Montag, 29. November 2021

suizidale Exegese

Die Alttestamentlerin und geschäftsführende Direktorin des Katholischen Bibelwerks e.V., die auch am Forum IV des Synodalen Wegs mitarbeitet ("Leben in gelingenden Beziehungen"), Katrin Brockmöller, hat einen Beitrag für "Bibel und Kirche" (eine vierteljährliche theologische Fachzeitschrift) geschrieben, in dem sie den Grundlagentext des Forums IV des suizidalen Weges bespricht. Dieser Text ist natürlich auch auf katholisch.de erschienen (hier), denn er ist eine nützliche Irreführung über Motive und Vorgehen des suizidalen Weges.

Es lassen sich daraus manche Tricks der heutigen Theologie ersehen, die dabei helfen, alles Gewünschte "theologisch" zu untermauern. Ein paar Beispiele dazu.

 

Brockmöller schreibt: 

»Sowohl das Ideal der heterosexuellen Ehe, ihre Ausschließlichkeit, die Kontrolle der Fruchtbarkeit und vieles andere wird oft mit einem Verweis Gen 1,27 begründet: "Gott schuf den Menschen als Mann und Frau." Schon ein genauer Blick in den Text zeigt aber, dass hier Adjektive stehen ("männlich" und "weiblich"), die eher einen Raum öffnen als eine singuläre Idee von Mannsein und Frausein zu setzen

Hier findet ein klassischer verschleierter gedanklicher Sprung statt. Frausein und Mannsein bzw. Weiblichsein und Männlichsein stehen für den biblischen Text fest. Dies wird aufzulösen versucht, indem urplötzlich von "Ideen" bezüglich Frausein und Mannsein gesprochen wird. Das ist zunächst zwar nicht falsch, denn nicht alle Männer und nicht alle Frauen sind gleich. Damit aber die Polarität der Geschlechter zu untergraben ist schlicht unehrlich. Die (etwa geschichtlich) unterschiedlichen Ideen oder Ideale von Frausein und Mannsein fußen ja gerade darauf, dass es Frauen und Männer in ihrer Unterschiedlichkeit gibt.

Im Übrigen wird hier die Wahrheit der von Gender-Mainstreaming betriebenen Auflösung der Geschlechter (unter dem Deckmäntelchen von "Vielfalt") verschleiert, denn es wird der Eindruck erweckt, als ginge es dabei nur um unterschiedliche Ideen von Mann- und Frausein.


Sie schreibt weiter: 

»Zudem handelt es sich bei Gen 1,27 nicht um philosophische oder normative Aussagen, sondern um Poesie. Daraus lassen sich beim besten Willen keine Normen ableiten.«

Grober Unfug. Es wird völlig aus dem Nichts eine wechselseitige Ausschließlichkeit von Poesie und Normen/Philosophie behauptet: Weil es ein poetischer Text ist, kann er keine normativen Aussagen enthalten. Vielleicht noch offensichtlicher absurd ist die Unterstellung, ein poetischer Text könne nicht philosophisch sein. Hat die Frau noch nie etwas von Ovid oder Seneca, von Thomas von Aquin, Goethe oder Herder gehört (um nur einige wenige Namen zu nennen, die mir spontan in den Sinn kommen)?

Gerade die Bibel ist aber doch übervoll mit belehrender, und dadurch immer wieder auch Normen aufstellender Poesie! Nur mal die ersten Beiden Verse des Psalmes 1 zur Illustration: "Selig der Mann, der nicht nach dem Rat der Frevler geht, nicht auf dem Weg der Sünder steht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern sein Gefallen hat an der Weisung des HERRN, bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt." Wird hier nicht die Norm aufgestellt, dass man nicht auf Frevler und Spötter, sondern auf Gott hören soll? Man spricht hier auch von "Lehrgedichten", die sich überall in unterschiedlichen Formen in der ganzen Bibel finden. Eine ähnliche Schöpfungsdichtung, die durchaus normativ und auch philosophisch randvoll ist, ist z.B. Joh 1: "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott..."


Weiter:

»Gen 1 beschreibt, wie etwas Neues sich entwickelt, wie ein Lebenshaus entsteht, in dem Unterschiede sichtbar werden und Raum für dazwischen entsteht: Die Gegensatzpaare "Licht und Finsternis", "Himmel und Erde", "Trockenes Land und Meer", "männlich und weiblich" werden benannt. Dazwischen gibt es auch Dämmerung, Feuchtgebiete, geschlechtliche Vielfalt, ...«

Bezeichnend, dass ihr zu "Himmel und Erde" kein Zwischending eingefallen ist, schade. Natürlich ist das billige Begriffsklopperei, denn nur weil es Wörter für Dinge gibt, sind diese noch nicht real oder gar normativ. Die "Vielfalt der Geschlechter" wird hier behauptet, aber nicht belegt.

