Donnerstag, 30. Januar 2014

Lied vom Glück

Bild von hier
 Das Schiff läuft durch die Flut
Der Schiffer träumt vom Land
Er sieht viel goldene Häuser stehn
Am blassen Himmelsrand.
Bewacht die Feuer im Kessel
Steruert und rechnet gut
Dass ihr durch alle die Stürme
Kommt über alle die Flut.

Und wie der Schiffer träumt
von einer guten Stadt
So wissen wir dass jedes Meer
Doch eine Küst hat.
Drum rührt geschäftig die Hände
Legt euer Herz hinein
Will doch das Glück erst erkämpfet sein
Kommt es nicht von allein.

Die Arbeit ist nicht Fluch
für die nicht Sklaven sind
ist Milch und Tuch und Schuh und Buch
Und wie dem Segler der Wind.
Das Werk es will euch beschenken
Ruft euch und ist bereit
Müßt für es schaffen und denken
Dass es euch wächst und gedeiht.

Das Kind liegt in der Wiege
Es ruft zur Mittagsstund
Muß Milch und Weissbrot kriegen
Da wird es groß und rund.
Das Kind es kann nicht klein bleiben
Auch wenn es selber wollt
Das ist, warum es so laut ruft
Dass ihr ihm Milch geben sollt.

Der Setzling wird ein Baum
Der Grundstein wird ein Haus
Und haben wir erst Haus und Baum
Wird Stadt und Garten draus.
Und weil uns unsere Mütter
Nicht für das Leid geborn
Haben wir alle gemeinsam

Glücklich zu leben geschworn.

(Bertolt Brecht)

... häretische Theologie

Wenn ich ab und zu in der katholischen Medienlandschaft lesen muss, irgend ein Theologe habe hier oder da eine häretische Ansicht geäußert (hier), kann ich mich als angehender Theologe eigentlich nur wundern... dass das eine Schlagzeile wert sein soll!

Denn was das öffentliche Äußern von Häresien anlangt, leben wir heute in geradezu goldenen Zeiten, wenn man das mal mit der Situation in der ersten Dekade nach dem letzten Konzil vergleicht.

Ein Beispiel: 1978 erschien in der Una Voce-Korrespondenz ein Artikel von Erwin Hesse mit dem Titel "Mit kirchlichem Imprimatur...", in dem er das Buch "Die heißen Eisen von A bis Z. Ein aktuelles Lexikon für Christen." bespricht. Das Buch erschien 1972 (mit kirchlicher Druckerlaubnis des Ordinariats Graz-Seckau) bei Styria und wurde vom Grazer Dogmengeschichtler Johannes Bauer herausgegeben. Es enthält lexikalisch eine ganze Anzahl von Stichworten von "Abtreibung" über "Magie" bis "Zukunft", die dann jeweils von einem Fachmann(?) bearbeitet werden. Viele Theologen wirkten daran mit, auch ein paar durchaus bekannte Namen wie Fries oder Mußner.

Hesse bespricht nun einige der Artikel im Hinblick auf ihre Treue zur Kirchlichen Lehre und fasst in der Mitte seines Artikels (bevor er einzelnen Inhalten des Buches die kirchliche Lehre gegenüber stellt) die Ergebnisse wiefolgt zusammen:
»Schierse leugnet die Gottheit Christi, Bauer die Jungfräulichkeit Mariens, Limbeck die Existenz von Engel und Teufel, Assig ein der Kirche anvertrautes gläubiges Wissen über all das, was nach dem Tode kommt.
Gruber verneint die Gültigkeit einer heiligen Messe ohne Mitwirkung von Laien und hält für wichtiger und wirklicher als die Wandlung der sakramentalen Gaben die innere Verwandlung der in Gemeinschaft aktiv verbundenen Menschen. Nikolasch wieder meint, bei der Beichte genüge es, wenn jeder bloß die Sünde bekennt, über die er ein brüderliches Gespräch wünscht. Nebstbei stellt er die Verpflichtung der sonn- und feiertäglichen Meßfeier auf die unterste Stufe des von Jesus abgelehnten Zeremonialgesetzes. Den katholischen Amtspriestern wird von Griesl die Rechtmäßigkeit der Bezeichnung "Priester" abgesprochen.
Über ihr Erscheinungsbild könne die Kirche jeweils weitgehend nach freiem Ermessen bestimmen. Bauer wendet sich infolgedessen gegen den Pflichtzölibat. Gössmann fordert gar die Auflösung der dermaligen hierarchischen Struktur zugunsten voller Gleichheit der Kirchenglieder und beschränkt die Aufgabe der bisher "Priester" Genannten auf den Vorsitz bei der Eucharistiefeier, der dann natürlich auch Frauen offenstehen könne. Endlich wendet sich Bauer gegen die in der katholischen Kirche herrschende "rigorose Auffassung von der Unauflöslichkeit der Ehe".«

Nun, heute sehen wir solche eklatanten Kompendien der Häresie nur noch selten. Auch die "heißen Eisen", im stillosen Kunstledereinband der Zeit, finden sich heute im Antiquariat in der Ramschkiste. Der Grund dafür liegt allerdings nicht so sehr darin, dass man heute auf den rechten Pfad zurückgefunden hätte, sondern wohl eher darin, dass viele der erwähnten Positionen heute zur Grundausstattung eines "modernen" Theologen im Dienste des Staates gehören. Man redet da zwar nicht viel drüber, man schreibt das auch selten, aber man denkt es. Die theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen sind weitestgehend so sehr verseucht, dass es auffällt, wenn da mal ein anständiger Theologe arbeitet.
Es ist zwar einerseits gut, dass das nicht so offensichtlich ist, das mindert den täglichen Frust des Nichttheologen; andererseits auch wieder nicht, weil es den tatsächlichen Zerfallszustand der Kirche verschleiert. Man bedenke wohl, dass dies die Orte sind, wo die allermeisten der Leute ausgebildet werden, die dann für die religiöse Bildung in Schule und Gemeinde verantwortlich sind.

Wie gesagt, ich wundere mich, wenn ein Theologe Schlagzeilen bekommt, wegen solcher Lappalien, wie zu sagen, Joseph sei der Vater Jesu gewesen... Mich würde es schwer wundern, wenn ich an meiner Fakultät vier Professoren fände, die das anders sehen!


PS. Es ist ein ausgewachsener Brainf*ck und ließ mich gröhlend am Boden Kreise drehen, als ich bei einem kurzen Blick in das Buch (man will sich ja mit eigenen Augen überzeugen...) das Zitat bemerkte, dass Bauer seinem Machwerk vorangestellt hat:
Auf einem Schiff zu sein, das vom Sturm gerüttelt wird, macht Lust, wenn man gewiß ist, daß es nicht sinken wird; solcher Art sind die Verfolgungen, die die Kirche quälen. Die Geschichte der Kirche sollte recht eigentlich die Geschichte der Wahrheit heißen.
(Pascal, Pensées)

Dienstag, 28. Januar 2014

Über das Gewissen

Christus als Gesetzgeber!
Vorweg: Dieser Blogeintrag wird lang.
Nachdem sich hier (klick "Warum Humanae Vitae?") in den Kommentaren eine kleine Diskussion zum Thema Gewissen entzündet hat, habe ich nun neulich hier (klick) ein paar Worte über den Gehorsam verloren. Nun endlich ein paar eh schon lange geplante Worte zum "Gewissen" (vgl. hier), jenem eigentümlich merkwürdigen Gebilde, das zur Legitimierung von so ziemlich allem herhalten muss.
Ein Kommentator hat (siehe erster Link) das heute gängige Bild in seinem Kommentar so ausgedrückt: "Die subjektive Gewissensentscheidung über das objektive Lehramt zu stellen, ist kein "Ausnahmefall", sondern die absolute Regel, von der es gar keine Ausnahme gibt und geben darf, alles andere wäre unmoralisch und widergöttlich." (Man vergleiche das mit die Gedanken der großartigen Ida Görres: hier.)

(Ich werde sehr viel zitieren, weil v.a. die Texte von Johannes Paul II. einfach sehr schön und außerordentlich präzise und deutlich sind. Ich werde keine eigenen biblische und traditionsmäßige "Argumente" beisteuern, weil diese bereits zur genüge in den zitierten Dokumenten geleistet sind. Das wissenschaftliche Vokabular und die ethisch-philosophischen Detailfragen werde ich nicht behandeln, es soll möglichst allgemeinbverständlich bleiben. Was in den Zitaten kursiv ist, ist dies auch im Original, ich füge keine eigenen Hervorhebungen ein, um die aufmerksame Lektüre der kompletten Zitate nicht zu hindern. Übrigens ist alles was ich zitiere, von Katholiken anzunehmende verbindliche Lehre der Kirche!)


Was ist das Gewissen? Die Antwort, die das Zweite Vatikanische Konzil gegeben hat, und auf die man sich unentwegt beruft, steht in Gaudium et Spes, Nr. 16:
»Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft und, wo nötig, in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird (vgl. Röm 2,14-16). Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist (vgl. Pius XII., Radiobotschaft über die rechte Ausbildung des christlichen Gewissens in den Jugendlichen, 23. März 1952: AAS 44 (1952) 271).«

Der abschließende Bezug auf Pius XII. ist wichtig, denn im Wesentlichen hat dieser Papst genau das gesagt, was sich das Konzil hier v.a. zu eigen gemacht hat (und was sich übrigens auch schon grundgelegt bei Leo XIII., zumal beim Aquinaten, finden lässt)... besonders "revolutionär", wie das immer wieder dargestellt wird, ist das nämlich gar nicht.
Festzuhalten ist auch, dass das Konzil sich hier nur in aller Knappheit über die "Würde des Gewissesn" ausgelassen hat und zwar im Kontext einer kursorischen Behandlung verschiedener Aspekte des Wesens(standes) des Menschen. So ging es im Abschnitt davor etwa um die Vernunft, in dem danach um Freiheit, nachfolgend dann um Tod (als Anlass des "Fragens") und Atheismus. Das Konzil legt hier also schwerlich eine eigene oder gar "neue" Lehre über das Gewissen vor, sondern setzt, siehe den Verweis auf Pius XII., die bestehende und gültige kirchliche Lehre ganz einfach voraus. Es finden sich im Textkorpus des Konzils verstreut noch andere Aussagen bezüglich des Gewissens, manche werden hier auch noch direkt oder indirekt vorkommen.

