Donnerstag, 29. Dezember 2022

Jesus und Paulus

Verschiedentlich habe ich mich hier schon darüber ausgelassen, wie der theologische Mainstream versucht, einen Keil zwischen Jesus und Paulus zu treiben (z.B. hier) um je nach gusto etwas als (Ver)Fälschung oder als angeblich authentisch hinzustellen. Je nachdem, was gerade erforderlich ist. Sehr pointiert drückt dieses Mainstream-Ansinnen ein 2021 erschienener Buchtitel aus: "Jesus oder Paulus. Der Ursprung des Christentums im Konflikt" (muss man nicht lesen).

Ich möchte an einem kleinen, aber doch großen Beispiel zeigen, warum man solche kruden Thesen gelassen ignorieren und wie man sie, wenn nötig, auch gepflegt zerlegen kann.

 

Beispiel: Reich Gottes

Es ist allgemein anerkannt, dass im Zentrum der Verkündigung Jesu das Reich bzw. die Herrschaft Gottes steht. Über hundert Mal spricht Jesus in den Evangelien davon, und zwar als von einem kommenden, wie auch als von einem schon gegenwärtigen Reich. Und Paulus? 14 mal, und dabei fast ausschließlich als vom Kommenden. Dagegen spricht Jesus nicht sonderlich häufig vom Geist Gottes bzw. vom Heiligen Geist, etwa ein dutzend Mal. Und Paulus? Der spricht über hundert Mal vom Geist! Also genau verkehrt...

Hat also Paulus Jesu Botschaft vom Reich Gottes ersetzt durch seine Rede vom Geist, die bei Jesus eine (scheinbar) geringe Rolle spielte? War Paulus Jesu zentrale Botschaft egal, und er hat sie durch seine eigene ersetzt? Genau das (mehr oder weniger klar ins Wort gebracht) bringt man jedenfalls Theologiestudenten gerne bei.


Die Wahrheit ist dabei erstaunlich simpel: Sowohl für Jesus, als auch für Paulus, ist der Geist Gottes bereits Teil des Reiches Gottes, das wir als seine Söhne erben sollen bzw. er ist Teil der Herrschaft Gottes, denn Gott herrscht in und durch seinen Geist. Der Geist ist es, der das Reich, das einmal in Fülle offenbar werden soll, heute schon gegenwärtig macht. Die Spannung des "schon und noch nicht" löst sich genau im Wirken des Geistes in Klarheit auf.

Jesus: "Wenn ich aber im Geist Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen." (Mt 12,28)

Paulus: "Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott." (Gal 4,6-7)

 

Für Paulus ist das Reich bzw. die Herrschaft Gottes bereits hier, weil und insofern uns der Heilige Geist geschenkt ist (vgl. 1Kor 6,9-11!). Dass Paulus mehr vom Geist als vom Reich spricht, ergibt sich daraus, dass er nach Pfingsten lebt und spricht: Der Geist ist schon gekommen, den Jesus verheißen hat.

Der gern behauptete Gegensatz existiert nicht. Paulus verkündet, genau wie Jesus, das Reich Gottes. Nur benutzt Paulus diesen Ausdruck seltener, weil er stattdessen an die konkret gelebte Erfahrung des Geistes im Leben der Christen anknüpfen kann. Im Übrigen ist letztlich Jesus selbst die Herrschaft Gottes in Person (er ist mächtig, er gebietet, vergibt, wird richten, ist Herr), daher ist es wenig verwunderlich, dass Paulus anders darüber spricht als Jesus es tat: Für den Apostel ist Gottes Reich da, wo Jesus ist (und, im und durch den Geist, angenommen wird).

Freitag, 14. Oktober 2022

Akrobatik mit dem Wort Gottes

Auf kath.ch war dieser Tage eine Story, die sehr schön illustriert, wie man das Wort Gottes auf geradezu akrobatische Weise verdrehen muss, um bestimmte Anliegen zu "stützen". Die Überschrift: "LGBTQ-Gottesdienst in Biel: Jesus ist Vorbild für queere Menschen" (hier).


Besonders krass fand ich bei dieser Gelegenheit das Motto des ganzen, das nämlich ein Bibelzitat ist, aus dem Evangelium vom vergangenen Sonntag (Lk 17,11-19): "Geht, zeigt euch!"(V. 14)

Im Kontext ist interessant: Die Kranken nähern sich Jesus in tiefster Ehrfurcht und Vorsicht, nicht nur, weil sie Aussätzige waren, sondern auch, weil sie offensichtlich Jesu Autorität und Vollmacht erkannten, sonst würden sie ja nicht gezielt an ihn herantreten: "Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!" (VV. 12-13)

Jesus tut scheinbar nichts weiter, als sie zu den Priestern zu schicken. Der Sinn ist ein mehrfacher: Eine Heilung von Aussatz musste laut dem Gesetz von den Priestern bestätigt werden, die Geheilten mussten ein Opfer zum Dank darbringen (Lev 14,1-32), und zugleich zeigte Jesus durch diese Aufforderung, dass er das Gesetz befolgt.

Der Evangelist, der uns diese Episode berichtet, hebt nun besonders auf den einen Geheilten ab, der zu Jesus zurückkehrt, und sich bedankt, der nämlich ein Samaritaner war, mit dem die Juden also nichts zu tun haben wollten, der den Juden - ob gesund oder krank - als Ausgestoßener galt.


Frage: Wie lässt sich das im Evangelium Berichtete mit einem LGBTQ-Gottesdienst unter dem Motto "Geht, zeigt euch!" vereinbaren?

Die Situation ist vertrackt, denn die Prämisse des Gottesdienstes ist ja gerade, dass queere Menschen angeblich (von der Kirche) "abgelehnt" werden, wie die Juden auch Samaritaner und Aussätzige, also erst recht aussätzige Samaritaner abgelehnt haben. Die Parallele ist sehr offensichtlich und böte sich an. Aber mit diesen Kranken/Geheilten sollen sich die Gottesdienstteilnehmer gerade NICHT identifizieren, denn eine "Heilung" darf ja für sie nicht in Frage kommen (aus dem Artikel: "Konversionstherapien können Menschen aus der LGBT-Communitiy unglaublich schaden"). Also, Problem: Die Evangelienperikope eignet sich eigentlich gar nicht für das, was der Gottesdienst "bringen" soll.

Wie schaffen es also die Veranstalter trotzdem, den Bibeltext nutzbar zu machen? Klar: Das Wort Gottes wird hier akrobatisch verdreht. Das "Geht, zeigt euch!" ist jetzt nicht mehr Jesu Antwort auf von schwerem Leid Befreite, die in tiefer Ehrfurcht den Herrn um Erbarmen (Heilung) angefleht haben, sondern es soll stattdessen besagen: "Seid stolz auf eure sexuelle Orientierung, versteckt euch nicht, zeigt euch den Menschen so, wie ihr seid; das Letzte, was ihr braucht, ist eine 'Heilung'!"

Wenn also nicht die Geheilten die Identifikationsfiguren für die Gottesdienstteilnehmer sind, wer dann? Im Titel des Beitrags auf kath.ch steht es schon: "Jesus ist Vorbild für queere Menschen".

In einer wahrlich kühnen Verdrehung des Bibeltextes wird nämlich der Ruf Jesu an die Aussätzigen/Geheilten umgedreht, und als eine Art Lebensmotto Jesu ausgegeben: "Er ist hinaus gegangen und hat sich gezeigt. Er hat gesagt, wer er ist und wofür er steht." (kath.ch)

Queere Menschen sind wie Jesus. Jesus ist wie die queeren Menschen.

Das hat natürlich mit dem Jesus, der uns in den Evangelien begegnet, nichts zu tun. Dieser Jesus in den Evangelien hat nicht sein Menschsein oder gar seine sexuelle Orientierung ins Rampenlicht gestellt und angepriesen, er hat keine ihm eigene, menschliche Agenda verkündet "für die er steht", sondern er verwies stets auf den Vater, von dem er kommt, und ohne den er nichts ist: "Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott." (Lk 18,19) Jesus sagt genau das Gegenteil von dem, was die Botschaft jenes Gottesdienstes sein sollte: "Wenn ich über mich selbst Zeugnis ablege, ist mein Zeugnis nicht wahr; ein anderer ist es, der über mich Zeugnis ablegt, und ich weiß: Das Zeugnis, das er über mich ablegt, ist wahr." (Joh 5,31-32) Und: "Denn ich habe nicht von mir aus gesprochen, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir aufgetragen, was ich sagen und reden soll." (Joh 12,49)


Diese Verdrehung von Jesu Selbstverständnis als ganz vom Vater kommend hin zu einem bornierten "Ich!" wird natürlich auch dadurch nicht besser, dass Jesu Verkündigung verglichen wird mit dem Stolz auf etwas, was die Bibel einhellig (AT und NT) als Gräuel, der vom Reich Gottes ausschließt, verurteilt (vgl. hier). Denn natürlich geht es nicht um die Menschen an sich, die die Kirche ja keineswegs ausschließt, sondern eben um das wofür sie "stehen", um das, was sie wollen: Anerkennung, ja sogar Wertschätzung ihrer ("queeren") Handlungen. Diese Anerkennung zu Fordern wird mit der Verkündigung Jesu verglichen!

Und natürlich geht es im Letzten wie immer um das Selbe: "Wir setzen uns für eine Kirche ein, die alle so akzeptiert, wie sie sind"... ob sie das auch über pädophile Priester und Völkermörder sagen würden, weiß ich nicht. Aber natürlich bleibt das alte Problem: So eine Kirche wäre nicht die Kirche Jesu, denn der hat an keiner Stelle zu irgendwem gesagt "Ich akzeptiere dich so, wie du bist"... Nein, Jesus hat stets zur Umkehr aufgerufen, zu einer Veränderung der Gesinnung, des Handelns, des Lebens. Auch wer scheinbar sündenlos lebte, weil er alle Gebote penibel befolgte, bekam von Jesus kein "Toll, bleib so!" zu hören, sondern: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen" (Mt 19,21).


Am Ende müssen wir uns wohl grundsätzlich die Frage stellen: Wenn ein Anliegen (egal was), das wir als Christen vertreten, eine solche Verdrehung und Verfälschung des Wortes Gottes und der darin bezeugten Identität Jesu erfordert, um es überhaupt noch irgendwie mit der Bibel zu "stützen", kann es dann richtig sein? Kann dieses Anliegen echt und wahr sein, dem Willen Gottes entsprechen?

