Dienstag, 16. September 2014

Unwohlsein bei der Kritik

Bin ich der Einzige, dem es so geht? Ein Gedanke.

Wenn geweihte Amtsträger, Bischöfe zumal, sich dem theologisch Gebildeten als theologische Banausen zu erkennen geben, weil sie Aussagen tätigen, für die jeder noch so wohlwollende Prüfer einen Theologistudenten ohne jegliche Bedenken durch die Prüfung rasseln lassen würde, bekomme ich jedesmal durchaus eine Art Unwohlsein, das nur schwer in Worte zu fassen ist.

Ich frage mich dann immer, wenn ich etwa (siehe z.B. hier oder hier) die Äußerungen eines Bischofs zerpflücke - nachdem ich mich eine ganze Weile in Grund und Boden geschämt und geärgert habe, weil er solchen Mist verzapft hat - welches Recht ich eigentlich habe, dies zu tun. Und ich frage nach mehr als Recht: Habe ich die Kompetenz? Steht es mir, einem Laien, einem Studenten, einem winzigen Glied am Leibe Christi, überhaupt zu, hier Kritik an einem rechtmäßig bestellten Nachfolger der Apostel zu üben?
Ich fühle mich nicht wohl dabei, einen geweihten Amtsträger als entweder inkompetent oder, was Gott verhüten möge, als Lügner zu entlarven. (Wobei ich stets nach dem Prinzip lebe, nie Böswilligkeit anzunehmen, wo Dummheit als Erklärung ausreicht.)
Warum fühlt sich das komisch an? Ist es, weil ich Laie bin und er Bischof? Ist es, weil ich von einem Bischof zu viel erwartet habe? Ich weiß aber doch, dass die Wirkung des Weihesakramentes nicht darin besteht, den Intellekt oder gar die Heiligkeit zu erhöhen.
Schon vor einer ganzen Weile fand ich heraus, dass mein Unwohlsein durchaus berechtigt ist. Es finden sich interessante Paralllen, wenn man sich mal die Rechtslage dazu anschaut. Meinungsfreiheit besteht nämlich in der Kirche nicht derart, wie dies im Staat der Fall ist.

Entscheidend ist hier der Canon 212 im Codex Iuris Canonici:
»Can. 212 — § 1. Was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen, haben die Gläubigen im Bewußtsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen.«

Das ist zunächstmal nicht so schlimm, finden sich doch die meisten hier relevanten Entgleisungen der Amtsträger nicht in lehramtlicher Form, sondern in Interviews und Vorträgen. Schwierig wird es, wenn, wie in deutschen Landen nicht selten der Fall, der eigene Hirte sich ganz offiziell in einen eklatanten Widerspruch zur Gesamtkirche setzt.
Aber lesen wir mal weiter:
»§ 2. Den Gläubigen ist es unbenommen, ihre Anliegen, insbesondere die geistlichen, und ihre Wünsche den Hirten der Kirche zu eröffnen.«
Ich habe also, auch als Laie, soetweas wie Meinungsfreiheit gegenüber den Hirten. Ich darf den Hirten meine "Anliegen" "eröffnen". Wohlgemwerkt: Dass hier gebrauchte Verb patefacere bedeutet offenlegen, enthüllen. Es handelt sich nicht um eine Kundgabe oder eine Unterbreitung, und noch weniger um eine Forderung. Der, dem ich meine Anliegen eröffne, ist zu keiner irgendwie gearteten Reaktion verpflichtet. Er könnte sich schweigend abwenden und seinem Tagwerk nachgehen. Als Laie habe ich demnach zunächst noch nicht einmal ein "Recht" darauf, auch nur angehört zu werden. 
Wichtig: In diesem Paragraphen geht es um das Verhältnis des Gläubigen zum Hirten, die Richtung ist daher sehr eng geführt und es findet, wie in einem vertraulichen Gespräch oder einem Brief, keine Auffächerung auf eine "breite Basis" (Dialogprozess?) statt.