Im übrigen dürfte die Frau nicht unerwähnt lassen, dass den Autoren dieses Textes Feuchtgebiete und Dämmerung bekannt waren, dass ihnen aber ebenso klar bewusst war, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Neben dem Offenbarungscharakter dieses Textes ("Normen", man könnte auch sagen: Wahrheiten) widerspricht ihrer These also auch die Intention der Schreiber der heiligen Texte.

Interessant finde ich, wie routiniert hier im ersten Satz Gottes Wirk-lichkeit entsorgt wird: Neues "entwickelt sich", "entsteht" oder "wird sichtbar"... Alles scheinbar von sich aus. Keine Absicht, kein Wille, kein Handelnder, in einem Wort: Kein Schöpfer. Natürlich, sie darf diese Dinge nicht erwähnen, denn was Gottes Absicht und Wille ist, ist ja explizit nicht das, was sie will und beabsichtigt. Die Frau schafft es, in ihrer Zusammenfassung einer Erzählung, deren entscheidender Sinn darin besteht, eben jenen Gott als souverän Handelnden und Wollenden über allen Naturerscheinungen zu präsentieren (z.B. gegen die Verehrung der Gestirne als Götter: sie sind nur "Lampen", die Gott an den Himmel gesteckt hat), diesen handelnden Gott restlos zu eliminieren. Respekt. Gen 1 will vielmehr sagen: Ob Gestirne oder Menschen, sie sind nicht aus sich selbst, sie machen sich nicht selbst und sie haben keine Macht; alles kommt von Gott und ist nach seinem Willen und Entschluss ("lasst uns Menschen machen") geordnet.


Und nochmal weiter: 

»So ist aktuell im Text zwar sehr deutlich bereits benannt, dass die Institution Ehe in der Antike eine klare Schutzfunktion für Kinder hat und daher sozial und theologisch so nachdrücklich gestützt wurde. Heute ist dieser Schutz über andere Systeme möglich, so dass Kinder gut ins Leben begleitet werden können, sollte eine Ehe zerbrechen (vgl. A.3.2.).«

Es wird so dargestellt, als sei jene soziale Schutzfunktion von Kindern (und Frauen) der objektiv feststehende, klare, unzweifelhafte und auch der einzige Grund, warum es in der Bibel die Ehe gibt. Das ist für die Autorin so völlig klar, dass es nur benannt zu werden braucht, es muss nicht nachweisen werden. Und hier liegt der Fehler, denn tatsächlich hat das noch niemand nachgewiesen. Damit ist dies aber keine objektive Tatsache, sondern es ist eine Behauptung. Mehr nicht.

Verwandt, in diesem speziellen Text aber nicht erwähnt, ist die ebenso beliebte Behauptung, das Verbot gleichgeschlechtlicher Partnerschaften diene dem demographischen Wachstum des Volkes: Möglichst viele Kinder sollen geboren werden, damit man ein "großes Volk" wird; da aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aber keine Kinder hervorgehen können, sind die verboten.

In beiden Fällen wird ein modernes soziologisches Denken verabsolutiert und den biblischen Texten ganz einfach untergeschoben. Zugleich wird Gott dabei ganz herausgenommen: Dass es die Ehe gibt, hat nichts mehr mit Gott zu tun, kommt v.a. nicht von ihm, ist nicht sein Wille, sondern ist rein soziologisch zu erklären. Das ist alttestamentlich schon eine äußerst steile Behauptung, die spätestens mit dem Neuen Testament geradezu absurd geworden ist, denn die Ehe ist DAS Abbild der Liebe Gottes zu den Menschen in Jesus Christus: "Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche." (Eph 5,31-32)


Frau Brockmöller verweist mit dem suizidalen Text selbst auch auf den guten, ja "sehr guten" Anfang und die durch den "Sündenfall" (dort in Anführungszeichen gesetzt) eingetretene Zerrüttung zwischen den Menschen. Ich bekomme aber den starken Eindruck dass sie hierbei etwas verdreht: Für sie scheint die heutzutage propagierte "Vielfalt der Geschlechter" zu jenem paradiesischen Urzustand zu gehören, während die abgelehnte "singuläre Idee" der Zweigeschlechtlichkeit als eine Folge jener Zerrüttung dargestellt wird. Das sagt sie so explizit natürlich nicht, die Blöße gibt sie sich nicht, aber sie spricht ausdrücklich davon, dass es ursprünglich (nach Gen 1) "Freiraum" für "Vielfalt" gegeben habe und dann "Abwertungen" (z.B. von homosexuellen Beziehungen) in die Welt kamen.

