Samstag, 29. März 2014

Dürftige Theologie - 6 - Kasper, Gregor etc.

Bitte die Einführung (hier) beachten!

Kardinal Kasper zieht in seinem Vortrag neben Origenes und Basilius auch noch Gregor von Nazianz und Augustinus heran. Wie schon bei Basilius, nennt er nur die Namen.
Kaspers Text (den Teil bis zur Auslassung habe ich bereits in den Teilen 4 und 5 zitiert; ausgelassen habe ich hier nur den Verweis auf Origenes):
»Soviel ist jedoch sicher: In einzelnen Ortskirchen gab es das Gewohnheitsrecht, wonach Christen, welche zu Lebzeiten des ersten Partners in einer zweiten Verbindung lebten, nach einer Zeit der Buße zwar kein zweites Schiff, keine zweite Ehe, wohl aber durch die Teilnahme an der Kommunion eine Planke des Heils zur Verfügung stand. [...] Auch Basilius und Gregor von Nazianz haben sich auf diese Praxis berufen. Selbst Augustinus scheint zumindest an einer Stelle nicht jede pastorale Lösung ausgeschlossen zu haben. [...] und es gibt gute Gründe zu der Annahme, dass diese Praxis gegen den Rigorismus der Novatianer durch das Konzil von Nikaia (325) bestätigt wurde.« (Das Evangelium von der Familie, 63f)

Nun, die Stelle die Kasper wohl im Sinn hat, findet sich in Abschnitt 8 der Rede (Oratio) 37 des heiligen Gregor. Es ist eine recht bekannte Stelle, die in diesem Zusammenhang ständig vorgebracht wird, von der aber komischerweise fast immer nur ein einzelner (Halb)Satz zitiert wird... Ich geb im Folgenden mal ein wenig Kontext dazu. Eph 5,21ff. kommentierend, lesen wir dort:
»Ich glaube nämlich, dass Paulus hier die zweite Ehe untersagt. Denn gäbe es zwei Christusse, so gäbe es auch zwei Männer und zwei Ehefrauen. Wenn aber Christus einer ist, ein Haupt der Kirche, so sei auch ein Fleisch, und ein Zweites sei verworfen. Untersagt er nun also die zweite Ehe, was soll man dann erst von einer dritten sagen? Das erste ist Gesetz; das zweite Duldung; das dritte ein Verstoß gegen das Gesetz. Was darüber hinausgeht, gehört zu den Schweinen, für dessen Schlechtigkeit gibt es nicht einmal viele Beispiele.
Inzwischen erlaubt das Gesetz [gemeint ist das staatliche Recht!] eine Scheidung aus jedem Grunde. Nicht so Christus: Er erlaubt nur die Trennung von der Hure [d.h. im Fall von Unzucht]; in allen anderen Fällen mahnt er zur Geduld. Er erlaubt die Entlassung der Unzüchtigen, weil sie den Nachwuchs verdirbt. In allen anderen Fällen lasst uns Geduld haben und es ertragen. Seid beständig und geduldig, alle die ihr das Joch der Ehe erhalten habt.«

