Standpunkt zu eigen macht, sollte wissen, dass er sich damit gegen die Päpstliche Akademie für das Leben und die Kongregation für die Glaubenslehre stellt, und zwar unter den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus.

Auf zwei wesentliche vatikanische Texte dazu weisen jene Bischöfe auch selbst hin: Der erste Text mit dem Titel "Moralische Überlegungen zu Impfstoffen, für deren Produktion Zellen von abgetriebenen Föten verwendet werden" stammt von der Päpstlichen Akademie für das Leben vom 9. Juni 2005 (hier zu finden). Dieser Text bildet die Antwort auf eine konkrete Anfrage, die 2003 (also noch unter Johannes Paul II.) an den damaligen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Joseph Ratzinger, gerichtet wurde, inwiefern eben solche Impfungen legitim sind. Ratzinger hat die Experten der Päpstlichen Akademie dazu lange und ausgiebig forschen lassen (der verfügbare Text ist eine Zusammenfassung einer längeren Arbeit derselben Akademie, die in einem wissenschaftlichen Journal erschien). Der Text ist darum durchaus maßgeblich, weil er von der Kongregation für die Glaubenslehre (und damit von Ratzinger) approbiert ist und weil in ihm diese spezielle Problematik überhaupt zum ersten mal explizit vom kirchlichen Lehramt aufgegriffen wurde. Der zweite Text ist die Instruktion Dignitas Personae der Kongregation für die Glaubenslehre "über einige Fragen der Bioethik" vom 8. September 2008 (hier), damals unter dem Präfekten Kardinal Levada, von Papst Benedikt XVI. gutgeheißen.

Die relevante Passage aus der Zusammenfassung am Ende jenes ersten Dokuments von 2005:

»... im Hinblick auf die Impfstoffe, für die es keine Alternativen gibt, die Notwendigkeit betont werden muss, dafür zu kämpfen, dass andere hergestellt werden; genauso wie es in der Zwischenzeit zulässig ist, die ersteren in dem Maße zu nutzen, wie es nötig ist, um ernste Risiken nicht nur für die eigenen Kinder sondern auch und vielleicht noch mehr für den Gesundheitszustand der Bevölkerung als ganzes – besonders der schwangeren Frauen zu vermeiden«

Wichtig ist: Katholiken müssen gegen Impfstoffe, zu deren Herstellung Zellen verwendet wurden, die durch eine Abtreibung gewonnen wurden, Widerstand leisten. ABER: Solange es keine Alternative gibt und mit der Impfung eine ernste Gefahr abgewendet wird, ist sie zulässig. Genau dieser nicht ganz einfache Sachverhalt wurde bis heute im Grunde nur stets wiederholt, seit er hier (noch unter Johannes Paul II.) erstmals erarbeitet wurde.

Hier ein Katalog dieser Äußerungen und danach noch meine Gedanken dazu:

Die Instruktion Dignitas Personae von 2008 (Nr. 35) sagt im Grunde das gleiche:

»Natürlich gibt es innerhalb dieses allgemeinen Rahmens [des Verbots der Verwendung solcher Impfstoffe] differenzierte Verantwortlichkeiten. Aus gewichtigen Gründen könnte die Verwendung des genannten „biologischen Materials“ sittlich angemessen und gerechtfertigt sein. So dürfen zum Beispiel Eltern wegen der Gefahr für die Gesundheit der Kinder die Verwendung von Impfstoffen gestatten, bei deren Vorbereitung Zelllinien unerlaubten Ursprungs verwenden wurden, wobei jedoch alle verpflichtet sind, dagegen Einspruch zu erheben und zu fordern, dass die Gesundheitssysteme andere Arten von Impfstoffen zur Verfügung stellen.«

 

Am 7. September 2013 hat der damalige Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Gerhard Ludwig Müller, "Theologische Grundlagen zur Bewertung
bioethischer Fragen" formuliert (hier), in denen er die Bewertung von Dignitas Personae wiederholt und ein Stück weit verallgemeinert:

»Die Verwendung von Embryonen und Föten als Forschungsobjekt, von denen schon in „Donum vitae“ die Rede war und bei denen die Embryonen getötet werden, stellt ein Verbrechen gegen deren Würde dar. Die Verwendung von biologischem Material unerlaubten Ursprungs (zum Beispiel aus Abtreibungen) ist auch bei Beachtung des Unabhängigkeitskriteriums (= Trennung von Gewinnung und Verwendung, dass also, um eine Interessenkollision aus­zuschließen, Forscher, die das Material gewinnen, nicht identisch sind mit jenen, die es verwenden) nicht erlaubt. Aus gewichtigen Gründen kann jedoch die Verwendung von biologischem Material unerlaubten Ursprungs sittlich angemessen und gerechtfertigt sein, zum Beispiel bei der Verwendung von Impfstoffen, die auf diesem Weg erzeugt worden sind. Allerdings sollen die Hersteller zu alternativen Methoden bewegt werden. Vom Forscher wird verlangt, dass er sich bei der Ausübung seiner Forschertätigkeit von einem schwer ungerechten Gesetz abgrenzt und den Wert des menschlichen Lebens klar bezeugt.«

 

In einer gemeinsamen Note der Päpstlichen Akademie für das Leben, der italienischen Bischofskonferenz und der Vereinigung Katholischer Ärzte Italiens aus dem Jahr 2017 (also vor der fragwürdigen Umgestaltung der Akademie durch Papst Franziskus) wird in etwa das gleiche gesagt (hier), allerdings geht man hier erstaunlicherweise einen Schritt weiter, indem man offenbar jede (auch indirekte?) Mitwirkung verneint. Der Ruf nach Alternativen bleibt natürlich bestehen:

»As for the question of the vaccines that used or may have used cells coming from voluntarily aborted fetuses in their preparation, it must be specified that the "wrong" in the moral sense lies in the actions, not in the vaccines or the material itself.

The technical characteristics of the production of the vaccines most commonly used  in childhood lead us to exclude that there is a morally relevant cooperation between those who use these vaccines today and the practice of voluntary abortion. Hence, we believe that all clinically recommended vaccinations can be used with a clear conscience and that the use of such vaccines does not signify some sort of cooperation with voluntary abortion. While the commitment to ensuring that every vaccine has no connection in its preparation to any material of originating from an abortion, the moral responsibility to vaccinate is reiterated in order to avoid serious health risks for children and the general population.«

 

Die Note der Kongregation für die Glaubenslehre vom 21. Dezember 2020 über die Anwendung von Covid-19 Impfstoffen (hier) sagt exakt das Gleiche, was schon vorher gessagt wurde und was seit 2008 stets fast wortgleich wiederholt wurde:

»The fundamental reason for considering the use of these vaccines morally licit is that the kind of cooperation in evil (passive material cooperation) in the procured abortion from which these cell lines originate is, on the part of those making use of the resulting vaccines, remote. The moral duty to avoid such passive material cooperation is not obligatory if there is a grave danger, such as the otherwise uncontainable spread of a serious pathological agent -- in this case, the pandemic spread of the SARS-CoV-2 virus that causes Covid-19. It must therefore be considered that, in such a case, all vaccinations recognized as clinically safe and effective can be used in good conscience with the certain knowledge that the use of such vaccines does not constitute formal cooperation with the abortion from which the cells used in production of the vaccines derive. It should be emphasized, however, that the morally licit use of these types of vaccines, in the particular conditions that make it so, does not in itself constitute a legitimation, even indirect, of the practice of abortion, and necessarily assumes the opposition to this practice by those who make use of these vaccines.«


Schließlich wurde genau dieser Punkt von der vatikanischen Codiv-19 Kommission zusammen mit der Päpstlichen Akademie für das Leben in ihren "20 Punkten für eine fairere und gesündere Welt" vom 29. Dezember 2020 (hier) wiederholt:

»On the moral responsibility of undergoing vaccination (also on the basis of what has been said in n. 3), it is necessary to reiterate how this issue also involves the relationship between personal health and public health, showing their close interdependence. In the light of this connection, we consider it important that a responsible decision be taken in this regard, since refusal of the vaccine may also constitute a risk to others. This also applies if, in the absence of an alternative, the motivation is to avoid benefiting from the results of a voluntary abortion. In fact, in these cases, as the Congregation for the Doctrine of Faith states, it can be considered "morally acceptable", under precise conditions, "to receive Covid-19 vaccines that have used cell lines from aborted fetuses in their research and production process." This is a matter of material passive cooperation (as opposed to formal cooperation), since it is indirect and remote, particularly given the intention underlying the decision, the contingency with respect to the accused immoral event, and the current circumstances in which we find ourselves. Therefore, the criteria that would make ethically illicit the decision to vaccinate are non binding. For this reason, such refusal could seriously increase the risks for public health.«

 

Offenbar halten einige maßgebliche Persönlichkeiten die Verwendung solcher Impfstoffe doch für akzeptabel... Es gibt echte moralische Bedenken, aber es gibt auch eine echte Gefahr, der es durch Impfungen zu wehren gilt.

Es ist jedenfalls nicht so, wie das zuweilen kolportiert wird, dass sich in der aktuellen Bewertung der Impfproblematik bloß die unausgegorene Privatmeinungen etwa von Papst Franziskus äußern würde: Seit diese Frage unter Johannes Paul II. zum ersten Mal von Organen des päpstlichen Lehramtes aufgegriffen, bearbeitet und beantwortet wurde, blieb die Anwort im Wesentlichen gleich. Nur dass es damals in einem Einzelfall um eine ganz bestimmte Impfung angesichts ganz bestimmer staatlicher Vorgaben ging - heute haben wir es mit einer Pandemie zu tun, was die Frage umso drängender macht. Und, nein, das hat auch nichts mit dem "unfehlbaren päpstlichen Lehramt" zu tun, weswegen man diese Weisungen aus Rom angeblich ignorieren könnte. Das außerordentliche Lehramt hat sich überhaupt noch nie zu bioethischen Fragen geäußert; mit diesem Argument ließe sich also im Gegenteil gerade auch Abtreibung legitimieren, denn diese wurde ja nicht "ex cathedra" für moralisch verwerflich erklärt. Im Übrigen finde ich es schon bemerkenswert dreist, dass jene vier Bischöfe sich ausgerechnet jetzt derart zu Wort melden... wenn sie sich so sehr an dieser Einschätzung des Lehramts stören, warum haben sie nicht schon 2005, 2008, 2013 oder 2017 etwas dagegen gesagt?

Dass diese Impfungen unter den gegebenen Bedingungen (Mangel an Alternativen, große Gefahr gerade für schwächere Gleider der Gesellschaft) trotz stets wach zu haltender moralischer Bedenken legitim sind, ist die Weisung des ordentlichen Lehramts, an das die Katholiken durchaus gebunden sind, und sie werden des weiteren eindringlich gehalten (so sinngemäß der Papst beim Urbi et Orbi an Weihnachten 2020, hier), diese Impfungen im Interesse des Allgmeinewohls (Nächstenliebe) auch anzunehmen.


Nachtrag: Nicht mit Hilfe embryonaler Stammzellen hergestellt und insofern moralisch unbedenklich sind die Impfstoffe von Moderna und Biontech-Pfizer, das kann man etwa in den diesbezüglichen Stellungnahmen der polnischen und US-amerikanischen Bischöfe nachlesen. Die deutschen Bischöfe interessieren sich für dieses Thema offenbar nicht (Hauptsache, der Kaffee in den Ordinariaten ist fair gehandelt). Wo diese verfügbar sind, sind die anderen Impfstoffe (AstraZeneca, Johnson&Johnson) also abzulehnen.