Montag, 3. Oktober 2022

Das Fragen nach dem Zölibat

»Ist das heute im Klerus - unverhohlen oder im geheimen - umsichgreifende Verlangen nach der Ehe ein Zeichen des Glaubens, jenes Glaubens, der konkret und ernsthaft, als "Ärgernis" und in "Torheit" das wirkliche Leben an die Hoffnung des Glaubens wagt? Oder ist es ein Symptom der Glaubensschwäche, eines Glaubens, der auf jeden Fall denkt: "Was man hat, das hat man"? Ist es ein Glaube, den man zwar noch als ideologischen Überbau und Zusatz - und das aus Tradition - hinnimmt, der aber ja sich nicht anmaßen darf, das Leben selbst radikal umzubauen und von Grund auf zu revolutionieren, jenes Leben, so wie es auch ohne die Hoffnung des Glaubens sonst geführt wird?«


So fragte Karl Rahner 1967 (Der Zölibat des Weltpriesters im heutigen Gespräch. Ein offener Brief, in: Geist und Leben; wieder abgedruckt in "Knechte Christi"). Ich habe (wie Rahner damals) keinen Grund zu der Annahme, die Infragestellung des Zölibats geschähe aus einem tiefen Glauben heraus. Dort wo sie geschieht, ist der Bankrott des Glaubens und der Glaubenspraxis das stets gleichbleibende Charakteristikum. Später hat Rahner seine Meinung, wie in vielen Bereichen, geändert, aber 1967 war er noch emphatisch und klar: 

»Ich wünsche und erwarte nicht, daß die Kirche für unsere abendländischen Räume ihr "Zölibatsgesetz" ändert [...] ich hoffe, daß die Kirche den heiligen Mut behält, Priestern auch im Weltklerus den Zölibat zuzumuten.«


In den Diskussionen über die immer gleichen Themen "in Kirche" ist es wichtig, die eigene Wahrnehmung zu schulen. Ein wichtiger Punkt ist die Formulierung von Fragen: Wie wird der in Diskussion stehende Gegenstand befragt? Eine schöne Lektion dazu erteilte bereits vor bald 200 Jahren Johann Adam Möhler im Blick auf die auch damals schwelende Diskussion um die Abschaffung des Zölibats der katholischen Kleriker. Möhler (Vom Geist des Zölibats, Paderborn 1992, 76):

»Der allgemeinste und überall wiederkehrende Einwurf gegen den Zölibat der katholischen Priester wird aus ihm als einem Zwangsgebot abgeleitet, das die härteste Beschränkung der persönlichen Freiheit verhänge. Daher wird gewöhnlich die für unauflöslich gehaltene Frage gestellt: Wie kann sich die Kirche berechtigt glauben, so viele Männer, einen ganzen Stand zu zwingen, der Ehe zu entsagen? Göttliche und menschliche Rechte streiten gegen sie. Vor allem leugne ich [d.i. Möhler], daß die Frage die rechte Fassung hat und verlange, daß sie vielmehr in dieser Form aufgeworfen werde: Hat die Kirche das Recht, nur jenen die priesterliche Weihe zu erteilen, deren Geist mit der höchsten religiösen Weihe schon gesalbt ist, in denen sich die reinste und schönste Blüte gottseligen Lebens entfaltet, die ganz und ungeteilt dem Herrn leben, wie der Apostel sich ausdrückt, oder die, wenn wir es in einem Worte mit demselben Apostel bezeichnen wollen, die Gabe der Jungfräulichkeit erhalten haben?«


Die erste Frageform ist für Christen eigentlich unzulässig, weil sie losgelöst von dem gestellt ist, was Christen glauben: Kein Bezug zu Christus, zur Liturgie, zur Hoffnung auf das ewige Leben etc... nichts. Rein soziologisch, psychologisch, weltlich. Und das müsste eigentlich klar sein: Eine Anfrage an eine spezifische christliche Lebensweise ohne Bezug zum christlichen Glauben beantworten zu wollen/sollen, ist Unsinn.

Nein, die Frage ist nur aus dem Glauben zu beantworten, aber dafür muss sie erst einmal anders gestellt werden! Genau auf dieser Linie fragte Rahner (an selber Stelle, 1967): 

»Warum soll die lateinische Kirche nicht bloß jenen ihr Amtspriestertum geben dürfen, die ihr sagen, sie hätten diese Berufung zum Zölibat vernommen? [...] Warum sollte die Kirche also nicht auch in Zukunft Priester gerade aus denen wählen, die sich mit Gottes Gnade trotz ihrer Schwachheit, in der sich Gottes Gnade mächtig erweist, zum Zölibat entschließen und als solche die Weihe empfangen? Die bergende Kraft, aus der heraus der Zölibat gelebt werden kann und muß, und das "Motiv", das für die Kirche selbst für dieses "Gesetz" im Vordergrund steht, müssen nicht identisch sein, obwohl beides nicht getrennt werden darf. Und so meine ich: Die Kirche tut recht daran, wenn sie auch den Zölibat will, damit wir nicht zu Beamten eines rituellen Betriebs degenerieren, sondern durch unser Leben bezeugen, wovon wir reden und was wir kultisch verrichten.«


Die Art und Weise des Fragens offenbart also allzu oft schon, wo der Fragende steht (im Glauben oder außerhalb davon) und was er als Antwort hören möchte. Natürlich kann es sein, dass eine tendenziös klingende Frage auch einfach darauf zurückzuführen ist, dass der Fragende schlicht so uninformiert und unreflektiert in der Sache ist, dass er nicht weiß, wie er danach zu fragen hat. Allerdings haben wir heutzutage (?) das Problem, dass gerade die Uninformierten die lautesten Meinungen zu haben pflegen, also gibt es hier eine großflächige Überschneidung.

Ob die Frage nun bewusst tendenziös ist - also die Absicht des Fragenden offenlegend - oder auf Uninformiertheit beruht, die ernsthaft nach Antworten sucht, in beiden Fällen kann es hilfreich sein, aus der gläubigen Perspektive die Frage neu zu formulieren, denn andernfalls wird der Blick meist unüberwindbar verstellt. Wenn das Gegenüber darauf besteht, die Frage nach dem priesterlichen Zölibat unter Absehung vom christlichen Glauben zu beantworten, würde ich von einem Antwortversuch abraten und im Gegenzug darauf hinweisen, dass die priesterliche Berufung unter solcher Absehung nicht existiert, und sich die Frage darum erübrigt. Wie die Antwort, so muss auch die Frage im christlichen Kontext gestellt werden können, denn - wie so oft - losgelöst davon ist es "Torheit".


PS. In jenem Brief von 1967 formuliert Rahner auch eine herrlich klare, fast vulgäre Absage an den nach wie vor grassierenden, pseudo-wissenschaftlichen Umgang mit der Heiligen Schrift zur Unterfütterung selbst der schrägsten theologischen Ergüsse (Rahner selbst entging weitestgehend dieser Versuchung, weil er die Schrift in späteren Jahren einfach weiträumig ignorierte, sein "Grundkurs des Glaubens" etwa, kommt fast gänzlich ohne die Bibel aus): 

»Ihr jungen Leute ruft heute energisch nach der Schrift. Schön und gut. Es ist wunderbar, daß das Wort der Schrift Euch heute mehr gilt als ein Satz aus einem staubigen Schulbuch der Scholastiker, als die säuerliche Rede eines dürren und menschlich unterernährten Aszeten oder sogar mehr als eine päpstliche Enzyklika. Aber kann ich nicht mehr lesen oder können es manche junge Geistlichen nicht mehr? Im Neuen Testament ist der Verzicht auf die Ehe bezeugt als echte, hohe und heilige Möglichkeit des christlichen Daseins. Gewiß nur für solche, die es fassen können. Aber man muß es auch fassen wollen; es ist nicht für die Eunuchen gesagt, was da steht. Aber schon kommen die dreimal Gescheiten, die das kritische Instrumentarium der modernen Exegese handhaben zu können glauben: "Das ist zeitbedingt!" "Das ist Dualismus!" "Das hat der wirkliche Jesus selber nicht gesagt!" Man ruft nach "Formgeschichte" usf. und möchte die "Rejudaisierung" oder "Hellenisierung" Jesu ausmerzen. Solche Leute nehmen die Schrift nur dann ernst, wenn es ihnen paßt; andernfalls ist ihnen die Schrift wie eine Wachsnase, die sie nach jeder Richtung drehen können. Selbst wenn man einkalkuliert, daß auch in der Schrift in diesem Fall das eigentlich "Gemeinte" unter bestimmten Vorstellungsmodellen, in geschichtlich und soziologisch bedingten Situationen, unter nie ganz reflex verarbeiteten Voraussetzungen ergriffen wird, die nicht mehr einfach die unseren heute sind, - was beweist das gegen die Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen", die die Schrift eben doch "meint"? Selbst wenn ein gewisser "Dualismus" den latenten Hintergrund gebildet hätte, steckt nicht auch in ihm eine Menschheitserfahrung, die nur Oberflächliche billig ganz beiseite schieben? Ist das Gemeinte selbst von diesem "Dualismus" abhängig, weil dieser die Situation war, in der das Gemeinte (von dem ich noch schreiben muß) zuerst deutlich ergriffen werden konnte (aber eben um gehalten werden zu können)? Nein, es bleibt dabei: Die Schrift weiß als Gottes Wort mitten im Menschenwort, daß der Zölibat eine echte Möglichkeit des christlichen Daseinsvollzugs ist.«

Montag, 5. September 2022

Verkündigung als Irreführung

Bischof Bätzing hat am vergangenen Sonntag in Essen zur Feier der Ludgerustracht gepredigt… und bewiesen, dass er entweder die Menschen böswillig in den Unglauben führen möchte, oder, dass er keine Ahnung vom Katholizismus hat. Sogar sein eigenes, nachlesbares theologhischen Fachwissen scheint er über Bord geworfen zu haben. Schlimm, wirklich schlimm.

Er sagte u.a.:


Dass die Grabstätten von Heiligen so bedeutsam wurden, dass man sogar Reliquienübertragungen quer durch Europa vollzog, hängt mit der familienbezogenen religiösen Einstellung der germanischen Bevölkerung zusammen. Dort bezog man sich auf einen Stammvater der Sippe – und der wurde nun im wahrsten Sinne des Wortes durch den Bezug zu einem christlichen Heiligen neu gesetzt.

Einmal davon abgesehen, dass es soetwas wie einen Heiligenkult und insbesondere Reliquienverehrung auch weit jenseits des Christentums gab und gibt (etwa im Buddhiusmus schon im 5. Jhd. v. Chr., im Konfuzianismus im 2. Jhd. v. Chr., ebenso im Islam bis heute), dies also schwerlich auf germanische Eigenheiten zurückzuführen ist, ist das von Bätzing dargelegte natürlich grundfalsch.

Im Christentum gab es Jahrhunderte vor den ersten Versuchen der Germanenmission schon einen ausgeprägten und auch theologisch reflektierten Heiligenkult inklusive Reliquienverehrung; das früheste uns in aller Deutlichkeit bezeugte Beispiel für einen ausgesprochenen Kult um einen Heiligen/Märtyrer und seine Reliquien ist Polykarp von Smyrna (gest. ca. 155), der seit ältester Zeit als Schüler des Apostels Johannes gilt, und auch da gewinnt man nicht den Eindruck, dass dies etwas Neues oder Unübliches war.

Dass die Verehrung gerade der Grabstätten der Heiligen nicht „mit der familienbezogenen religiösen Einstellung der germanischen Bevölkerung zusamme[hängt]“, sondern wohl eher biblische Wurzeln hat (Propheten- und Patriarchengräber!), kommt Bätzing offenbar nicht in den Sinn. Er dreht den Spieß einfach um und tut so, als wäre unsere christliche Heiligenverehrung ein heidnisches (germanisches) Relikt, das die Christen übernommen haben. In der Wirklichkeit ist es andersherum: Die Germanen hatten einen leichteren Zugang zum Christentum, weil sie Elemente ihrer eigenen Kuktur darin (in von heidnischen Vorstellungen gereinigter Form) wiederfanden.

Schon biblisch ist die Verehrung heiliger Gräber reichlich bezeugt. Als Jesus den Pharisäern zurief „Ihr errichtet den Propheten Grabstätten und schmückt die Denkmäler der Gerechten“ (Mt 23,29), da tadelte er nicht diese Praxis, sondern die Heuschelei die daraus entsteht, dass sie die Propheten und Gerechten zwar äußerlich ehren, sie in ihrem Tun aber verraten. Auch die Kraft solcher Gräber ist bezeugt: So hatte etwa das Grab des Elischa die Kraft, Tote zum Leben zu erwecken (vgl. 2Kön 13,20-21). Und ebenfalls biblisch ist auch schon die Verlegung von bedeutenden Gräbern („Reliquienübertragung“) bezeugt (etwa Rahels Grab: 1Sam 10,2).

Germanische Eigenheiten?


Der Glaube der Germanen war kriegerisch. Ähnlich wie bereits im Römischen Reich war man durchaus bereit, einem siegreichen Gott Folge zu leisten. So wurde das Kreuz mehr und mehr zum Siegeszeichen und Christus zum Sieger; die „Torheit des Kreuzes“, zu der sich der Apostel Paulus bekannte, trat sehr in den Hintergrund.

