Mittwoch, 30. März 2016

Laienheiligkeit

Die Ankündigung der Heiligsprechung von Mutter Theresa im Sommer und ein kurzer Kommentar eines geschätzten Theologen auf Facebook brachte mir einen alten Gedanken wieder ins Bewusstsein, nämlich die Besorgnis darüber, wie die Kirche in Sachen Heiligsprechungen vorgeht. Was mir Sorge bereitet ist die Tatsache, dass ca. 99% aller kanonisierten Heiligen Priester oder Ordensleute sind. Und von den paar Laien (1%) sind wiederum ca. 99% darum kanonisiert worden, weil sie Märtyrer waren. Zugleich sind aber 99%  der Katholiken weder Kleriker/Ordensleute noch Märtyrer. Das lässt für die Weltmenschen, v.a. die Väter und Mütter (und Singles), wenig übrig an Vorbildern. (Ob wohl jemand Notiz von Louis und Zélie Martin genommen hätte, wenn deren Tochter nicht schon bald als Heilige verehrt worden wäre?) Der normale Katholik, ich zähle mich mal dazu, ist also, wenn man das abrundet, faktisch nicht im Heiligenkalender repräsentiert (0,00...%?).
Mir ist natürlich klar, dass es noch das Fest aller (auch nicht namentlich bekannten) Heiligen gibt. Und mir ist auch klar, dass jene Tatsache zunächstmal einfach daraus resultiert, dass sowohl die "Hierarchie" (gemeint ist die Instanz, die die heiligsprechungen vollzieht) wie größere Teile des Kirchenvolks logischerweise leichter Notiz nehmen von heiligmäßigen Klerikern/Ordensleuten, das liegt in der (eher exponierten) Natur der Sache. Aber das reicht m.E. nicht als Erklärung. (Und man komme mir jetzt nicht zuckersüß mit Maria und Joseph als potentiell "größte" Vorbilder, die alle anderen Heiligen ja achso überragen würden: deren Ehe war nun wirklich alles andere als "typisch" und überdies wissen wir so gut wie nichts darüber, weswegen sie als Vorbild für ein Ehe- und Familienleben in der heutigen Welt, von ein paar seeehr allgemeingültigen Grundkonstanten abgesehen, überhaupt nicht taugt.)

Ich glaube, das Problem liegt v.a. in der Mentalität: Es gibt, scheint mir, so eine Art "Instinkt", der bewusst oder unbewusst annimmt, Priester und Ordensleute seien per se in einer privilegierten Stellung um "heilig" zu werden, ja als hätten sie es "leichter", als sei ihr Stand per se näher an "Heiligkeit" (was immer das ist), weil das Klosterleben ja bereits so ein großes Opfer sei. Und das halte ich für einen katastrophalen Irrtum. Für manchen mag das Klosterdasein seiner Natur durchaus mehr entsprechen, so dass für ihn eigentlich ein Dasein in der Welt das sehr viel größere Opfer darstellen würde (ich weiß, wovon ich spreche).

Im Detail wurmt mich da so manches: Immer wieder ließt man beispielsweise in Heiligenbiographien (nicht nur in den verkünstelt-schmalzig-idealisierenden, sondern auch in durchaus realistischen-nüchternen) das Lob auf jene Nonne, die Nachts um 2 Uhr aufsteht um zu beten. Oder die Preisung jenes Priesters, der sich so hingebungsvoll um seine Schäfchen kümmert. Aber, ganz ehrlich, diese Dinge unterscheiden sich m.E. nicht wesentlich von der Mutter, die für ihr Baby mehrmals Nachts raus muss und kaum Schlaf bekommt, oder von dem Vater, der für seine Kinder immer da ist. Von den Pflichten und der Hingabe der Eheleute gegenüber einander ganz zu schweigen. "Die Eheleute/Eltern tun doch nur ihre Pflicht", spöttelt es (ich habe ähnliche Phrasen tatsächlich schon mehrfach von gewissen "Verstrahlten" vernommen!)... Aber dieser Spieß ließe sich auch auf die Priester und Ordensleute hin umdrehen! Es ist letztlich genau diese Pflichterfüllung, um die es geht. Und das können beide gleich gut.

Wenn ich mir die Landschaft der Heiligen anschaue, dann finde ich für das Leben der Hingabe - als Ehemann/-frau und als Eltern - nahezu keine Vorbilder. Ich habe mir vor einigen Jahren mal ein Buch "Heilige Eheleute" zugelegt, in der Hoffnung, darin solche Vorbilder zu finden. Man kann sich das Ergebnis schon denken: Bei den allermeisten spielte das Familienleben nur eine marginale Rolle. Biographisch wird da meist auf den Klostereintritt oder gar die Ordensgründung nach dem Tod des Gatten/der Gattin abgehoben. "Sie war eine fürsorgliche Mutter" ist i.d.R. alles, was dazu gesagt wird... so richtig "heiligmäßig", so wirklich hingabevoll, so hat man jedenfalls bei der Lektüre den Einruck, wurde sie erst ab dem Klostereintritt.
Und obwohl nun schon die letzten Päpste sich so viel um die Familie und die Berufung der Eheleute gekümmert haben, gab es kaum je Heiligsprechungen aus diesem Stand... Laien haben keine gute Lobby, wie es scheint. Aber ich glaube es ist die Gesinnung, die hier hauptverantwortlich ist.

