Dienstag, 25. März 2014

Dürftige Theologie - 4 - Kasper und Origenes

Bitte die Einführung (hier) beachten!

In diesem und folgenden Beiträgen will ich mich den Kirchenvätern zuwenden, die Kardinal Kasper für seine These bezüglich der in zweiter Zivilehe Lebenden als Unterstützer heranzieht. Meine Intention dabei ist freilich die, zu zeigen, dass diese Väter als Unterstützer dafür nicht sonderlich taugen.
Es ist doch so, dass man in den Biographien v.a. der neuzeitlichen Heiligen, immer wieder diesen einen Satz lesen kann: "Und er/sie vertiefte sich in das Studium der Schrift und der Väter"... die Kirchenväter haben große Autorität, unter ihnen finden sich die größten christlichen Denker und alles was "katholisch" ist, kann man von ihnen lernen. Man kann sie aber auch, genau wie die Bibel, instrumentalisieren, indem man aus dem unschätzbar großen Schatz einzelne Passagen oder gar nur einzelne Worte herausreißt, um irgendetwas damit zu "belegen".

Eine entscheidende Persönlichkeit, die Kardinal Kasper als "Unterstützer" anführt, ist Origenes (gest. 253), der, so Kasper, die Praxis einzelner Bischöfe, Wiederverheirateten nach einer Zeit der Buße die Kommunion zu spenden als "nicht unvernünftig" bezeichnet habe.
Kasper schreibt:
»In ähnlicher Weise gab es auch unter den Christen Herzenshärte (Mt 19,8) und Fälle von Ehebruch mit anschließender zweiter quasiehelicher Verbindung. Die Antwort der Kirchenväter auf diese Herausforderung war nicht einheitlich. Soviel ist jedoch sicher: In einzelnen Ortskirchen gab es das Gewohnheitsrecht, wonach Christen, welche zu Lebzeiten des ersten Partners in einer zweiten Verbindung lebten, nach einer Zeit der Buße zwar kein zweites Schiff, keine zweite Ehe, wohl aber durch die Teilnahme an der Kommunion [siehe meine Kritik dazu hier] eine Planke des Heils [zu der Sache mit Schiff und Planke siehe hier] zur Verfügung stand. Origenes berichtet von dieser Gewohnheit und bezeichnet sie als "nicht unvernünftig".« (Das Evangelium von der Familie, 63)

Mehr sagt Kasper nicht zu Origenes. Danach nennt er noch die Kirchenlehrer Basilius den Großen und Gregor von Nazianz beim Namen, mit denen werde ich mich dann als Nächstes beschäftigen.
Kasper gibt hier keine Quelle an (auch nicht in dem nunmehr gedruckten Buch), was das Nachvollziehen seiner Argumente nicht gerade vereinfacht. Nun, die Stelle die er meint, stammt wohl aus Origenes' Kommentar zum Matthäusevangelium (Scholia in Matthaeum XIV,23), der leider nur als Fragment erhalten ist. Beachtenswert finde ich allerdings, dass Kasper bei seinem Vortrag ein nicht ganz unwichtiges Detail verschwiegen hat...
Aber erstmal der entsprechende Text: Origenes führt darin sehr gedrängt alles an, was seiner Ansicht nach v.a. im 1. Korintherbrief für die Frage nach einer zweiten Eheschließung von Belang ist (kommentiert wird im größeren Zuzsammenhang Mt 19,3ff). Er schreibt (Text aus: Bibliothek der griechischen Literatur, Band 30; Übersetzung: Hermann J. Vogt):
»Wenn es aber auch so schien, als hätten wir in der erklärung dieser Stellen an Dinge gerührt, die tiefer gehen, als es unserem Vermögen entspricht, so muß nichtsdestoweniger schon wegen des bloßen Wortlautes auch dies gesagt werden, daß einige von den gesetzen, nicht weil sie besonders vorzüglich, sondern weil sie der Schwäche der Empfänger der Gesetzgebung aufgepreßt sind, geschrieben wurden. So etwas wird nämlich deutlich, wenn es heißt: Mose hat wegen eurer Hartherzigkeit erlaubt, eure Frauen zu entlassen. Das Besondere und Ausgezeichnete aber gegenüber dem Gesetz, welches wegen der Herzenshärte geschrieben ist, zeigt sich, wenn es heißt: Am Anfang war es aber nicht so. Auch im Neuen Testament gibt es aber einige Gesetzesvorschriften, die sich vergleichen lassen mit dem Wort: "Mose hat euch wegen eurer Herzenshärte gestattet, eure Frauen zu entlassen". Gewissermaßen mit Rücksicht auf unsere "Herzenshärte" ist nämlich geschrieben (wegen der Schwäche): "Wegen der unzucht aber soll jeder seine Frau haben, und jede soll ihren Mann haben" [1Kor 7,1f], und: "Der Mann soll der Frau die Schuldigkeit leisten und ebenso auch die Frau dem Mann" [1Kor 7,3]; danach heißt es ja: "Das sage ich aber als Zugeständnis, nicht als Anweisung" [1Kor 7,6]. Aber auch das Wort: "Die Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt; wenn aber ihr Mann stirbt, ist sie frei, einen anderen zu heiraten, den sie will, wofern es nur im Herrn geschieht" [1Kor 7,39], ist bei Paulus im Hinblick auf unsere Herzenshärte oder unsere Schwäche gesagt, für die, die sich nicht um "die höheren Gnaden" [1Kor 12,31] bemühen und seliger werden wollen.«