Soso, das Kreuz als ruhmwürdiges Siegszeichen und Christus als Sieger ist also nicht paulinisch? Redet er von dem Apostel Paulus, der immer wieder von dem Sieg und dem Siegespreis redet, den wir durch Christus errungen haben (Röm 8,37; 1Kor 9,24; 15,54.57; Phil 3,14; Kol 2,18)? Jener Paulus, der sich „allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen“ möchte (Gal 6,14), und der die, die nicht glauben, als „Feinde des Kreuzes Christi“ (Phil 3,18) bezeichnet?

Bätzing versteht offenbar nicht, dass Paulus mit der „Torheit des Kreuzes“ den Vorwurf der Ungläubigen benennt: „Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit“ (1Kor 1,23), und dass er dem entgegen setzt: „für die Berufenen aber, Juden wie Griechen: Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (V. 24) Insbesondere die Nennung der „Kraft“ ist hier aufschlussreich, denn sie weist in die gleiche von Paulus so geliebte „sportliche“ Bildsprache ([Wett]Kampf, Lauf etc.), wie die Rede vom „Sieg“. Nochmal: „Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen[!], Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft.“ (1Kor 1,18)

Achja, Jesus: „Ich habe die Welt besiegt.“ (Joh 16,33) Insbesondere der Erste Johannesbrief und die Offenbarung des Johannes sind natürlich voll von „Siegesrhetorik“ darüber, was Jesus getan hat und wer er ist.

Germanische Eigenheiten?


Im Folgenden beklagt Bätzing dann noch, dass der Charakter der Eucharistie als Opfer „stärker in den Vordergrund“ getreten sei als die Danksagung, womit er nur, ganz vorne auf dem deutsch-theologischen Mainstream reitend, seinen eigenen Unmut über die faktische Entfaltung des Durchdringens der Offenbarung im Laufe der Kirchengeschichte zum Besten gibt – er selbst wünscht sich offenbar etwas anderes, aber zum Glück beten wir nicht „Bätzings Wille geschehe“. Und er kontrastiert seine romantisierte Vorstellung einer güldenen Anfangszeit, in der jeder einzelne Mensch ausschließlich aufgrund „persönlicher Umkehr“ zum Glauben kam, mit den offenbar schä(n)dlichen Einflüssen der Germanen, die seiner Ansicht nach erst eine Annahme des Glaubens als „Familienclan“ ermöglicht, und folglich „Zwangstaufen“ befördert hätten. *Hust* Apg 16,14-15 *hust*… offenbar wurden auch vorher schon ganze „Häuser“, sprich: Familien (und damit ist biblisch nicht die Kleinfamilie im schnuckligen Einfamilienhaus gemeint!) getauft.

Nach diesem Stakkato von falschen und irreführenden Aussagen fragt der Bischof doch allen Ernstes:

Liebe Geschwister im Glauben, hilft uns ein solcher Exkurs in die Lebens- und Glaubenswelt des hl. Liudger mit all ihren Herausforderungen?

Die Antwort muss wohl lauten: Nein. Kein Stück. Es sei denn, die Intention ist es, sich möglichst schnell vom katholischen Glauben und Leben zu verabschieden.

Im Übrigen muss man wohl hoffen, dass im Publikum nicht allzu viele „Geschwister im Glauben“ saßen, jedenfalls, wenn man es am sich hier ausdrückenden Glauben des Herrn Bätzing misst.

 

Alles Treiben um den suizidalen Weg und die Abschaffung von Priestertum, Hierarchie und kirchlicher Sexualmoral einmal beiseite gelassen, zeigt diese Predigt: Dieser „Bischof“ stärkt nicht die ihm anvertraute Herde, er belebt nicht die Freude am Glauben oder die Verehrung Gottes und seiner Heiligen, sondern er sät nur Falschheiten, Zweifel und Unglaube. Er übernimmt die dümmlichen und schlicht uninformierten (ignoranten) Vorurteile einer antichristlichen Welt und „verkündet“ sie als Wahrheiten von der Kanzel. Letztlich entmündigt er die Menschen, weil er sie offenbar für dumm verkauft und in die Irre führt.

Wie kann so jemand Bischof werden - und bleiben?

Montag, 29. August 2022

Amputierte Lesungen - Hebr 12

Die vielleicht wichtigste Errungenschaft der letzten Liturgiereform ist die sehr stark ausgeweitete Leseordnung, die nun weitaus mehr biblische Texte in die Heilige Messe bringt. Zugleich ist es eine der großen Schandtaten jener Liturgiereform, wie manchmal mit den Texten umgegangen wurde. Für mich schlimmstes Beispiel ist die Mahnung des Apostels Paulus vor dem unwürdigen Empfang der Eucharistie (1Kor 11,27-30), die konsequent ausgelassen wird (Gründonnerstag, Fronleichnam, Votivmesse Eucharistie). Das ist nicht nur dramatisch, weil es eine moralisch höchst anspruchsvolle Weisung ist, sondern es ist für Paulus DER Punkt auf den er hinaus will (denn es sind Ungereimtheiten und Streiterein um das Herrenmahl, die seinen Brief veranlasst haben!) und die Missachtung dessen ist lebensgefährlich: "Deswegen sind unter euch viele schwach und krank und nicht wenige sind schon entschlafen."

Wie dem auch sei. Die vergangenen zwei Sonntage bieten ein ähnliches Problem, diesmal ist der Hebräerbrief dem unseligen Kastrieren zum Opfer gefallen. Vor zwei Wochen war Hebr 12,5-7.11-13 die zweite Lesung, vergangenen Sonntag war es 12,18-19.22-24a. Es fehlen die Verse 4, 8-10, 14-17, 20-21 und Vers 24b.
Hebr 12,4-24 ist ein in sich geschlossener Sinnabschnitt, aus dem an diesen beiden Sonntagen vieles herausamputiert wurde, was inhaltlich durchaus schwer wiegt – und sicher nicht, weil es „zu lang“ geworden wäre, denn viel Masse ist es nicht.

Die Lesungen mit den herausgeschnittenen Versen hervorgehoben:

4 Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet
5 und ihr habt die Mahnung vergessen, die euch als Söhne anredet: Mein Sohn, verachte nicht die Erziehung des Herrn / und verzage nicht, wenn er dich zurechtweist!
6 Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; / er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat.
7 Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet! Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt?
8 Würdet ihr nicht gezüchtigt, wie es doch bisher allen ergangen ist, dann wäret ihr keine legitimen Kinder, ihr wäret nicht seine Söhne.
9 Ferner: An unseren leiblichen Vätern hatten wir harte Erzieher und wir achteten sie. Sollen wir uns dann nicht erst recht dem Vater der Geister unterwerfen und so das Leben haben?
10 Jene haben uns für kurze Zeit nach ihrem Ermessen in Zucht genommen; er aber tut es zu unserem Besten, damit wir Anteil an seiner Heiligkeit gewinnen.
11 Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Leid; später aber gewährt sie denen, die durch sie geschult worden sind, Gerechtigkeit als Frucht des Friedens.
12 Darum macht die erschlafften Hände und die wankenden Knie wieder stark,
13 schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern vielmehr geheilt werden!

14 Trachtet nach Frieden mit allen und nach der Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird!
15 Seht zu, dass niemand von der Gnade Gottes abkomme, damit keine bittere Wurzel aufsprosst, Schaden stiftet und viele durch sie verunreinigt werden,
16 dass keiner unzüchtig ist oder gottlos wie Esau, der für eine einzige Mahlzeit sein Erstgeburtsrecht verkaufte!
17 Ihr wisst auch, dass er verworfen wurde, als er später den Segen erben wollte; denn er fand keinen Raum zur Umkehr, obgleich er unter Tränen danach suchte.

18 Denn ihr seid nicht zu einem sichtbaren, lodernden Feuer hinzugetreten, zu dunklen Wolken, zu Finsternis und Sturmwind,
19 zum Klang der Posaunen und zum Schall der Worte, bei denen die Hörer flehten, diese Stimme solle nicht weiter zu ihnen reden;
20 denn sie ertrugen nicht den Befehl: Sogar ein Tier, das den Berg berührt, soll gesteinigt werden.
21 Ja, so furchtbar war die Erscheinung, dass Mose rief: Ich bin voll Angst und Schrecken.
22 Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hinzugetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung
23 und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind, und zu Gott, dem Richter aller, und zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten,
24 zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus, und zum Blut der Besprengung, das mächtiger ruft als das Blut Abels.


Ein wirklich sehr kurzer, überhaupt nicht erschöpfender Kommentar zu den amputierten Versen, und warum sie wichtig sind.

Vers 4: Das Fehlen dieses Verses entmündigt die Zuhörer, denn ihnen wird das eigentliche Thema des Abschnitts vorenthalten. Und leider hat das den gegenteiligen Effekt von dem, was wohl angestrebt war: Die Passage über die Züchtigung durch Gott wird dadurch nicht entschärft, sondern in ein ganz falsches Licht gerückt. Denn Vers 4 macht deutlich, dass es um die Nachfolge Jesu geht, der vor allen anderen „bis aufs Blut gelitten“ hat. Außerdem wird klar, dass es nicht einfach um irgendwelche, willkürlich zugefügten Leiderfahrungen geht, sondern um Leid, das in Kauf genommen wird, um nicht zu sündigen (man denke etwa an die Wahl der Märtyrer, den Götzen zu Opfern oder von Löwen zerfetzt zu werden). Ohne Vers 4 entsteht hier ein ganz irriger Eindruck.

Vers 8: Es wird deutlich, was man gerne vergessen möchte, dass es auch illegitime Söhne Gottes gibt, so wie es auch Ehebrecher in Bezug auf Gott gibt (nämlich: Götzendiener). Mir scheint hier die Sinnspitze des Abschnitts betroffen: Der Autor möchte die Züchtigungen als etwas Unvermeidliches darstellen, und kontrastiert dies damit, dass es noch viel schlimmer für seine Zuhörer wäre, wenn sie sich dem entziehen wollten, weil sie dann keine legitimen Söhne mehr wären.

Verse 9-10: Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. Umso verwunderlicher, dass die Stoßrichtung des Abschnitts beibehalten wurde: Der Hinweis auf die zu erwartende Züchtigung. Hätte man hier bloß Missverständnisse vermeiden wollen (dass manche Zuhörer, insbesondere in nicht-europäischen Kulturen, dies zum Anlass für häusliche Züchtigungen nehmen), hätte man den ganzen Abschnitt dazu weglassen müssen. Gerade die Verse 9-10 hätten dem heutigen Leser deutlich machen können, woher diese Bildrede von der Züchtigung durch Gott in Hebr stammt.

Verse 14-17: Das gehört zweifelsohne zur Kernbotschaft Christi: Gefordert wird „Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird“. Es geht letztlich um nichts weniger als die Angleichung an Jesus (siehe Vers 4!). Johannes hilft zum Verständnis: „Jeder, der diese Hoffnung auf ihn setzt, heiligt sich, so wie er heilig ist.“ (1Joh 3,3) Ähnlich wie Vers 8, ist wohl auch hier das Anstößige, das zur Amputation geführt hat, dass Hebr die Möglichkeit des Abfalls thematisiert. Mehr noch: Es wird die Gefahr der Fäulnis innerhalb der Gemeinde angesprochen, die um sich greifen kann: „damit keine bittere Wurzel aufsprosst, Schaden stiftet und viele durch sie verunreinigt werden“. Das will man natürlich heute nicht hören, das ist nicht nett.

