Donnerstag, 26. Juli 2012

Theorie und Vergangenheit


Kreidefelsen auf Rügen
Wenn ich in dieser kleinen Serie zum Sinn und zur Methode der Wissenschaft am Beispiel der Evolutionstheorie von "Wissenschaft" (engl. science) rede, meine ich Naturwissenschaft. Diese ist per definitionem naturalistisch, d.h. sie ist beschränkt auf die direkt oder indirekt empirisch erfassbare Wirklichkeit die wir gewöhnlich mit "Natur" umschreiben. Alles was ich als "Fakt(en)" bezeichne sind dem entsprechend empirische solche. Ebenfalls Teil der Definition ist der methodische Agnostizismus dieses Wissenschaftstreibens. Dazu beim nächsten Mal mehr.
Jetzt will ich aber mal konkreter in die Materie gehen und ganz praktische Sachen behandeln.
 
Mit dem eben Beschriebenen erscheint ein Problem am Horizont, das auch der Nestor der modernen Wissenschaftstheorie, Karl Popper, anfangs an der Evolutionstheorie bemängelte: Ein guter Teil der Aussagen dieser Theorie bezieht sich auf die Vergangenheit: Alles Leben ist verwandt. D.h. es besteht eine Beziehung der Abstammung von gemeinsamen Vorfahren zwischen (heute) verschiedenen Spezies. (Auch das wird noch behandelt werden.)
Bei näherer Betrachtung ist dies jedoch kein Problem, und auch Karl Popper hat das später in seinem Schaffen erkannt: So wie wir ein Verbrechen im Nachhinein rekonstruieren können, so können wir auch in einem größerem Maßstab vergangene Ereignisse rekonstruieren. Natürlich geht es dabei nicht um Details (Individuen und deren Tagewerk), sondern um ganze Tierstämme oder einzelene Spezies und deren Umwelt. Wir können also durchaus etwas über Dinge erfahren, die weit in der Vergangenheit liegen.

Als Beispiel sei dafür die grundlegende Frage nach dem Alter unseres Planeten herangezogen. Das ist ein sehr wichtige Frage, da sie ein entscheidender Auslöser für die Entdeckung der Evolution im 19. Jahrhundert war. (Ich rede hier bewusst von einer Entdeckung, denn nichts anderes war es: Die Entdeckung eines essentiellen Naturprozesses der bis dato nicht bekannt war.)
Wie alt ist unser Planet? Es gibt auch heute noch Menschen die, gestützt auf die Bibel, das Alter der Erde mit 6000 bis 10000 Jahren angeben. Solche Vorstellungen sind unhaltbar. Leider ist es schwierig, Leute davon zu überzeugen, da wir schwerlich eine zurückliegende Zeitspanne "vorführen" können. Was wir aber machen können, ist dies: Wir können Vorgänge und die Resultate von Vorgängen sehen, die länger als diese Zeit gedauert haben müssen. (Es versteht sich von selbst, dass ich hier nur vereinfachte Ausführungen machen kann, wers genauer wissen will: Bildung ist heute für jeden verfügbar.)
Ein paar Beispiele (es gäbe noch so viel mehr...):

