Sonntag, 9. März 2014

Mach sie satt!

Ilya Repin - Die Versuchung Christi
In diesen unruhigen Zeiten, da manche fürchten und andere hoffen, dass sich die kirchliche Lehre an entscheidenden Punkten ändert, fühle ich mich mehr als sonst an Dostojewskis Großinquisitor erinnert.
Jene Forderungen, die Gebote zu lockern, dem Zeitgeist sich anzupassen ("das kann man doch heute nicht mehr sagen/fordern"), erinnern mich frappierend an das "Mach sie satt!" des Inquisitors; die unverbindlichen Gebote nach Wunsch sind das Brot, das Jesus nicht zu geben bereit war... und die göttlichen Gebote selbst sind die wahre Freiheit, die für die Welt bloß anstrengend und belastend, ansonsten aber "leer" erscheinen... Und wie das Brot, so wird auch die Laxheit letztlich nie Bestand haben, sondern nur den Abrgund näher bringen.
"Je mehr man das Gute tut, desto freier wird man. Wahre Freiheit gibt es nur im Dienst des Guten und der Gerechtigkeit. Die Entscheidung zum Ungehorsam und zum Bösen ist ein Mißbrauch der Freiheit und macht zum Sklaven der Sünde." (KKK 1733)

Der Großinquisitor spricht zu Jesus:

»Entscheide selbst, wer recht hatte: Du oder jener, der dich damals fragte. Erinnere dich an die erste Frage! Wenn sie auch nicht buchstäblich so lautete, ihr Sinn war doch folgender: ›Du willst in die Welt gehen und gehst mit leeren Händen, mit einem Versprechen von Freiheit, das sie in ihrer Einfalt und angeborenen Schlechtigkeit nicht einmal begreifen können, das ihnen Furcht und Schrecken einflößt – denn nichts ist jemals für den Menschen und für die menschliche Gesellschaft unerträglicher gewesen als Freiheit! Aber siehst du die Steine hier in dieser nackten, glühenden Wüste? Verwandle sie in Brot, und die Menschheit wird dir wie eine Herde nachlaufen, dankbar und gehorsam, wenn auch in steten Zittern, du könntest deine Hand von ihnen nehmen, und es hätte dann mit deinen Broten für sie ein Ende!‹ Du wolltest den Menschen nicht der Freiheit berauben und verschmähtest den Vorschlag. Denn was ist das für eine Freiheit, so urteiltest du, wenn der Gehorsam durch Brot erkauft wird? Du erwidertest, der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Weißt du jedoch, daß sich der Geist der Erde im Namen dieses Brotes gegen dich erheben und dich besiegen wird, daß alle ihm folgen werden mit dem Ruf: ›Wer tut es diesem Tier gleich? Es gab uns das Feuer vom Himmel!‹ Weißt du auch, daß die Menschheit nach Jahrhunderten durch den Mund ihrer Weisen und Gelehrten verkünden wird, es gebe kein Verbrechen und folglich auch keine Sünde, sondern es gebe nur Hungrige? Mach sie satt, und verlang erst dann von ihnen Tugend – dies werden sie auf ihr Banner schreiben, das sie gegen dich erheben und durch das sie deinen Tempel stürzen werden. Anstelle deines Tempels wird man einen neuen Bau aufführen. Erheben wird sich erneut ein furchtbarer Turm von Babylon, und obgleich der ebensowenig wie der frühere zu Ende gebaut werden dürfte, hättest du ihn doch vermeiden und die Leiden der Menschen um tausend Jahre verkürzen können!
Zu uns nämlich kommen sie, wenn sie sich tausend Jahre mit ihrem Turm abgequält haben. Sie werden uns wieder unter der Erde suchen, in den Katakomben, in denen wir uns verborgen halten, denn wir werden wieder verfolgt und gemartert sein. Sie werden uns finden und uns zurufen: Macht uns satt! Die uns das Feuer vom Himmel versprachen, haben es uns nicht gegeben ... Und dann werden wir auch ihren Turm zu Ende bauen, denn zu Ende bauen wird ihn, wer sie satt macht. Satt machen aber werden nur wir sie, und wir werden lügen, es geschehe in deinem Namen. Oh, niemals werden sie ohne uns satt werden! Keine Wissenschaft wird ihnen Brot geben, solange sie frei bleiben – und enden wird es damit, daß sie uns ihre Freiheit zu Füßen legen und sagen: Knechtet uns lieber, aber macht uns satt! Sie werden schließlich selbst begreifen, daß Freiheit und reichlich Brot für alle zusammen nicht denkbar ist, denn niemals, niemals werden sie imstande sein, untereinander zu teilen! Sie werden auch zu der Überzeugung gelangen, daß sie niemals frei sein können, weil sie schwach, lasterhaft, bedeutungslos und rebellisch sind. Du versprachst ihnen himmlisches Brot, doch ich wiederhole: Läßt sich das in den Augen des schwachen, ewig lasterhaften und ewig undankbaren Menschengeschlechts mit dem irdischen Brot vergleichen? Und wenn dir um des himmlischen Brotes willen Tausende und aber Tausende nachfolgen, was wird dann aus den Millionen und aber Millionen jener Wesen, die nicht die Kraft haben, das irdische Brot um des himmlischen willen geringzuschätzen? Oder sind dir nur die Tausende von Großen und Starken teuer, und sollen die übrigen Millionen, zahlreich wie Sand am Meer, die Schwachen, die dich lieben, nur als Material für die Großen und Starken dienen? Nein, uns sind auch die Schwachen teuer. Sie sind lasterhaft und rebellisch, schließlich aber werden auch sie gehorsam werden. Sie werden uns anstaunen und für Götter halten, weil wir uns an ihre Spitze stellen, bereit, die Freiheit zu ertragen, vor der sie Angst haben, und über sie zu herrschen, – so schrecklich wird es ihnen schließlich vorkommen, frei zu sein. Aber wir werden sagen, wir seien dir gehorsam und herrschen in deinem Namen. Wir werden sie wieder täuschen, denn dich werden wir nicht mehr zu uns lassen. In dieser Täuschung wird jedoch auch unser Leiden liegen; denn wir werden gezwungen sein zu lügen. Das also hatte diese erste Frage in der Wüste zu bedeuten.