Einen ersten kritischen Hinweis auf die Lehre vom Gewissen gibt schon der Titel jener Radioansprache des Pacelli-Papstes: "Ausbildung des christlichen Gewissens". Offensichtlich bedarf das Gewissen also einer (Aus-)Bildung, es ist nicht aus sich heraus das, was es sein soll, sondern muss als ein solches aufgefasst werden, das "geformt werden kann und geformt werden muss" (zitiert aus: Pius XII sagt, Herder 1959, 93 ff.).

Nicht alles, was das Gewissen tut, ist automatisch richtig. Das Gewissen kann irren und sogar regelrecht erblinden, wie es auch das Zweite Vaticanum nicht unerwähnt lässt, wenn es abschließend im selben Abschnitt (s.o.) formuliert:
»Nicht selten jedoch geschieht es, daß das Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne daß es dadurch seine Würde verliert. Das kann man aber nicht sagen, wenn der Mensch sich zuwenig darum müht, nach dem Wahren und Guten zu suchen, und das Gewissen durch Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird.«

Interessanterweise wird dieser Aspekt heute gern unterschlagen. Gehen wir hier aber erst mal einen Schritt zurück.
Heute befindet sich augenscheinlich das "Gewissen" des Einzelnen allzuoft in einem Widerspruch zur kirchlichen Lehre, woraus dann geschlossen wird, dass die Lehre geändert werden müsse.
Ohne um den heißen Brei herumzureden: Was heute gemeinhin unter dem Begriff "Gewissen" firmiert, auch und besonders im theologischen, zumal moraltheologischen Betrieb, ist in vielen (wenn nicht den meisten) Fällen unvorstellbar weit weg von dem, was die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils darunter verstanden und was wir denn auch in jenem obigen Zitat wiederfinden. Nicht selten ist es sogar das glatte Gegenteil.
Weil das eine Entwicklung ist, die nach dem Konzil einsetze und die ziemlich schnell außer Kontrolle geriet, hat Papst Johannes Paul II. vor nunmehr über 20 Jahren bereits seine Enzyklika "Veritatis Splendor" (über einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre; VS) geschrieben, um diesen Entwicklungen etwas entgegen zu setzen. In dieser Enzyklika legt der Papst dar, worin eigentlich die katholische Morallehre grundsätzlich besteht, nach welchen Prinzipien sie zu verstehen ist. Moraltheologie begreift Johannes Paul II. derweil als eine "Wissenschaft, die die göttliche Offenbarung aufgreift und befragt und zugleich den Anforderungen menschlicher Vernunft entspricht. Die Moraltheologie ist eine Reflexion, die die »Moralität«, das heißt das Gute und das Schlechte der menschlichen Handlungen und der Person, die sie vollzieht, zum Inhalt hat" (VS 29). Der Erfolg dieser Enzyklika blieb bis heute leider aus, man ignorierte die gleichermaßen besorgten wie warnenden (aber auch werbenden!) Worte des Papstes. 
Der Papst schreibt:
»[Es] haben sich im Bereich der nachkonziliaren theologischen Diskussionen jedoch manche Interpretationen der christlichen Moral herausgebildet, die mit der "gesunden Lehre" (2Tim 4,3) unvereinbar sind.« (ebd.)
Zur Erinnerung: Das schrieb der Papst bereits vor über 20 Jahren, und es geschah seit dem alles andere als eine Trendwende! Was man damals noch als (mit der gesunden Lehre unvereinbare) "Tendenzen" bezeichnen konnte, ist heute (moral)theologischer common sense. Die heutige Generation der Lehrenden an den Universitäten und in den Seminaren hat das bereits eingetrichtert bekommen, darum ist etwas dem Widersprechendes oftmals bereits im wahrsten Sinne "un-denkbar" geworden.
Worin bestehen diese "mit der gesunden Lehre unvereinbaren" Interpretationen? Grob gesagt darin, dass eine Autonomie, eine Absolutheit und eine Letztgültigkeit des Gewissens behauptet wird. Das Gewissen als oberster Maßstab, als "letzte Instanz", als regelrechte "Quelle aller Werte": 

»Dem Gewissen des einzelnen werden die Vorrechte einer obersten Instanz des sittlichen Urteils zugeschrieben, die kategorisch und unfehlbar über Gut und Böse entscheidet. Zu der Aussage von der Verpflichtung, dem eigenen Gewissen zu folgen, tritt unberechtigterweise jene andere, das moralische Urteil sei allein deshalb wahr, weil es dem Gewissen entspringt.« (VS 32)

Der Kern dieses Irrwegs liegt in dem Missverständnis begründet, das Gewissen könne selbst Kriterien dafür festlegen, was Gut und was Böse ist. Die Normen der Morallehre der Kirche, etwa im Hinblick auf die menschliche Sexualität, werden in so einem Konstrukt freilich ganz enorm deklassiert, so als "seien [sie] nicht so sehr ein bindendes objektives Kriterium für die Urteile des Gewissens, als vielmehr eine allgemeine Orientierung, die in erster Linie dem Menschen hilft, seinem persönlichen und sozialen Leben eine geregelte Ordnung zu geben." (VS 55)

Der Springende Punkt ist freilich der, dass die von der Kirche vorgelegten Kriterien aber durchaus bindend und objektiv gültig sind! Und genau an diesem Punkt zeigt sich die Frucht von 50 Jahren "nachkonziliarer" Moraltheologie: Es ist (auch für heutige Theologiestudenten) völlig unvorstellbar, geradezu "irrig" und zudem eine fürchterlich grausame, mit den Worten des oben erwähnten Kommentators, "unmoralische und widergöttliche" Anmaßung, zu behaupten, die von der Kirche vorgelegten sittlichen Normen wären objektiv bindend. Wenn ich das Kommilitonen erzähle, die gerade auf dem Weg zu ihren Abschlussprüfungen (im Fach Theologie!) sind, werde ich nur ungläubig angeguckt, was ich denn für wirres Zeugs rede.



Gehen wir noch einmal einen Schritt weiter zurück, bevor wir zum eigentlichen Faden zurückkehren: Was ist die Aufgabe der Kirche? Die Kirche gibt es, damit allen Menschen das Evangelium von Jesus Christus verkündet werde. Die Kirche kann folglich nicht irgendetwas erfinden, und sie kann das was sie erhalten hat auch nicht den wechselnden Moden anpassen. Die Kirche hat von ihrem Herrn, der sie eingesetzt und mit dem Heiligen Geist reich beschenkt hat, die Autorität erhalten, in seinem Namen zu lehren. Das Lehramt der Kirche ist die authentische Interpretin des Willens Gottes.
»Innerhalb der Überlieferung entwickelt sich mit dem Beistand des Heiligen Geistes die authentische Interpretation des Gesetzes des Herrn. Der Geist selbst, der am Beginn der Offenbarung der Gebote und der Lehren Jesu steht, gewährleistet, daß sie heiligmäßig bewahrt, getreu dargelegt und im Wechsel der Zeiten und Umstände korrekt angewandt werden. Diese »Aktualisierung« der Gebote ist Zeichen und Frucht eines tieferen Eindringens in die Offenbarung und eines Verstehens neuer historischer und kultureller Situationen im Lichte des Glaubens. Sie kann jedoch nur die bleibende Gültigkeit der Offenbarung bestätigen und sich in den Traditionsstrom der Auslegung einfügen, den die große Lehr- und Lebensüberlieferung der Kirche bildet und dessen Zeugen die Lehre der Kirchenväter, das Leben der Heiligen, die Liturgie der Kirche und das Lehramt sind.
Insbesondere ist - wie das Konzil sagt - "die Aufgabe, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären, nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut, dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird". (Dei Verbum 10) Auf diese Weise erscheint die Kirche in ihrem Leben und in ihrer Lehre als "die Säule und das Fundament der Wahrheit" (1 Tim 3, 15), auch der Wahrheit über das sittliche Handeln.« (VS 27)

Für unser Thema ist jetzt v.a. der letzte Halbsatz entscheidend: Diese Vollmacht der Kirche erstreckt sich auch auf das sittliche Handeln, also auf die Morallehre.

Zurück zu den Irrwegen der Moraltheologen: Hier wird zuweilen von der "Kreativität" des Gewissens gegenüber den kirchlichen Normen (die ja bloß, s.o., als "Orientierungen" aufgefasst werden) geredet. Gemeint ist freilich eine Autonomie. Es wird auf jenen Konzilstext verwiesen und auf die Stimme des Gewissens, auf die es zu hören gilt. Aber das Konzil lehrt damit keineswegs eine Autonomie des Gewissens.
»Diese Stimme - so wird gesagt - veranlasse den Menschen nicht so sehr zu einer peinlich genauen Beachtung der universalen Normen, als zu einer kreativen und verantwortlichen Übernahme der persönlichen Aufgaben, die Gott ihm anvertraut.
In dem Wunsch, den »kreativen« Charakter des Gewissens hervorzuheben, bezeichnen manche Autoren die Akte des Gewissens nicht mehr als "Urteile", sondern als "Entscheidungen": Nur dadurch, daß der Mensch "autonom" diese Entscheidungen trifft, könne er zu seiner sittlichen Reife gelangen. Einige vertreten auch die Ansicht, dieser Reifungsprozeß würde von der allzu kategorischen Haltung behindert, die in vielen moralischen Fragen das Lehramt der Kirche einnimmt, dessen Eingriffe bei den Gläubigen das Entstehen unnötiger Gewissenskonflikte verursachen würden.« (VS 55)

Was ist nun eigentlich das Gewissen?
In seiner Enzyklika von 1986, Dominum et Vivificantem (über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt), bringt Papst Johannes Paul II. es sehr präzise auf den Punkt (und er zitiert in VS 60 auch daraus), wenn er GS 16 wiefolgt kommentiert:
»Das Gewissen ist also keine autonome und ausschließliche Instanz, um zu entscheiden, was gut und was böse ist; ihm ist vielmehr ein Prinzip des Gehorsams gegenüber der objektiven Norm tief eingeprägt, welche die Übereinstimmung seiner Entscheidungen mit den Geboten und Verboten begründet und bedingt [...]. Genau in diesem Sinne ist das Gewissen "das innerste Heiligtum", in welchem "die Stimme Gottes widerhallt". Es ist die "Stimme Gottes" selbst, auch dann, wenn der Mensch darin ausschließlich das Prinzip der moralischen Ordnung anerkennt, an dem man menschlich nicht zweifeln kann, auch ohne direkten Bezug auf den Schöpfer, obwohl das Gewissen gerade in diesem Bezug stets seine Begründung und Rechtfertigung findet.« (Dominum et Vivificantem 42)

Was hat es mit diesen Geboten und Verboten auf sich? Nun, für unser Thema v.a. dies:
Es gibt ein natürliches Sittengesetz (Naturgesetz), an das sich der Mensch zu halten hat (vgl. Röm 2,15). Dass die Existenz eines solchen (objektiven) Gesetzes geleugnet wird, ist ein weiterer Entzündungsherd, der nicht selten zu den weit verbreiteten moraltheologischen Irrwegen geführt hat. Dieses natürliche Sittengesetz muss jeder Mensch annehmen. Eine Ablehung kommt einer Leugnung des Gewissens gleich. Es geht hierbei um nichts anderes, als um die Unterordnung unter das Gebot Gottes, wie es von Anfang an dem Menschen zu eigen ist, will er "gut" handeln. Der Verstoß gegen das Gebot und Gesetz Gottes ist, siehe Sündenfallgeschichte, Ursprung alles Bösen und die Sünde schlechthin. Das gilt auch dann, wenn der Verstoß gegen das natürliche Sittengesetz zur "Normalität" geworden ist (Stichwort "vorehelicher Sex"). Gott hat sich ja auch nicht mit der "Normalität" in Sodom und Gomorra abgefunden!