  • Jedes Kind weiß es: ein Baumring entspricht einem Jahr Wachstum, das Muster wird dabei vom Wechsel der Jahreszeiten hervorgerufen. Zählt man die Ringe von großen Bäumen, stellt man fest, dass einige davon über tausend Jahre alt sind. Der älteste anhand seiner Jahrringe datierte gefällte Baum (1964 gefällt) besaß 4950 Jahrringe (als in Ägypten die Cheops-Pyramide gebaut wurde, war dieser Baum bereits mehrere Jahrhunderte alt!). Durch Aneinanderreihung verschiedener Proben (etwa auch aus archäologischen Funden), lassen sich Abfolgen erstellen die noch viel weiter in die Vergangenheit zurückreichen. Eine solche Aneinanderreihung ist sehr gut und fehlerfrei möglich, da die Bäume je nach klimatischen Bedingungen in den einzelnen Jahren unterschiedlich wachsen, was in einem unverwechselbaren Muster resultiert (vgl. Fingerabdrücke). Die Eigenheiten der Jahrringe sind sogar so charakteristisch, dass mit dieser Methode auch Fachwerkhäuser und historische Musikinstrumente datiert werden. Wissenschaftler haben verschiedene Jahrringtabellen aufgestellt um einen möglichst weit zurückreichenden „Kalender“ zu erhalten (man sprich hier von Dendrochronologie). Am weitesten zurück reicht der Hohenheimer Jahrringkalender mit derzeit lückenlos abgedeckten 14.600 Jahren. Folglich muss die Erde also mindestens so alt sein wie das Holz das hier verwendet wurde.
  • Eine andere Möglichkeit in die Vergangenheit zu schauen, sind Eisbohrkerne. Dazu werden aus Gletschern mithilfe von Hohlbohrern Eiskerne herausgeholt. Das Eis zeigt, ähnlich wie Baumringe, die Jahre in Form von Schichten an und konserviert zudem die atmosphärischen Bedingungen zu den jeweiligen Zeiten (es sind quasi Wetteraufzeichnungen). Am weitesten zurück kam man bisher mit dem EPICA: 740.000 Jahre (Quelle). 
  • Eine weitere Methode, die ebenfalls klimatische Bedingungen aufzeichnet, sind Korallen. Wie bei Bäumen, variiert deren Wachstum im Laufe eines Jahres und lässt so eine Jahr-für-Jahr Rekonstruktion anhand von bestehenden und fossilen Korallen zu. Auch mittels Warven (periodisch abgelagerte Sedimente in Seen) und Speläotheme (z.B. Tropfsteine, Sinter) lassen sich Aussagen über die Vergangenheit machen.
  • Schließlich (um auf der Erde zu bleiben; Astronomen  und Kosmologen haben noch ganz andere und tollere Datierungsmethoden!): Verschiedene radiometrische Datierungsmethoden erlauben allerlei Altersbestimmungen. Verschiedene Datierungsmethoden existieren für je andere Zeitskalen und Materialien. So kann z.B. das Alter von Wasser aus den letzten Jahrzehnten präzise über einen bestimmten Chlorgehalt bestimmt werden, organische Materialien bis zu einigen zehntausend Jahren über die C14 Methode und Gesteine anhand einer Vielzahl unabhängiger Methoden bis zu einigen Jahrmilliarden.
    Radiometrische Datierungen funktionieren vom Prinzip her denkbar einfach. Nehmen wir als Beispiel die Kalium-Argon Methode. Wie Kalium zerfällt wissen wir: Etwa 11% zerfallen zu Argon, der Rest zu Calcium. Die Halbwertszeit von Kalium beträgt 1,3 Milliarden Jahre und ist somit auch auf die ältesten Gesteine auf der Erde anwendbar. In flüssigem Magma kann das beim Zerfall entstehende Argon problemlos entweichen. Wenn die Lava abkühlt und aushärtet, kann das Argon nicht mehr entweichen, die „atomare Uhr“ ist jetzt auf Null gestellt. Das Alter dieses Gesteins seit seiner Aushärtung (Magma bzw. Lava [da besteht ein Unterschied] ist flüssiges Gestein), lässt sich jetzt anhand des Verhältnisses von Kalium und Argon ermitteln.
    Die Ergebnisse solcher Messungen müssen dann noch mit anderen Methoden verifiziert werden. Was kein Problem ist, denn es gibt zahlreiche radiometrische Datierungsmethoden. Unter diesen: Uran-Blei-, Thorium-Blei-, Rubidium-Strontium-, Argon-Argon-, Samarium-Neodymium-, Lutetium-Hafnium-Methode  und weitere.
    Das älteste Gestein das wir bisher datiert haben, lässt auf ein Alter der Erde von etwa 4,6 Milliarden Jahre schließen.
  • Das Alter der Erde lässt sich auch indirekt ganz gut Einschätzen: Man sehe sich z.B. Kreidefelsen an: Was da so weiß ist, die Kreide, das ist kein Sand. Das sind die winzig kleinen (maximal 0,01 mm messenden) übrig gebliebenen Kalkschalen (Coccolithen genannt) ebenfalls winzig kleiner (einzelliger!) Algen die hier in der Kreidezeit (daher der Name) im Meer lebten (ca. 140 bis 70 Millionen Jahre v.u.Z.). Wenn die Algen sterben, sinkt dieses winzige Kalkplättchen auf den Grund des Meeres. Um nun eine so beeindruckende Schichtdicke zu erreichen wie wir sie heute sehen (bis zu 110 Meter allein über der Wasseroberfläche!), müssen an diesem Ort über Millionen Jahre hinweg diese Algen gelebt haben und gestorben sein; eine andere Erklärung, wie dort eine solche Anhäufung dieser Coccolithen entstehen konnte, gibt es nicht (eine viel kürzere Zeitspanne anzunehmen ist ökologischer und mathematischer Unsinn). Die Erde muss also deutlich älter sein als 6000 oder 10000 Jahre.

