Freitag, 28. März 2014

Dürftige Theologie - 5 - Kasper und Basilius

Bitte die Einführung (hier) beachten!

Kardinal Kasper zieht in seinem Vortrag neben Origenes auch Basilius den Großen (aka von Caesarea, gest. 379) und Gregor von Nazianz als "Unterstützer" heran, nennt aber nur ihre Namen, ohne, wie er es für Origenes immerhin tat, sie auch nur mit einem Wort zu zitieren (Gregor behandle ich beim nächsten Mal). Dieser Beitrag wird etwas länger als die anderen Beiträge dieser Reihe und wohl auch verworrener, was aber der Sache und nicht mir geschuldet ist; ich werde versuchen, es verständlich darzustellen.
Kaspers Text (den Teil bis zur Auslassung habe ich bereits in Teil 4 zitiert; ausgelassen habe ich hier nur den Verweis auf Origenes):
»Soviel ist jedoch sicher: In einzelnen Ortskirchen gab es das Gewohnheitsrecht, wonach Christen, welche zu Lebzeiten des ersten Partners in einer zweiten Verbindung lebten, nach einer Zeit der Buße zwar kein zweites Schiff, keine zweite Ehe, wohl aber durch die Teilnahme an der Kommunion eine Planke des Heils zur Verfügung stand. [...] Auch Basilius und Gregor von Nazianz haben sich auf diese Praxis berufen.« (Das Evangelium von der Familie, 63f)

Wieder kein Verweiß auf eine Quelle im Buch. Kasper bezieht sich wohl auf die Kanones des Basilius (Canones Basilii), die in den so genannten kanonischen Briefen (nach der Mauriner-Ausgabe sind das die Nummern 188, 199 und 217; insgesamt sind es 84 Kanones) aufgeführt sind. Es handelt sich dabei um kirchenrechtlich relevante Anweisungen und Richtlinien für die kirchliche Bußdisziplin.
Dazu muss man wissen, dass es in jener Zeit nur einmal im Leben des Getauften möglich war, die Rekonziliation mit der Kirche zu erlangen (siehe dazu hier, die "zweite Planke"!). War ein Getaufter in schwere Sünde gefallen (also die Taufgnade verloren), in unserem Fall also Ehebruch, hatte er nur eine einmalige Chance, da wieder rauszukommen. Da das Bußsakrament bekanntlich heilsnotwendig ist (vgl. hier), war das also eine ziemlich ernste Angelegenheit!

Das in diesen Kanones ausgeführte kommt noch am ehesten an das heran, was Walter Kasper vorschlägt, jedoch müsste man für eine wirkliche Entsprechung das Gesamtgefüge der Kanones auseinanderreißen und neu zusammenfriemeln, einiges weglassen, anderes überbetonen usw. usf...
Das Problem mit diesen Kanones ist v.a. dass sie Unterscheidungen enthalten, die entweder fern ab der Realität liegen, oder im Widerspruch sowohl zur Heiligen Schrift als auch zu unserem Rechtsbewusstsein stehen.
So unterscheidet Basilius offenbar strikt zwischen einen Mann, der von seiner Frau verlassen wurde, und einem, der seine Frau verlassen hat (die Fälle, in denen das so klar zu unterscheiden wäre, sind gewiss äußerst selten; wenn eine Ehe scheitert, haben in aller Regel immer beide Schuld). Zum anderen macht es für Basilius allen Unterschied, ob es um eine Frau oder um einen Mann geht, Frauen behandelt er (im Unterschied zu Paulus) offenbar sehr viel strenger.

Was ich damit angesprochen habe wird besonders offensichtlich am Kanon 77 aus dem dritten kanonischen Brief, der bei dieser Thematik immer wieder herangezogen wird und an den wohl auch Kardinal Kasper denkt (auch Joseph Ratzinger verweist in seinem berüchtigten Aufsatz von 1972, auf den sich Kasper stützt, auf diesen Kanon). Dort ist zu lesen:
»Wer die rechtmäßig ihm angetraute Frau verläßt und eine andere heiratet, unterliegt nach dem Ausspruche des Herrn dem Urteile über den Ehebruch. Es ist aber von unsern Vätern gesetzlich bestimmt worden, daß solche ein Jahr weinen, zwei Jahre hören, drei Jahre knien, im siebenten Jahre mit den Gläubigen zusammenstehen und dann der Teilnahme am Opfer gewürdigt werden, wenn sie mit Tränen Buße getan haben.«

[Halten wir fest: Hier ist von Männern die Rede, die ihre Frau verlassen haben; diese sind Ehebrecher. Hier ist nicht die Rede von Frauen und auch nicht der Fall behandelt, dass ein Mann von seiner Frau verlassen wird.]