Dies will man heute nicht mehr hören: Die Bestimmung des Menschen ist es, seinen Willen dem Willen Gottes anzugleichen. Diesen Willen Gottes kann das Gewissen aber gerade nicht "autonom" feststellen! Es ist die Kirche, die von Jesus Christus als "Sachwalterin" eingesetzt und autorisiert ist, uns über Gottes Gebote zu unterrichten. Der Wille Gottes, der uns allzuoft gegen den Strich gehen MUSS und eben nicht plattgebügelt werden darf, ist nicht eine irgendwie außerhalb des Menschen gelegene, ihm oktrojierte Macht, sondern es ist zutiefst die Erfüllung seines von diesem selben Gott geschaffenen Wesens.
Verstöße gegen dieses Naturgesetz verursachen auch dann Schaden, wenn die Handelnden sich bezüglich dieses Gesetzes in einem Zustand der Unkenntnis befinden. Das Gesetz gibt es, und ein Verstoß dagegen ist immer auch ein Verstoß gegen die von Gott gesetzte Ordnung: "Das aufgrund einer unüberwindbaren Unwissenheit oder eines nicht schuldhaften Fehlurteils begangene Übel kann zwar der Person, die es begeht, nicht als Schuld anzurechnen sein; doch auch in diesem Fall bleibt es ein Übel, eine Unordnung in bezug auf die Wahrheit des Guten." (VS 63; vgl. VS 51)

Johannes Paul II. hebt hervor, dass die Urteile des Gewissens "praktische Urteile" sind, d.h. sie haben konkret mit dem zu tun, was der Mensch tun oder lassen soll. Es geht um die Bewertung von konkreten Taten bzw. Unterlassungen. Der Maßstab, an dem diese Bewertung Maß nehmen muss, ist das Naturgesetz. Das Gewissen ist also alles andere als autonom oder frei von Bindungen. Es hat vielmehr eine sehr spezifische Ausrichtung, eine regelrechte "Verpflichtung" zum Guten!
Das Gewiwssen ist nicht insofern "frei", dass es über Gut und Böse befinden könnte, sondern es ist immer auf das Gute hingeordnet. Der oben zitierte Abschnitt aus Lumen Gentium 16 enthält diese Aussage auch bereits, wenn das Gewissen als ein solches charakterisiert wird, "dessen Stimme [den Menschen] immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft". Johannes Paul II. drückt dies in aller Deutlichkeit so aus: 
»So offenbart sich im praktischen Urteil des Gewissens, das der menschlichen Person die Verpflichtung zum Vollzug einer bestimmten Handlung auferlegt, das Band zwischen Freiheit und Wahrheit. Deshalb zeigt sich das Gewissen mit "Urteils"-Akten, die die Wahrheit über das Gute widerspiegeln, und nicht in willkürlichen "Entscheidungen". Und die Reife und Verantwortung dieser Urteile - und letztlich des Menschen, der ihr Subjekt ist - läßt sich nicht an der Befreiung des Gewissens von der objektiven Wahrheit zugunsten einer mutmaßlichen Autonomie der eigenen Entscheidungen messen, sondern im Gegenteil am beharrlichen Suchen nach der Wahrheit und daran, daß man sich von ihr beim Handeln leiten läßt.« (VS 61)

In aller Deutlichkeit lehrt Johannes Paul II. diesen Verpflichtungscharakter des Gewissens unter Rückgriff auf Leo XIII.: 
»Die Kirche hat sich oft auf die thomistische Lehre vom Naturgesetz berufen und sie in ihre Moralverkündigung aufgenommen. So hat mein ehrwürdiger Vorgänger Leo XIII. die wesenhafte Unterordnung der menschlichen Vernunft und des menschlichen Gesetzes unter Gottes Weisheit und Gesetz hervorgehoben. Nachdem er ausgeführt hat, daß "das Naturgesetz in die Herzen der einzelnen Menschen geschrieben und eingemeißelt ist, da es nichts anderes ist als die menschliche Vernunft selber, insofern sie uns gebietet, das Gute zu tun, und uns zu sündigen verbietet", verweist Leo XIII. auf die "höhere Vernunft" des göttlichen Gesetzgebers: "Aber diese Anordnung der menschlichen Vernunft hätte nicht Gesetzeskraft, wenn sie nicht Stimme und Auslegerin einer höheren Vernunft wäre, der sich unser Geist und unsere Freiheit unterwerfen müssen". Die Kraft des Gesetzes beruht in der Tat auf seiner Autorität, Verpflichtungen aufzuerlegen, Rechte zu verleihen und gewisse Verhaltensweisen mit Lohn oder Strafe zu belegen: "Das alles könnte sich im Menschen nicht finden, würde er selbst als oberster Gesetzgeber sich die Norm für seine Handlungen geben". Und er sagt abschließend: "Daraus folgt, daß das Naturgesetz das ewige Gesetz selbst ist, das denen eingepflanzt ist, die die Vernunft gebrauchen, und sie auf das gebührende Tun und Ziel hinlenkt; es ist dies die ewige Vernunft des Schöpfers selbst und des die ganze Welt regierenden Gottes". (Enzyklika Libertas praestantissimum vom 20. Juni 1888)« (VS 44)


Kommen wir auf den ersten Strang dieser Ausführungen zurück: Das Gewissen kann sich irren. Seine Urteile sind nicht unfehlbar. Das Vaticanum II. spricht von "unüberwindlicher Unkenntnis". Hierbei geht es um eine "Unkenntnis, derer sich der Mensch nicht bewusst ist und aus der er allein nicht herausgelangen kann." (VS 62) Das schränkt nicht die Würde des Gewissens ein, solange diese Unkenntnis nicht schuldhaft ist (etwa indem sich jemand willentlich der kirchlichen Lehre verschließt, wie es ja auch der Konzilstext darlegt), aber es offenbart doch seine Schwäche.
Heute ist diese Unkenntnis und der daraus resultierende Irrtum wie eine Pandemie geradezu Allgemeingut der Katholiken auch (und v.a.?) in Deutschland geworden (weil eben jene falschen Moraltheologien theologischer common sense sind!). Mir ist noch keine Humanae Vitae-Aufreger begegnet, der mir sagen konnte, was da eigentlich drinsteht (und das, obwohl ich seit einigen Jahren meine Tage an einer der größten theologischen Fakultäten Deutschlands verlebe)! Die Antworten auf den vatikanischen Fragebogen sind der wenig überraschende Beleg dafür (vgl. zum Fragebogen: hier). Und jetzt schließen viele messerscharf daraus, dass die kirchliche Lehre entsprechend der Unkenntnis des "Kirchenvolks" geändert werden müsse. Das ist in etwa so, als würden die Kultusminister der Länder die Lernziele der einzelnen Lehrpläne an den Wissensstand der frisch eingeschulten Schüler anpassen... was die mitbringen, ist bereits Ziel. Ziel erreicht. Fällt denn wirklich niemandem auf, wie ungemein bescheuert so eine Forderung ist?
[Natürlich: Die Waszusagenhabenwoller wollen die Lehre nicht darum ändern, weil sie nicht bekannt ist - sie wollen sie grundlegend ändern, weil sie sie ablehnen! Alle Nichtszusagenhaber sind nur "Stimmvieh", um der Forderung mehr Gewicht zu verleihen, dass die Lehre der Kirche nicht bekannt ist, dient nur jenem Ziel. Warum wurde denn die Lehre überhaupt seit Jahrzehnten verheimlicht? Es kann mir keiner erzählen, dass das ein "Versehen" war... das hat System... das ist Kirchenkampf, das ist Verweigerung, "stiller Widerstand", "ziviler Ungehorsam"... man will seit Humanae Vitae nichts anderes, als Rom dazu zu zwingen, es wieder zurückzunehmen (was im übrigen nicht geht, weil Humanae Vitae ja keine "neue" Lehre ist, sondern die immer schon gültige in neuer Formulierung!). Man tut so, als sei die Lehre "unvermittelbar"... aber die Erfahrung zeigt (siehe die Rückmeldungen aus Chur: hier), dass da, wo die Lehre bekannt ist, sie auch angenommen und als großer Segen empfunden wird. Ich erlebe das auch vielfältig in meinem Freundeskreis.]