Ida Friederike Görres schreibt in einem Brief, dass sich das Leben einer Ordensfrau von Heute oftmals nur dadurch von dem einer Ehefrau unterscheide, dass Erstere neben ihrer Arbeit viel im Gebet lebt und Gott liebt, während Letztere neben ihrer Arbeit in einer Familie lebt und ihren Mann und ihre Kinder liebt. Was der Ersteren, wenn sie "nach Hause" in den Konvent kommt, das Gebet ist, ist der Letzteren das Zuhause selbst, die Familie, der Gatte. Und irgendwie bekommt man das latente Empfinden nicht los, dass das Gebet von diesen beiden Beschäftigungen die "Heiligere" ist... Ich grüble nun seit einer ganzen Weile darüber und immernoch ertappe ich mich dabei, wie ich "Gebet" viel leichter mit Heiligkeit assoziiere.
Wenn ich die Krisen und Herausforderungen ansehe (besonders die innerhalb der Ehe), die die Eheleute um mich herum zu bestehen haben, kommt mir das Grausen... Aber umso mehr erlebe ich immer wieder im Kleinen und Ganzkleinen, wie diese Menschen das bewältigen und trotzdem nicht (ver)zweifeln, auch nicht an Gott. Es kann doch nicht sein, dass ich diese ganz alltägliche Heiligkeit, deren pneumatischer Anteil regelrecht von jedem Beteiligten jeden Tag neu erstritten werden muss, so oft erlebe, bei den wenigen Beispielen die mir vor Augen sind, dass aber zugleich kaum jemals solche Leute im Heiligenkalender auftauchen. Immer, scheint es, braucht es ein geradezu heroisches Gebetsleben noch "obendrauf", um als "heilig" zu gelten. Aber genau das geht halt meistens nicht, wenn da ein Ehepartner und eine Familie ist. Jedenfalls nicht so, wie man sich ein "heiligmäßiges Gebetsleben" gerne vorstellt. Und ich weigere mich, ein Weniger an Heiligkeit auch nur anzunehmen, bloß weil jemand seine Zeit, die andere im Gebet für Gott geben, für seinen Partner, für seine Kinder gibt. Das ist der exakt gleiche Irrtum, unter dem unser Sozialstaat leidet, wenn er Kindererziehung und Haushaltsführung nicht als "Arbeit" wertet, und den sich Katholiken immer befleißigen, anzuprangern...

Tatsächlich halte ich, das ist meine persönliche Meinung, Ehe und Familie für die größere Herausforderung, weil in der Ehe beide Beteiligten fehlbare schwache Menschen sind, während in der geistlichen Verlobung mit Christus nur ein fehlbarer Mensch beteiligt ist. Die "Fehlerquellen" sind bei Letzterer quasi um die Hälfte reduziert. Dann kommt freilich noch die "Familie" (geistlich oder physisch) dazu, die dann wieder viele "Reibungspunkte" birgt.
Während der Priester ontologisch auf Christus hin gewandelt ist, sind es die Eheleute auf einander hin. (Darum ist eine erneute Eheschließung auch nur nach dem Tod eines Partners möglich. Auch der Priester ist nach seinem Hinscheiden kein Priester mehr, denn das Himmlische Jerusalem hat bekanntlich keinen Tempel.) Und noch etwas: Sowohl aus dem Kloster wie aus dem Priesterstand kann man letztlich immer raus oder man wechselt in eine andere "Familie" oder gründet gleich einen neuen Orden... man kann einen Orden sogar in allen Einzelheiten vorher ausprobieren, ohne jede Verbindlichkeit. Aus einer Ehe kommt man nicht mehr raus, und man kann sie auch nicht in allein Einzelheiten unverbindlich ausprobieren. Was davon ist also das größere "Risiko", das größere Opfer, der größere "Sprung des Glaubens und der Hoffnung"? Gibt es vielleicht darum so viele Kleriker- und Ordensheilige, weil es schlicht und ergreifend "leichter" und ein weniger gewagter (besser zu kalkulierender) Sprung ist? Na toll.

Mich wurmt das. Mich macht das traurig und wütend. Ich weiß auch nicht, wie man diesen Mangel beheben kann... Mir scheint v.a. unsere (der Katholiken) Vorstellung von Heiligkeit dringend revisionsbedürftig.