Mittwoch, 13. Januar 2021

"Niedere Weihen" für Frauen?

Papst Franziskus hat mit seinem Motu proprio Spiritus Domini vom 11. Januar 2021 eine Änderung des CIC c. 230 §1 verordnet, derzufolge nun auch weibliche Menschen ganz offiziell zu den Diensten als Lektor und Akolyth dauerhaft beauftragt werden können. (HIER ist das Motu proprio und HIER der Begleitbrief des Papstes, beides bisher nicht auf deutsch veröffentlicht.)

Das hat für einen gewissen Unmut gesorgt, da man das als eine Etappe in der Salamitaktik hin zur Priesterweihe für Frauen wahrnehmen zu müssen meint, v.a. vor dem Hintergrund, dass Lektor und Akolyth früher als sog. "niedere Weihen" Vorstufen zum Priestertum bildeten.


Ich möchte an dieser Stelle gern die Panik etwas dämpfen, indem ich ein paar Punkte erläutere.

  • "In den ältesten Zeiten wurden die niederen Kirchendienste vielfach von Laien besorgt, und es verging geraume Zeit, bis die verschiedenen Klassen laikaler Diener zu klerikalen Rangstufen sich entwickelten und erhoben wurden" (Nikolaus Gihr, Sakramentenlehre Bd. 2, Freiburg 1921, 235).
  • "Zum Sacrament der Priesterweihe gehören jedenfalls die drei Ordines: Episkopat, Presbyterat und Diakonat, denn diese drei sind in der Heiligen Schrift genannt und wurden von den Aposteln durch Händeauflegung übertragen" (Paul Schanz, Die Lehre von den heiligen Sakramenten der katholischen Kirche, Freiburg 1893, 674; vgl. auch Oswald, Sakramentenlehre Bd. 2, Münster 1877, 320ff.). Die sog. "niederen Weihen" waren also keine sakramentalen Weihen, sondern es handelte sich, wie es Gihr (ebd.) ausdrückt, um Anordnungen der Kirche. In aller Deutlichkeit: Die niederen Weihen waren immer schon "bloß" Sakramentalien.
  • In seinem Motu proprio Ministeria quaedam von 1972 ordnete Papst Paul VI. an: "Was bisher als 'niedere Weihen' bezeichnet wurde, soll in Zukunft die Bezeichnung Dienste erhalten [s.o., auch Gihr sprach schon von 'Kirchendiensten']" und: "Die Dienste können auch Laien übertragen werden, so dass sie nicht mehr den Kandidaten für das Weihesakrament vorbehalten bleiben."
  • Papst Franziskus lässt in seinem Begleitbrief keinen Zweifel daran, dass die Kirche, wie dies Johannes Paul II. feststellte und was Franziskus hier  ausdrücklich wiederholt, keine Berechtigung hat, Frauen zu Priestern zu weihen. Was er tut ist, er unterscheidet zwischen ordiniertem (sakramentalem) Amt und nicht-ordiniertem (nicht-sakramentalem) Dienst. Und diese Unterscheidung ist korrekt, sie war es auch schon vor dem Vaticanum II. 
  • Jene nicht-sakramentalen Dienste werden seit Jahrzehnten von Laien übernommen, wie dies auch in der frühen Kirche der Fall war. Die sakramentale Ordnung der Kirche ist davon unberührt.
  • Die Änderung, die Franziskus nun für den CIC angeordnet hat, war eigentlich überfällig. Es geht ja letztlich nur um die Frage, ob auch Frauen dauerhaft zu jenen Diensten beauftragt werden können. Faktisch geschieht das schon vielerorts, es sorgte bloß für mehr Papierkram, dass die befristete Beauftragung regelmäßig "verlängert" werden musste.
  • Faktisch wurde übrigens schon 1997 eine dauerhafte Beauftragung auch von Frauen zum Dienst des außerordentlichen Kommunionspenders ermöglicht. In der "Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester", die von allen römischen Dikasterien (auch von Ratzinger) unterzeichnet wurde, heißt es: "Wenn Gründe echter Notwendigkeit es nahelegen, können Laien vom Bischof beauftragt werden, als außerordentliche Kommunionspender auch außerhalb der Eucharistiefeier die heilige Kommunion auszuteilen, 'ad actum vel ad tempus' oder auf Dauer; dazu ist der dafür vorgesehene liturgische Ritus anzuwenden." (Instr. Art 8 §1)
  • Die Ironie dabei ist übrigens Folgendes: Da der Gegenstand der aktuellen Frage die Dauerhaftigkeit der Beauftragung von Laien zu diesen Diensten ist, wird eigentlich nochmal deutlicher, wie wenig das hier Behandelte mit den "niederen Weihen" von einst zu tun hat, denn diese waren gerade nicht "auf Dauer", sie waren seit vielen Jahrhunderten nur noch Durchgangsstufen ohne real existierende Funktion - es war durchaus üblich, dass ein und derselbe "Weihekandidat" mehrere dieser "niederen Weihen" in ein und der selben Feier nacheinander gespendet bekam.
  • Die katholischen Stände waren übrigens nie nur schwarz/weiß, Laien/Kleriker. Klassischerweise gab (und gibt) es zwischen dem geweihten Amt (Diakone, Priester, Bischöfe) und den nicht-ordinierten Laien noch so manche "Zwischenstufe". Dazu zähl(t)en etwa die geweihten ("ordinierten") Jungfrauen, die Witwen, Bekenner und eben auch Lektoren (vgl. Martimort, Handbuch der Liturgiewissenschaft 2, Freiburg 1965, 11). Nie wurde das als eine Verwischung des Unterschieds zwischen Laien und Klerikern wahrgenommen, und auch Franziskus lässt an dieser Unterscheidung keinen Zweifel.
  • Wer hier Salamitaktik unterstellt, muss m.E. diese selbe Motivation auch für die Entscheidungen von Paul VI. und Johannes Paul II. unterstellen. Wenn überhaupt, dann ist die aktuelle Entscheidung von Franziskus eine weitere überdeutliche Bestätigung dafür, dass Frauen nicht das Sakrament der Weihe empfangen können, da jetzt deutlicher wird, für welche Dienste keine Weihe erforderlich ist, bis wohin der "Laiendienst" reicht, und wo er seine Grenze hat.