Die Frage, die sich aufdrängt, ist die nach der Begründung der Würde des Gewissens, und hier spielt das hinein, was ich zuvor ausgeführt habe: Die Würde des Gewissens gründet auf der (was eigentlich überflüssig ist: objektiven!) Wahrheit. Und genau hier erkennt man, warum die gängige Auffassung, derzufolge das Gewissensurteil höchste Norm sei und sogar Einfluss auf die kirchliche Verkündigung haben sollte, völlig und unrettbar irrig ist:
»Auf jeden Fall beruht die Würde des Gewissens immer auf der Wahrheit: Im Falle des rechten Gewissens handelt es sich um die vom Menschen angenommene objektive Wahrheit, im Falle des irrenden Gewissens handelt es sich um das, was der Mensch ohne Schuld subjektiv für wahr hält. Auf der anderen Seite ist es niemals zulässig, einen "subjektiven" Irrtum hinsichtlich des sittlich Guten mit der "objektiven", dem Menschen auf Grund seines Endzieles rational einsehbaren Wahrheit zu vermengen oder zu verwechseln, noch den sittlichen Wert der mit wahrem und lauterem Gewissen vollzogenen Handlung mit jener gleichzusetzen, die in Befolgung des Urteils eines irrenden Gewissens ausgeführt wurde.« (VS 63)

Gerade bei der Debatte um Humanae Vitae habe ich den Eindruck, dass die meisten "Aufreger" ihre eigene aufgebrachte Meinung bereits für ein "qualifiziertes Gewissensurteil" halten. Und sie glauben, sich darum über die kirchliche Lehre hinwegsetzen zu können, ja, diese sogar als falsch und irrig überführen zu müssen. Es ist für die Betroffenen gänzlich undenkbar, dass sie selbst sich im Irrtum befinden könnten (wobei der Irrtum natürlich immer das ist, was der authentischen kirchlichen Lehre widerspricht). Es ist dies nichts anderes als der protestantische Geburtsfehler, der im 20. Jahrhundert von den großen protestantischen Theologen benannt wurde: Dass, frei nach Luther, jeder sich selbst Papst (ließ: Lehramt) ist. Das funktioniert nicht!
Das Gewissen muss gebildet werden, es muss geschult und ein ganzes Leben lang kultiviert werden, um dem Irrtum zu entgehen und das zu tun, wofür es da ist: zum Guten anhalten!
»In Wirklichkeit ist das zum Herrn und zur Liebe des Guten bekehrte "Herz" die Quelle der wahren Urteile des Gewissens. Denn "damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist" (Röm 12, 2), ist zwar die Kenntnis des Gesetzes Gottes im allgemeinen notwendig, aber sie genügt nicht: eine Art von "Konnaturalität" zwischen dem Menschen und dem wahrhaft Guten ist unabdingbar. Eine solche Konnaturalität schlägt Wurzel und entfaltet sich in den tugendhaften Haltungen des Menschen selbst«. (VS 64)

Konkret ist hier wieder auf die Kirche verwiesen, die, wie oben bereits angerissen wurde, als authentische Lehrerin fungiert (vgl. hier):
»Eine große Hilfe für die Gewissensbildung haben die Christen in der Kirche und ihrem Lehramt, wie das Konzil ausführt (Dignitatis Humanae 14): "Bei ihrer Gewissensbildung müssen jedoch die Christgläubigen die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit; ihre Aufgabe ist es, die Wahrheit, die Christus ist, zu verkündigen und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen".« (VS 64)

Wie das mit der Freiheit des Gewissens vereinbar ist, ist eigentlich trivial, denn gerade so wird die Freiheit, wie sie auch die Konzilsväter verstanden, überhaupt erst ermöglicht. Nur haben wir heute verlernt, was Freiheit eigentlich bedeutet: Es ist nicht die Freiheit "von" etwas (schon garnicht vom göttlichen Gebot!), die geistlich erstrebenswert ist, sondern es ist immer eine Freiheit "für" etwas, für das Gute, zum Guten hin. Freiheit gibt es nur im Mitvollzug der Wahrheit, also dessen, was Gottes Wille, Gottes Gebot und Gesetz für uns ist. Und dieses ist gänzlich unabhängig von Zeitgeist und "gesellshaftlichen Veränderungen"! Alles was gegen Gott geht, ist die Antithese von Freiheit (siehe dazu hier). Eine Freiheit "von" Gottes Gebot ist biblisch besehen gleichbedeutend mit Verdammnis (vgl. hier, siehe auch hier)!
»Die Autorität der Kirche, die sich zu moralischen Fragen äußert, tut also der Gewissensfreiheit der Christen keinerlei Abbruch: nicht nur, weil die Freiheit des Gewissens niemals Freiheit »von« der Wahrheit, sondern immer und nur Freiheit »in« der Wahrheit ist; sondern auch weil das Lehramt an das christliche Gewissen nicht ihm fremde Wahrheiten heranträgt, wohl aber ihm die Wahrheiten aufzeigt, die es bereits besitzen sollte, indem es sie, ausgehend vom ursprünglichen Glaubensakt, zur Entfaltung bringt. Die Kirche stellt sich immer nur in den Dienst des Gewissens, indem sie ihm hilft, nicht hin- und hergetrieben zu werden von jedem Windstoß der Lehrmeinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert (vgl. Eph 4, 14), und nicht von der Wahrheit über das Gute des Menschen abzukommen, sondern, besonders in den schwierigeren Fragen, mit Sicherheit die Wahrheit zu erlangen und in ihr zu bleiben.« (VS 64)


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Die Frage, wie es denn dazu kam, dass ein solch falscher Begriff von Gewissen, von Freiheit zumal, sich in der Moraltheologie festsetzen konnte, ist nicht leicht zu beantworten. Ein Freund bezeichnete den heute üblichen Gewissensbegriff in der Moraltheologie mal als einen "säkularisierten Kant", was für einen Theologen durchaus eine lustige Formulierung ist, weil Kants Ethik ja im Grunde bereits ein säkularisiertes Christentum ist. Kant spricht von dem "inneren Sittengesetz" des Menschen (kategorischer Imperativ!), das zwar subjektiv verortet ist, weil es sich jeder selbst auferlegen muss (Gewissen!), das aber zugleich objektiv Geltung hat, weil der Mensch es sich notwendig selbst auferlegt: das Gesetz ist "gnadenlos", weil es das sittliche Tun unerbittlich einfordert (vgl. den oben behandelten Verpflichtungschakater des Gewissens zum Guten!). Heute tut man so, als habe man Kants Begriff vom Gewissen übernommen (denn wir sind ja schließlich alle "aufgeklärt"), aber tatsächlich hat man dabei klammheimlich das "notwendig" unter den Tisch fallen lassen, wodurch die Objektivität verloren ging und nichts mehr blieb, woran das Gewissen notwendig gebunden wäre (Kant rotiert im Grab...). Darum ist das Sittengesetz heute für die meisten Moraltheologen nurmehr etwas, was der Mensch sich selbst gibt... oder auch nicht... einfach so... autonom eben... frei von "Dogmen" und "Lehrmeinungen" (ausgenommen die der Theologen, versteht sich).
Hieran zeigt sich auch exemplarisch, dass die Moraltheologen seit Jahrzehnten genau das nicht getan haben, was sie eigentlich tun sollten:
»[Den Moraltheologen] obliegt es, in tiefer und lebendiger Verbindung mit der biblischen Theologie und der Dogmatik in wissenschaftlicher Reflexion "den dynamischen Aspekt zu unterstreichen, der die Antwort bestimmt, die der Mensch in seinem Wachstumsprozeß in der Liebe, innerhalb der Heilsgemeinschaft auf den göttlichen Anruf geben soll. Auf diese Weise wird die Moraltheologie eine ihr innewohnende geistliche Dimension annehmen, die den Forderungen nach voller Entfaltung der imago Dei, des Gottesbildes, das im Menschen ist, und den Gesetzen des in der christlichen Aszetik und Mystik beschriebenen geistlichen Prozesses entspricht".
Sicher sehen sich die Moraltheologie und ihre Lehre heutzutage einer besonderen Schwierigkeit gegenüber. Da die Moral der Kirche notwendigerweise eine normative Dimension einschließt, kann sich die Moraltheologie nicht auf ein nur im Rahmen der sogenannten Humanwissenschaften erarbeitetes Wissen beschränken. Während sich diese mit dem Phänomen der Sittlichkeit als historisches und soziales Faktum beschäftigen, ist hingegen die Moraltheologie, die sich zwar der Human- und Naturwissenschaften bedienen muß, nicht den Ergebnissen der empirisch-formalen Beobachtung oder des phänomenologischen Verständnisses untergeordnet. Tatsächlich muß die Zuständigkeit der Humanwissenschaften in der Moraltheologie stets an der ursprünglichen Frage gemessen werden: Was ist gut bzw. böse? Was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
Der Moraltheologe muß darum im Rahmen der heute überwiegend naturwissenschaftlichen und technischen Kultur, die den Gefahren des Relativismus, des Pragmatismus und des Positivismus ausgesetzt ist, sorgfältig unterscheiden. Vom theologischen Standpunkt her sind die moralischen Prinzipien nicht vom geschichtlichen Augenblick abhängig, in dem sie entdeckt werden. [...] Die Bestätigung der sittlichen Normen fällt nicht in die Zuständigkeit der empirisch-formalen Methoden. Ohne die Gültigkeit solcher Methoden zu verneinen, aber auch ohne ihre eigene Perspektive auf diese zu beschränken, betrachtet die Moraltheologie in Treue zum übernatürlichen Sinn des Glaubens vor allem die geistliche Dimension des menschlichen Herzens und seine Berufung zur göttlichen Liebe.« (VS 111 u. 112)

Genau dem, wovor der Papst hier warnt, sind die Moraltheologen heute in aller Regel restlos verfallen. Das Übernatürliche, das ewige Leben und das höchste Gut, auf das hin jede menschliche Handlung gerichtet sein muss, um "gut" zu heißen, ist zumeist völlig aus dem Blick geraten. Das lässt sich leider nicht blumiger sagen. 
Man verbleibt, in dem Bestreben achso "wissenschaftlich" (empirisch-rational) zu sein, in der Horizontalen; Gott tritt nur noch als der in Erscheinung, der die so genannte "vor Gott und den Menschen verantwortete Entscheidung" am Ende gutheißt (wobei diese Entscheidung freilich getroffen wurde ohne jedwede Bindung an die göttlichen Gebote).

