Samstag, 21. Juli 2012

"Evolution" und Emotionen


Es kam einiges an Rückmeldungen zu meinem Eintrag bezüglich der logisch sinnfreien Behauptung, Evolution sei "nur eine Theorie" (auch sei auf die Frage nach Evolution an Schulen hingewiesen; es sei schließlich auch auf den tag "evolution" aufmerksam gemacht, der uns hier weiter begleiten wird).
Das Thema ist recht komplex und zugleich sehr grundlegend und hat exemplarischen Charakter für das Verhältnis von Wissenschaft und Glaube. Weshalb ich wohl noch einige weitere Einträge dazu schreiben werde... Fragen sind erwünscht (intelligent, sinnvoll und ernst gemeint sollten sie sein und nicht einfach mit Google und Wikipedia zu beantworten!). Bei konkreten Fragen ("wie hat sich XYZ entwickelt" etc.) bitte ich um Verständnis: nicht ohne Grund gibt es darüber ganze Bibliotheken an Büchern... das ist in etwa so, als würde man fragen "wie ist die Bibel entstanden"... es ist einfach sehr komplex und schwerlich etwas, was man in einem Blogeintrag abhandelt... und wenn, dann nur äußerst fragmentarisch und vereinfach.

Es wird mir in diesem und den folgenden Beiträgen auch nicht darum gehen, "Beweise" für die Evolution vorzulegen, denn das ist insofern eine recht überflüssige Tätigkeit, da es sich hierbei schlicht um ein Faktum handelt; Evolution ist ständig Gegenstand und Voraussetzung einer ganzen Wissenschaft! Man kann es natürlich tun, nichts leichter als das, aber es ist müßig... Oder wie viel Spaß würde es wohl machen, "Beweise" für die Gravitation zusammen zu tragen?
Es wird mir v.a. um ein Verständnis davon gehen, was Evolution ist (und was nicht). Ohne das wäre das Vorbringen auch noch so vieler "Beweise" völlig sinnlos.

Das Problem ist, und damit sind wir beim Thema dieses Eintrags, dass der Begriff(!) "Evolution" politisch, religiös und emotional extrem aufgeladen ist. Dies hat vielfältige Gründe, die sich aber m.E. auf nur einen Satz einkochen lassen: Es  besteht in manchen (religiösen wie atheistischen) Köpfen bis heute der Gedanke, es gäbe einen Widerspruch zwischen den Begriffen "Schöpfung" und "Evolution" bzw. dem, was sie bezeichnen.

Das Empfinden dieser Begrifflichkeiten als widersprüchlich ist im Grunde aber nur ein Hinweis darauf, dass der Betroffene von mindestens einem der Begriffe nicht weiß, was er bezeichnet. Das behaupte ich nicht einfach, das habe zur Genüge erlebt - auf beiden Seiten des Spektrums -, wobei nicht immer das Offensichtliche zutrifft: Es gibt auch Christen die eine völlig verquere Vorstellung von "Schöpfung" haben, und es gibt viele Atheisten die keine Ahnung haben, was "Evolution" eigentlich ist: der wirkliche Graben verläuft zwischen denen mit wissenschaftlicher und/oder religiöser Bildung und denen ohne! Wem eins von beiden fehlt, kann in dieser Frage schwerlich qualifiziert (d.h. über Stammtischniveau) urteilen. [Was bei Fragen der Juristerei oder der Wirtschasft zutrifft, trifft eben erst recht auf die Wissenschaften und auf die Religion zu, und common sense ist nicht immer ein guter Ratgeber!]
Es gibt durch Unbildung und Dummheit hervorgerufene Ideologien und Fundfamentalismen sowohl bei den Wissenschaftlern wie bei den Religiösen... ich kann darüber nur den Kopf schütteln.

Ich hatte bereits erwähnt, dass Evolution ein allen Lebewesen so immanentes Prinzip ist wie es etwa auch das Wachstum ist. Und tatsächlich ist das Verständnis der Evolution (einer bestimmten Spezies und allgemein) für das Verständnis, warum eine Spezies so beschaffen ist, wie sie beschaffen ist in gleicher Weise wichtig, wie für das Verständnis der Beschaffenheit eines Individuums das Verständnis der Entwicklung (dieses Individuums und allgemein). Beides, Entwicklung und Evolution, ist nicht zu trennen. ("Entwicklung" meint: die Entwicklung von der Eizelle bis zum fertigen Organismus. Man beachte die Unterscheidung: "Entwicklung", engl. development; und "Evolution", engl. evolution.) Nicht ohne Grund hat seit 30 Jahren ein Gebiet der Biologie mehr und mehr an Bedeutung gewonnen: die Evolutionäre Entwicklungsbiologie (evolutionary and developmental biology - Evo-Devo). Dazu ein ander Mal mehr.

Zurück zum Thema: Dass der Begriff "Evolution" so derart emotional aufgeladen ist, ist sehr traurig, denn das versperrt den Weg zu wirklichem Verständnis und ist eigentlich völlig überflüssig. Es ist ähnlich wie mit dem Heliozentrismus, der anfangs auch emotionale Reaktionen auslöste (Freuds "Kränkungen" haben durchaus was für sich!), bis man einsah, dass man sich dem vernünftigerweise nicht mehr verschließen kann. (Es gibt übrigens noch heute Menschen, die meinen, das Universum drehe sich um die Erde... es gibt sogar eine "Flat Earth Society" und sie haben sogar eine Homepage!!!).

