Sonntag, 12. Mai 2013

Moderne antijüdische Exegese

Exegeten bei der Arbeit
»Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen zu sagen: Geboren in Bethlehem, aber aufgewachsen in Nazereth. - Doch warum hält man so fest an der Beseitigung der Würde Bethlehems? Es ist offenkundig: Man will Jesus herausnehmen aus der messianischen Erwartung der Juden. Man stößt sich ganz gewaltig daran, dass Jesus der Messias des jüdischen Volkes gewesen sein soll. Man möchte ihn für einen bedeutenden Menschen halten, nur nicht für den bedeutendsten jüdischen Menschen. Deshalb darf es keine biblische Verheißung für Bethlehem geben. Jesus wird entjudifiziert.« (Klaus Berger, Die Bibelfälscher)

Den latente Antijudaismus, den Berger auch noch andernorts in seinem Buch erwähnt, habe ich in NT-Vorlesungen schon häufiger "gespührt" (ich konnte dieses mein Gefühl nur nie so klar in Worte fassen). Zwar ist man einerseits immer total stolz, dass man ja heute die geistige Größe besitzt, Jesus als Juden zu erkennen, und man verwendet löblicherweise auch nicht wenig Zeit auf die Behandlung der neutestamentlischen Zeitgeschichte, zugleich tut man aber alles, um Jesu (jüdische) Messianität zu bestreiten. Man meint, man täte dem Judentum einen Gefallen, indem man Jesu Bedeutung für dieses kleinredet.
Es ist dann natürlich eine interessante Frage: Ist das gut oder schlecht?
Ist es Judenfeindlich, wenn man behauptet, Jesus sei (zu allererst) der Messias der Juden?
Die Diskussion um die Karfreitagsfürbitte der überlieferten Messe kommt hier in den Sinn.

Ich persönlich halte es eher mit Berger: Jesus muss der Messias Israels sein, sonst ist er niemandes Messias, "denn das Heil kommt von den Juden" (Joh 4,22).

Nun kann man sagen, das sei ja voll antijüdisch, weil man den Juden die christliche Religion zu oktroyieren sucht. Eine Behauptung, die ein gewisses Bildungsdefizit offenbart, denn 1. ist Jesus der eine und einzige Erlöser ausnahmslos aller Menschen, und wem das nicht passt, der kann sich schwerlich "Christ" nennen; und 2. wendet man sich mit der Ablehung der Messianität Jesu, auch und zuerst für die Juden, im Grunde sehr krass gegen das jüdische Volk, denn man spricht diesem damit zugleich seine Heilsbedeutung und seine göttliche Erwählung ab. Nein, sagt man, das Heil, das kommt nicht von den Juden... für manche vielleicht, aber dann auch nur son bisschen...
Das ist gar kein geistiger Spagat, es ist ganz einfach: Das Volk Israel ist das auserwählte Volk Gottes. Mit diesem Volk will Gott sich der Welt offenbaren und er hat es ausgiebig getan - endgültig und im höchsten Maße in dem Juden Jesus aus Nazereth. Das ist der Grund auf dem das Christentum ruht. Das zu bekämpfen heißt nicht anderes, als das Christentum zu bekämpfen... und das Judentum gleich mit.
Dem aufklärerisch-stolzen Verkünden "Jesus war Jude" folgt dann sogleich implizit "... aber das spielt überhaupt keine Rolle. Eigentlich wäre es uns viel lieber, er wäre keiner."

Man gewinnt den Eindruck, viele Exegeten verhalten sich gegenüber der Wahrheit ganz genau so, wie die (siehe die heutige Lesung), die Stephanus, nachdem er rief "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen", zum Schweigen bringen (töten) wollten: "Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten gemeinsam auf ihn los" (Apg 7,56-57).

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