Verse 20-21: Wieder ist die Sinnspitze des Abschnitts getroffen, diesmal aber noch krasser, denn der Passage fehlt damit die Spitze gleich ganz, sie wird nicht nur unverständlicher, wie im vorherigen Abschnitt. Was ist diese Sinnspitze? Nun, das sichtbare, lodernde, zu dem wir nicht „hingetreten“ sind, ist reichlich vage – was meint der Autor, worauf spielt er an? Natürlich: Es sind verschiedene Offenbarungen Gottes im Alten Bund (Dornbusch, Wolkensäule etc.). Aber so, wie die Passage im Lektionar steht, fehlt die eigentliche Wucht, denn die wichtigste, gewaltigste und für Israel unüberbietbare Offenbarung fehlt. Die Verse 20-21 spielen ziemlich deutlich genau darauf an: Es geht um die Offenbarung Gottes auf dem Sinai („Berg“, „Mose“). Hebr will sagen: Wozu wir hingetreten sind, ist noch weit mehr als alle Offenbarungen, sogar mehr als jene Offenbarung am Sinai!

Vers 24b: Da man Vers 4 weggelassen hat, ist man hier wenigstens konsequent, und lässt auch diese Anspielung auf Jesu Leid „bis aufs Blut“ weg. Schade, damit ist auch der Hinweis zerstört, der das Christusereignis in die gesamte Menschheitsgeschichte (von Abel an) einbindet.

In Summe macht Hebr deutlich: Was wir hier in Jesus haben, der für uns starb und dem wir uns auch im Leid angleichen sollen, ist mehr als alle früheren Offenbarungen Gottes an die Menschen, und auch mehr als alle früheren Hinwendungen (Schreie) der Menschen zu Gott. Leider hat man es offenbar den Gläubigen (und den Predigern) nicht zugetraut, dieses Große ganz vor das geistige Auge gestellt zu bekommen...

Donnerstag, 21. Juli 2022

Römische Warnung vor Häresie und Schisma

 »Zur Wahrung der Freiheit des Volkes Gottes und der Ausübung des bischöflichen Amtes erscheint es notwendig klarzustellen: Der „Synodale Weg“ in Deutschland ist nicht befugt, die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten.« (HIER)


 

Lassen wir einmal beiseite, dass bereits die Kongregation für die Glaubenslehre, die Kongregation für die Bischöfe und der Päpstliche Rat für die Interpretation der Gesetzestexte – alles gewissermaßen Verlautbarungsorgane des Papstes – in den vergangenen Jahren bereits ziemlich heftige Kritik am suizidalen Weg geübt, bzw. diesen für schlicht ungültig erklärt haben. Und lassen wir auch die schallenden Ohrfeigen der polnischen, nordischen sowie zahlreicher amerikanischer und afrikanischer und weiterer einzelner Bischöfe der Weltkirche beiseite. Auch der gleich zu Beginn eingegangene Brief des Papstes an das pilgernde Volk Gottes hierzulande – der brav lächelnd ignoriert wurde – und die päpstliche Mahnung an Bätzing persönlich, keine zweite Evangelische Kirche aufzumachen, seien mal beiseite gelassen. Das alles zu ignorieren und unbeirrt weiter zu trotten ist schon ein Kunststück für sich.

Aber wie wird man nun mit dieser „Erklärung des Heiligen Stuhls“ umgehen? Wie sieht die mediale Exegese eines so schlimmen Textes aus? Wie wird man es drehen, um unbeirrt weitermachen zu können? (Wichtige Schlagworte in fett.)

Man wird zunächst den letzten Satz hervorheben: 

»Daher ist es wünschenswert, dass die Vorschläge des Weges der Teilkirchen in Deutschland in den synodalen Prozess, auf dem die Universalkirche unterwegs ist, einfließen mögen, um zur gegenseitigen Bereicherung beizutragen und ein Zeugnis der Einheit zu geben, mit welcher der Leib der Kirche seine Treue zu Christus, dem Herrn, bekundet.«

Rom, so sagt man dann, will dass wir unsere tollen Ideen als unseren Beitrag zum weltweiten synodalen Prozess einfließen lassen, und oh guck mal: das wird der Bereicherung des Ganzen dienen! Rom betrachtet also unsere deutschen Anliegen in Wahrheit als Bereicherung! Toll!
Dass dieser letzte Satz wohl eher eine nette Floskel ist, in dem Wissen, dass die deutschen Ideen dann begraben werden, will man sich lieber nicht eingestehen.

 

Daran anschließend wird man  auf den folgenden Halbsatz abheben: 

»Es wäre nicht zulässig, in den Diözesen vor einer auf Ebene der Universalkirche abgestimmten Übereinkunft neue amtliche Strukturen oder Lehren einzuführen…«

Das wird man syntaktisch etwas umstellen und sagen: Jaja, wir sollen die angestrebten Änderungen nicht einführen, bevor nicht auf weltkirchlicher Ebene darüber gesprochen wurde. Also will Rom damit nur sagen, dass wir uns ein wenig gedulden sollen, bis auch die Weltkirche unsere Ideen übernimmt, nachdem wir sie zur Bereicherung der ganzen Weltkirche haben einfließen lassen haben.

Was man tunlichst unterschlagen wird, ist der zweite Teil dieses Satzes: 

»… neue amtliche Strukturen oder Lehren einzuführen, welche eine Verletzung der kirchlichen Gemeinschaft und eine Bedrohung der Einheit der Kirche darstellen würden.«

Dazu wird man nichts zu sagen wissen, außer zu beteuern, dass Rom noch immer nicht „verstanden“ hat, was man hierzulande will. (Das Zitat aus Franziskus‘ Brief wird man genauso ignorieren wie den Brief selbst.) Aber in Wahrheit offenbart dieser Halbsatz, dass man sich in Rom durchaus der Gefahr und des Ernstes bewusst ist. Und genau daran sieht man auch, dass die Rede von der Bereicherung eine nette Floskel ist, denn als Kriterium für diese Bereicherung wird die Förderung der Einheit genannt, die den deutschen Ideen aber gerade (zu Recht) abgesprochen wird.

 

Der unbedarfte Leser merkt es schnell: Die Verlautbarung ist eine deutliche Warnung vor Häresie („neue Ausrichtungen der Lehre und der Moral“) und Schisma („neue Formen der Leitung“).

Die Suizidalen deuten es anders: Weiter geht es, wie gehabt. Ja, sogar bestärkt: Lasst uns die Weltkirche mit unseren tollen Ideen bereichern!

 

Vielleicht irre ich mich auch, vielleicht unterlässt man solche Exegese ganz und tut einfach so, als wäre nichts gewesen... oder, Möglichkeit drei, man echauffiert sich ins Delirium, schreit und trampelt wie ein kleines bockiges Kind und brüllt: „Jetzt erst recht!“

Und da kommt dann doch wieder das Zitat aus Franziskus' Brief ins Spiel, denn auf diesem Weg wird die Kirche in Deutschland „sich schwächen, verderben und sterben“. (Quizfrage: Warum ist ausgerechnet diese heftigste Formulierung des ganzen Briefes in der Verlautbarung wiedergeben? Vermutlich nicht aus Wertschätzung für den suizidalen Weg...)

 

Eine Sache noch: Es steht in der Verlautbarung zwar nichts dazu drin, aber ich finde es doch sehr passend, dass ausgerechnet heute, am Tag der Veröffentlichung dieser krassen Verlautbarung, der Gedenktag des heiligen Kirchenlehrers Laurentius von Brindisi († 1619) ist, dessen Lebenswerk (ähnlich wie bei Petrus Canisius) der Kampf gegen Häresie und Schisma war. Man siehe dazu sein Werk Lutheranismi Hypotyposis, seit 2019 in einer deutschen Übersetzung (auszugsweise) vorliegend: Daniel Otto (Hg.), Des heiligen Kirchenlehrers Laurentius von Brindisi kritische Darstellung des Luthertums.

Der suizidale Weg wird bekanntlich mit dem Thema Missbrauch (und dessen Vertuschung) gerechtfertigt. Soetwas ist nicht neu, schon immer wurde ein Schisma mit angeblichen oder tatsächlichen Missständen gerechtfertigt. Aber Missstände rechtfertigen nie ein Schisma (oder eine Häresie). Laurentius dazu:

»Freilich waren alle Urheber von Schismen – wie in der Geschichte der Kirche und bei den heiligen Vätern nur allzu bekannt ist – gewohnt, Missbräuche der Kirche vorzuschützen, um ihre schändliche Sache als ehrenvoll darzustellen. Core, Dathan und Abiron, die gegen Moses und Aaron einen Aufruhr im Volk und kein geringes Schisma erregt hatten, haben versucht, Hochmut sowie angemaßte Autorität und Herrschaft jener heiligen Führer als Grund vorzuschützen. Aber Gott konnten sie nicht im Geringsten täuschen, noch konnten sie dem Zorn Gottes und seinem allgerechten und von furchterregender Strenge erfüllten Urteil entgehen […].
In der Zeit der Könige Joathan und Achaz von Juda gab es, wie Isaias (vgl. Jes 1,1), Amos (vgl. Am 1,1), Oseas (vgl. Hos 1,1), Michäas (vgl. Mi 1,1) und andere vom Geist Gottes erfüllte Männer weissagten, sehr große Missstände im Volke Gottes. Diese benennt und kritisiert Isaias im Namen Gottes am Anfang seiner Offenbarungen, gleichsam in der Person Gottes: [Es folgen ausführliche Zitate von Jes 1,2-6.9-11.15.21-23]. Diese und viele andere sehr große Missstände stellt Isaias im Volke Gottes fest, und dennoch glaubte weder er noch ein anderer von seinen Propheten zur nämlichen Zeit, solche Missbräuche seien zwingende Gründe für ein Schisma.
Der hl. Cyprian zeigt in seinem Kommentar, den er über die Gefallenen geschrieben hat, dass zu seiner Zeit, vor der decischen Verfolgung, die Lebenskraft der christlichen Disziplin in der Kirche ganz geschwächt und verdorben gewesen war. Und nicht nur das Volk der Christgläubigen, auch die Bischöfe hätten wahrhaft unter kaum geringfügigeren Lastern gelitten, und die heruntergekommenen Sitten der Christen wären zum Anlass der grausamen Verfolgung der Kirche unter Kaiser Decius geworden, gemäß jenem Psalmwort: „Wenn sie mein Gesetz verlassen und nicht nach meinen Rechten wandeln, wenn sie meine Satzungen entheiligen und meine Gebote nicht halten, so werde ich ihre Vergehen mit der Rute heimsuchen, und mit Schlägen ihre Sünden“ (Ps 88,31-33). Und dennoch erregte Cyprian, ein höchst heiliger und gelehrter Mann, ob solcher Missbräuche kein Schisma; sondern Novatian, ein verruchter Priester, war unter dem Vorwand der verdorbenen kirchlichen Disziplin Urheber eines großen Schismas und erschütterte viele in der Kirche.
Und es ist gewiss bemerkenswert, dass wir niemals lesen, ein rechtgläubiger, in Lehre und Heiligkeit bewährter Vater habe wegen irgendwelcher Missbräuche irgendein Schisma im christlichen Volk erregt.« (a.a.O. 241-243)

Mittwoch, 20. Juli 2022

Abgesang an das "Zeugnis des Lebens"

Nach und nach streichen die Bistümer nun den Aspekt der Lebensführung aus dem Anforderungskatalog für Religionslehrer (Lebensführung kein Kriterium mehr für Religionslehrer in Hildesheim).

Das ist einerseits natürlich ein Skandal, andererseits aber auch irgendwie skurril.

