Samstag, 11. Januar 2020

Die Kirche steht vor der Alternative

Ein Gedanke.


Die Katholische Kirche war in unserer Weltgegend über viele Jahrhunderte hindurch nicht nur gesellschaftsrelevant sondern geradezu gesellschaftsbildend; die Gesellschaft war über weite Teile völlig verwoben mit der Kirche.
Zugleich war die Kirche in ausgesprochen großem Maße kulturbildend: Die Katholische Kirche war eine Kulturgemeinde, denn sie prägte und gestaltete die Kultur unseres Kontinents wie keine andere Institution.

Mit der Aufklärung hat die Kirche ihre gesellschaftsbildende Stellung verloren. Säkulare Persönlichkeiten und Institutionen wurden tonangebend. Spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sie zudem auch ihren Status als Kulturgemeinde verloren, die Kultur wird nun v.a. bestimmt durch die Wissenschaft, das Politische und v.a. durch den Konsum.
Die Kirche steht seitdem an einem Scheideweg, denn sie hat die Wahl, was sie in Zukunft sein will. Kulturgemeinde wird sie in Zukunft nicht mehr sein, gesellschaftsbildend erst recht nicht.

Soweit ich das sehe, gibt es zwei Alternativen für die Kirche, was sie mit dem, was sie über die Jahrhunderte an "Kapital" angehäuft hat, tun kann.


Alternative Nummer 1: Von der Kulturgemeinde hin zur Kultgemeinde.
Das bedeutet, dass die Kirche ihre Ressourcen und ihre Aufmerksamkeit darauf richtet, sich ihr reiches liturgisches und aszetisches Erbe neu zu eigen zu machen und somit ihr kultisches und liturgisches Leben neu zu beleben und zu vertiefen. Aus der Kulturgemeinde von einst wird somit wieder das, was das Christentum von Anfang an in seinem Kern gewesen ist - Kultgemeinde: "Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot in ihren Häusern." (vgl. Apg 2,46) Die Kirche besteht dann aus den "wahren Betern" (vgl. Joh 4,23), die Gott verehren und die den Menschen die Möglichkeit geben, diesem Gott, der das letzte Ziel ihres Daseins ist, nahe zu kommen, indem sie sein Evangelium mit aller Entschiedenheit leben und verkünden.
Als Kultgemeinde nutzt die Kirche ihr eigenstes und innigstes kulturelles Kapital, das einzig und allein sie verwalten und fruchtbar werden lassen kann. Die Welt kann damit nichts anfangen, bestenfalls in wirrer Nostalgie (man denke an die Darstellung von allem Katholischen im Mainstream von TV und Kino) oder im Spott vermag sie es zu greifen, ohne es je zu be-greifen.
Vor allem aber befolgt die Kirche als Kultgemeinde den wichtigsten Auftrag, den der Herr Jesus Christus seinen Jüngern zum Heil der Welt gab, und den auch nur sie erfüllen konnten und  bis zum Ende der Welt erfüllen können: "Tut dies zu meinem Gedächtnis." Die Eucharistie ist der Kern (Quelle, Mitte und Höhepunkt!) des umfassenderen Auftrags: geht, tauft, verkündet das Reich, ruft zur Bekehrung, macht zu meinen Jüngern.