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Ein anderer Kommentator hat (siehe ersten Link oben) auf die enge Verknüpfung von Glaubenslehre und Moral der Kirche hingewiesen. Tatsächlich ist es kein Zufall, dass von der Unfehlbarkeit des Papstes gilt, dass sie (nur) "in Glaubens- und Sittenfragen" zur Anwendung kommen kann (vgl. auch hier). Johannes Paul II. spricht von einer "Gegenüberstellung" und radikalen "Trennung von Freiheit und Wahrheit" als "Folge, Äußerung und Vollendung" einer schwerwiegenden und schädlichen "Dichotomie, die den Glauben von der Moral trennt." (VS 88) Demgegenüber stellt er klar: "Der Glaube besitzt auch einen sittlichen Inhalt", was konkret heißt: "er schafft und verlangt ein konsequentes Engagement des Lebens, er unterstützt und vollendet die Annahme und Einhaltung der göttlichen Gebote." (VS 89)
 
Die Freiheit eines Christen ist nicht eine Autonomie, wie es heute meist verstanden wird, sondern sie besteht gerade in der Unterordnung unter den Willen Gottes (und damit auch unter das Lehramt der Kirche). Das natürliche Sittengesetz (s.o.) gilt immer und für alle. Das mögen wir Heutigen nicht, das können wir nicht begreifen. Und das war auch schon im 19. Jahrhundert der Urgrund aller nationalistischen Los-von-Rom-Bewegungen.
Wer Katholik sein möchte, sollte sich aber dies bewusst machen: Als Katholiken sind wir "verpflichtet, die spezifischen, von der Kirche im Namen Gottes, des Schöpfers und Herrn, vorgelegten und gelehrten sittlichen Gebote anzuerkennen und zu achten" (VS 76). Darin besteht unsere Freiheit.
»Die Aufgabe der prüfenden Unterscheidung von seiten der Kirche [...] zielt darauf ab, allen Gläubigen mit großer Liebe bei der Formung eines sittlichen Gewissens beizustehen, das zu urteilen und zu wahrheitsgemäßen Entscheidungen zu führen vermag, wie der Apostel Paulus mahnend schreibt: »Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist« (Röm 12, 2). Ihren festen Halt - ihr pädagogisches »Geheimnis« - findet diese Arbeit der Kirche nicht so sehr in den Lehraussagen und pastoralen Aufrufen zur Wachsamkeit als vielmehr darin, daß sie den Blick unverwandt auf den Herrn Jesus richtet. So blickt die Kirche Tag für Tag mit unermüdlicher Liebe auf Christus, da sie sich völlig bewußt ist, daß allein bei ihm die wahre und endgültige Antwort auf die sittlichen Fragestellungen liegt. [...] Der gekreuzigte Christus offenbart den authentischen Sinn der Fritheit, er lebt ihn in der Fülle seiner totalen Selbsthingabe und beruft die Jünger, an dieser seiner Freiheit teilzuhaben.« (VS 85)
»Die Festigkeit der Kirche bei der Verteidigung der universalen und unveränderlichen sittlichen Normen hat nichts Unterdrückendes an sich. Sie dient einzig und allein der wahren Freiheit des Menschen: Da es außerhalb der Wahrheit oder gegen sie keine Freiheit gibt, muß die kategorische, das heißt unnachgiebige und kompromißlose Verteidigung des absolut unverzichtbaren Erfordernisses der personalen Würde des Menschen Weg und sogar Existenzbedingung für die Freiheit genannt werden.« (VS 96)

Nichts anderes lehrt auch Pius XII. in der schon zitierten Radioansprache:
»Wo aber werden Erzieher und Zögling im Einzelfall und mit Leichtigkeit und Sicherheit das christliche Sittengesetz finden? Im Gesetz des Schöpfers, das dem Herzen jedes Einzelnen eingeprägt ist [Röm 2,15], und in der Offenbarung, das heißt in der Gesamtheit der Wahrheit und der Vorschriften, die der göttliche Meister gelehrt hat. Beides, sei es das Gesetz, das im Herzen eingeschrieben ist, das heißt das natürliche Sittengesetz, oder seien es die Wahrheiten und Vorschriften übernatürlicher Offenbarung - beides hat Jesus Christus, als einen sittlichen Schatz der Menschheit, in die Hände seiner Kirche gelegt, auf dass sie es allen Geschöpfen predige, es erläutere, es unversehrt bewahrt vor jedem Makel und jeglichem Irrtum und von Generation zu Generation weitergebe.« (a.a.O.)

Irgendwo habe ich mal das überaus sinnvolle Wort vernommen, dass das Lehramt der Kirche eine durchaus im besten Sinne "demokratische" Einrichtung ist, weil es die "einfachen Gläubigen" vor den sich stets wandelnden Moden nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Theologie schützt. Die Kirche hat immer das Heil der Menschen im Blick. Nicht das, was wechselnde Strömungen als solches auffassen, sondern das wahre Heil und somit auch seine wahre Freiheit:
»Wahrhaftes Verständnis und echte Barmherzigkeit bedeuten in Wirklichkeit Liebe zur menschlichen Person, zu ihrem wahren Wohl, zu ihrer authentischen Freiheit. Und dies kommt gewiß nicht dadurch zustande, daß man die sittliche Wahrheit verbirgt oder abschwächt, sondern indem man sie in ihrer tiefen Bedeutung als Ausstrahlung der ewigen Weisheit Gottes, die uns in Christus erreicht, und als Dienst am Menschen, am Wachstum seiner Freiheit und an der Erreichung seiner Seligkeit darlegt.« (VS 95)

Überhaupt wird ja Barmherzigkeit heute auch gerne als Kampfbegriff instrumentalisiert und man versteht darunter auch wieder etwas völlig anderes, als das Lehramt der Kirche (siehe meine Ausführungen hier und hier, v.a. hier, sowie I. F. Görres, hier). Barmherzigkeit hat nichts mit Larifari zu tun. Es wäre geradezu das Gegenteil von Barmherzigkeit, würden wir Christen die Sünder in der Sünde belassen und sie nicht zur Umkehr mahnen. (Jesus hat schließlich auch nicht gesagt "Deine Sünden sind dir vergeben, mach jetzt so weiter wie bisher!") Gerade weil die Kirche barmherzig sein muss, muss sie auch, wie Jesus selbst, beständig die Sünde (und also auch die Abweichung vom natürlichen Sittengesetz!) als solche benennen und zur Umkehr aufrufen.
»Die Lehre der Kirche und insbesondere ihre Festigkeit in der Verteidigung der universalen und dauernden Geltung der sittlichen Gebote, die die in sich schlechten Handlungen verbieten, werden nicht selten als Zeichen einer unerträglichen Unnachgiebigkeit kritisiert, vor allem angesichts enorm komplexer und konfliktanfälliger Situationen des heutigen Lebens des einzelnen und der Gesellschaft: eine Unnachgiebigkeit, die zu einem mütterlichen Empfinden der Kirche im Widerspruch stünde. Diese lasse es, so sagt man, an Verständnis und Barmherzigkeit fehlen. Aber in Wahrheit kann die Mütterlichkeit der Kirche niemals von ihrem Sendungsauftrag als Lehrerin abgetrennt werden, den sie als treue Braut Christi, der die Wahrheit in Person ist, immer ausführen muß: "Als Lehrerin wird sie nicht müde, die sittliche Norm zu verkünden ... Diese Norm ist nicht von der Kirche geschaffen und nicht ihrem Gutdünken überlassen. In Gehorsam gegen die Wahrheit, die Christus ist, dessen Bild sich in der Natur und der Würde der menschlichen Person spiegelt, interpretiert die Kirche die sittliche Norm und legt sie allen Menschen guten Willens vor, ohne ihren Anspruch auf Radikalität und Vollkommenheit zu verbergen" (Familiaris Consortio 33).« (VS 95)

Man sagt zu recht, nichts Menschliches sei der Kirche fremd. Gerade deshalb kann sie nicht die Schwäche des Menschen zum Maßstab erheben. Die Kirche kann sich so wenig mit dem schwachen Menschen abfinden, wie es Gott tut, der die Menschen immer wieder an sich zieht, ihnen immer wieder ihre Sünden vor Augen hält (v.a. durch das gebildete Gewissen!). Der moderne Trend, die eigene Schwachheit und Unzulänglichkeit als "so sein" ("ich bin wie ich bin") hinzunehmen und gar für Erstrebenswert zu halten, ist fatal (siehe dazu hier).
»Die Tatsache, daß manche Gläubige handeln, ohne die Lehren des Lehramtes zu befolgen, oder ein Verhalten zu Unrecht als sittlich richtig ansehen, das von ihren Hirten als dem Gesetz Gottes widersprechend erklärt worden ist, kann kein stichhaltiges Argument darstellen, um die Wahrheit der von der Kirche gelehrten sittlichen Normen zurückzuweisen.« (VS 112)
»Verständnis [für die Sünder] bedeutet niemals, den Maßstab von Gut und Böse aufs Spiel zu setzen und zu verfälschen, um ihn an die Umstände anzupassen. Während es menschlich ist, daß der Mensch, nachdem er gesündigt hat, seine Schwäche erkennt und wegen seiner Schuld um Erbarmen bittet, ist hingegen die Haltung eines Menschen, der seine Schwäche zum Kriterium der Wahrheit vom Guten macht, um sich von allein gerechtfertigt fühlen zu können, ohne es nötig zu haben, sich an Gott und seine Barmherzigkeit zu wenden, unannehmbar. Eine solche Haltung verdirbt die Sittlichkeit der gesamten Gesellschaft, weil sie lehrt, an der Objektivität des Sittengsetzes im allgemeinen könne gezweifelt und die Absolutheit der sittlichen Verbote hinsichtlich bestimmter menschlicher Handlungen könne geleugnet werden, was schließlich dazu führt, daß man sämtliche Werturteile durcheinanderbringt.« (VS 104) 
»"Es wäre ein schwerwiegender Irrtum, den Schluß zu ziehen..., die von der Kirche gelehrte Norm sei an sich nur ein 'Ideal', das dann, wie man sagt, den konkreten Möglichkeiten des Menschen angepaßt, angemessen und entsprechend abgestuft werden müsse: nach 'Abwägen der verschiedenen in Frage stehenden Güter'. [...]" [Zitat aus einer Ansprache des Papstes an die Teilnehmer eines Kurses über verantwortete Elternschaft, 1984, hier (VS 103)

Es sollte vielmehr jenes Diktum von Hannelore Frank gelten: "Ich möchte gern so sein, wie Gott mich haben will, weil er mich behandelt, als wäre ich es schon."


Aber natürlich: Wenn man schon die bloße Existenz der für alle gültigen Wahrheit (in Glaubens- und Sittenfragen!) leugnet, oder die von Christus garantierte Autorität der Kirche, uns über diese Wahrheit zu belehren, kann man nicht anders, als sein eigenes kleines inneres Stimmchen zum Maßstab für das zu machen, was "Wahrheit" ist. Der berühmte eigene Vogel, der für den Heiligen Geist gehalten wird. Christlich ist das nicht.