Evangelisierung, Verkündigung des Evangeliums läuft über das Zeugnis: Ich gebe Zeugnis von Christus. Dieses Zeugnis ist schon immer ein zweigeteiltes, es besteht aus einem "Zeugnis des Wortes" und einem "Zeugnis des Lebens". Seit Jahrzehnten wird in Deutschland das Zeugnis des Lebens so sehr überbetont, dass das Zeugnis des Wortes nicht selten ganz ausfällt. "Wir wollen die Menschen nicht mit Worten belehren, sondern ihnen das Evangelium vorleben", heißt es salbungsvoll. Dagegen das Vaticanum II in seinem Dekret über das Laienapostolat, nachdem die Bedeutung Lebenszeugnisses sehr betont wurde: "Dennoch besteht dieses Apostolat nicht nur im Zeugnis des Lebens. Ein wahrer Apostel sucht nach Gelegenheiten, Christus auch mit seinem Wort zu verkünden, sei es den Nichtgläubigen, um sie zum Glauben zu führen, sei es den Gläubigen, um sie zu unterweisen, zu stärken und sie zu einem einsatzfreudigen Leben zu erwecken" (Nr. 6)

Was heißt es nun aber für das Doppelzeugnis aus Wort und Leben, bei dem schon lange das Wort vernachlässigt wurde, wenn die Lebensführung plötzlich irrelevant wird? Man darf wohl bezweifel, dass man sich nun ganz auf das Zeugnis des Wortes konzentrieren wird...

Ich verbleibe mit KKK 2044: „Damit die Heilsbotschaft vor den Menschen ihre Wahrheits- und Ausstrahlungskraft zeigen kann, muss sie durch das Lebenszeugnis der Christen beglaubigt werden.“

Freitag, 15. Juli 2022

Sterben nach Bonaventura

Lasst uns darum sterben und eintreten in das geheimnisvolle Dunkel; gebieten wir den Sorgen, Gelüsten und Phantasiegebilden Schweigen; gehen wir mit Christo, dem Gekreuzigten, aus dieser Welt hinüber zum Vater (vgl. Joh 13,1), und wenn uns der Vater gezeigt ist, so sprechen wir mit Philippus: "Es genügt uns" (Joh 14,8). Dann werden wir wie Paulus hören: "Es genügt dir meine Gnade" (2Kor 12,9) und mit David jubeln: "Es verzehrt sich mein Fleisch und mein Herz. Gott meines Herzens, du mein Anteil ewiglich! Gepriesen sei Gott in Ewigkeit! Und alles Volk soll sprechen: Es geschehe, es geschehe. Amen." (Ps 72,26 u. 105,48)

(Itinerarium 7,6 [Schlussworte])

Sonntag, 10. Juli 2022

Redet nicht nur über den Barmherzigen Samariter™!

Ich bin die ewig gleichen Predigten an diesem Sonntag (Lk 10,25-37) Leid... immer geht es um den Barmherzigen Samariter™, dass wir doch alle mehr Nächstenliebe zeigen sollten und dass die Kirche nicht genug dafür tut blabla...

Dabei ist der Barmherzige Samariter™ gar nicht das eigentliche Thema dieses Abschnitts aus dem Evangelium, er ist nur eine Figur in einem Gleichnis, das zur Erläuterung des eigentlichen Themas dient.

Statt es das "Evangelium vom Barmherzigen Samariter™" zu nennen, müsste es eigentlich heißen: Das Evangelium von der Frage nach dem ewigen Leben. So fängt es an:

»Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort?«


Die Antwort gibt die erste Lesung (Dtn 30,10-14), über die komischerweise ähnlich selten gepredigt wird:

»Mose sprach zum Volk: Du sollst auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hören und auf seine Gebote und Gesetze achten, die in dieser Urkunde der Weisung einzeln aufgezeichnet sind. Du sollst zum Herrn, deinem Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele zurückkehren.
Denn dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir.
Es ist nicht im Himmel, so dass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns, damit wir es halten können?
Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so dass du sagen müsstest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und verkündet es uns, damit wir es halten können?
Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.«

 

Nächstenliebe ist schön und recht. Nächstenliebe um der Nächstenliebe willen ist aber noch nicht christlich. Für Nächstenliebe braucht es kein Christentum, braucht es keinen Jesus Christus. Worum geht es im Letzten? Ja, wir sollen so handeln wie diese Figur in dem Gleichnis und uns fragen "handle ich auch so?". Aber die wesentliche Frage, die wir zu stellen aufgefordert werden durch dieses Evangelium, lautet wohl eher: "was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?"

Samstag, 9. Juli 2022

Eine Mahnung an die deutschen Bischöfe

Die Mahnung von Johannes Paul II. an die deutschen Bischöfe (18. November 1980 in Fulda):

 

»Setzt euch mit aller Kraft dafür ein, dass die unverbrüchlichen Maßstäbe und Normen christlichen Handelns ebenso eindeutig wie einladend zur Geltung im Leben der Gläubigen kommen.

Zwischen den Lebensgewohnheiten einer säkularisierten Gesellschaft und den Forderungen des Evangeliums tut sich eine tiefe Kluft auf. Viele wollen sich am kirchlichen Leben beteiligen, finden aber keinen Zusammenhang mehr zwischen ihrer Lebenswelt und den christlichen Prinzipien. Man glaubt, die Kirche halte nur aus Starrheit an ihren Normen fest, und dies verstoße gegen jene Barmherzigkeit, die uns Jesus im Evangelium vorlebt. Die harten Forderungen Jesu, sein Wort: "Gehe hin und sündige nicht mehr!" werden übersehen. Oft zieht man sich auf das persönliche Gewissen zurück, vergisst aber, dass dieses Gewissen das Auge ist, welches das Licht nicht aus sich selber besitzt, sondern nur, wenn es zur authentischen Quelle des Lichtes hinblickt.

Ein weiteres: Angesichts aller Technisierung, Funktionalisierung und Organisation erwacht ein tiefes Misstrauen gerade in der jüngeren Generation gegen Institution, Norm und Regelung. Man setzt die Kirche mit ihrer hierarchischen Verfassung, mit ihrer geordneten Liturgie, mit ihren Dogmen und Normen gegen den Geist Jesu ab. Aber der Geist braucht Gefäße, die ihn wahren und weitergeben.

Christus selbst ist Ursprung jener Sendung und Vollmacht der Kirche, in denen seine Verheißung sich erfüllt: "Ich bleibe bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt".

Liebe Mitbrüder, haltet alle Not und Frage der Menschen in eurem Herzen gegenwärtig - und verkündet gerade da hinein unbeirrt die Forderung Jesu ohne Abstriche... Tut dies, weil euch am Menschen liegt. Nur der Mensch, der zu einer ganzen und endgültigen Entscheidung fähig ist, der Mensch, bei dem Leib und Seele übereinstimmen, der Mensch, der für sein Heil seine ganze Kraft einzusetzen bereit ist, ist gefeit gegen die heimliche Zersetzung der menschlichen Grundsubstanz.«

Mittwoch, 18. Mai 2022

Das ausgesetzte Lehramt

Jesu heilige Wut im Tempel kommt einem in den Sinn: Der heilige Bischof Nikolaus ohrfeigt den Häretiker Arius.

Über die arianische Krise im 4. christlichen Jahrhundert schrieb John Henry Newman in dem Text "On Consulting the Faithful in Matters of Doctrine":

»[...] there was a temporary suspense of the functions of the "Ecclesia docens." The body of Bishops failed in the confession of the faith. They spoke variously, one against another; there was nothing, after Nicæa, of firm, unvarying, consistent testimony, for nearly sixty years. There were untrustworthy Councils, unfaithful Bishops; there was weakness, fear of consequences, misguidance, delusion, hallucination, endless, hopeless, extending itself into nearly every corner of the Catholic Church. The comparatively few who remained faithful were discredited and driven into exile; the rest were either deceivers or were deceived.«


Das trifft erschreckend genau auf die aktuelle Situation in Deutschland und im Vatikan zu... nur leider fehlt nach jahrzehntelanger Vernachlässigung der Verkündigung ein gläubiges Volk, dass es herumreißen könnte... Damals brach die Krise relativ plötzlich aus, aber im deutschen Sprachraum hat man (vgl. den Frosch im langsam sich erwärmenden Wasser) geschickt über Jahrzehnte (und Generationen) hinweg nach und nach alles verrotten lassen, bis schließlich nichts Tragfähiges mehr da ist...

Hilf, Herr!

Montag, 16. Mai 2022

Vom Kreuz geprägt

»Müssen wir nicht vor allen Sachfragen des Weltdienstes, die vielfältig und kompliziert sind, uns selber fragen, ob wir so, als die neuen Menschen, als die mit Christus Gekreuzigten den anderen und der Welt dienen wollen oder nur als Konkurrenten anderer Gruppen und damit unter deren Wertmaßstäben und Erfolgsrechnungen?

Was der Welt zum Heile dient, was die Kirche wahrhaft trägt, ist das Kreuz des Herrn. Und mit Ihm, in Seiner Gnade sind es jene, die als Jünger Christi sich selbst verleugnen und ihr Kreuz tragen. Sie machen keine Schlagzeilen. Sie erscheinen nicht in den Statistiken. Sie polieren ihr Image nicht im Fernsehen. Sie sind nicht bei den Ordinariaten registriert. Vermutlich schreiben sie auch nicht jene Bücher, von denen es dann in den Besprechungen heißt, daß sie mit atemberaubender Kühnheit alles in Frage stellen und in völliges Neuland vorstoßen. Sie sind auch sicher nicht in den Kreisen geachtet, die bissig und stur ihren gewohnten Stil als das Unantastbare und Heilige verteidigen. Aber Gott kennt sie, und sie sind kostbar in Seinen Augen.

Eigentlich müssen wir von Herzen danach verlangen, zu ihnen zu gehören. Und wenn es nicht so ist? Wenn wir unter unserem Wortgepränge verbergen, daß wir das Kreuz nicht lieben, wie es die Heiligen taten? Dann sollten wir wenigstens nicht stolz darauf sein. Nicht so souveräne Verächter der Frömmigkeit früherer Zeiten. Nicht so überheblich sicher, daß wir jetzt erst das wahre Christentum entdeckt haben.

Und wir sollten um die kostbare Gnade beten, daß unser alter Mensch ein wenig mehr sterbe und der neue Fortschritte mache- wenigstens den nächsten Schritt versuche.« (Alfred Bengsch, Kirche ohne Kreuz?, 74-75)

Freitag, 6. Mai 2022

Das Neue Testament gegen das Neue Testament

In Diskussionen mit „liberalen“ Theologen und theologisch (halb)gebildeten Gläubigen kommt irgendwann der Punkt, an dem von diesen einzelne neutestamentliche Schriften/Autoren gegen andere neutestamentlische Schriften/Autoren in Stellung gebracht werden.

Beispiel Priestertum: Bei Paulus (und in der Apostelgeschichte) finden wir reichhaltige Zeugnisse über die Organisation der ersten christenlichen Gemeinden, aus denen klar hervorgeht, dass es hierarchisch (d.h. von den Aposteln ausgehend) übertragene autoritative Ämter der Leitung und der Lehre gab (siehe meinen längeren Beitrag dazu HIER). In Erwiderung darauf ist dann etwa zu hören: „Ja, aber das ist ja Paulus. Jesus hat das nicht so angerodnet/gewollt. Das widerspricht der Botschaft Jesu, für den ‚alle gleich‘ waren.“ Insbesondere Paulus ist in solchen Diskussionen regelmäßig der große Verfälscher der wahren Botschaft Jesu.


Wenn wir einmal jene Kleinigkeit beiseite lassen, dass auch mindestens ein Evangelist uns von solchen Ämtern berichtet, nämlich der Autor der Apostelgeschichte, aus dessen Feder auch das dritte Evangelium stammt, dann offenbart so eine Haltung doch etwas Grundfalsches: Hier wird offenkundig nach eigenem Gutdünken ausgewählt, welche Schriften des Wortes Gottes authentisch sind, und welche angeblich bereits Jesu „wahre Intention“ verfälschen. Stichwort: Frühkatholizismus. Solches Auswählen nennt man im Griechischen αἱρέομαι – haireomai: ich wähle aus. Davon kommt unser modernes Wort „Häresie“, und es ist schon seit den ersten christlichen Jahrhunderten ein guter Indikator häretischer Gruppen, dass sie Teile der Heiligen Schrift ablehnen (z.B. Markionismus).