Alternative Nummer 2: Von der Kulturgemeinde hin zur Wohlfahrts-, Dialog- und Umweltschutzgemeinde.
In diesem Fall wird die Sorge der Kirche um die Menschen in den Fokus gerückt: Armenfürsorge, Lebensberatung, Kitas, Krankenhäuser, Schulen, der Dialog zwischen Völkern und Religionen, der Schutz der Umwelt etc. pp. - ich will das alles mal mit dem Wort "Wohlfahrt" zusammenfassen - werden zum eigentlichen Betätigungsfeld von "Kirche", in Anlehnung an den Auftrag Jesu: "Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!" (Mt 10,8)
Diese Option hat allerdings ein entscheidendes Problem: Während niemand bezweifeln kann, dass die Kirche von Anfang an sich der Nöte der Menschen angenommen hat, wie dies auch Jesus selbst tat, so müsste gleichzeitig jedem klar sein, dass Wohlfahrt nicht "typisch katholisch" ist. Will sagen: Es ist nicht das unterscheidend Christliche, nicht das Eigentliche, was der Kirche als Volk und Familie Gottes, als Nachfolger und Leib Christi aufgetragen ist. Der eben zitierte Auftrag Jesu zu Heilen ist nur ein Teilaspekt des größeren Auftrags das Reich Gottes zu verkündigen und die Menschen zur Bekehrung zu rufen (vgl. Mt 10,7). Christen unterscheiden sich nicht dadurch von allen anderen Menschen, dass sie Wohlfahrt betreiben. Für Wohltätigkeit braucht es keine Kirche, das können andere auch sehr gut.
Es gibt einen besonders wichtigen Grund, warum viele Ordensgemeinschaften aussterben: Niemand braucht heute mehr eine Brüdergemeinschaft die sich der Blinden oder der Pestkranken annimmt. Niemand braucht mehr einen Schwesternorden um Krankenhäuser oder Schulen zu betreiben. Armenfürsorge, Dialog und Völkerverständigung, Schulbildung, Kranken- und Altenpflege, Ansprechpartner in den Nöten des Lebens und schließlich auch Umweltschutz: Für all das gibt es reichlich weltliche, staatliche und nichtstaatliche Einrichtungen. Früher brauchte es die Kirche für diese Dinge, heute braucht es sie dafür nicht mehr.
Das Bistum Münster hat 2018 eine Werbekampagne gemacht (s. HIER) die der breiten Masse vor Augen führen wollte, was "Kirche" so alles für sie tut. Faktisch hat das Bistum damit nur bestätigt, was ohnehin vorliegt: Die meisten Menschen sehen die Kirche schon längst ausschließlich als eine Institution, die sich für all diese guten Zwecke engagiert. Mit Gott hat die Kirche für die Wenigsten etwas zu tun, für "Spiritualität" wendet man sich woanders hin, den findet man laut Klischee ohnehin besser im Wald.


Leider muss man konstatieren, dass sich die Katholische Kirche besonders hier in Deutschland mit großer Vehemenz und ihrer gewaltigen Finanzkraft konsequent für den zweiten Weg entschieden hat. Und damit wird sie ganz automatisch nicht nur zu einem Anbieter unter vielen, sondern über kurz oder lang auch genau so (un)bedeutend wie ein beliebiger anderer Anbieter solcher Dienstleistungen. Die Kirche säkularisiert sich faktisch selbst und wird zu einer NGO.
Wohl gemerkt: Ich bin nicht gegen Wohlfahrt und karitatives Engagement. Aber dieses taugt nicht als Kernkompetenz der Jünger Christi - die besteht nämlich in der Verkündigung des Reiches Gottes. Dieses ganze Engagement ist wichtig, aber es ist nicht der Kern dessen, was Jesus Christus seinen Jüngern aufgetragen hat. Es ist ein Aspekt davon, der aber genährt sein muss aus dem Eigentlichen, wenn er unterscheidbar sein will von dem Engagement das allen Menschen gut ansteht.
Indem die Kirche sich exklusiv der zweiten Alternative verschrieben hat, wie dies in den deutschen Bistümern immer deutlicher wird (am krassesten nehme ich das aktuell in Münster, Hamburg, Trier, Würzburg und Osnabrück wahr), und indem sie die erste Alternative seit Jahrzehnten fast völlig vernachlässigt, entzieht die Kirche auf lange Sicht auch dem von ihr eingeschlagenen Weg das Lebensblut, nämlich das, was daran (noch) "spezifisch christlich" ist. Die Wohlfahrt wird zur bloßen Funktion die von Funktionären gesteuert und von Profis ausgeführt wird. Qualitätsmanagement und best-practice allüberall. Die geistlich leeren Glieder der Kirche sind zufrieden und sogar stolz auf den gut funktionierenden Apparat, sie müssen sich zudem nicht mehr selbst engagieren, das übernehmen jetzt die von ihnen dafür bezahlten Profis.

