Donnerstag, 18. Juli 2019

Interkommunion

Aus aktuellem Anlass.


Hier kann ein Wort über das schmerzliche Thema der ersehnten und noch immer nicht möglichen Interkommunion zwischen christlichen Gemeinschaften gesagt werden, die in ihrem Glaubensverständnis nicht eins sind. Die Differenzen ballen sich gerade an der Stelle zusammen, wo das Geheimnis der Eucharistie steht, das nach unserem Verständnis das für die Kirche zentrale, sie im letzten begründende und erhaltende ist.  
Viele Laien werden von dieser Rolle der Eucharistie zwar überzeugt sein, aber ohne die Voraussetzungen und Folgen dieser Überzeugung hinreichend zu bedenken. So kann man ihnen die Meinung nicht verübeln, Interkommunion könne eine Brücke über die verbleibenden Differenzen bilden, ja vielleicht durch ihr Gnadenwirken helfen, sie zum Verschwinden zu bringen. Aber weder kann das Sakrament, wenn es auf beiden Seiten verschieden aufgefaßt wird, Einheit herstellen, noch kann es seine Funktion sein, eine Versöhnung (gleichsam magisch?, ex opere operato?) zu erwirken, die nur durch bewußte Tat der Menschen hergestellt werden kann. «Bevor du zum Altar hinzutrittst, geh hin und versöhne dich mit deinem Bruder» (Mt 5, 23 f).  
Wiederum werden viele sagen: «Aber ich bin ja mit ihm schon versöhnt, ich habe nichts gegen ihn, wir beide haben die gleiche Taufe empfangen und sind der Überzeugung, Christus in der Feier des Abendmahls zu begegnen. Ist das nicht das Wesentliche?» Dann wäre alles übrige, was uns noch trennt, unwesentlich und könnte, als praktisch nicht ins Gewicht fallend, übergangen werden. Aber zeigen nicht die zahlreichen ökumenischen Gespräche gerade über die Eucharistie heute: man hat sich theoretisch schon so stark angenähert, daß die Verwandtschaft die Differenz eindeutig überwiegt. Was hindert dann das Kirchenvolk - angesichts der von allen Seiten betonten Dringlichkeit der Einigung - die praktischen Konsequenzen zu ziehen?

 

Das ernsthafte Streben nach Einigung in den ökumenischen Gesprächen darf in keiner Weise geleugnet werden, ebensowenig der Nutzen ihrer objektiven Klärungen. Die Frage bleibt, ob die in der Eucharistiefrage tragenden Momente, die im 16. Jahrhundert als kirchentrennend empfunden Wurden, heute als so harmlos erscheinen können, daß sie zu Nebensächlichkeiten herabsinken. Dieser Momente sind vor allem drei. [...]
1. Jesu Selbstverteilung - «dies ist das für euch vergossene Blut des Bundes...» - ist eindeutig vorwegnehmender Hinweis und Einschluß seines Kreuzes, wie denn Paulus sagt, daß der Empfänger des Sakraments den Tod Christi verkündigt. Das «am Vorabend vor seinem Leiden» eingesetzte Sakrament ändert nach Ostern seinen Charakter nicht; es vermittelt nicht eine beliebige Begegnung mit einem zeitlosen Jesus; eine solche findet ja im ganzen Glaubensleben des Christen statt, bei jedem Gebet, bei jeder christlichen Begegnung mit einem Mitmenschen. Es geht um den bewußten Empfang dessen, der sich für uns (unsere Sünde tragend) in den Tod unserer Gottverlassenheit gegeben hat, der gemäß der Zersplitterung der Sünder sich endlos in ihre Egoismen hinab zersplittert hat - weit über den Orpheusmythos hinaus -, um das Verlorene zurückzuholen. Wissen wir (hüben und drüben), daß wir diesem in unseren Abgrund Preisgegebenen, vor dem Schmutz unserer Füße knienden Herrn begegnen? Beten wir ihn als solchen an?
2. Die katholische Kirche Wird nie davon abgehen können, daß Jesus seine Vollmachten zur Konsekration und zur Absolution schwerer Schuld einem Amt in der Kirche anvertraut hat, wie es zunächst von den «Aposteln» ausgeübt und dann von ihnen ausdrücklich an solche weitergegeben wurde, die es ihrerseits weiterzugeben haben: «Dazu habe ich dich auf Kreta zurückgelassen, damit du das, woran es noch fehlt, in Ordnung bringst und Stadt für Stadt Presbyter einsetzest, wie ich dir aufgetragen habe» (Tit 1,5). Diese Ordnung erscheint schon in den ersten nachapostolischen Schriften (Klemensbrief um 96, Ignatiusbriefe um 115) durchgeführt, und hinter sie - auf mögliche, aber mehr oder Weniger hypothetische Gemeindestrukturen, die sich unter den Augen und mit Billigung der Apostel ausformten - kann die Kirche nicht zurückgehen. Eine volle Kommunion zwischen kirchlichen Gemeinschaften - und die Eucharistie ist der Ausdruck der vollen und nicht einer partiellen Kommunion - setzt die sowohl sichtbar verkörperte Wie geistig bejahte Gemeinschaft im kirchlichen Amt voraus, von dem man nicht (wie gewisse katholische Theologen es tun) sagen kann, es sei in seiner Wesensstruktur durch die Kirche selbst veränderbar. Ist es doch wesentlich und bleibend Geschenk Christi an die Kirche, die kraft dieses Geschenkes sein darf, was sie ist. 
Das ist zentral festzuhalten, und es ist uns weder möglich noch erlaubt, aufgrund von Spekulationen darüber, was Gottes Gnade in Notfällen und gleichsam am Rande zu tun, in welchen Glaubensgemeinschaften der Herr der Kirche sich zu vergegenwärtigen vermag, die normale kirchliche Struktur in ihrer Geltung zu relativieren.
3. Schließlich ist auf das Mysterium hinzublicken, das wir anläßlich der Rolle Marias zu umschreiben versuchten: die sehr geheimnisvolle, aber nicht zu bezweifelnde Hineinnahme der «geschehenlassenden» (und in diesem Sinn auch mitopfernden) Kirche in das Kreuzesgeschehen. Ein «bloßes Gedenkmal» ist die Eucharistie auf keinen Fall, sie enthält sicherlich eine Einbeziehung der Gemeinde in das Todes- (und Auferstehungs-) Geschehen Jesu, wie differenziert und abgestuft dieses Geheimnis auch dargestellt werden muß. [...] 
Die Eucharistie ist im Kern ein zugleich wunderbares und schmerzliches Geheimnis. Es wäre gut, wenn beide Seiten, die nach gemeinsamer Kommunion drängen, sich dessen bewußt blieben, und im Verzicht auf oberflächliche und übereilte Einigungen etwas von dem Schmerz miterlebten, der in der Selbstpreisgabe Jesu um der Einigung willen in diesem Sakrament verborgen enthalten ist.

(aus: Hans Urs von Balthasar, Kleine Fibel für verunsicherte Laien)