Eine Verfälschung von Jesu Botschaft etwa durch den Apostel Paulus zu behaupten ist aber auch aus historischer Sicht wenig sinnvoll. Bekanntlich ging die Verkündigung des Paulus der Abfassung der (meisten) Evangelien um einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte voraus, und ihre Abfasser stammten womöglich aus von Paulus gegründeten Gemeinden, waren eng mit Paulus verbandelt (etwa als Reisegefährten) oder wussten zumindest von ihm und seiner Tätigkeit; in jedem Fall bestand ihre Zielgruppe, für die sie ihre Evangelien schrieben, zumindest teilweise auch aus den von eben jenem Paulus gegründeten (und mit Lehr- und Leitungsämtern versehenen) Gemeinden. Dass nun die Autoren der Evangelien die faktischen Zustände in den Gemeinden – aus denen sie selbst stammten, die sie mitbegründet oder für die sie ihre Evangelien geschrieben haben –, inklusive der von den Aposteln eingesetzten Ämter, nicht in die Evangelien hineingetragen haben, indem sie diese Gemeindeordnungen gar in den Mund Jesu legten (etwa: „Jesus sprach: Es wird Bischöfe und Presbyter und Diakone geben in euren Gemeinden, die euch leiten und lehren...“), spricht zunächst einmal für die Authentizität der Evangelien, die nicht für eine bestimmte Gemeinde oder für die Belehrung anlässlich einer bestimmten Situation in einer solchen geschrieben wurden, sondern etwas Größeres, Allgemeingültiges vermitteln wollten.

Aber es spricht durchaus auch für die Gewissheit der Evangelisten wie auch der Gemeinden, Jesu Auftrag treu zu sein: Sie wussten, dass Jesus diese Ämter, die sie haben, nicht im Einzelnen festgelegt hat, aber sie wussten auch, dass sie dennoch Jesu Willen treu sind. Darum brauchten sie diese konkreten Strukturen, die sie sich – so sind sie überzeugt – unter dem Beistand des Heiligen Geistes zugelegt haben (mit der Einsetzung solcher Amtspersonen ging stets Gebet und Fasten einher!), nicht Jesus unterzuschieben, um sie zu legitimieren. Es ist schließlich auch interessant, dass kein Autor einer neutestamentlichen Schrift irgendwelche Widerworte oder auch bloß Kritik gegen diese weit verbreitete – „sie setzten in jeder Gemeinde Älteste ein“ (Apg 14,23; vgl. Tit 1,5) – Ämter(struktur) äußert. Es gibt Konflikte um diese Ämter, sicher, aber genau deshalb wissen wir, dass die Apostel auf rechtmäßig (d.h. von ihnen direkt oder über Mitarbeiter) eingesetzten Ämtern bestanden haben (siehe meinen verlinkten Beitrag dazu). Das „königliche Priestertum“ aller Christen wird im NT zudem ausnahmslos ganz ohne irgendwelche Hinweise auf Leitung, Macht und „Partizipation“ erörtert (ebenso).

Schließlich, machen wir uns nichts vor: Hätten die Evangelisten in ihren Evangelien irgendetwas geschrieben, was für die konkrete Ämterstruktur in den christlichen Gemeinden relevant ist, wären die Theologen sofort zur Stelle, diese Passagen als nachträgliche Einfügungen zur Rechtfertigung des bereits (von Paulus?) verfälschten Evangeliums zu identifizieren. Oh, halt, das tun sie ja schon längst: Dass Jesus seine(!) Kirche(!) auf dem Felsenfundament (Petrus) gründen wollte, darf natürlich nicht sein... Die Argumentation solcher Theologie ist auch aus diesem Grund nicht wissenschaftlich, denn sie ist im Endeffekt nicht falsifizierbar: Es lässt sich immer ein „theologisches“ Argument herbeibringen, das die getätigte Behauptung „stützt“, nichts anderes ist ja letztlich die Behauptung, Paulus habe das „wahre Evangelium Jesu“ verfälscht. Und so dreht sich das „häretische“ (nach dem eigenen Gusto auswählende) Karussell weiter…


Eine Abwandlung dieses Vorgehens ist diese so oder so ähnlich oft zu hörende Stammtischfloskel: „So sicher/klar/eindeutig ist das mit [hier beliebiges, von der Kirche längst entschiedenes Thema einsetzen] gar nicht, man kann auch ganz anderer Ansicht sein, schließlich haben wir ja auch vier Evangelien, die sich oft deutlich unterscheiden oder sogar widersprechen!“

Hier wird die Tatsache, dass wir im Neuen Testament VIER Evangelien haben als Argument gegen die Existenz EINER (verbindlichen) Wahrheit oder Moral herangezogen. Das ist natürlich auch Unsinn, denn zwar stimmt es, dass wir vier Evangelien haben, die uns also vier Perspektiven auf Jesus ermöglichen. Aber es stimmt nun mal auch, dass sich diese vier Evangelien in allem Wesentlichen nicht widersprechen: Sie alle berichten über die Menschwerdung Gottes, über Jesu Tod und seine Auferstehung zu unserer Erlösung. „Widersprüche“ gibt es nur hinsichtlich der Orte oder Reihenfolge bestimmter Ereignisse, oder auch über manche Details (wie viele Engel waren in Jesu Grab? hat nur einer der mitgekreuzigten Schächer gegen Jesus gelästert, oder beide? ist Judas gestürzt, oder hat er sich erhängt?).

Bei diesem „Argument“ geht es meist noch nicht einmal um konkrete Fragestellungen, nach dem Schema: Weil Jesus nicht in jedem Evangelium Ehescheidung und Wiederheirat in gleicher Weise verbietet (nämlich nicht bei Johannes), ließe sich schlussfolgern, dass Ehescheidung und Wiederheirat also auch durchaus O.K. sein können. So „inhaltlich“ wird das „Argument“ nur äußerst selten gebraucht, denn das setzt eine gewisse Kenntnis der gegeneinander in Stellung gebrachten Schriften voraus. Sondern i.d.R. wird das schnöde Faktum der Mehrzahl der Evangelien – es geht also nur um die Quantität der Bücher, nicht um die Qualität ihres Zeugnisses – als Rechtfertigung der Legitimität einer Vielzahl von „Deutungen“ behauptet – wiederum rein quantitativ betrachten, nicht qualitativ im Hinblick auf deren Authentizität, Richtigkeit oder gar innere Kohärenz: Es gibt mehr als ein Evangelium, also darf es auch mehr als eine Vorstellung darüber geben, wer Jesus war, was er wollte etc. Es spielt dann auch keine Rolle, wenn sich diese Vorstellungen völlig widersprechen und mit allen vier Evangelien nicht in Einklang zu bringen sind. Dass die Evangelien in ihrer Darstellung dieses Jesus und seiner Verkündigung widerspruchsfrei sind und ein einmütiges Zeugnis abgeben, ist unerheblich, und es lässt sich in so einer Unterhaltung auch nicht mal eben beweisen. Die Behauptung ist schnell gemacht, ihre Widerlegung wäre zu aufwendig...


Übrigens war das Ausspielen oder Überbetonen einzelner biblischer Schriften gegen andere auch das normale Vorgehen frühchristlicher Häresien gewesen: Die Ebioniten akzeptierten nur das Matthäusevangelium, Marcion nur Lukas (mit vielen Auslassungen), manch andere Gnostiker nur Markus und die Valentinianer beharrten einzig auf Johannes. Gerade Marcion war es, der insbesondere den Apostel Paulus über alle anderen Apostel stellte und ihn sogar regelrecht als den einzigen Apostel betrachtete (alle anderen Apostel, so lehren manche Marcioniten, seien verdammt, denn nur Paulus habe die christliche Taufe empfangen).

 

Die christliche Vorgehensweise besteht natürlich seit ältesten Zeiten darin, nicht ein biblisches Zeugnis gegen das andere auszuspielen, sondern das Ganze als authentisches Wort Gottes anzuerkennen. So kann es dann beispielsweise zugleich eine priesterliche Würde aller Getauften, und ein besonderes Priestertum des Dienstes geben, ohne, dass ein Widerspruch bestünde. Unterschiedliche Perspektiven auf das eine und selbe Geheimnis des Glaubens sind dann alle wertvoll, solange sie an der „gesunden Lehre“ festhalten und nicht jeder „nach eigenen Begierden Lehrer sucht, um sich die Ohren zu kitzeln“ (2Tim 4,3). Die vier Evangelien haben je eigene Akzente und Perspektiven, aber sie alle geben Zeugnis von der einen Wahrheit, die Jesus Christus ist. Und Paulus (und Petrus und Jakobus und Judas und Johannes...) ebenso.

Mittwoch, 4. Mai 2022

Das christliche Priestertum ist biblisch

Der Exeget Martin Ebner hat vor ein paar Tagen ein Interview gegeben (hier), in dem er behauptet, das Neue Testament kenne kein christliches Priestertum. Wem das bekannt vorkommt: Das gleiche hat er vor zwei Monaten schonmal öffentlichkeitswirksam behauptet (hier), siehe auch seine beiden Beiträge auf feinschwarz.net hier und hier. Natürlich hat beide Male katholisch.de die Story aufgegriffen, denn was könnte "katholischer" sein, als in schöner Regelmäßigkeit das katholische Priestertum öffentlich als evangeliumswidrig hinzustellen… Diese Taktik fördert ganz bestimmt Berufungen zum Priestertum und die allgemeine Festigkeit im Glauben!

Wie für seine Profession üblich, arbeitet Ebner mit einem geschickten Mix aus wahren Aussagen, Halbwahrheiten, Andeutungen, Falschbehauptungen und Auslassungen.

 

Ebner: „Erst ab dem 3. Jh. n. Chr. gibt es Priester in christlichen Gemeinden.“

Ja und nein. Es ist richtig, dass zu Anfang die Bezeichnung „Priester“ (gr. ἱερεύς, hiereus) keine nennenswerte Rolle spielte, das hängt aber v.a. mit dem reichhaltigen Vorhandensein heidnischer „Priester“ zusammen. Wie bei vielen anderen Dingen auch, konnten sich die Christen erst nach und nach bestimmte Begriffe oder Symbole aneignen (z.B. das Symbol des Kreuzes), sei es, dass sie sich vorher erst vergewissern mussten, sei es, dass Missverständnisse (z.B. Vergleiche mit heidnischen Kulten) vermieden werden mussten. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Christen Zeit brauchten, um ihre eigene (Symbol-)Sprache zu finden für das, was sie glauben und leben.

Was Ebner nicht sieht oder sehen will (oder seinen Lesern absichtlich verschweigt), ist, dass zwar der Begriff des „Priesters“ (gr. hiereus) in den ersten zwei Jahrhunderten der Kirche unüblich war und etwa im NT nicht für die Verantwortungsträger in den christlichen Gemeinden auftaucht, aber die Sache selbst gab es durchaus und von Anfang an (s.u.).

 

Ebner fährt fort: „Für christliche Gemeinden sind Priester nicht vorgesehen. Und zwar nicht deshalb, weil es keine gegeben hätte. Nach Apg 6,7 sind auch viele Tempelpriester christusgläubig geworden. Aber sie haben keine Funktion in den Gemeinden. Und zwar aus prinzipiellen Gründen. Denn verschiedene Schriften des Neuen Testaments entwickeln eine Gemeindetheologie, die alles, was zur Zeit Jesu streng an die priesterlichen Opferriten im Tempel gebunden war, in die Hände der Getauften legt.“

Ja und nein. Es stimmt: Für Priester des Alten Bundes(!) gab es keine rituelle Funktion in den christlichen Gemeinden. Aber weiß Ebner nicht, dass es einen Unterschied gibt zwischen der rituellen Feier des Alten Bundes und der des Neuen Bundes? Die Sensation von Ebners Festsellung hält sich in Grenzen, wenn man nur etwa an Jesu Rede vom neuen Wein in neuen Schläuchen denkt: Es hat sich eben etwas geändert. Ein Priester in Israel ist etwas anderes, als ein Priester im Christentum, so wie ein Priester in einem heidnischen Kult nochmal etwas anderes ist. Vielleicht um genau dieses Missverständnis zu vermeiden, dem Ebner hier seine Leser mutwillig unterwirft, haben die Christen zu Anfang den Begriff „Priester“ (gr. hiereus) für ihre Amtsträger vermieden.

