»Analog dazu gab es auch unter den Christen die Hartherzigkeit (Mt 19,8) und Fälle des Ehebruchs mit einer darauf folgenden zweiten quasi-ehelischer Verbindung. Die Antwort der Kirchenväter darauf war nicht einmütig. Sicher ist jedoch, dass es in den einzelnen Ortskirchen ein Gewohnheitsrecht [diritto consuetudinario] gab, auf dessen Grundlage die Christen, noch zu Lebzeiten des ersten Partners, in einer zweiten Verbindung lebten. Nach einer Zeit der Buße hatten sie zwar kein zweites Schiff zur Verfügung, keine zweite Ehe, aber durch die Teilnahme an der Kommunion [attraverso la partecipazione alla comunione] eine Planke des Heils.«
Ich finde es bemerkenswert, dass Kaper hier die Eucharistie als Mittel zu jener zweiten Planke anführt, obwohl er im Abschnitt direkt davor richtigerweise dargelegt hat, dass die Buße diese zweite Planke ist (die "zweite Taufe" nicht durch Wasser, sondern durch Tränen). Die Eucharistie kann aber nicht der Weg zur Buße sein, sondern nur andersherum wird ein Schuh draus: Die Buße ist der Weg zum Empfang der Eucharistie! Die (ehemals) enge Verknüpfung von Buße und Eucharistie liegt gerade darin, dass man sich durch Buße (und Umkehr!) bereitet, um den Leib und das Blut des Herrn zu empfangen. Nicht andersherum.
Direkt im Anschluss führt Kasper für seine These ein paar Kirchenväter an, ohne allzu konkret zu werden. Er nennt Origenes, Basilius, Gregor und Augustinus, aber benennt keine Werke dieser Theologen, anhand derer man seine Behauptungen überprüfen könnte.
»Origenes spricht von dieser Praxis [i.e. jenes zuvor erwähnte Gewohnheistrecht], und nannte sie "nicht unvernünftig" ["non irragionevole"]. Auch Basilius der Große und Gregor von Nazianz - zwei Kirchenväter der noch ungeteilten Kirche! - erwähnen diese Praxis. Ebenso scheint Augustinus, der sonst sehr streng in dieser Frage urteilt, zumindest an einem Punkt nicht jede pastorale Lösung ausgeschlossen zu haben. Diese Väter wollten, aufgrund pastoraler Überlegungen [per ragioni pastorali], im Letzten "Schlimmeres vermeiden" ["evitare di peggio"], indem sie tolerierten, was an und für sich nicht akzeptiert werden konnte [tollerare ciò che di per sé è impossibile accettare]. Es existierte eine Pastoral der Toleranz, der Barmherzigkeit und der Nachsicht [una pastorale della tolleranza, della clemenza e dell’indulgenza] und es gibt gute Gründe dafür, dass diese Praxis gegen den Rigosrismus der Novatianer vom Konzil von Nicäa (325) bestätigt wurde.«
Was Augustinus anlangt, kann ich dies zumindest insofern bestätigemn, dass er sehr streng urteilte. Der sagt nämlich in seiner Sermo 392, dass diejenigen, die sich einer schweren Sünde bewusst sind (aus dem Kontext erschließt sich, dass die Ehebrecher gemeint sind!), sich von der Kommunion fernhalten sollen (a communione se cohibeant), damit sie nicht von der Kanzel aus verjagt werden (ne de cancellis proiciantur). Und er fordert sie auf zur Reue und zur Unterlassung ihrer Hurerei (agant etiam ipsi paenitentiam, et deinceps ab immunditia abstineant fornicationum suarum). Hier wird sehr deutlich, dass für Augustinus die Buße die Voraussetzung dafür ist, dass ein Ehebrecher die Kommunion empfangen darf. Das passt im übrigens auch mit der Taufsymbolik und der Planke zusammen: Erst nach der Taufe war der Kommunionempfang überhaupt gestattet; die durch die schwere Sünde verlorene Taufgnade hat demnach zur Folge, nicht mehr zur Kommunion zugelassen zu werden, und erst durch die "zweite Taufe", wird dieses Recht wieder erlangt.
An welchem Punkt Augustinus "scheinbar" anders urteilte, ist mir nicht bekannt und ich finde es befremdlich, dass der Kardinal überhaupt nur recht vage Andeutungen macht.
Eine Bestätigung dieser Praxis durch Nicäa ist mir ebenfalls nicht bekannt; später nennt der Kardinal dann ausdrücklich den Kanon 8 jenes Konzils, der berüchtigterweise von "zweimal Verheirateten" spricht. Kardinal Brandmüller hat jüngst klargestellt, dass die Deutung dieses Satzfetzens auf die Legitimität einer zweiten Ehe zu Lebzeiten des ersten Partners (!) eine historische Fiktion ist, die im Widerspruch steht zu allem, was wir sonst über diese Zeit wissen (s. hier). Eine Bestätigung jener gewohnheitsrechtlichen Praxis ist das erst recht nicht, zumal diese Praxis in den Canones weder explizit noch implizit Erwähnung findet. Kasper nennt auch ausdrücklich jenes unwissenschaftliche Buch, das auch Kardinal Brandmüller bespricht.
Es ist interessant, dass das Beste, womit der Kardinal aufwarten konnte, eine negative Befürwortung in Form einer doppelten Verneinung ist, jene gewohnheitsrechtliche Praxis sei "nicht unvernünftig". Gibt es keine dezidiert positive Bewertung dieser Praxis in den Vätertexten? Wenn doch. warum zitiert sie der Kardinal nicht? Warum bleibt er überhaupt so vage und undeutlich? Ist es so schwer, ein Zitat eines Kirchenvaters einzuflechten? Im restlichen Referat ist er nicht so faul mit Zitaten und Quellenangaben...
Ich bin gespannt, ob das Referat in seiner Form als Buch endlich mal Quellen bietet... bis jetzt bin ich überaus unzufrieden mit dem, was Kardinal Kasper für dieses spezielle Thema an "Argumenten" bringt.
Es sei nochmal nachdrücklich daran erinnert, dass dieses Thema nur ein Nebenschauplatz eines viel dringenderen Problemfeldes ist. nämlich die heute mehr denn je angefochtene und gefährdete Ehe und Familie, aber auch die große Chance die sie bereit hält für die Evangelisierung. Dass ich mich dem eben behandelten gesondert widme, liegt an der Hitzigkeit und der Sorge, die viele gerade mit diesem Thema verbinden. Wenn ich die Zeit finde, gehe ich demnächst noch weiter auf den Rest (den größeren Teil) von Kaspers Referat ein.
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