Der Mensch ist verpflichtet seinem Gewissen zu folgen. Aber im christlichen Verständnis kann das Gewissen nicht von sich aus darüber befinden, was objektiv "Gut" und was "Böse" ist, es kann nicht autark sein. Es muss vielmehr gebildet sein und stets hingeordnet auf die Wahrheit, auf das höchste Gut des Menschen, das sein Begreifen übersteigt. Das "Gewissen" kann nicht dafür hergenommen werden, das zu tun, was man will, oder was einem behagt. Wie für die Konzilsväter ein "Gewissen" undenkbar war, der nicht eng an die Vorgaben der kirchlichen Lehre gebunden(!) gewesen wäre, so ist leider heute das Gegenteil fest in den Köpfen verankert, nicht ohne das fleißige Zutun der Theologen der letzten Jahrzehnte. Diese Entwicklung ist nichts Geringeres als eine Katastrophe, die faktisch zur Auflösung der katholischen Moral geführt hat und gerade im so wichtigen Bereich der menschlichen Sexualität eine Angleichung an den Zeitgeist zum obersten Ziel hat werden lassen. Nicht selten schämt man sich geradezu dafür, dass "die Kirche" immer noch an überkommenen ("unmenschlichen") Moralvorstellungen festhält... Wobei man i.d.R. keine Ahnung davon hat. Wer etwa eine "repressive Sexualmoral" beklagt, hat offenbar den Schuss nicht gehört  (Theologie des Leibes!) und sollte sich was schämen!
Aber hier meine ich eine viel grundlegendere Absage an die Kirche überhaupt erkennen zu müssen: Man will keine mit göttlicher Autorität ausgestattete Kirche, man beruft sich auf einen völlig entstellte Begriff von "Volk Gottes" und meint das darüber mit dem Zweiten Vaticanum begründen zu können. "Kirche" kommt nicht von "oben", ist nicht von Gott "autorisiert", sondern soll "von unten", vom Volk ausgehen... Demokratie, Volksabstimmung darüber, was "wahr" ist und was nicht. Aber das ist völlig abwegig! Es widerspricht allem, was uns die Bibel über das Verhältnis Gottes zu uns Menschen aufzeigt. Das Konzil hat keineswegs die Vollmacht der Kirche autoritativ zu lehren verworfen, sondern es hat sie neu eingeschärft! Sich der kirchlichen Morallehre zu versagen bedeutet nichts anderes, als sich der Kirche zu versagen... und was heißt das? "Wer die Kirche nicht zur Mutter hat, kann Gott nicht zum Vater haben." (Cyprian von Karthago)
Man hat sich mit diesem falschen Begriff von "Gewissen" so sehr angefreundet, weil der natürlich ungemein bequem ist. Der kirchlichen Lehre und den Geboten Gottes treu zu sein ist eine tägliche Herausforderung - ein Opfer - und nie leicht. Darum wird man auch einen Teufel tun, diesen Irrweg wieder zu verlassen. Es ist doch so einfach, und man kann sich des Rückhalts der Gesellschaft und der Medien sicher sein.

Es geht natürlich nicht darum, dass nur der ein "echter Katholik" ist, der in allem dem kirchlichen (und also göttlichen!) Anspruch gerecht wird. Aber zumindest das Bestreben, dem zu entsprechen, der Wille, diesen göttlichen Willen, diese Gesetze und Gebote anzunehmen, der zeichnet einen Katholiken aus. Das ist alles andere als leicht, aber, ich weiß das aus Erfahrung, es lohnt sich! Nicht nur im Blick auf das ewige Leben bei Gott, sondern schon im Hier und Jetzt. Als Christen sollten wir eigentlich wissen, dass jeder, der um des Namens Jesu willen seine eigene Bequemlichkeit und seine eigenen Wünsche aufgiebt, dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen wird. (vgl. Mt 19,29)
Scheitern tun wir alle an Gottes Gebot. Immer wieder. Es ist dies das Drama Isaraels mit seinem Gott und es ist das Drama jedes Christen seit es sie gibt. Darum gibt es die Buße. Unser Scheitern, s.o., kann aber nicht Maßstab sein. Die Welt ist "gefallen", sie ist immer auch "Finsternis"... uns an sie anzugleichen ist definitiv der falsche Weg.
Weil die Kirche heute Thomas von Aquin feiert, nun doch noch eine kleine biblische Betrachtung an der Hand des großen Heiligen. Thomas beschreibt in seinem Kommentar zum Johannesevangelium die Beziehung des Menschen zu Gott auf zweierlei Weise: Zum einen ist der Mensch "Freund" Gottes, zum anderen aber auch "Knecht" (vgl. die vielen Gleichnisreden Jesu, etwa in Lk 12). Das ist für Thomas kein Widerspruch, denn es handelt sich hier um einen anderen Begriff von Knecht, als in der Welt. Der Unterschied besteht gerade darin, dass wir wissen (können), was Gott von uns will. Er hat uns seinen Willen endgültig in Jesus Christus offenbart. "Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe." (Joh 15,15)
Das Knechtsein, das heißt: die Befolgung der Gebote Gottes, ist nicht die Vorbedingung für die Freundschaft, denn Gott "hat uns zuerst geliebt" (1Joh 4,19), sondern es ist die Erfüllung dieser Freundschaft: "Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete."  (Joh 15,14) Und: "Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten." (Joh 14,15)


So schneidend wie ein Prophet des Alten Bundes mahnt uns Papst Johannes Paul II.:
»Es ist nun dringend notwendig, daß die Christen die Eigenständigkeit ihres Glaubens und ihre Urteilskraft gegenüber der herrschenden, ja sich aufdrängenden Kultur wiederentdecken: »Denn einst wart ihr Finsternis - so belehrt uns der Apostel Paulus -, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor. Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf!... Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht töricht, sondern klug. Nutzt die Zeit, denn diese Tage sind böse« (Eph 8, 8-11.15-16; vgl. 1 Thess 5, 4-8).
Es ist dringend notwendig, das wahre Antlitz des christlichen Glaubens zurückzugewinnen und wieder bekannt zu machen; dies ist ja nicht lediglich eine Summe von Aussagen, die mit dem Verstand angenommen und bestätigt werden müssen. Er ist vielmehr eine gelebte Kenntnis von Christus, ein lebendiges Gedächtnis seiner Gebote, eine Wahrheit, die gelebt werden muß.« (VS 88)

Sonntag, 26. Januar 2014

Gehorsam...

Ester hat hier (klick) beiläufig etwas zum Thema Gehorsam geschrieben, was nicht so ganz einfach aufzudröseln ist. Weil das immer wieder kommt, mal ein paar unsystematische Worte zur Frage des Gehorsams.

Was ist eigentlich "katholisch" unter Gehorsam zu verstehen? Nach Adolphe Tanquerey: "Der Gehorsam ist eine sittliche, übernatürliche Tugend, die uns geneigt macht, unseren Willen dem der rechtmäßien Oberen als den Stellvertretern Gottes zu unterwerfen." 
Die Kirche ist, und das ist zu glauben (s.u.)!, hierarchisch strukturiert vom Herrn eingesetzt. Die rechtmäßigen Stellvertreter sind die Bischöfe, allen voran der Papst (Lk 10,16: "Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat"). 
Gehorsam heißt, ganz basal, alles das anzunehmen, was die Kirche uns vorlegt, v.a. natürlich den Glauben, den sie uns überliefert und verkündet. Ich erlebe es häfig, dass auch und gerade Theologiestudenten sich besonders schlau fühlen wenn sie meinen, sie könnten alles anzweifeln und "eine eigene Meinung" vertreten, solange es nicht ex cathedra verkündet wurde.

Zu sagen, Gehorsam gelte nur dem Papst gegenüber und sei nur zu entrichten "wenn er ex cathedra spricht" ist aber eine so dermaßen dumme Behauptung, dass ich mich in solchen Fällen immer total für meine Kommilitonen fremdschämen muss.
Zunächstmal muss man zwischen Glaubensgehorsam einerseits und Verstandes- bzw. Willensgehorsam andererseits unterscheiden. Sodann gilt es zu bedenken, dass jeder Gläubige auch seinem Bischof gegenüber gehorsam zu sein hat, selbst dann, wenn man nicht in der Diözese Rom residiert.

Glaubensgehorsam meint, dass  eine Lehre, die vom Lehramt der Kirche in Glaubens- oder Sittenfragen definitiv vorgelegt wurde, ohne Abspriche unwiderruflich zu halten ist, d.h. sie müssen geglaubt werden. Der Glaube ist eine Tugend. Dieser Gehorsam erstreckt sich sowohl auf Inhalte der Offenbarung (z.B. die Inhalte des Glaubensbekenntnisses), als auch auf so genannte "Sekundärobjekte", die das Lehramt als zum Schutz der göttlichen Offenbarung notwendig erachtet (z.B. die Unfehlbarkeit des Papstes oder der Vorbehalt der Priesterweihe für Männer). Bei diesen ist dann nicht die Rede davon, dass ein "Glauben" (credere) gefordert ist, sondern ein "festes Annahmen und Bewahren" (firmiter amplectenda ac retinenda).
Es gilt:
"Kraft göttlichen und katholischen Glaubens ist all das zu glauben, was im geschriebenen oder im überlieferten Wort Gottes als dem einen der Kirche anvertrauten Glaubensgut enthalten ist und zugleich als von Gott geoffenbart vorgelegt wird, sei es vom feierlichen Lehramt der Kirche, sei es von ihrem ordentlichen und allgemeinen Lehramt; das wird ja auch durch das gemeinsame Festhalten der Gläubigen unter der Führung des heiligen Lehramtes offenkundig gemacht; daher sind alle gehalten, diesen Glaubenswahrheiten entgegenstehende Lehren jedweder Art zu meiden." (c. 750 § 1.)