Donnerstag, 7. Januar 2021

Exkommunikation, neutestamentlich

Es jährte sich in diesen Tagen zum 500. Mal die Exkommunikation Martin Luthers. Wie üblich bei runden Zahlen, wurde auch diesmal wieder die Aufhebung dieser Exkommunikation gefordert. Wer so redet offenbart damit freilich weniger sein ökumenisches Feingefühl sondern v.a., dass er nicht weiß, was eine Exkommunikation ist. Denn tatsächlich ergäbe eine solche Aufhebung wenig Sinn, da eine Exkommunikation mit dem Tod des Exkommunizierten bereits aufgehoben ist. Im Übrigen würde ein "symbolischer" Akt der Exkommunikationsaufhebung eher den Charakter einer gotteslästerlichen Anmaßung tragen, denn das Urteil über die Verstorbenen steht allein Gott zu. Dies für einen Verstorbenen zu tun, der mit seinem Tod dem Gericht Gottes überstellt ist, hieße, sich Gottes Autorität anzumaßen bzw. sich über dieselbe zu stellen.

Heute neigt man ja sehr dazu, der Kirche grundsätzlich jede Berechtigung zur "Bestrafung" oder "Verurteilung" von Menschen etwa aufgrund von Häresie abzusprechen, egal ob die Betreffenden Akteure tot oder lebendig sind. Bestimmt bloß ein Zufall, dass zugleich die Häresien wie die Pilze aus dem Boden schießen, mehr und mehr auch aus bischöflichem Mund.