Wieso erzähl ich das alles?
Die Geschichte der modernen Evolutionstheorie fängt eigentlich damit an, dass man im 19. Jahrhundert feststellte, dass tieferliegende Erdschichten Spuren von Ereignissen (etwa Katastrophen) aufwiesen, von denen man noch nie gehört hatte und die offenbar sehr weit zurück liegen müssen (sonst wären sie nicht unter so vielen Erdschichte begraben).
Man bemerkte auch, dass diese alten (weil unten liegenden) Schichten nur wenige Fossilien enthielten die zudem von recht einfachen und zuweilen ziemlich skurril anmutenden Lebewesen stammen mussten. Jedoch fiel auf, dass deren Komplexität und Vielfalt zunahm, je weiter an der Oberfläche die Ablagerungen waren. Man erkannte, dass sich die Fossilien in direkt aufeinander folgenden Schichten in ihrer Komplexität und Vielfalt nicht sehr stark unterschieden, aber über viele Schichten hinweg große Veränderungen offenkundig wurden. Diese Abfolge ließ vermuten, dass es im Laufe der Zeit eine graduelle Entwicklung gegeben haben muss, von wenigen einfachen Lebewesen, zu einer wachsenden Vielfalt an komplexeren Formen. Es gab also auf alle Fälle einmal eine Unmenge von Lebewesen (Spezies), die es heute nicht mehr gibt.
Heute wissen wir, dass mindestens 99% aller Spezies, die jemals auf diesem Planeten lebten, heute ausgestorben sind (und von neuen Spezies ersetzt wurden). Diese schiere Menge an verschiedensten Lebewesen, von denen niemand je etwas gehört oder gesehen hat (außer in Form von Fossilien) und die zudem in einer vernünftigen, fortlaufenden Reihe der Veränderungen gefunden wurden und werden, ist gänzlich unvereinbar mit der Idee, die Erde sei sehr jung und das Leben sei unveränderlich. Es passt aber wunderbar zu der Erkenntnis, dass die Erde sehr alt ist und sich das Leben auf ihr ständig verändert hat. Wie genau das vonstatten gegangen ist und noch immer geht, ist ein anderes Thema.
Dazu das nächste Mal mehr.

Als man dann mit radiometrischen Datierungen der Gesteine begann, verglich man die Ergebnisse der Radiometrie mit der Reihenfolge in der die Fossilien gefunden worden waren. Es stellte sich heraus, dass, alle drei Beweislinien (stark vereinfacht: Tiefe der Erdschichten, Zunahme der Komplexität bzw. die morphologischen Veränderungen der gefundenen Lebewesen, radiometrisch bestimmtes Alter) die selbe Reihenfolge ergaben: am ältesten waren die primitivsten Fossilien ganz unten datiert worden usw.

To be continued...

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