Für das was die Kirche sonst noch so authentisch lehrt, ist ein geringerer Grad an Zustimmung gefordert, nämlich der religiöse Verstandes- bzw. Willensgehorsam (religiosum intellectus et voluntatis obsequium). Hier geht es v.a. um Fragen der Moral (z.B. Empfängnisverhütung), wobei zu betonen ist, dass sich die Kirche zu allem äußern kann, was die menschliche Person und das Heil der Seelen betrifft (was im konkreten Fall "die menschliche Person und das Heil der Seelen betrifft", darüber entscheidet das Lehramt!).
Es ist wichtig zu wissen, dass die Rede vom "religiösen Gehorsam" ein nicht wenig historisch bedingtes Thema ist, das man kurz so einordnen kann: Nachdem die Unfehlbarkeit des Nachfolgers Petri am Ersten Vatikanischen Konzil verkündet wurde, geschah genau das, was nun auch Ester scheinbar annimmt (und mit ihr unzählige Gläubige quer über das ganze kirchenpolitische Spektrum): Plötzlich dachte man, dass nur solchen "unfehlbaren" Lehren der Gehorsam zu leisten sei, und alles andere, was die Kirche so lehrt, von nachrangiger Bedeutung, ja fast schon egal sei.
Bereits Pius IX. bemühte sich darum, klarzustellen, dass auch alle anderen verbindlichen Lehren (siehe Katechismus) die Unterwerfung des Gewissens verlangen. Diesen Lehren mögen nicht definitiv verkündet sein, sind aber nichts desto trotz autoritativ verkündet und also gültig. Das zweite Vatikanische Konzil hat das in aller Deutlichkeit dargelegt (v.a. LG 25).
Der "religiöse Gehorsam" heißt so, weil es hierbei nicht darum geht, ob ich eine Lehre intellektuell verstehe oder nachvollziehen kann. Diese Lehren gelten nicht, weil derjenige, der sie verkündet hat so klug argumentiert oder seine Position begründet; auch nicht, weil er besonders gebildet oder in der theologischen Fachwelt anerkannt ist, sondern weil derjenige, der sie verkündet von amtswegen das Charisma und die Vollmacht dazu hat. Hier ist die Tugend des Gehorsams entscheidend.
Es gilt:
"Nicht Glaubenszustimmung, wohl aber religiöser Verstandes- und Willensgehorsam ist einer Lehre entgegenzubringen, die der Papst oder das Bischofskollegium in Glaubens- oder Sittenfragen verkündigen, wann immer sie ihr authentisches Lehramt ausüben, auch wenn sie diese Lehre nicht definitiv als verpflichtend zu verkünden beabsichtigen; die Gläubigen müssen also sorgsam meiden, was ihr nicht entspricht." (c. 752 CIC)

Im Grunde heißt das, dass ein Katholik allem was der KKK vorlegt mit Verstand und Wille anhangen soll, aber nicht alles davon muss er auch im Tiefsten seines Herzens glauben.

Dass der Papst ex cathedra spricht ist außerordentlich selten. Der Gehorsam ist aber dem authentischen Lehramt immer zu leisten. Dem Papst wie auch dem eigenen Bischof (in seiner Zuständigkeit) gegenüber.

Montag, 20. Januar 2014

Warum Humanae Vitae?

Nachdem ich diesen (klick) schönen Beitrag beim Frischen Wind gelesen hatte, musste ich einfach auch mal etwas ins Wort bringen, was mir schon länger unter den Nägeln brennt. 
Ein Versuch, es in Worte zu fassen.

Man wird seit der veröffentlichung von Humanae Vitae von kritischer Seite aus nicht müde herauszustellen, dass die Paul VI. beratende Kommission, bestehend aus Experten aus Medizin, Biologie, Theologie etc., dem Papst die Freigabe der künstlichen Empfängnisregelung angeraten hat. Weswegen man zuweilen auch von einer Absage an die Naturwissenschaft als solche und gar von einem "zweiten Fall Galilei" sprach. Paul VI. habe sich gegen die anerkannte Wissenschaft gewendet (sieh den oben verlinkten Beitrag).

Nun, wenn man sich mal anschaut, was jene Expertenkommission dem Papst empfohlen hat und v.a. wie sie dies begründet, wird vllt. verständlicher, wieso der Papst so entscheiden hat, wie er es tat, und warum wir dafür dankbar sein sollten. Das Dokument enthält einige durchaus sehr richtige Ausführungen über die veränderte und nach neuen Antworten heischende Situation der Zeit (auf die ja dann Paul VI. in seiner Enzyklika auch eingeht!) und bemüht sich auch um eine Verortung in der Lehrtradition der Kirche. Jedoch, man kann an einigen zentralen Stellen kaum anders als sich zu wundern...
(Das originale lateinische Dokument habe ich im Netz nur an einer Stelle gefunden, nämlich hier. Achtung: großes PDF-File; das eigentliche Schlussdokument "Schema documenti de responsabili paternitate" findet sich am Ende, ab Seite 76. Auf Deutsch hab ich noch niergends mehr als einige Fragmente von dem Dokument gefunden... drum muss eine eigene Übersetzung herhalten.)

»Die Gründe für diese Bejahung [der künstlichen Empfängnisregelung] sind vielfältig: Soziale Veränderungen in Ehe und Familie; besonders im Hinblick auf die Rolle der Frau; ein Sinken der Kindersterblichkeit; neue Erkenntnisse in Biologie, Psychologie, Sexualwissenschaft und Demographie; eine veränderte Bewertung des Wertes und der Bedeutung der menschlichen Geschlechtlichkeit und der ehelichen Beziehungen; vor allem aber [maxime vero] ein besseres Verständnis von der Pflicht des Menschen, die Natur zu humanisieren und zu größerer Vollkommenheit für das menschliche Leben zu bringen.«

Das "vor allem" ist interessant: Die "Pflicht des Menschen, die Natur zu humanisieren". Das scheint ja das wichtigste Argument zu sein... was hat es damit auf sich?
Mal ganz abgesehen davon, dass "Humanisierung der Natur" ein kommunistisches (marx'sches) Diktum ist, sollte es doch aufhorchen lassen: Worum es hier nämlich geht, ist eine Beherrschung der Natur, die alles andere ist als eine Achtung vor der Natur, sondern ihre Dienstbarmachung und Unterwerfung meint.
Es verwundert andererseits, dass, als es um die Kriterien für eine rechte Familienplanung geht, davon die Rede ist, dass die gewählte Verhütungsmethode "der Natur der Person entsprechen" müsse (ut actio correspondeat naturae personae)... also doch keine Humanisierung der Natur? Entweder waren die Autoren einfach nachlässig in ihrer Gedankenführung, oder hier werden absichtlich die Dinge durcheinander geworfen.

Wie das mit der "Humanisierung der Natur" zu verstehen ist, wird vielleicht einsichtig, wenn wir in den Blick nehmen, was in der Einleitung des Dokuments mit Berufung auf die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et Spes, gesagt wird: 
»Gott gab, als er die Welt schuf, dem Menschen die Macht und den Auftrag, diese Welt im Geist und in der Freiheit zu gestalten und mittels der ihm gegebenen Fähigkeiten seine eigene Natur zu formen. In seinem Wort ist Gott selbst, als erste wirkende Ursache, in der gesamten Entwicklung der Welt und des Menschen in der Geschichte anwesend und wirksam. Die Geschichte Gottes und des Menschen muss demnach als ein gemeinsames Werk [opus commune] gesehen werden. Auch der gewaltige Fortschritt bei der Kontrolle der Materie durch technischen Mittel [dominium materiae mediis technicis obtentum], sowie die universelle und totale "Interkommunikation", die erreicht wurde, entsprechen völlig den göttlichen Dekreten [ut tales decretis divinis omnino correspondent]. (vgl. Gaudium es Spes I,3 [= GS 33-39])«

Das technisch Machbare wird von dieser Expertenkommission offenbar generell als gottgefällig und also als das Erstrebenswerte und Gute betrachtet. Mit so einer Argumentation ließe sich m.E. aber auch die Erschaffung von "Designer-Babys" wunderbar rechtfertigen... Wäre das nicht der ultimative Ausdruck der menschlichen "Fähigkeiten seine eigene Natur zu formen" und mittels der "Kontrolle der Materie durch technischen Mittel" hin zu "größerer Vollkommenheit für das menschliche Leben" zu gelangen?
Was das Konzil sagt, und was hier fehlt, ist dies: "Je mehr aber die Macht der Menschen wächst, desto mehr weitet sich ihre Verantwortung" (GS 34)

Ich habe mit diesem ganzen Text v.a. ein ganz gewaltiges Problem. Soweit ich das sehen kann, fehlt nämlich der Gottesbezug des konkreten menschlichen Handelns! Zwar wird von Gottes wirkender Anwesenheit in der Geschichte gesprochen, sowie vom (Schöpfungs-)Auftrag Gottes etc., aber davon, dass das, was der Mensch mit den ihm gegebenen Fähigkeiten und Aufträgen konkret tut, wiederum auf Gott ausgerichtet sein muss, ist nicht die Rede. Da herrscht eine bemerkenswerte Horizontalität der Perspektive.

Anders heißt es etwa in GS 34, worauf sich der Text u.a. beziehen will:

»Eines steht für die Glaubenden fest: das persönliche und gemeinsame menschliche Schaffen, dieses gewaltige Bemühen der Menschen im Lauf der Jahrhunderte, ihre Lebensbedingungen stets zu verbessern, entspricht als solches der Absicht Gottes. Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren (vgl. Gen 1,26-27; 9,3; Weish 9,3)  und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so daß alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde (vgl. Ps 8,7.10).«

Hier ist sehr deutlich zu erkennen, worum es bei allem menschlichen Schaffen gehen soll: Gerechtigkeit, Heiligkeit und die Anerkennung Gottes. Es ist dies keine Ökoromantik, sondern eine Konsequenz des Schöpfungsglaubens. Im Vierten Hochgebet ist das so ausgedrückt: "Den Menschen hast du nach deinem Bild geschaffen und ihm die Sorge für die ganze Welt anvertraut. Über alle geschöpfe sollte er herrschen und allein dir seinem Schöpfer dienen." Der Herrscherauftrag an den Menschen befreit ihn wie beiläufig von jedem Aberglauben und ermöglicht dem Menschen, gerade in seiner Überordnung über die sonstige Schöpfung, die freie und wahrhaftige Verehrung Gottes. Aber zugleich resultiert hieraus auch eine Verantwortung, und die betrifft nicht nur die Ökologie der Natur in der wir leben, sondern, wie es Papst Benedikt in seiner Rede 2011 im Bundestag herausstellte, auch die "Ökologie des Menschen". Die Herrschaft des Menschen über die Schöpfung und besonders über seine eigene von Gott gegebene Natur, muss in Gerechtigkeit und Heiligkeit geschehen, d.h. sie muss Gottes Geboten entsprechen (Gerechtigkeit) und sie muss Gottes Plan zur Heimführung der (neuen) Schöpfung in seine Ewigkeit dienen (Heiligkeit). Letztlich muss alles Tun Gott zum Ziel haben. Jeder Eingriff in die Schöpfung, auch in die Fruchtbarkeit des Menschen, muss im Blick auf Gott und seinen Schöpferwillen geschehen. Wiederum aus dem Abschnitt von Gaudium es Spes, auf den sich die "Experten" beziehen möchten:
»Richtschnur für das menschliche Schaffen ist daher, daß es gemäß dem Plan und Willen Gottes mit dem echten Wohl [genuino bono] der Menschheit übereinstimme und dem Menschen als Einzelwesen und als Glied der Gesellschaft gestatte, seiner ganzen Berufung nachzukommen und sie zu erfüllen.« (GS 35)