Soweit die Bestandsaufnahme. Interessant finde ich, dass Origenes sogar die zweite Heirat nach dem Tod des ersten Partners als Hartherzigkeit charakterisiert, obwohl Paulus das natürlich nicht so bezeichnet.
Der für uns entscheidende Passus kommt nun unmittelbar im Anschluss:
»Schon aber haben über das, was geschrieben steht, hinaus einige von den Kirchenführern manches gestattet [gr. ἐπιτρέπω], z.B. daß eine Frau "noch zu Lebzeiten ihres Mannes" wieder heiratet; damit haben sie zwar gegen das Schriftwort gehandelt (in welchem es heißt: "Die Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt" [1Kor 7,39], und: "Deshalb wird die Frau also Ehebrecherin genannt, wenn sie zu Lebzeiten ihres mannes einem anderen Mann angehört" [Röm 7,3], aber doch nicht ganz zu Unrecht [gr. οὐ μὴν πάντη ἀλόγως übersetzt man besser mit "keineswegs unvernünftig"]; denn wahrscheinlich ist auch gegen das von Anfang an gesetzlich Festgelegte und Geschriebene diese Anpassung [gr. συμπεριφορά ist zunächst nur "Verhalten", hier eher: "Gefälligkeit"] mit Rücksicht auf noch Schlimmeres gestattet.«

Origenes berichtet also, dass "einige von den Kirchenführern", also Bischöfe, Frauen erlaubt haben, zu Lebzeiten ihres Mannes neu zu heiraten. Die Schlüsselstelle für Kardinal Kasper ist nun freilich die, wo Origenes sagt, dieses Vorgehen der Kirchenoberen sei "nicht [besser: keineswegs] unvernünftig". Kasper argumentiert dann späterhin im Grunde genau wie Origenes, indem er von der Vermeidung von "noch Schlimmerem" redet, also von der Anerkennung einer zweiten eheähnlichen Verbindung als ein geringeres Übel.
Die Exegese, die Origenes hier betreibt, ist nicht ganz koscher. Er erzwingt eine Parallelität zwischen Mose und jenen laxen Kirchenführern, die die Texte aber nicht hergeben, indem er das gleiche Wort sowohl für die Gestattung durch Mose wie durch die Kirchenführer gebraucht (epitrepo). Während Mose aber bloß einen bestehenden der Schöpfungsordnung widerstreitenden Zustand in rechtliche Normen gegossen hat (wer die Frau entlässt, soll ihr einen Scheidebrief ausstellen), widerspricht das Tun der Kirchenführer direkt dem Schöpferwillen und dem ausdrücklichen Gebot Jesu.
Die Anpassung von der Origenes zum Schluss redet, entspricht in etwa dem, was später in der Orthodoxie die oikonomia ist (siehe Teil 1, hier).