Dass das christliche Priestertum etwas ganz anderes ist, als was vorher oder im Umfeld des Christentums existierte, verdeutlicht schon die simplen Tatsache, dass es nur im Christentum das Sakrament der Priesterweihe gibt. Die christlichen Sakramente haben Vorbilder im Alten Bund (Beschneidung – Taufe, Paschalamm – Eucharistie, Salbung von Priester und Hohepriester – Weihesakrament, Reinigungsbad – Beichte), weswegen etwa Thomas von Aquin und andere Gelehrte durchaus von echten Sakramenten des Alten Bundes sprechen. Thomas sprach der Beschneidung sogar sündenvergebende Kraft zu (bezogen auf die Erbsünde). Ich vermute, dass Ebner Sakramente generell ablehnt, jedenfalls wäre das die logische Konsequenz seiner Position.

Ebners Feststellung darüber, dass „Opferriten im Tempel“ „in die Hände der Getauften“ gelegt wurden ist derweil richtiger Unsinn, denn die Christen haben mit den Opferriten im Tempel einfach nichts zu tun! Die ersten Christen gingen natürlich in den Tempel, schließlich war es nach wie vor Haus Gottes, in dem Gottes Wort verkündet wurde. In Ermangelung eines Neuen Testaments, waren die heiligen Schriften der Juden auch die einzigen heiligen Schriften der ersten Christen, darum konnten sie sich sozusagen für den „Wortgottesdienst“ im Tempel aufhalten (und um zu missionieren). Aber an den Opfern beteiligten sie sich eben gerade nicht, denn sie hatten ihr eigenes Opfermahl zu Feiern, das ihnen Jesus selbst aufgetragen hat. Und das taten sie nicht im Tempel, sondern in ihren Häusern: „Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel [...] brachen in ihren Häusern das Brot“ (Apg 2,46). (Man beachte auch: sie brachen täglich das Brot, die Eucharistie ist also nicht nur etwas für die Sonntage; und, anders als das Pessach der Juden, ist das Neue, was der Herr den seinen zu seinem Gedächtnis auftrug, erst recht nicht nur einmal jährlich zu feiern.)

Nein, was „an die priesterlichen Opferriten im Tempel gebunden war“ wurde nicht „in die Hände der Getauften“ gelegt, sondern es betraf die Getauften schlicht nicht!

 

Ebner: „Wer der Eucharistiefeier vorstehen soll, wird im Neuen Testament nirgends problematisiert.“

Ja und nein. Richtig ist, dass diese spezielle Frage nach dem Vorsteher der Eucharistie in den uns überlieferten Texten nicht explizit behandelt wird. Aber damit führt Ebner seine Leser in die Irre: Er greift dieses spezielle Thema heraus, weil er weiß, dass die Ämterfrage zwar zugespitzt auf diese eine spezifische Aufgabe des Vorstehers bei der Eucharistie nicht ausdrücklich behandelt wird, aber die Ämterfrage generell wird sehr wohl gestellt, und es geht dabei um mehr als nur die (zeitweise) Übernahme von Funktionen.

Ich finde es faszinierend, dass Ebner behauptet, es gäbe kein christliches Priestertum, er aber die wesentlichste Aufgabe, die das von ihm Verneinte seit 2000 Jahren erfüllt, nicht über diese Wegwerfformel hinaus thematisiert. Er wischt es beiseite mit „das wurde nicht problematisiert“… Also: Die Eucharistie. Die Tradition sieht genau dort den Ursprung des Priestertums. Jesus sagt schwer betroffen: „Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen. […] Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,15.19) Die Kirche hat Jesus beim Wort genommen: Seine Sehnsucht war es, mit diesem auserwählten Kreis von Leuten, seinen Aposteln, dieses besondere Mahl zu halten. Nicht mit den 72 „anderen Jüngern“ (Lk 10,1); nicht mit den zahlreichen „Frauen in seiner Nachfolge“ (Lk 23,55; Mk 15,41), die ihn begleiteten, beherbergten und unterstützten; nicht mit den 5000, die er in Galiläa gespeist hat (Mt 14,21); nicht mit den „Mühseligen und Beladenen“ von der Straße (Mt 11,28). Sondern hier an diesem Punkt wollte er nur mit seinen Aposteln zusammen sein, und nur diesen zwölf offenbart er etwa unverschämtes, nämlich seinen Leib und sein Blut in Brots- und Weingestalt. Und er erteilt ihnen(!) den klaren Auftrag, diesen Kult zu vollziehen zu seinem Gedächtnis. Der Vorsitz bei der Eucharistie ist darum zugleich der höchste Ausdruck von Leitung und Autorität in der christlichen Gemeinde, denn durch diese Feier wird sie konstituiert.

Ebner kann das christliche Priestertum nur für nicht existent erklären, indem er es am alttestamentlichen Priestertum misst, das natürlich mit dem Neuen Bund in Jesu Blut hinfällig geworden ist. Das Eigene des neutestamentlichen Bundesschlusses (und das faktische Leben in den christlichen Gemeinden) muss Ebner für seine Argumentation ausklammern, im Grunde redet er also am Thema vorbei.

 

Tatsächlich finden wir auch im Neuen Testament eine Fülle von Diensten (Ämtern), die nicht allen, sondern eben nur bestimmten Gemeindegliedern zukommen bzw. übertragen werden. Ausdrücklich heißt es, Jesus(!) „setzte die einen als Apostel ein, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer“ (Eph 4,11). Eigentlich simpel: „Es gibt verschiedene Dienste“, sagt Paulus, wie es auch „verschiedene Gnadengaben“ und „verschiedene Kräfte“ gibt (1Kor 12,4-6). Aber es gibt nur einen Gott und Herrn, Jesus Christus!

Wir haben sogar einen recht genauen Bericht davon, wie neue Ämter für den Dienst an der christlichen Gemeinde eingerichtet wurden: In Kapitel 6 der Apostelgeschichte wird das Amt der Diakone geschaffen, die sich „dem Dienst an den Tischen widmen“ sollen: „Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit“ (Apg 6,2-3). Wir sehen dabei auch, dass solche Ämter rituell übertragen wurden: „Sie ließen sie vor die Apostel hintreten und diese legten ihnen unter Gebet die Hände auf.“ (V. 6) Ähnlich mit den „Ältesten“: Paulus und Barnabas „setzten für sie [= die neu gewonnenen Jünger] in jeder Gemeinde Älteste ein und empfahlen sie unter Gebet und Fasten dem Herrn“ (Apg 14,23). An anderer Stelle lesen wir, wie Paulus den Timotheus an die Gnade erinnert, die ihm „durch die Auflegung meiner Hände zuteilgeworden ist“ (2Tim 1,6), und dass dieser selbst „keinem vorschnell die Hände auf[legen]“ (1Tim 5,22) soll. Diese Praxis kommt übrigens, wie die Sakramente überhaupt, nicht von irgendwoher, sondern schließt durchaus an die Tradition des Alten Bundes an: Schon Mose hatte dem Josua die Hände aufgelegt, um ihm seine Vollmacht weiterzugeben (vgl. Num 27,20-23).

 

Zwar hat Ebner mit der Feststellung recht, dass es im NT den Begriff „Priester“ (gr. hiereus) für diese Ämter nicht gibt, aber die simpelste Erwiderung darauf lautet: Na und? Auch den Begriff „Trinität“ finden wir nicht im NT, ist also der Glaube an den dreieinen Gott falsch?

Es steht außer Zweifel, dass bereits im Neuen Testament bestimmte Ämter durch „Handauflegung und Gebet“ an ausgewählte und entsprechend geprüfte Gemeindemitglieder „hierarchisch“ (d.h. von „oben“, von den Aposteln ausgehend) übertragen wurden. Genau das ist in schöner Kontinuität bis heute ein wesentliches Element des Lebens der Kirche. Ebner hat natürlich ein Problem damit, darum unterlässt er es tunlichst, diese Tatsache zu erwähnen oder er entsorgt sie einfach als nicht relevant für die Frage. Neben den schon zitierten Evangelisten, Lehrern, Propheten etc. gab es auch drei Bezeichnungen, insbesondere für die „Leitungsebene“ in den Gemeinden und für diejenigen, die autoritativ lehrten und den Glauben verteidigten, die uns heute nur allzu vertraut sind, wenn sie auch im NT noch nicht die exakt gleiche Bedeutung oder Aufgabenzuweisung haben, wie dies später der Fall war oder wie es heute der Fall ist.

- Diakon (gr. διάkovoς; dt. Diener/Gesandter): „Ebenso müssen Diakone sein: achtbar, nicht doppelzüngig, nicht dem Wein ergeben und nicht gewinnsüchtig; sie sollen mit reinem Gewissen am Geheimnis des Glaubens festhalten. Auch sie soll man vorher prüfen, und nur wenn sie unbescholten sind, sollen sie ihren Dienst ausüben.“ (1Tim 3,8-10)

- Presbyter (gr. πρεσβύτερος; dt. Ältester): „Presbyter, die das Amt des Vorstehers gut versehen, verdienen doppelte Anerkennung, besonders solche, die sich mit ganzer Kraft dem Wort und der Lehre widmen.“ (1Tim 5,17)

- Episkop (gr. ἐπίσκοπος; dt. Aufseher): „Denn der Episkop muss unbescholten sein als Haushalter Gottes, nicht überheblich und jähzornig, kein Trinker, nicht gewalttätig, nicht habgierig, sondern gastfreundlich, das Gute liebend; besonnen, gerecht, fromm und beherrscht, einer, der sich an das zuverlässige Wort hält, das der Lehre entspricht, damit er in der Lage ist, in der gesunden Lehre zu unterweisen und die Widersprechenden zu überführen.“ (Tit 1,7-9)

Davon leiten sich unsere modernen deutschen Wörter „Diakon“, „Priester“ und „Bischof“ ab. Dass das griechische Wort für „Priester“ (gr. hiereus) in den frühesten christlichen Gemeinden nicht in Gebrauch war, ist unerheblich. Letztlich mag es Zufall sein, dass sich gerade diese drei Begriffe für ein dreigliedriges Amt durchgesetzt haben und wir heute keine Ämter mit der Bezeichnung „Evangelist“ und „Prophet“ mehr haben. Das spielt aber keine Rolle: Es gab von Anfang an solche Leitungs- und Lehrämter, und es gibt sie bis heute. Das ist das Entscheidende, nicht, wie diese Ämter heißen.

 

Es ist inzwischen allgemein üblich, auf die Geschichtlichkeit der Kirche zu pochen, die sich nicht losgelöst von Zeitumständen entwickelt hat und auch weiterhin entwickeln wird. Und das stimmt auch! Interessanterweise provozieren Leute wie Ebner jedoch den Verdacht, dass sie diese Geschichtlichkeit aber dann doch wieder leugnen, weil offenbar etwas heute (oder seit 1800 Jahren) nicht sein darf, was nicht eindeutig und klar bereits im Neuen Testament genau so zu finden ist. Ebner behauptet: Es gibt im NT keine „Priester“ (gr. hiereus), darum darf es sie auch nie geben, und wenn es sie gibt, dann ist das ein Missstand, der gegen das von Jesus gepredigte Evangelium verstößt.