Im Text jener Expertenkommission fehlt dieser Aspekt. Wie man bei der Lektüre überhaupt den Eindruck hat, Gott würde nurmehr alibihalber auftauchen als der, der am Ende alles gutheißt. So heißt es gegen Ende des Kapitels, das ausgerechnet mit "Objektive moralische Kriterien" überschrieben ist: 

»Gut informiert und wohl als Christen unterwiesen, werden sie [die Eheleute] klar und umsichtig entscheiden [prudenter ac serene iudicant] was, ohne dass es ihre eigene christliche Vervollkommnung hindert, wahrhaft gut ist für ihre Partnerschaft und ihre Kinder, und was folglich von Gott für sie vorgelegt wurde durch die Gesetze der Natur und die christliche Offenbarung [quid in hac re ipsorum... vere prosit, quid ergo Deus... illis agendum proponat]

Gegen das Wohl des Paares und der Kinder ist ja nichts zu sagen. Auch die Eigenverantwortung ist wichtig (s.u.) Aber: Mein Latein ist etwas rostig, aber mir scheint die Reihenfolge doch so geschildert: Was Gott bestimmt hat, ist laut diesem Dokument daran erkennbar, was die Eheleute selbst, aufgrund ihrer Bildung, als Gut für sich und ihre Kinder erkennen. Der Spieß wird hier also, wie es heute leider gang und gäbe ist, einfach umgedreht (vgl. dazu hier JPII). Oder hab ich das falsch verstanden?
Naja, das würde jedenfalls zu dem Satz passen, der unmittelbar auf den ersten zitierten Abschnitt folgt und einen weiteren "Grund" für die Freigabe der künstlichen Empfängnisregelung gibt. Dort heißt es:
»Zudem muss der religiöse Sinn der Gläubigen [sensus fidelium] berücksichtigt werden: Ihm zufolge kann die Verurteilung [condemnatio] eines Paares zu lang anhaltender und oft heroischer Abstinenz als Mittel zur Empfängnisregelung nicht auf die Wahrheit gegründet werden [in veritate fundari non potest]

Hier wird mal eben locker flockig der sensus fidelium der Gläubigen festgestellt als ein solcher, der einem Verbot künstlicher Empfängnisregelung jede Substanz an Wahrheit abspricht (zum sensus fidelium, siehe hier). Krass. Welches Erhebungsverfahren da wohl angewandt wurde, um das festzustellen?

Man hat den Eindruck, dass das Dokument im Grunde von einer Situation ausgeht, in der alle Gläubigen hoch gebildet und geradezu weise Entscheidungen auf salomonischem Niveau zu fällen im Stande sind. Das ist die bekannte nachkonziliare allgemeine Erleuchtung, als sich jeder als mit päpstlichen Vollmachten versehen betrachtete ("Volk Gottes" statt "Hierarchie"). Dem ist aber nicht so. Eitelkeit, Bosheit und Lässigkeit sind unausrottbar. Die Erfahrung lehrt, dass das Gros der Leute den bequemen Weg wählt. Das ist beispielsweise dadurch evident, dass gerade bei Kirchens eine jede Ausnahmeregelung, die ein Mehr an Prestige oder Selbstverwirklichung oder, eben, Bequemlichkeit bringt, ziemlich schnell und großflächig zur Regel mutiert (siehe dazu hier). Es funktioniert einfach nicht, weil wir alle Sünder sind. Zwar lässt die Expertenkommission auch die Erbsünde nicht unerwähnt, aber eher marginal. (Zum von der Sünde verderbten menschlichen Schaffen siehe Gaudium et Spes Nr. 37.)
Würde man präzise Ausnahmefälle definieren, in denen der Einzelne seine Gewissensentscheidung über das Lehramt stellen darf, würde die je eigene Meinung für jeden zum neuen Superdogma (zum heute gängigen und schlichtweg falschen Gewissensbegriff, siehe hier). Wir erleben das ja tagtäglich, und auch die Freiburger Handreichung  geht so vor. 

Aber halt, hatte nicht auch das Zweite Vatikanische Konzil gesagt (und die Experten zitieren dies auch): 
»Daher müssen sie in menschlicher und christlicher Verantwortlichkeit ihre Aufgabe erfüllen und in einer auf Gott hinhörenden Ehrfurcht durch gemeinsame Überlegung versuchen, sich ein sachgerechtes Urteil zu bilden. Hierbei müssen sie auf ihr eigenes Wohl wie auf das ihrer Kinder - der schon geborenen oder zu erwartenden - achten; sie müssen die materiellen und geistigen Verhältnisse der Zeit und ihres Lebens zu erkennen suchen und schließlich auch das Wohl der Gesamtfamilie, der weltlichen Gesellschaft und der Kirche berücksichtigen. Dieses Urteil müssen im Angesicht Gottes die Eheleute letztlich selbst fällen« (GS 50)?

Ja, Aber auch der sich daran anschließende Satz ist wichtig: 
»In ihrem ganzen Verhalten seien sich die christlichen Gatten bewußt, daß sie nicht nach eigener Willkür vorgehen können; sie müssen sich vielmehr leiten lassen von einem Gewissen, das sich auszurichten hat am göttlichen Gesetz; sie müssen hören auf das Lehramt der Kirche, das dieses göttliche Gesetz im Licht des Evangeliums authentisch auslegt.«

Es ist ein Spagat. Wie üblich, ist die Verantwortung des Einzelnen nicht zu trennen vom authentischen Lehramt der Kirche. Dass ein Gewissen gebildet und belehrt werden kann und muss, ist ja heute niemandem mehr bekannt. Umso wichtiger, das wieder klar zu bekommen. Wer dann, wenn er sein Gewissen gebildet und die Lehre der Kirche wirklich kennengelernt hat, anders entscheidet, der soll dies tun.
Wer aber die kirchliche Lehre nicht einmal kennt (wie nun auch der vatikanische Fragebogen gezeigt hat, ist das der Normalfall; herzlichen Dank an die Professoren und Seelsorger der letzten Jahrzehnte!), der ist doch offensichtlich überhaupt nicht in der Lage, das viel beschworene "(vor Gott und der Kirche/den Menschen) verantwortete Gewissensurteil" zu bilden. Insofern zerstört das Ergebnis der vatikanischen Befragung die Grundfeste dessen, wofür die Freiburger Handreichung exemplarisch steht. Aber natürlich werden die wenigen, denen das auffällt, schön die Klappe halten... schließlich möchte niemand der Spielverderber sein.
 


Paul VI. geht in seiner Enzyklika auf einige der hier aus dem Text der Expertenkommission gezogenen Punkte ein. So fragt er: "Wäre es nicht angebracht... die heute geltenden Sittlichen Normen zu überprüfen? Zumal, wenn man erwägt, dass diese unter Umständen nur unter heroischen Opfern befolgt werden können?"
Auch die Spannung zwischen "Vernunft und freier Entscheidung" auf der einen, und "gewissen biologischen Regelmäßigkeiten" auf der Anderen Seite, ist ihm nicht unbekannt.

Ich muss gestehen, dass mich die Antworten, die Papst Paul VI. darauf versucht, nicht vollends überzeugen (was mich nicht daran hindert, die kirchliche Lehre, die ja längst nicht nur in HV festgelegt ist, zu akzeptieren). Aber das ist vllt. ein Thema für einen späteren Eintrag. Dass Paul VI. nicht den Empfehlungen der Kommission gefolgt ist, von denen einige, wie er selbst schreibt, "von der Ehemoral, wie sie vom kirchlichen Lehramt bestimmt und beständig vorgelegt wurde, abweichen", ist zweifelsohne zu begrüßen. Einiges von dem, was die Kommission empfohlen hat, und was Paul VI. abgelehnt hat, ist nämlich nichts anderes als das, was heute in der Moraltheologie Alltag ist. Nichts Neues unter der Sonne.


Warum Humanae Vitae? Darum:
»Man weist ja mit Recht darauf hin, daß ein dem Partner aufgenötigter Verkehr, der weder auf sein Befinden noch auf seine berechtigten Wünsche Rücksicht nimmt, kein wahrer Akt der Liebe ist, daß solche Handlungsweise vielmehr dem widerspricht, was mit Recht die sittliche Ordnung für das Verhältnis der beiden Gatten zueinander verlangt. Ebenso muß man dann auch, wenn man darüber nachdenkt, zugeben: Ein Akt gegenseitiger Liebe widerspricht dem göttlichen Plan, nach dem die Ehe entworfen ist, und dem Willen des ersten Urhebers menschlichen Lebens, wenn er der vom Schöpfergott in ihn nach besonderen Gesetzen hineingelegten Eignung, zur Weckung neuen Lebens beizutragen, abträglich ist. Wenn jemand daher einerseits Gottes Gabe genießt und anderseits - wenn auch nur teilweise - Sinn und Ziel dieser Gabe ausschließt, handelt er somit im Widerspruch zur Natur des Mannes und der Frau und deren inniger Verbundenheit; er stellt sich damit gegen Gottes Plan und heiligen Willen. Wer das Geschenk ehelicher Liebe genießt und sich dabei an die Zeugungsgesetze hält, der verhält sich nicht, als wäre er Herr über die Quellen des Lebens, sondern er stellt sich vielmehr in den Dienst des auf den Schöpfer zurückgehenden Planes.« (Humanae Vitae 13)