Wie dem auch sei: Origenes lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass eine zweite eheähnliche Beziehung zu Lebzeiten des ersten Partners Ehebruch ist und keine wirkliche Ehe darstellt, wenn er gleich im nächsten Kapitel schreibt: 
»Wie aber eine Frau Ehebrecherin ist, obwohl sie einen Mann zu heiraten scheint [!], nämlich dann, wenn ihr erster Mann noch lebt, so heiratet auch ein Mann, der eine Entlassene zu heiraten scheint [!], in Wirklichkeit nicht (wie unser Heiland gesagt hat), sondern begeht Ehebruch.« (XIV,24)

Wichtig finde ich in jenem obigen Text v.a. die Tatsache, dass Origenes klipp und klar sagt, dass diese Praxis im Widerspruch steht zu dem, was geschrieben steht. Zwar tadelt Origenes dies nicht, aber er erwähnt es auch nicht nur irgendwie beiläufig, sondern gleich drei Mal spricht er ausdrücklich davon, dass diese Praxis im Widerspruch zur Schrift und zum Gesetz steht! Diese Tatsache scheint Origenes wichtig gewesen zu sein, schade, dass Kardinal Kasper dieses Detail unerwähnt ließ.

... tja...

Mich kratzt das übrigens gar nicht so sehr, was Origenes da schreibt... das mag irgendwann mal irgendwo vorgekommen sein... aber im Blick auf die ganze Kirche der Väterzeit, waren dass wohl eher vereinzelte Abirrungen, die niemals lehramtlich begründet oder gar gebilligt wurden (außer dann später, im 6. Jahrhundert oder wann, in der Reichskirche des Ostens).

Ich weiß nicht, ob das inzwischen jemandem aufgefallen ist, aber: Alles das, was ich hier von Origenes angeführt habe und worauf sich Kardinal Kasper gerne beziehen möchte um für seine Ideen ein Fundament bei den Kirchenvätern zu (er)finden, kann überhaupt nicht dafür herhalten, das zu untermauern, was der Kardinal vorschlägt! 

Zur Erinnerung: Kardinal Kasper berichtet von "Christen, welche zu Lebzeiten des ersten Partners in einer zweiten Verbindung lebten" und denen "nach einer Zeit der Buße [...] durch die Teilnahme an der Kommunion eine Planke des Heils zur Verfügung stand." Davon sagt der Kardinal: "Origenes berichtet von dieser Gewohnheit und bezeichnet sie als 'nicht unvernünftig'." Aber die Wahrheit ist: Davon sagt Origenes überhaupt nichts! Das sind alles Dinge, die er in seinen Ausführungen überhaupt nicht behandelt. Dass Kasper dies behauptet, empfinde ich als zutiefst unehrlich!
 Origenes redet ausschließlich von der Ermöglichung einer erneuten Eheschließung als Konzession gegenüber der menschlichen Hartherzigkeit... und er betrachtet eine solche zweite Verbindung als fortgesetzten Ehebruch. Welche Folgen eine solche zweite Eheschließung hat, ob die Betroffenen in der Folge wohmöglich Sanktionen auferlegt bekamen und z.B. von der Kommunion ausgeschlossen wurden, darüber verliert er in seinem Bericht dessen, was "einige von den Kirchenführern" tun, kein Wort. Bei der krassen Bußpraxis der frühen Kirche und ihrem starken Bewusstsein für die verderbliche Macht der Sünde, würde es mich nicht überraschen, wenn an solch eine zweite Eheschließung harsche Konsequenzen geknüpft waren, erst recht, da Origenes den Widerspruch zu Schrift und Gesetz derart betont.

Auf die Konsequenzen des Ehebruchs und die harsche altkirchliche Bußpraxis komme ich beim nächsten Mal zu sprechen, wenn es um Basilius geht.

1 Kommentar:

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