Immer wieder wird jene Dreigliederung "Das erste ist Gesetz; das zweite Duldung; das dritte ein Verstoß gegen das Gesetz" aus diesem Kontext herausgerissen und angeführt als angeblicher Belegt für die Legitimität einer zweiten Eheschließung zu Lebzeiten des ersten Partners. Aber das steht da nirgends! Eigentlich ist dieser Verweis Kaspers auf Gregor schnell geklärt: Gregor spricht von einer zweiten und einer dritten Ehe nach dem Tod des Gatten! Woher ich das weiß? Nunja... vor allem scheint mir alles andere mit dem Denken Gregors ziemlich unvereinbar.
Gregor von Nazianz war ein frommer Schöngeist, der die Jungfräulichkeit weit höher schätzte als die Ehe. Für ihn ist die Ehe nur deshalb Ehrwürdig, weil aus ihr neue Kandidaten für die Jungfräulichkeit hervorgehen (37,10). Er empfiehlt den Verheirateten längere Perioden der Enthaltsamkeit, um dem Gebet den gebührenden Raum zu geben, und er lobt Frauen, die in der Ehe enthaltsam leben (z.B. seine Schwester Gorgonia in ihren späteren Jahren in Rede Nr. 8). Für Gregor gehört Enthaltsamkeit in die Riege der den Christen auszeichnenden Tugenden. Im oben zitierten Abschnitt setzt Gregor das Verhältnis Christi zur Kirche analog zu dem zwischen Mann und Frau und stellt klar, dass es keine zwei Christusse geben kann. Weil für Gregor, wie für die ganze östliche Tradition nach ihm, das Eheband über den Tod hinaus bestehen bleibt, lehnt er eine erneute Eheschließung nach dem Tod des ersten Partners ab. Er kann sie bestenfalls tolerieren (weil auch Paulus sie toleriert hat), aber er kann sie nicht gutheißen. Eine erneute Eheschließung nach einer Scheidung, kommt, so weit ich ihn kenne, für Gregor überhaupt nicht in Frage!

Hilfreich bei dieser Frage kann auch sein, wie Gregor zur Frage einer Scheidung überhaupt steht. Das ersehen wir aus seinen Briefen:
Verianus, ein Bürger von Nazianz und Freund Gregors, wurde von seinem Stiefsohn beleidigt und will, dass seine Tochter sich von diesem trennt. Olympius (wohl ein Staatsbeamter an den sich Verianus wendete) schaltet den Bischof Gregor ein, um die Sache aus kirchlicher Sicht zu Beurteilen. Gregors Antwort (Briefe 144 und 145) ist ziemlich eindeutig: Er verlangt von Olympius, alles zu unternehmen, um diese Trennung zu verhindern. Und seinem Freund Verianus gebietet er Einhalt. Gregor wird überaus deutlich, wenn er klarstellt, eine Scheidung "verstößt ganz und gar gegen unsere [der Kirche] Gesetze, obzwar wohmöglich das Römische [weltliche] Recht hier anders urteilen würde"; außerdem habe er, als Bischof, die Verpflichtung, so zu urteilen, alles andere sei eine Auflehnung gegen Gott.
Gregor liegt hier besonders der Gegensatz zwischen weltlichem und kirchlichem Recht am Herzen, der auch schon im obigen Zitat vorkam. Für ihn steht fest, dass eine Scheidung aufgrund bloßer Übereinkunft ein Unding ist.

Eine Bestätigung dessen, was Kasper ausführt, nämlich dass sich Gregor auf die von ihm beschriebene Praxis der Wiederheirat und Zulassung zur Kommunion berufen hätte, findet sich bei Gregor von Nazianz meines Wissens nicht. Es würde mich auch sehr wundern, denn das stünde im unversönlichen Widerspruch zu seinem hohen Jungfräulich- und Enthaltsamkeitsideal.

 
Als letzten Kirchenvater führt Kasper den von mir besonders geschätzten Augustinus an. Aber was das angeht, habe ich mir gar nicht erst die Mühe gemacht, die von Kasper "gemeinte" Stelle ausfindig zu machen... eine Aussage wie "Selbst Augustinus scheint zumindest an einer Stelle nicht jede pastorale Lösung ausgeschlossen zu haben." ist es nicht wert, beachtet zu werden. Da ist einfach jedes Wort so weisch und nichtssagend, dass die Mühe nicht lohnt. Zumal Augustinus an allen Stellen die ich kenne äußerst scharf gegen alles vorgeht, was irgendwie in Kaspeers Richtung geht.
Die Anspielung auf Nicäa würdigt der Kardinal mit der einzigen Fußnote in diesem Abschnitt, in dem er den Kanon 8 dieses Konzils wiefolgt wiedergibt:
»Es wird von den "sogenannten Reinen" beim Übertritt zur katholischen Kirche verlangt, dass "sie... Gemeinschaft pflegen (müssen) sowohl mit denen, die in zweiter Ehe leben, als auch mit den in der Verfolgung abgefallenen."«