Jedenfalls: Die Kirche hat sehr wohl das Recht (und sogar die Pflicht) Glieder aus ihrer Gemeinschaft auszuschließen, die ansonsten mit ihrem Dableiben v.a. zu ihrer Zersetzung beitragen würden. (Nein, "Zersetzung" ist kein Nazisprech [etwa: Wehrkraftzersetzung], das ist Biologie: so genannte "Zersetzer" - fachsprachlich auch Destruenten oder Reduzenten genannt [das Gegenteil sind die Produzenten; beides wesentlich für den natürlichen Stoffkreislauf] - sind solche Organismen, die organische Materialien in anorganische Stoffe zerlegen, hier zählen insbesondere die schon erwähnten sprießenden Pilze dazu.)

 

Zunächst haben wir das Wort Jesu über die brüderliche Zurechtweisung der Sünder: "Sündigt aber dein Bruder, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein." (Mt 18,15) Das Vorgehen ist hier sehr klug beschrieben, denn wenn die Ermahnung unter vier Augen nicht fruchtet, sollen ein oder zwei Zeugen mitgenommen werden (V. 16), fruchtet auch das nicht, soll die ganze Gemeinde nachhelfen. Das setzt natürlich voraus, dass es in der Gemeinde ein ausgeprägtes Bewusstsein von Richtig und Falsch, von gottgefälligem Leben und Sünde gibt. Für uns Heutige stellt das ein erhebliches Problem dar, denn dies ist oft nicht mehr gegeben, auch nicht unter den bestellten Hirten.

Das alles hat übrigens nichts mit Überheblichkeit oder mit dem Thema Macht zu tun, denn wer Ohren hat zu hören, der merkt, dass diese brüderliche Zurechtweisung immer nur momentan ist, und der heute Ermahnende morgen schon der Ermahnte sein kann: "Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit" (Kol 3,16). Das Bewusstsein von Richtig und Falsch bedeutet ja nicht, dass keiner mehr etwas falsch macht, es hat aber zur Folge, dass es auffällt (und zwar in erster Linie als eine Gefahr für den, der falsch liegt)!! Es zeigt sich in dem Wort aus Mt 18 ein hohes Maß an Diskretion und Umsicht, aber zugleich auch ein ungeschönter Realitätssinn, denn wenn alles nichts hilft und der Sünder auch auf die ganze Gemeinde nicht hört, dann muss notwendig das eintreten, was der Sünder selbst durch sein Verhalten faktisch bereits umsetzt: Ausschluss aus der Gemeinde.

Jesus: "Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner." (Mt 18,17)

Die frühen Christen haben diese Worte Jesu beherzigt.

Paulus: "Einen Menschen, der die Gemeinde spalten will, weise ab, wenn er einmal und noch einmal ermahnt ist, und wisse, dass ein solcher ganz verkehrt ist und sündigt und sich selbst damit das Urteil spricht." (Tit 3,10-11)

[Ein kleiner sprachlicher Schlüssel zu diesem Paulus-Zitat, das komischerweise immer recht verharmlosend übersetzt wird: "Ein Mensch, der die Gemeinde spalten will" heißt im Griechischen hairetikon anthropon = ein häretischer Mensch; "abweisen" ist gr. paraitu = zurückweisen, ablehnen, nichts damit zutun haben; "ganz verkehrt" ist gr. ekstrepho = korrupt, pervers, da steckt das Wort strepho drin: das Innere nach Außen kehren; "sich selbst das Urteil sprechen" ist gr. autokatakrisis = Selbstverdammung.  --  Also: "Habe nach der ersten und zweiten Zurechtweisung nichts zu schaffen mit dem häretischen Menschen, und wisse, dass ein solcher korrupt ist und sündigt, durch sich selbst verdammt."]