Ebner und andere leugnen nicht die Geschichtlichkeit der Kirche – sie selbst wollen diese Geschichte ja in Richtung Zukunft mitbestimmen! –, aber sie sprechen der faktischen Entwicklung der Kirche und ihrer Ämter jegliche Legitimität ab, weil sie nicht ihren Wünschen gemäß verlaufen ist. Es darf einfach nicht sein, dass alles, was die Kirche heute glaubt und lebt im NT bereits zumindest keimhaft zu finden ist und sich später so entfaltet hat, wie es das eben getan hat. Dann ignoriert man eben die im NT bezeugten Ämter oder erklärt diese Bezeugungen „wissenschaftlich“ für irrelevant. Das hat aber nichts mit Wissenschaftlichkeit zu tun, das ist einfach nur Ideologie. Welche Arroganz daraus spricht, 2000 Jahre Kirchengeschichte an den eigenen billigen Meinungen und drögen Vorlieben zu messen...

Die Implikation dieser Position ist freilich unausweichlich: Die Kirche damit meine ich nicht nur die katholische Kirche: alle alten Kirchen, ob nun ost- und westsyrisch, koptisch, äthiopisch, armenisch, oder byzantinisch, haben das dreigliedrige Priestertum hat sich offenbar 1800 Jahre lang geirrt, und jetzt kommt Herr Ebner (+ Kollegen) und führt sie endlich, nach so vielen Jahrhunderten des Irrtums! – auf den einzig wahren Weg des Evangeliums zurück... Aber eine Kirche, die sich (mindestens) 1800 Jahre lang in etwas so Grundlegendem wie dem Aufbau des Volkes Gottes so völlig geirrt hat, kann nicht „Säule und Fundament der Wahrheit“ (1Tim 3,15) sein. Die Zusage Jesu, der Heilige Geist werde „euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26) ist dann Schall und Rauch; der Kirche könnte man dann grundsätzlich nichts glauben. Auch die von der Kirche von all den zuvor genannten Kirchen uns bis heute überlieferte Heilige Schrift ist dann in Gänze unzuverlässig und alles, was Ebner über das Vorkommen oder Nichtvorkommen von Begriffen im NT redet, ist somit letztlich auch egal. Ebner und seine Gesinnungsgenossen ziehen sich, wie üblich, selbst den Boden unter den Füßen weg und merken es noch nicht mal.

 

Spannende finde ich es, dass sogar der Vergleich mit dem alttestamentlichen Priestertum Ebners These durchaus nicht sonderlich stützt. 

Zunächst: Viel ist die Rede vom „gemeinsamen Priestertum“ aller Getauften Ebner erwähnt das komischerweise nicht –, dass wir, die Christen, „ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm“ (1Petr 2,9) sind. Das ist übrigens keine nachkonziliare Neuentdeckung, schon vorher sprach man unter Theologen zuweilen, wenn auch etwas umständlich, vom „Laienpriestertum“. Peinlich für viele, die auf dieses gemeinsame Priestertum pochen, ist indes, dass es biblisch in Jesu Kreuzesopfer begründet ist, weil sich darin Jesus als Hohepriester und Opfer zugleich offenbarte: „sein Blut“ macht uns zu Priestern (vgl. Offb 1,5-6; 5,9-10). Die Kirche ist Leib Christi, des einzigen Hohepriesters, also ist das ganze Volk Gottes „priesterlich“.

Jedenfalls: Was gerne unerwähnt bleibt ist, dass auch schon das Volk des Alten Bundes „ein Königreich von Priestern und [...] ein heiliges Volk“ (Ex 19,6; vgl. 23,22) genannt wurde. Obwohl es also ein „Königreich von Priestern“ war, hatte Israel dennoch „Priester“ in einem engeren, besonderen Sinne. Das gemeinsame Priestertum aller Getauften, das es in analoger Weise auch schon bei den „Beschnittenen“ gab (siehe Thomas: Beschneidung als Sakrament), schließt also in keiner Weise die Existenz eines besonderen Priestertums aus. Im Gegenteil: Ein priesterliches Volk ist geradezu die notwendige Voraussetzung für ein besonderes Priestertum des Dienstes. Weil die Christen ein priesterliches Volk sind, kann es besondere priesterliche Ämter geben, wie dies auch im Alten Bund der Fall war.

Klar kann man nun behaupten „aber im Neuen Bund ist das eben anders“, aber dann muss man das belegen. Die im ganzen NT klar bezeugten Ämter in den frühen christlichen Gemeinden sprechen jedenfalls eindeutig dagegen. Natürlich gibt es Dinge, die im Neuen Bund „anders“ sind, Jesus war stets bereit, etwa die Rückbesinnung auf den „Anfang“ ins Spiel zu bringen, was jedoch regelmäßig nicht eine Entspannung, sondern eine Verschärfung brachte (vgl. Ehebruch und Scheidung); aber nirgends hat Jesus besonderen priesterlichen Ämtern eine Absage erteilt.

Zwischen dem priesterlichen Volk im AT und dem priesterlichen Volk im NT gibt es indes eine bemerkenswerte Verschiebung des „Rasters“, wenn man so will: Während im Alten Bund alle drei Ebenen – Hohepriester, Priester, Volk – rein menschlich sind, gilt mit Christus eine andere Logik: Er, Christus, ist der Hohepriester (vgl. Hebr 9,11), womit das Richtige an Ebners Behauptung in den Blick kommt: Was im Alten Bund nur für Priester galt, gilt nun für das ganze Volk, denn alle Getauften haben Zutritt zum Heiligtum, das Jesus Christus selbst ist. Aber es bleibt dennoch die Möglichkeit eines besonderen priesterlichen Dienstes offen, der für das Volk, das in der Welt lebt, unmittelbarer dem Allerheiligsten dient und es in geistlichen Dingen leitet, wie es ausgerechnet der Apostel Paulus vormacht, der von sich sagt, er würde dem „Evangelium Gottes wie ein Priester“ dienen (Röm 15,16).

Man beachte, dass das Priestertum aller Christen immer in einem eindeutig kultischen Kontext aufkommt; es geht nie um „Gemeindeleitung“, Macht oder Partizipation, sondern um die Verherrlichung Gottes und die Verkündigung des Evangeliums: Die Christen sind Priester, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen [und] damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat.“ (1Petr 2,5.9) Zur Frage nach (Leitungs)Ämtern in der Kirche sagt das gemeinsame Priestertum also gar nichts aus. Dass es nicht nur faktisch in den ersten christlichen Gemeinden bereits eine sich entwickelnde Ämterstruktur gab, sondern dass Jesus selbst menschliche Hirten gewollt hat für die, die ihm nachfolgen, ist schließlich unbezweifelbar, wie er nach seiner Auferstehung gegenüber Petrus deutlich machte: Weide meine Lämmer! [...] Weide meine Schafe! [...] Weide meine Schafe!(Joh 21,15-17)

 

Für Ebner gab es am Beginn des Christentums kein besonderes Priestertum, alle Christen waren gleich, niemand tat etwas, was nicht auch ein anderer tun konnte. Es gab ihm zufolge folglich auch keine Opfer (denn das hieße, dass jemand es darbringt, und jemand anders nicht), sondern nur ein gemeinschaftliches Mahl. Wohl am schlagkräftigsten lässt sich alles das mit Klemens von Rom widerlegen, der in seinem Brief an die korinthische Gemeinde genau auf diese Themen eingeht... Es gibt indes keinen Grund, anzunehmen, dass irgendetwas daran neu war oder es von der korinthischen oder anderen Gemeinden als unchristlich abgetan wurde, Klemens legt einfach nur dar, was schon zu seiner Zeit allgemein üblich war. Welche Zeit ist das? Nun, wir können Klemens ruhig zu jener frühesten Zeit des Christentums rechnen, sein Brief ist wahrscheinlich älter als manche Schriften des Neuen Testaments (insbesondere die des Johannes). Zum Kontext: In Korinth war damals im Grunde das gleiche passiert, womit ein paar jahrzehnte zuvor bereits Paulus zu kämpfen hatte, nämlich die Infragestellung der heiligen Ordnung der Feier der Eucharistie, und damit zugleich die Ordnung der Dienstämter. Klemens schreibt in den Kapiteln 40, 42 und 44 seines Briefes das Folgende:

»40,1. Da uns also dieses ganz klar ist, und wir weit hinabgedrungen sind in die Tiefen der göttlichen Erkenntnis, müssen wir alles ordnungsgemäß tun, was der Herr an bestimmten Zeiten zu erfüllen angeordnet hat. 2. Er wollte, dass Opfer und Gottesdienst gehalten werde, aber nicht aufs Geratewohl und ohne Ordnung solle es geschehen, sondern zu festgesetzten Zeiten und Stunden. 3. Wo und durch wen er es verrichtet wissen will, hat er nach seinem allerhöchsten Willen selbst bestimmt, damit alles heiligmäßig geschehe und so in Wohlgefallen aufgenommen werde von seinem Willen. 4. Die nun ihre Opfer darbringen zur vorgeschriebenen Zeit, sind wohlgefällig und selig; denn wenn sie den Gesetzen des Herrn nachkommen, sündigen sie nicht. 5. Dem obersten Priester sind nämlich eigene Verrichtungen zugeteilt, auch den Priestern ist ihr eigener Platz angewiesen, und den Leviten obliegen eigene Dienstleistungen; der Laie ist an die Laienvorschriften gebunden.

42,1. Die Apostel haben uns das Evangelium verkündet, (das sie) vom Herrn Jesus Christus (bekommen haben), Jesus Christus aber ist gesandt von Gott. 2. Christus ist also von Gott und die Apostel von Christus (gesandt); beides ist demnach geschehen in aller Ordnung nach dem Willen Gottes. 3. Sie empfingen also ihre Aufträge, wurden durch die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus mit Gewissheit erfüllt, wurden im Glauben an das Wort Gottes gefestigt, und dann zogen sie voll des Heiligen Geistes hinaus zur Predigt, dass das Reich Gottes nahe sei. 4. Indem sie nun in Ländern und Städten predigten, setzten sie die Erstlingsfrüchte ihrer (Predigt), nach vorhergegangener Prüfung im Geiste, zu Bischöfen und Diakonen der zukünftigen Gläubigen ein. 5. Und dies war nichts Neues; denn schon seit langer Zeit war geschrieben über Bischöfe und Diakone. So nämlich sagt einmal die Schrift: „Ich will einsetzen ihre Bischöfe in Gerechtigkeit und ihre Diakone in Treue“ [Jes 60,17; ungenau zitiert].

44,1. Auch unsere Apostel wussten durch unseren Herrn Jesus Christus, dass Streit entstehen werde um die Bischofswürde. 2. Aus diesem Grunde setzten sie auch, da sie eine genaue Kenntnis hiervon zum voraus erhalten hatten, die oben Genannten ein und gaben ihnen dazu Auftrag, dass, wenn sie entschlafen wären, andere erprobte Männer ihren Dienst übernähmen.«



Fassen wir zusammen: Ebner leugnet die Legitimität besonderer, mit Autorität und Lehrgewalt versehener Ämter in der christlichen Gemeinde, indem er alle entsprechenden Zeugnisse aus dem NT einfach ignoriert. Das sei kein Thema gewesen, das wurde nicht problematisiert. Die Ämterfrage wurde im NT aber durchaus problematisiert, weswegen Paulus der zerstrittenen Gemeinde in Korinth die rhetorische Frage stellen muss: „Sind etwa alle Apostel, alle Propheten, alle Lehrer? Haben alle die Kraft, Machttaten zu wirken?“ (1Kor 12,29) Die Antwort ist natürlich: Nein! Heute haben wir in Deutschland offenbar genau das gleiche Problem erneut (nichts Neues unter der Sonne), und solche dümmlichen Behauptungen wie die von Ebner sind ein wesentlicher Grund dafür.