»§ 3. Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.«
Wichtig ist hier: Dieser Paragraph befasst sich mit zweierlei Verhältnis, nämlich dem der Gläubigen zu den Hirten und zu anderen Gläubigen.
Wir lernen: Das Zur-Geltung-bringen oder Wahrnehmbar-machen eines Anliegens (im Lateinischen: manifestare gegenüber den Hirten und notam facere gegenüber den Gläubigen), besonders gegenüber anderen Gläubigen, im Unterschied zum obigen "Eröffnen", ist an Bedingungen geknüpft. Es kann nicht einfach jeder zu allem seine Wünsche herumposaunen und Gehör verlangen, sondern nur, wie es ihm zukommt. Aufgrund der von Christus eingesetzten ständehierarchischen Verfasstheit der Kirche (vgl. meine Ausführungen dazu hier) ist solch eine Gesetzgebung durchaus sinnvoll. 
Also: Wissen (scientia), Zuständigkeit (kompetentia), Stellung (praestantia) entscheiden darüber, ob sich jemand äußern darf. (Was das für die in deutschen Landen sehr gerne, oft und lauthals zu allen erdenklichen Themen sich zu Wort meldenden kirchensteuerunterfütterten Laienverbände und ihre Wortführer bedeutet, lasse ich hier mal unkommentiert.)

Diese Vorgaben bringen mich in eine gewisse Bredouille: Zwar könnte ich mir, aufgrund meines (noch nicht abgeschlossenen) Studiums, ein bescheidenes Wissen attestieren lassen (wobei freilich nochmal zu unterscheiden wäre zwischen Wissen und Verständnis... Letzteres geht gerade auch unter Theologen mit Ersterem nur erstaunlich selten einher), aber objektiv betrachtet, habe ich weder irgendeine Zuständigkeit, noch irgendeine Stellung, die es rechtfertigen würde, mich, wie hier auf diesem Blog, öffentlich kritisch (und zuweilen auch cum ira et studio) über die fragwürdigen Äußerungen (m)eines Bischofs auszulassen.
Meine festverdrahtete Ehrfurcht vor den Amtsträgern, die bisher auch von theologischen Ofenschüssen nicht gelockert wurde, und die Tatsache, dass ich mich in diesem Blog ja primär an andere Laien wende, kollidieren irgendwie mit c. 212 §3.
Natürlich hat dieses Gesetz hier keinen dogmatischen Rang und die apostolische Sendung auch innerhalb der Kirche gilt letztlich jedem Getauften. Der Canon spricht schließlich auch von der "Pflicht" des einzelnen Gläubigen! Ein gewisses Unwohlsein bleibt. Und die prophetische Gabe einere Caterina von Siena maße ich mir nicht an.

Ich musste mir (leider) schon sehr bald nach meiner Taufe mit einer Entscheidung behelfen: Wenn und insofern(!) der für mich zuständige Hirte ungehorsam gegenüber dem für ihn zuständigen Oberen ist (und - und das muss man heutzutage in Deutschland leider dazusagen - bei einem jeden Bischof ist dies der Papst bzw. die in seinem Namen agierenden Dikasterien der römischen Kurie, nicht die "Bischofskonferenz" oder ihr Vorsitzender!), hat er meinen Gehorsam verwirkt. 
Ich weiß, dass das Glatteis ist, auf das ich mich da begebe. Mein Unwohlsein ist irregulär. Will sagen: Dass ich mich in der Lage finde, manche Äußerungen (m)eines Bischofs nicht guten Gewissens kritiklos stehen lassen zu können, ist eine irreguläre Situation. Dass jemand seinem Bischof den Gehorsam versagen muss, im Gehorsam gegen Gott, Seine (ganze!) Kirche und das eigene Gewissen, ist an sich schon eine zutiefst zu bedauernde Notsituation.
[Natürlich nehmen auch die ZdK, BDKJ und kfd'ler dieser Welt ein ziemlich gleichlautendes Argument in Anspruch. Der Unterschied ist aber doch der, dass ich als Maßstab für meine Beurteilung den KKK und das sonstige Lehramt der Kirche nehme, nicht meine eigene Meinung oder die irgendwelcher "Theologen". (Für Katholiken gibt es nämlich einen objektiven und für jeden feststellbaren gültigen Maßstab: das Lehramt der Kirche - wer das nicht anzuerkennen gewillt ist, hat meiner bescheidenen Meinung nach die falsche Religion.)]