Dadurch wird das biblische Zeugnis richtiggehend verdreht. Dagegen sei, etwas plakativ, gesagt: Wäre die zweigeschlechtliche Ehe als Norm eine Folge des Sündenfalls, dann wäre ihre Dekretierung ("als Mann und Frau schuf er sie" bzw. die Erschaffung der Frau aus dem Mann) NACH dem Sündenfall erzählt worden, denn vorher bedurfte es keiner "Schutzmaßnahmen" etwa für die Kinder und die Frauen (oder für das Wachstum des Volkes). Für die biblischen Erzählungen und die dahinter liegende Intention gehören offenbar die Zweigeschlechtlichkeit und die Ehe zum anfänglich geschaffenen Paradieseszustand, d.h. auch zum "natürlichen" Zustand des Menschen (darum ist gleichgeschlechtlicher Verkehr auch "widernatürlich": Röm 1,26). Alles dem Widersprechende ist Folge des Sündenfalls. Das ist im Alten Testament schon sehr deutlich: Gott hat die Menschen als Frau und Mann für einander geschaffen; es ist die Sünde, das Abwenden von Gott und seinem Willen, was zur Zerrüttung führt. Auch Jesus verweist schließlich auf den schöpfungsgemäßen "Anfang" für seine Ehemoral. (Vgl. hier meine Gedanken zum Thema Keuschheit)

Letztlich zeigt sich, dass dieser Umgang mit den Texten immer gleich funktioniert: Man beginnt mit einer Überzeugung und stülpt sie dem Text über. Dabei ist es ganz egal, was der Text selber hergibt: Wenn möglich, werden Textfetzen wunschgemäß umgedeutet, wo das nicht geht, wird er durch ein modernes Konzept schlicht ersetzt. Hier also: Den einen oder anderen Vers der biblischen Schöpfungserzählungen glaubt man, der eigenen Überzeugung dienstbar machen zu können ("männlich und weiblich schuf er sie"), und alles was nicht dienstbar gemacht werden kann (z.B. dass Gott Mann und Frau für- und aufeinander hin geschaffen hat), das ersetzt man durch die Behauptung, dass Ehe nur ein (natürlich rein menschliches) soziales Konstrukt zum Schutz von Kindern und Frauen ist. Wenn man Textfetzen (oder auch bloß Anspielungen auf solche) dienstbar machen zu können glaubt, ist es wichtig, den Kontext zu verschleiern: Wenn man z.B. mit Rückgriff auf die zweite Schöpfungserzählung von "Ergänzung, Hilfe" spricht, ist es wichtig, es bei diesen allgemeinen Begriffen zu belassen und nicht zu erwähnen, dass die Frau als "Hilfe und Ergänzung" des Mannes von Gott geschaffen wurde (und andersherum). So bleiben "Hilfe und Ergänzung", erweitert um "Vielfalt" und "wechselseitiger Freude aneinander", als abstrakte "Ideen" frei verfügbar für alles, was man damit stützen möchte. Und fertig ist die Auseinandersetzung mit dem Bibeltext (als Stück antiker Literatur, nicht als Offenbarung), woraufhin man stolz behaupten zu können meint, "das Hören auf die Schrift als Grundlage aller Pastoral" zu betrachten (so der suizidale Text). Was für eine Farce.

"... welche Wahrheit kann von der Lüge kommen?" (Sir 34,4)

2 Kommentare:

  1. Zu Genesis 1, 27: „zachar“ und „n’qeba“ werden zwar gelegentlich mit „männlich“ und „weiblich“ übersetzt, weil diese hebräischen Wörter anders als „Mann“ und „Frau“ auch Kinder und Tiere bezeichnen können, aber nichtsdestoweniger sind sie Substantive.

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    1. Das ist korrekt.
      Ist es eigentlich ein Zufall, dass die neue Einheitsübersetzung, die unter ihrer Leitung veröffentlicht wurde, so ziemlich die einzige gebräuchliche Deutsche Bibelübersetzung ist, die dort "männlich und weiblich" stehen hat?
      Das ist mir damals bei der neuen Einheitsübersetzung gleich ins Auge gesprungen, weil ich mich genau zu der Zeit für eine Arbeit näher mit Gen 1 befasst habe... Wollte das Fass hier eigentlich nicht aufmachen 😶
      Lügt die Frau Professorin also, wenn sie behauptet, im Text stünden Adjektive, oder ist sie bloß für ihren Job nicht geeignet?

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