Samstag, 15. Mai 2021

Ida Friederike Görres († 15. Mai 1971)

Auf die Frage, warum wir die Kirche lieben:
»Weil sie die Wahrheit trägt: das, das macht unsre Herzen erzittern vom unaussprechlichen Schauer der Gottesbegegnung: weil sie, genau wie Christus von sich sagt: "dazu geboren und in die Welt gekommen ist, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben". (Joh. 18, 37). Darum allein: Wenn das nicht wäre! Alles sonst, was andre, was zum Beispiel Sie an der Kirche bewundern, uns vielleicht beneidend: der pädagogische und künstlerische und kulturelle Reichtum, das seelische Geborgensein in einem Kosmos von unerhörter, einziger Fülle, - alles das könnte uns gestohlen werden, wäre es auf einer Lüge, einem Traum, einer Illusion aufgebaut. Nie habe ich begreifen können, wie Andersgläubige, auch Sie, verehrter Freund, um ihrer Caritas oder Kunst oder Ordnungsmacht oder Weisheit willen der katholischen Kirche so lächelnd und großmütig Reverenz bezeugen können, wenn Sie doch glauben, dass die Macht über den Menschen, welche alle diese geistige Fruchtbarkeit hoch trieb, letztlich auf einem falschen Anspruch fußt. So ungefähr: "Wenn es die katholische Kirche nicht gäbe, müsste man sie erfinden, ob das, was sie als Dogma zu ihrer Begründung darstellt, im übrigen wahr ist oder nicht." Ganz im Gegenteil! Auf das Letzte allein kommt es uns an. Wenn dieses Eine nicht stimmt, wenn nicht sie, sie allein, als Ganzes, als Körper, als "Anstalt", das Gesamt der geoffenbarten Wahrheit, das heißt der Botschaft Gottes über sich selbst, über den Menschen, über die Welt enthält und trägt, so ganz, so eins, dass nicht ein Stückchen abgebrochen werden oder verloren gehen darf, und mit der unfehlbaren Entscheidung darüber, was eigentlich in diesem un geheuren Konglomerat von Lehre, Kult, Auslegung, herauskristallisiertem Brauch und Ansatz das Ur-Erbe ist und was Menschenwerk, darüber, was man glauben muss und was man glauben darf und kann und soll: wenn die Kirche also nicht das Organ der vollen Botschaft Gottes auf Erden ist, Ver mächtnis und Stiftung Jesu Christi, dann gibt es doch für den, dem an der Wahrheit etwas liegt, nur die eine Lösung: écrasez l'infame vernichtet die Verfluchte. Dann ist sie nämlich der Antichrist, das fleisch- und formgewordene Prinzip der Lüge, und ihre sämtlichen "kulturellen Werte und Verdienste" sind nichts als der riesenhafteste Apparat der Verführung. Darum liebe und ehre ich die Protestanten, die aus solchem Ernst heraus die Kirche den Antichrist nennen, - auch Newman tat es, viele Jahre hindurch, und bei diesem Liebenden der Wahrheit war es ja auch gar nicht anders möglich -, weil sie der Kirche die Ehre antun, ihren ungeheuren Anspruch an das christliche Gewissen ernstzunehmen, und seine Ungeheuerlichkeit, wenn er falsch wäre. Wir aber, die wir diesen ihren Anspruch hören und glauben: dass, wer die Kirche hört, Gott hört, die wir glauben, dass, wenn ein Engel vom Himmel käme mit andern Ansprüchen, so sei er verflucht, - wir "suchen" bei ihr zu erst weder Kultur noch Weisheit der Menschenführung noch Ordnung der Völker und der Gesellschaft noch die gewaltige Macht der nothelfenden, tränentrocknenden Caritas: wir suchen die Wahrheit Gottes in ihr und das "Amt der Versöhnung" (2. Kor. 5, 18), das Kommen Seines Reiches, - und siehe, all das andre wird uns nachgeworfen!«


(Aus dem "Brief über die Kirche" vom 01.08.1946)

Bisher auf diesem Blog von ihr: hier und hier.

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