Lange Rede kurz: Ich fühle mich nie recht wohl bei meiner vielfach geübten Kritik.
Und auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt pathetisch rüberkommt: Ich übe sie trotzdem, backe meine kleinen Brötchen (mit putzigen kleinen Kreuzchen drauf!), weil ich einen noch so bescheidenen Beitrag leisten will zum Wohl der Kirche. Und weil mir noch etwas anderes nicht nur Unwohlsein, sondern regelrechtes Leiden bereitet: Die absichtliche oder unabsichtliche Verblödung und Verblendung derer, die, mangels besseren Wissens und mit oder ohne eigene Schuld, den "Urhebern" und Multiplikatoren schlechter/falscher Theologie Glauben schenken. 
Liebe Bischöfe, hört auf mit dem Mist! Wie dankbar bin ich da einem Bischof Stefan Oster, dem als Hirte natürlich Wissen, Zuständigkeit und Stellung in umfassender Weise zukommen - und der unermüdlich für die Wahrheit eintritt!

3 Kommentare:

  1. Hallo sophophilo,

    ich musste ein wenig schmunzeln als ich deinen Eintrag gerade gelesen habe. Du magst dich zwar unwohl fühlen bei deinen Äußerungen, zugleich zeigen sie aber eine unübersehbare Ehrlichkeit und Authentizität. das Problem vor das du dich gestellt siehst ist nicht neu, in der Kirchengeschichte schon häufig artikuliert (eigentlich unnötig dich darauf hinzuweisen). Dabei musste ich unwillkürlich an jene Schrift eines herausragenden Theologen denken, die sich explizit mit diesem Problem beschäftigt. Wilhelm Ockhams Dialogus. Nun könnte man bei deinem Unwohlsein einwenden, dass sich auf die Schrift eines exkommunizierten Theologen zu berufen nicht weiter dienlich sei, doch ich glaube der philosophische Eigenwert von Ockhams Werk und auch seine weitere Rezeption im katholischen Lehramt sprich dennoch dafür. Löst man die Argumente aus ihrem historischen Kontext, sind sie vielleicht doch hilfreich für dein Anliegen.

    In Pars I, Liber 8, Caput 73 formuliert Ockham mehrere Kriterien, die ein geistlicher Streiter wider eines häretischen Papstes haben muss. Ich habe sie folgendermaßen zusammengefasst:

    1. Schiftkenntnis: Die Notwendigkeit sich in der Heiligen Schrift auszukennen um ketzerische Fehldeutungen widerlegen zu können.
    2. Urteilskraft des Verstandes: Die Notwendigkeit mittels der Vernunft Widersprüche und falsche Autoritäten aufzudecken.
    3. Redlichkeit der Argumente: Die Notwendigkeit falsche Angriffe auf einen ketzerischen Papst zu vermeiden. Die Person oder das Amt als solches anzugreifen sei Sünde und führe zum Widerstand der "Theologen". Sich nicht zur Sache und den Argumenten zu äußern, führe zudem zum Widerstand der "Gelehrten" (gemeint sind die Magistri artium liberalium).
    4. Richtige Methode der Argumentation: Vorrang haben die Texte der Heiligen Schrift, sodann Autoritäten, die im Einklang mit der Tradition stehen und schlussendlich eine an den Maßstäben der Argumentationslehre, Logik und Dialektik nach Maßgabe der Vernunft überprüfbare und stichhaltige Argumentation.

    Bedenkt man die Wirkungsgeschichte dieses Werkes, dann gründet sich implizit so ziemlich jegliche von Theologen, die über kein eigenes Lehramt verfügen, an Amtsträgern artikulierte Kritik auf die Argumente Ockhams. Aber so sehr er auch in anderen Fragen im Widerspruch zur Kirche stand, so finde ich diese seine Argumente überaus stichhaltig und bis heute wenig gekonnt widerlegt...

    Beste Grüße von http://wissenhochdrei.blogspot.com



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    1. Danke für den Hinweis!
      Und wegen der Anerkennung Ockhams... Gemach... auch bei einem Dr. Martinus Luther finden sich zahlreiche gute und wichtige Gedanken! ;)

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  2. Mir stellt sich eine ähnliche Frage auf einer ganz anderen Ebene: Sind liturgische Regeln dem übergeordnet, daß der Zelebrant entscheidet, was in seiner Messe passiert oder auch nicht, oder steht seine Entscheidung über den Regeln? D.h. spiele ich als Organistin in der Fastenzeit ein Lied mit Halleluja drin, wenn der Chef es will oder verweigere ich das? Spiele ich nach der Lesung ein Lied, weil der Chef keinen Antwortpsalm hören will? Spiele ich "Lobe den Herren" als Gloria, weil der Zelebrant nicht so genau hinschaut/schauen will "ist doch ein Loblied"?

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