Das verschmähtest du um der Freiheit willen, die du höher stelltest als alles andere. Es lag in dieser Frage das große Geheimnis der Welt beschlossen. Hättest du das ›Brot‹ angenommen, so hättest du damit einem allgemeinen und ewigen menschlichen Sehnen entsprochen, dem Sehnen jedes einzelnen Menschen genauso wie dem der gesamten Menschheit, jenem Sehnen, das sich in der Frage ausdrückt: Wen soll ich anbeten? Es gibt für einen Menschen, der frei geblieben ist, keine unausweichlichere, dauerndere, quälendere Sorge, als möglichst rasch jemand zu finden, den er anbeten kann. Aber der Mensch möchte nur etwas anbeten, was bereits unbestritten ist, so unbestritten, daß sich alle Menschen zugleich zu gemeinsamer Anbetung bereit finden. Denn es ist nicht so sehr die Sorge dieser kläglichen Geschöpfe, etwas zu finden, was ich oder ein anderer anbeten kann, sondern etwas, woran alle glauben und was alle anbeten, unbedingt alle zusammen. Und eben dieses Bedürfnis nach gemeinsamer Anbetung bildet die wesentliche Qual jedes einzelnen Individuums wie der ganzen Menschheit seit Anbeginn der Zeiten. Um der gemeinsamen Anbetung willen vernichteten sie sich gegenseitig mit dem Schwert. Sie schufen sich Götter und riefen einander zu: Entsagt euren Göttern und betet unsere an – oder Tod euch und euren Göttern! Und so wird es sein bis ans Ende der Welt, selbst wenn die Götter aus der Welt verschwinden. Das macht den Menschen nichts aus, dann werden sie eben vor Götzen niederfallen.
Du kanntest dieses wichtigste Geheimnis der menschlichen Natur, es konnte dir nicht unbekannt sein. Doch du hast das einzig wirksame Banner, das dir angeboten wurde, um alle zu zwingen, dich widerspruchslos anzubeten – das Banner des irdischen Brotes –, zurückgewiesen. Hast es zurückgewiesen um der Freiheit und des himmlischen Brotes willen. Sieh dir doch an, was du getan hast! Und alles um der Freiheit willen! Ich sage dir, der Mensch kennt keine quälendere Sorge, als jemand zu finden, dem er so schnell wie möglich das Geschenk der Freiheit übergeben kann, mit dem er, dieses unglückliche Geschöpf, geboren wird. Aber nur der bekommt die Freiheit der Menschen in seine Gewalt, der ihr Gewissen beruhigt. Mit dem Brot wurde dir ein unbestrittenes Banner angeboten: Wenn du ihm Brot gibst, betet dich der Mensch an, denn nichts ist unbestrittener als das Brot. 
Doch wenn zur gleichen Zeit ohne dein Wissen jemand sein Gewissen in die Gewalt bekommt – oh, dann läßt der Mensch sogar dein Brot im Stich und folgt dem, der sein Gewissen verführt. In diesem Punkt hattest du recht. Das Geheimnis des menschlichen Seins besteht nämlich nicht darin, daß man lediglich lebt, sondern darin, wofür man lebt. Hat der Mensch keine feste Vorstellung von dem Zweck, für den er lebt, so mag er nicht weiterleben und vernichtet sich eher selbst, als daß er auf der Erde bleibt – mögen auch noch so viele Brote um ihn herumliegen. Und was war nun das Ergebnis? Statt die Freiheit der Menschen in deine Gewalt zu bringen, hast du sie ihnen noch vermehrt! Oder hattest du vergessen, daß Ruhe und sogar Tod dem Menschen lieber sind als freie Wahl in der Erkenntnis von Gut und Böse? Nichts ist für den Menschen verführerischer als die Freiheit seines Gewissens, aber nichts ist auch qualvoller. Statt dem Menschen ein für allemal feste Grundlagen zur Beruhigung seines Gewissens zu geben, hast du ihm alles aufgebürdet, was es an Ungewöhnlichem, Rätselhaftem und Unbestimmtem gibt, alles, was die Kraft der Menschen übersteigt. Du hast somit gehandelt, als ob du sie überhaupt nicht liebtest, obwohl du doch gekommen warst, um für sie dein eigenes Leben hinzugeben! Statt die Freiheit der Menschen in deine Gewalt zu bringen, hast du sie vermehrt und mit ihren Qualen das Seelenleben des Menschen für allezeit belastet. Du wünschtest freiwillige Liebe von seiten des Menschen, frei sollte er dir nachfolgen, entzückt und gefesselt von dir. Statt des festen alten Gesetzes sollte der Mensch künftig selbst mit freiem Herzen entscheiden, was gut und böse ist, und dabei nur dein Vorbild als Orientierungshilfe vor sich haben. Hast du dabei wirklich nicht bedacht, daß er schließlich sogar dein Vorbild und deine Wahrheit verwerfen und als unverbindlich ablehnen wird, wenn man ihm so eine furchtbare Last aufbürdet, wie Freiheit der Wahl? Schließlich werden die Menschen sagen, du bist nicht die Wahrheit; denn man konnte sie kaum in größerer Verwirrung und Qual zurücklassen, als du es tatest, indem du ihnen so viele Sorgen und unlösbare Aufgaben hinterließest. Auf diese Weise hast du selbst den Grund zur Zerstörung deines Reiches gelegt und darfst niemand sonst beschuldigen.«

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