 

Häretiker und hartnäckige Sünder stellen sich faktisch selbst ins Abseits, sie treten aus der Gemeinschaft der Glaubenden heraus. Leider merkt man das heute nicht mehr so deutlich, weil jenes Abseits so dermaßen überfüllt ist. Aber es ist doch Abseits (auch während der arianischen Krise in der frühen Kirche war das Abseits überfüllt, auch mit Bischöfen [die auch zumeist die Theologen der damaligen Zeit waren]). Die Menge der sich im Abseits Befindlichen spielt keine Rolle.

Jesu Worte und die des Paulus sind klar: Wer sich hartnäckig durch seine Worte (Häresie) oder seine Taten (Sünde) gegen die Gemeinde wendet, soll von den Gemeindemitgliedern als aus dieser ausgeschlossen betrachtet werden, was faktisch aber nur eine Anerkenntnis der bereits vom Betroffenen selbst bewirkten Realität bedeutet. Diese "offizielle" Anerkenntnis des Sachverhalts ("so sei er für dich...") hat insofern seinen Sinn, als dass es so an diesem Faktum keinen Zweifel gibt, auch wenn der Betroffene behauptet, er wolle ja gar nicht aus der Gemeinschaft heraustreten. Denn so ein Gang ins Abseits ist eine objektive Wirklichkeit, die nicht durch Behauptungen oder Beteuerungen wettzumachen ist (es gab ja bereits mehrmalige Ermahnungen samt der Möglichkeit zur Umkehr vor dem Heraustritt!), sondern die eine entsprechend wirksame Handlung zur Behebung des Missstands erfordert: Umkehr auf den Weg Gottes, Rückkehr in die Gemeinschaft.


Wir wissen, dass Paulus eigenhändig Leute aus Gemeinden ausgeschlossen hat. Nachdem er etwa im Kolosserbrief über den "guten Kampf" spricht, den die Christen zu kämpfen haben, kommt er auf die zu sprechen, die diesem Anspruch nicht gerecht werden wollten. Wohlgemerkt: wollten. Es geht nicht um ein "nicht können", oder um ein passives erleiden, sondern um ein nicht wollen, es geht um Leute, die den christlichen Anspruch "von sich gestoßen und am Glauben Schiffbruch erlitten" haben (1Tim 1,19). Es geht also um Menschen, die sich selbst durch ihr Wollen und/oder Tun faktisch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen haben (auch wenn sie vielleicht anderes behaupten). Vgl. auch dazu Gal 5,19-21. Die Reaktion des Paulus ist so v.a. eine Warnung und eine Deutung dessen, was die hier Gemeinten selbst schon getan haben: "Unter ihnen sind Hymenäus und Alexander, die ich dem Satan übergeben habe, damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern." (V. 20) "Dem Satan übergeben" drückt recht genau das aus, was eine Exkommunikation meint, denn sie beinhaltet v.a. den Ausschluss von den Gnadenmitteln der Kirche (Sakramente), die für den von Paulus beschriebenen Kampf erforderlich sind: "Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch." (Joh 6,53)

Ein solcher Ausschluss kann von Paulus übrigens auch delegiert werden, sodass er selbst nur "im Geiste" dabei ist: "Wenn ihr im Namen unseres Herrn Jesus versammelt seid und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus bei euch ist, sollt ihr diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches." (1Kor 5,4-5) Das ist interessant, weil es zeigt, welche Autorität Paulus besessen hat ("mit der Kraft unseres Herrn") und dass eine Gemeinde nicht beliebig handeln konnte. Wenn aber schon die ersten Christen nicht immun gegen den Irrtum und die Sünde waren - Paulus: "Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?" (1Kor 5,6); und noch deutlicher: "ihr Wort frisst um sich wie ein Krebs[geschwür]" (2Tim 2,17) -, und sich nur dadurch zu helfen wussten, dass sie die Akteure ausschlossen, welche Arroganz (oder Dämlichkeit? oder Feigheit?) ist das, die uns Heutigen versichert, wir wären jenseits solcher Konflikte und bräuchten folglich auch solche Maßnahmen nicht mehr?