Die Tatsache der Evolution ist für die Biologie so grundlegend wie die Tatsache von Raum und Zeit für die Physik: Alle Biologie, alles Leben (gr. bios) spielt sich in einem Nexus der ständigen (kleinen und großen, schnellen oder langsamen) Veränderung ab; alles Leben hängt zusammen, ist de facto verwandt! Das ist einfach so, das kann man auch nicht wegwünschen. Unser Verständnis dieser Wirklichkeit mag sich in Zukunft verändern (wohmöglich sogar drastisch, ähnlich wie man bis Einsteins Relativitätstheorie dachte, Raum und Zeit wären absolute Größen), wie es das in der Vergangenheit übrigens auch schon mehrmals getan hat!, aber das ändert nichts an der Wirklichkeit.

Theodosius Dobzhansky († 1975) war einer der ganz Großen. Er gilt als einer der Begründer der synthetischen Theorie der Evolution (was man profan als "die Evolutionstheorie" bezeichnet ist tatsächlich eine Synthese aus Darwins Theorie der Natürlichen Selektion und der Genetik nach Gregor Mendel). Von ihm stammt der uneingeschränkt gültige Satz: 
»Nothing in Biology makes sense, except in the light of Evolution.«
(Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, außer wenn es im Lichte der Evolution betrachtet wird.) Übrigens war Dobzhansky zeitlebens ein tief gläubiger orthodoxer Christ.

Ich möchte alle meine Leser, die diese kleine(?) Serie begleiten möchten, dazu ermutigen, alle emotionale Behaftung (d.h. alle Ideologie!) einmal testweise abzulegen und einfach mal zumindest so zu tun, als sei Evolution einfach nur dies: ein völlig wert- und weltanschaulich neutrales Naturphänomen wie unzählige andere auch. Denn genau das ist sie, versprochen!



To be continued...

5 Kommentare:

  1. Interessant! Freue mich schon auf die (kleine) Serie!

    LG, Ihr Josef Bordat

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  2. Was mir nach wie vor unklar bleibt: Wie genau verstehst Du "Fakt[um]"? Was meinst Du, wenn Du von "Wirklichkeit" sprichst?

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    1. Nimm eine Hantel, lass sie auf deinen Fuß fallen.
      Bei diesem Vorgang sind mehrerre Dinge passiert, die ich als Fakt bezeichnen würde: Die Hantel wurde von der Schwerkraft zu Boden gezogen, von deinem Fuß bzw. dem Boden abbrupt abgebremst und Nerven die von deinem Fuß über dein Rückenmark in dein Gehirn gehen, haben dich über diesen Abbremsvorgang informiert in Form eines Schmerzreizes.
      Mit Wittgenstein: "Die Welt ist alles, was der Fall ist."
      Alles was Teil der Natur ist, was in ihr existiert und direkt oder indirekt Gegenstand von Beobachtung und Messung sein kann (Gegenstände wie Vorgänge), ist für mich ein Fakt(um).

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    2. Wenn Du von "Fakt[um]" oder "Tatsache" sprichst, meinst Du das also (wie im anderen Post bei "Wissenschaft") nur im naturwissenschaftlichen Sinne und siehst methodisch davon ab, daß es auch andere Zugangsweisen zur Wirklichkeit gibt, in denen diese Begriffe auch anders gefüllt werden können? Dann wäre der Verständnisfehler die ganze Zeit allein in meinem Kopf gewesen.

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    3. Ähm. Ja, genau! Thema beachten!!
      In dieser "kleinen Serie" geht es mir ausschließlich um Sinn, Gehalt und Methode der Naturwissenschaft, speziell derjenigen, die sich mit der biologischen Evolution befasst. Die Naturwissenschaft ist PER DEFINITION naturalistisch (nicht materialistisch und nur mittelbar agnostisch) und befasst sich folglich nur mit DIESEM Zugang zur Wirklichkeit den ich beschrieben habe.
      Was ich denke, meine und glaube, was es noch an weiteren Zugängen zur Wirklichkeit gibt, bzw., was jenseits der Natur (des Geschaffenen) noch an Wirklichkeit existiert, ist dabei unerheblich.
      Wissenschaft unterliegt dem methodischen Zwang, immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit zu betrachten (schlicht und ergreifend deshalb, weil die Wirklichkeit als Ganze zu komplex ist). Aber noch bevor diese Zergliederung stattfindet, ist die Naturwissenschaft bereits (a priori!) auf das empirische, kausale, "materielle" beschränkt. Sie KANN nicht anders.

      Das wird voraussichtlich das nächste Mal auch Thema sein.

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Ich freue mich über Meinungen, (sinnvolles) Feedback und Hinweise aller Art. Fragen sind auch immer willkommen, eine Garantie ihrer Beantwortung kann ich freilich nicht geben. Nonsens (z.B. Verschwörungstheorien, atheistisches Geblubber und Esoterik) wird gelöscht. Trolle finden hier keine Nahrung.