Dienstag, 1. Juni 2021

Zum erneuerten kirchlichen Strafrecht

Papst Benedikt XVI. im Interview mit Peter Seewald in „Licht der Welt“ 2010 (aus JRGS 13/2, 865):

»[Seewald:] Es ist nicht nur der Missbrauch, der erschüttert, es ist auch der Umgang damit. Die Taten selbst wurden über Jahrzehnte ver schwiegen und vertuscht. Eine Bankrotterklärung für eine Institution, die sich die Liebe auf ihr Banner geschrieben hat.

[Ratzinger:] Dazu hat mir der Erzbischof von Dublin etwas sehr Interessantes gesagt. Er sagte, dass das kirchliche Strafrecht bis in die späten 1950er-Jahre hinein funktioniert hat; es war zwar nicht vollkommen – vieles ist daran zu kritisieren –, aber immerhin: Es wurde angewandt. Doch seit der Mitte der 1960er-Jahre wurde es einfach nicht mehr angewandt. Es herrschte das Bewusstsein, die Kirche dürfe nicht Rechtskirche, sondern müsse Liebeskirche sein; sie dürfe nicht strafen. So war das Bewusstsein dafür, dass Strafe ein Akt der Liebe sein kann, erloschen. Damals kam es auch bei ganz guten Leuten zu einer merkwürdigen Verdunkelung des Denkens. Heute müssen wir wieder neu erlernen, dass die Liebe zu dem Sünder und die Liebe zu dem Geschädigten dadurch im rechten Ausgleich stehen, dass ich den Sünder in der Form bestrafe, die möglich und die angemessen ist. Insofern gab es in der Vergangenheit eine Bewusstseinsveränderung, durch die eine Verdunkelung des Rechts und der Notwendigkeit von Strafe eingetreten ist – letztendlich auch eine Verengung des Begriffs von Liebe, die eben nicht nur Nettigkeit und Artigkeit ist, sondern die in der Wahrheit ist. Und zur Wahrheit gehört auch, dass ich denjenigen strafen muss, der gegen die wirkliche Liebe gesündigt hat.«


Papst Franziskus in der Apostolischen Konstitution Pascite gregis Dei vom 23. Mai 2021, mit der das Buch VI des Codex des kanonischen Rechtes erneuert wird (hier):

»Die Beachtung und Respektierung der Strafdisziplin der Kirche ist Aufgabe des ganzen Volkes Gottes, aber die Verantwortung für ihre korrekte Anwendung ist […] in besonderer Weise den Hirten und den Oberen der einzelnen Gemeinschaften aufgetragen. Es ist eine Aufgabe, die in untrennbarer Weise mit dem munus pastorale verbunden ist, das ihnen anvertraut wird. Sie soll als konkretes und unverzichtbares Erfordernis der Liebe gegenüber der Kirche, der christlichen Gemeinschaft und der eventuellen Opfer ausgeübt werden, aber auch gegenüber demjenigen, der eine Straftat begangen hat und der, zusammen mit der Barmherzigkeit, auch der Korrektur von Seiten der Kirche bedarf.

Das Unverständnis für den engen Zusammenhang, der in der Kirche zwischen der Ausübung der Liebe und der Umsetzung der Strafdisziplin besteht – immer, wenn es die Umstände und die Gerechtigkeit erforderlich machen –, haben in der Vergangenheit viel Schaden verursacht. Diese Art des Denkens – die Erfahrung lehrt uns das – steht in der Gefahr, dahin zu führen, dass man mit Gewohnheiten lebt, die der Rechtsordnung entgegenstehen und denen nicht nur durch Ermahnungen und mit Ratschläge begegnet werden kann. Eine solche Situation bringt oft die Gefahr mit sich, dass sich eine bestimmte Lebensweise im Laufe der Zeit verfestigt, eine Korrektur schwieriger macht und in vielen Fällen Ärgernis und Verwirrung unter den Gläubigen hervorruft. Aus diesem Grund ist die Anwendung der Strafen von Seiten der Hirten und der Oberen notwendig. Die Nachlässigkeit eines Hirten bei der Anwendung des Strafrechts macht deutlich, dass er seine Aufgabe nicht recht und treu ausübt […].

Es ist tatsächlich die Liebe, die es erforderlich macht, dass die Hirten das Strafsystem immer dann anwenden, wenn es erforderlich ist, und dabei die drei Ziele beachten, die es notwendig machen, nämlich die Wiederherstellung der Erfordernisse der Gerechtigkeit, die Besserung des Straftäters und die Beseitigung von Ärgernissen.«

 

Can. 1365 fand sich zuvor unter der Nummer 1371. Er ist also von den "Straftaten gegen die kirchliche Autorität und die Ausübung des kirchlichen Amtes" gewandert zu den "Straftaten gegen den Glauben und die Einheit der Kirche". Ob er nun auch vermehrt zu Anwendung kommt?

»Wer außer dem in can. 1364 § 1 genannten Fall [Apostasie, Häresie, Schisma] eine vom Papst oder einem Ökumenischen Konzil verworfene Lehre vertritt oder eine der in can. 750 § 2 oder in can. 752 behandelten Lehren hartnäckig ablehnt und, nach Verwarnung durch den Apostolischen Stuhl oder den Ordinarius nicht widerruft, ist mit einer Beugestrafe und Amtsverlust zu bestrafen; diesen Strafen können andere der in can. 1336 §§ 2-4 genannten Strafen hinzugefügt werden.«
 

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