Eine Exkommunikation ist unbarmherzig... im Kopf dessen, der nicht weiß, was eine Exkommunikation ist. Entscheidend für unser Thema ist nämlich, dass ein "offizieller" Ausschluss aus der Gemeinschaft der Glaubenden (zur Erinnerung: das gilt immer nur zu Lebzeiten des Ausgeschlossenen) keine Verdammung ist, sondern genau im Gegenteil dem Heil des Betroffenen dient. Zur von Paulus genannten Übergabe an den Satan "zum Verderben des Fleisches" gehört wesentlich die Erklärung/Ergänzung des Apostels: "auf dass sein Geist gerettet werde am Tage des Herrn" (1Kor 5,5) und, bereits zuvor zitiert, "damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern" (1Tim 1,20). Sprich: Es geht um die Hoffnung, dass der Betroffene sich bekehrt. Paulus macht sehr deutlich, dass seine "Vollmacht, die mir der Herr gegeben hat", Leute aus der Gemeinschaft auszuschließen, dazu dient "zu erbauen, nicht zu zerstören." (2Kor 13,10) Das Ziel jeder Exkommunikation ist und war schon immer nicht der Ausschluss (den die Betroffenen ja faktisch selbst bewirken) und damit die Zerstörung - sondern die Rückkehr, die Wiederaufnahme, die Versöhnung mit Gott und mit der Kirche. Mit Paulus gesprochen: Jemand wird ausgeschlossen "damit er schamrot werde." (2Thess 3,14) Im Umkehrschluss haben wir dann genau das, was wir heute überall erleben können: Die maßlose Unverschämtheit vieler Theologen und pastoralen Mitarbeiter.

Eine Exkommunikation soll heilen, alles andere ist ein Missverständnis. Zerstören (zersetzen) tun die Sünden und die Häresien, deshalb müssen ihre hartnäckigen Akteure - zum Schutz der anderen und ihnen selbst hoffentlich zu Besserung - ausgeschlossen werden. Die Auferbauung der Kirche und ihre Erhaltung, soweit es an ihren Gliedern und insbesondere ihren Hirten liegt (Paulus wusste sich in dieser Verantwortung), verlangt den Widerstand, verlangt - dank Corona wissen nun auch Nichtbiologen, wovon ich spreche - eine Immunreaktion gegen die Häresie. Die Antikörper sind alle schon da, es braucht keine Impfungen mehr, denn die Häresien von heute sind immer nur die Häresien von gestern mit neuem Etikett. Die Immunosuppression, die gegenwärtig flächendeckend geschieht, ist Teil der Erkrankung und darf nicht als Errungenschaft (der Freiheit oder gar Mündigkeit) verkannt werden.

Dennoch ist eine angemessene Sprache und Haltung, und v.a. viel Zuwendung aus Liebe erforderlich. Ermahnung und Liebe gehören neutestamentlich aufs Engste zusammen (vgl. 1Petr 2,11; Jud 1,3; 1Kor 4,14; 2Kor 2,8; Röm 15,13) und sind von hoher Priorität: "Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit..." (Phil 2,1) Und wenn es nicht anders geht und die Ermahnungen nicht fruchten, dann... ... In der katholischen Kirche in Deutschland kommt es nie so weit, denn hier finden Ermahnungen nur noch in die belanglose oder falsch Richtung statt: wenn nicht ausreichend gegendert, nicht genügend CO₂ eingespart, oder wenn einmal in die richtige Richtung (an Sünder und Häretiker) ermahnt, oder wenn die Lehre der Kirche als Standpunkt vorgebracht wird... 

 

Vor 500 Jahren waren die meisten Bischöfe hierzulande nur untätig oder unfähig, heute machen einige ihrer Nachfahren begeistert mit beim Trubel... Das Thema Exkommunikation könnte bald in höchstem Maße aktuell werden...

 

 

PS. Als kleine ironische Note habe ich hier stets die Lutherübersetzung zitiert, denn die ist nicht nur bei diesem Thema einfach kerniger...