Alternative 2 ist für die kirchlichen Funktionäre aus zwei Gründen attraktiver als die erste. Der eine Grund ist der, dass die kirchlichen Verantwortungsträger (v.a. die Mehrheit der Bischöfe) sich sehr nach den alten Zeiten zurücksehnt, als ihr Amt noch Ansehen und Einfluss (ließ: Macht) bedeutete. Wenn sie schon nicht mehr gesellschaftsbildend werden können, wollen sie wenigstens noch gesellschaftliche Relevanz bewahren (das ist hierbei ein Schlüsselwort). Da die "Welt" sich aber von allem entfernt hat, was nach göttlichem Kult oder einem Bekenntnis des Glaubens aussieht, taugen diese nicht, um wieder an "Relevanz" zu gewinnen. Wohlfahrt kommt dagegen immer gut an, der neueste Trendzug, auf den man begeistert aufspringt ist der Umweltschutz: Schaut, wir sorgen uns auch um die Umwelt, jetzt habt und bitte gern! [So wichtig dieses Anliegen auch ist - und ich persönlich halte ihn für die größte Herausforderung, der sich die Menschheit derzeit gegenüber sieht, viel weitreichender als alle menschlichen Konflikte -, der Umweltschutz ist nicht der Auftrag der Kirche, das können andere auch... und sie können es besser!]
Der andere Grund, warum Alternative 2 so beliebt ist besteht eben darin, dass Wohlfahrt als eine Funktion verwaltet und professionalisiert werden kann. [Was dann auch noch zum ersten Grund gehört: Man kann die Wohlfahrt problemlos auch an "außenstehende" (sich nicht zum Glauben Bekennende) delegieren, so gewinnt man auch Einfluss (ließ: Macht) über die eigene Institution hinaus.] Die funktionale Verwaltung von Wohlfahrt bedarf bei den Verantwortlichen keines Bekenntnis und keiner eigenen Bekehrung. Das was man den Leuten "erspart", indem man die erste Alternative vermeidet, erspart man sich zugleich auch selbst. Letztlich geht es um eine Vermeidung des religiösen Ernstes, was in den Augen der Verantwortungsträger "Frieden" bedeutet: Durch den Verzicht auf den Kult und die Fokussierung auf die Dienstleistung bleibt es der Kirche erspart "Stein des Anstoßes" zu sein. Was wiederum dem ersten Grund zugute kommt: Als Dienstleister passt die Kirche dann ohne Irritationen in die Dienstleistungsgesellschaft, ist geradezu "Teil der Gesellschaft" ("relevant"), womit die Verantwortungsträger ihr Ziel erreicht haben.
Zusammenfassend wählt man Alternative 2 weil: man Relevanz erzeugen möchte und Anstoß vermeiden will. Als Kultgemeinde geht das nicht, aber als Dienstleister!

Leider verliert sich die Kirche dadurch selbst, sie verrät ihren Auftrag und ihren Herrn, dessen ganzes Lebens- und Erlösungswerk ein einziger Anstoß und eine Irritation für die Welt ist. Jesu Ruf "Gebt ihr ihnen zu essen!" (Mt 14,16) bleibt geistlich unerfüllt. Wie der Kölner Weihbischof Ansgar Puff dies neulich in seiner Video-Kolummne (HIER, merkwürdigerweise nicht mehr über die Homepage des Domradios zu finden) schön sagte: Die Kirche hierzulande produziert wie der Feigenbaum im Evangelium nur Blätter (Papierkram), aber keine Früchte. Wer seinen geistlichen Hunger stillen will, wird in der Kirche nicht fündig. Jesus sagt, er sei gekommen um zu dienen... aber ihm geht es um einen Dienst den nur er leisten kann: Unsere Erlösung. Als Dienstleister in der Welt tut die Kirche nur, was andere auch tun.
Zugleich sabotiert die Kirche, wie gesagt, ihr karitatives Wirken, wenn dieses nicht aus der Liebe zu Gott strömt. Und schließlich verspielt die Kirche damit auch die Chance doch wieder in begrenztem Maße kulturbildend zu sein, denn was sie an kulturellem (v.a,. künstlerischem) Kapital hat ist Ausfluss derjenigen liturgischen und aszetischen Tradition die sie vernachlässigt (verleugnet?).