Nun, genau wie oben bei Gregor oder zuvor bei Basilius, als es um diejenigen ging, die nach dem Tod des Gatten erneut heiraten, so trifft das Gleiche auch hier zu. Man kann allgemein sagen, dass da, wo die Kirchenväter (oder auch die Konzilien) von einer "zweiten Ehe" sprechen, immer eine Ehe nach dem Ableben eines Partners gemeint ist; alles andere wird näher spezifiziert als "zu Lebzeiten des rechtmäßigen Partners" (siehe die Zitate von Basilius in Teil 5) oder direkt als Scheinehe und damit "Ehebruch" bezeichnet (siehe die Zitate von Origenes in Teil 4). Die Frage nach der erneuten Eheschließung nach dem Tod des ersten Gatten kommt uns heute wie eine Lappalie vor, natürlich ist das kein Problem!, aber damals war es bedeutend, allein schon deshalb, weil viele rigosristische Sekten dies verboten! Und genau so ergibt dieser Kanon auch nur Sinn: Das was die Novatianer ("die Reinen") im Unterschied zur Großkirche ablehnten, war genau diese zweite Ehe nach dem Tod eines Partners.

Es finden sich nur wenige Stellen bei den Vätern, die man, mit etwas Phantasie, für Kaspers Position hernehmen kann, weshalb er auch nur solche nichtssagenden (aber doch vereinnahmenden) Andeutungen gemacht hat. Und selbst die Väter, die scheinbar in die eine Richtung klar sind, zeigen dann anderswo doch wieder andere Positionen (etwa Basiluius, der in seinen Kanones fein säuberlich zwischen Männern und Frauen unterscheidet und manchmal für die Männer eine Zweitehe zuzulassen scheint, der aber in seinen Moralia - Regel 73, um genau zu sein - sehr deutlich macht, dass sowohl für den Mann wie für die Frau weder eine Scheidung noch eine zweite Eheschließung erlaubt sind).
Mich wundert es, dass der Kardinal nicht noch ein paar andere Väter als Zeugen aufgerufen hat... zumal z.B. Kyrill von Alexandrien ein lohnenderer Kandidate gewesen wäre als etwa Gregor...

Eine Zusammenfassung der letzten drei Beiträge in dieser Serie, könnte wiefolgt lauten: Kardinal Kasper will zeigen, dass seine Idee Vorbilder bei den Vätern hat. Eine Untersuchung der einschlägigen Väterzeugnisse zeigt aber, dass lediglich manche Einzelheiten seiner Idee bei manchen einzelnen Kirchenvätern auf eher undeutliche (oder nur indirekte oder gar wiedersprüchliche) Weise zu finden sind und auch nur in je unterschiedlichen historischen, gesellschaftlichen, theologischen und pastoralen Kontexten. Mehr nicht.

Am schlimmsten ist bei alle dem aber die Rosinenpickerei als solche: Man muss diese Stellen mit der Lupe suchen an Teils so dermaßen abgelegenen Ecken, dass es einen graust! Denn die große Mehrheit der Kirchenväter (und damit der lehramtlich so bedeutende consensus patrum!) lehrt ohne Umschweife und immer dann, wenn es darauf ankommt (Katechesen, Predigten, Apologien [etwa in Abgrenzung zum weltklichen Recht] etc.), dass eine zweite Verbindung zu Lebzeiten des ersten Partners Unzucht/Ehebruch/gesetzwidrig ist. Den consensus patrum zugunsten einiger weniger nibulöser Fragmente zu ignorieren, ist m.E. kein Fauxpas mehr, sondern gezielte Irreführung, und eine solche hat in einem so bedeutenden Vortrag vor der versammelten "Führungsriege" der Katholischen Kirche nichts zu suchen!

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