Die Kirche kann nur ihrem Herrn treu bleiben und zugleich fruchtbar (evangelisierend, karitativ und kulturell) in der Welt wirken, wo sie bewusst und entschieden ihre Identität als Kultgemeinde mit gesundem Stolz annimmt und in aller Demut vertieft. Freilich hätte das für die Verantwortlichen einen Verzicht an gesellschaftlicher Relevanz zur Folge und es würde zugleich die Entschiedenheit im Bekenntnis erfordern und somit Anstoß erregen...


Dieser Text ist eine andere Perspektive auf das im vorigen Beitrag über den Verweltlichten Frieden (HIER) dargelegte.

5 Kommentare:

  1. Danke dafür und ja so ist es: Die Kirche tut so als sei die "Wohlfahrt" ihr Alleinstellungsmerkmal und begreift, und sieht nicht, dass jede funktionierende Zivilisation eine gewisse "Wohlfahrt" braucht.

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  2. ... aber in einem stimme ich dir nicht zu:
    Wir BRAUCHEN Ehrenamtliche (quasi Ehrenamtliche) wie die Ordensleute, die sich um die Alten und Kranken kümmern, um die sich keiner kümmert oder oft auch einfach nicht kümmern kann, weil (zunehmend) der Verdienst eines Familienmitgliedes nicht ausreicht.

    Und wenn diese Ordensleute dann noch wirklich in Gott verankert sind und den Kranken nicht nur Linderung, sondern auch Hoffnung bringen ... das kann die übliche (sic!) heutige angestellte Krankenschwester nicht.

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    1. Liebe Eugenie wie soll es denn die Gemeinschaft der Frommen schaffen die Ordensleute zu finanzieren, wenn sie selber zunehmend gezwungen sind, die normalen Aufgaben einer Familie outzusourcen?
      Wo sollen denn die Ehrenamtlichen herkommen, wenn jeder im Hamsterrad mitzurennen gezwungen ist?

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    2. Liebe Eugenie,

      wo in meinem Beitrag habe ich behauptet, dass die Gläubigen keine Alten- und Krankenpflege betreiben sollen?
      Mein Punkt ist doch genau der, dass dieses Engagement nur dann "christlich" ist, wenn es aus dem Kult geboren ist (vgl. Mutter Theresa). Die Funktionalisierung und Professionalisierung der kirchlichen Wohlfahrt (diese wird faktisch v.a. von Leuten getan, die die Kirche dafür bezahlt, dass sie es tun, nicht von Jüngern Christi die in seiner Nachfolge so handeln), sowie die Fokussierung kirchlicher Anstrengungen und kirchlicher Kommunikation nach Innen und nach Außen darauf bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Kirche als Kultgemeinde ("Kirche" sei dazu da, diese Dienste zu leisten... das Reich Gottes wird derweil nicht erwähnt) - das ist das Problem, das ich angesprochen habe.

      Aus einer christlichen Kultgemeinde, aus dem Gebet erwächst ganz natürlich die Sorge um die Armen, Kranken, Alten etc. Aber wo geschieht das denn? Nahezu überall findet man Profis am Werk die mit dem Glauben und dem Gebet der Kirche herzlich wenig zu tun haben. Der "Träger" einer solchen Einrichtungen mag das Bistum XY sein, aber wie viele der dort Beschäftigten tun dies aus ihrer Liebe zu Gott und zur Kirche heraus? Krankenhauskapellen in "katholischen" Krankenhäusern sind i.d.R. die verlassendsten Räume dieser Gebäude, obwohl sie doch deren schlagendes Herz sein müssten...

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    3. Ergänzend sei bemerkt, dass selbst dort wo die im kirchlichen Sozialdienst Beschäftigten praktizierende Gläubige sind, von denen erwartet wird, genaudasselbe und noch viel besser zu machen, für weniger Geld, als die ungläubigen Kollegen. Man tut einfach gerade so, als sei die Sorge für Alte und Kranke ein Alleinstellungsmerkmal der Christen, was definitiv nicht stimmt. Medizinmänner gibt es überall, in allen Kulturen, der Respekt vor dem Alter ist auch allen Kulturen (außer der unseren) eigen.
      Man hat das Christentum in meinen Augen massiv verengt indem man es auf das "Soziale" reduziert hat und dabei vergessen, dass wir uns nur deshalb so eine gutes soziales Netz leisten können, weil wir eine Hochkultur sind

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