Die Zahlen sind hier wohl symbolisch gewählt, tatsächlich gab es da Unterschiede je nach Ort und Zeit. Es ist wichtig zu wissen, dass "Büßer" damals ein eigener Stand in der Kirche war (wie Witwen, Jungfrauen u.a.) und dieser Stand in sich wieder mehrmals untergliedert war. Die Dauer der einzelnen Bußetappen variierten je nach Art und Schwere der Sünde (ein Mord z.B. schließt 20 Jahre von der Eucharistie aus!). Die Bußzeit konnte zuweilen auch mal 30 Jahre oder gar das ganze restliche Leben andauern (Kanon 73: "Wer Christum verleugnet und gegen das Geheimnis der Erlösung sich vergangen hat, der soll seine ganze Lebenszeit hindurch weinen und Buße tun, jedoch in dem Augenblick, da er aus diesem Leben scheidet, des hl. Geheimnisses gewürdigt werden")!
Ein paar erklärende Worte zu den einzelnen "Etappen":
- Ein Jahr weinen: Es handelt sich um einen generellen Ausschluss der Büßer vom Gottesdienst. Die "Weinenden" standen (oder lagen) vor den Kirchentüren und flehten die anderen Gottesdienstbesucher um Wiederaufnahme an. Freilich lief das nicht so, dass sie dann tatsächlich von jemandem mit hineingenommen werden konnten, ihr Flehen um Einlass hatte eher symbolischen Charakter und dabei den Zweck, die Eingehnden um ihr fürbittendes Gebet zu bitten.
- Zwei Jahre hören: Die Büßer sind in dieser zeit nur zum ersten Teil der Messe (Vormesse), was wir heute "Wortgottesdienst" nennen, zugelassen und verfolgen diesen auch nur von der Vorhalle der Kirche aus (der Narthex, den es heute kaum mehr gibt).
- Drei Jahre des Kniens (oder: der Prostratio): Immernoch ist den Büßern nur die Anwesenheit bei der Vormesse gestattet, diesmal aber mit liturgischer Entlassung (Segen) und wohl nach wie vor abgesondert von den übrigen Gläubigen (die "normalen" Gläubigen standen damals im Gottesdienst, für die Büßer gab es wohl gesonderte Bereiche hinten in der Kirche oder an den Seiten in denen diese Knien oder auf dem Boden liegen konnten).
- Im siebenten Jahre mit den Gläubigen zusammenstehen: Die Büßer durften mit den anderen Gläubigen am ganzen Gottesdienst teilnehmen und mit ihnen zusammen beten, durften aber nicht die Kommunion empfangen.
- Dann Teilnahme am Opfer, wenn sie mit Tränen Buße getan haben: Nun, nach sieben Jahren der Buße, wenn sie diese ernsthaft und "unter Tränen" getan haben, sind die Büßer wieder zur Kommunion zugelassen.

Kurios finde ich es, dass Basilius in Kanon 58 für die "bloßen" Ehebrecher, die also ihren Partner nicht verlassen haben aber dennoch die Ehe brechen, eine viel härtere Strafe vorsieht, die oben genannte also eine gewisse Entschärfung bedeutet (obwohl es dort heißt, dass die Täter "dem Urteile über den Ehebruch" unterliegen):
»Wer die Ehe gebrochen hat, soll fünfzehn Jahre lang an den hl. Geheimnissen nicht teilnehmen: Vier Jahre soll er weinen, fünf Jahre hören, vier Jahre knien, zwei Jahre ohne Teilnahme (am Abendmahle) unter den Stehenden sein.«

Auch für die, die ein zweites oder drittes Mal nach dem Tod des Partners heiraten, nennt Basilius gängige Bußen (Kanon 4). Allerdings ist er der Meinung, dass nur die, "die das Maß einer zweimaligen Verehelichung überschreiten" mit Strafen zu belegen sind:
»Als Brauch aber haben wir übernommen für die dreimal Verheirateten einen fünfjährigen Ausschluß - nicht auf Grund von Kanones, sondern in Nachahmung der Vorgänger [auf dem Bischofsstuhl in Caesarea]. Man soll sie jedoch nicht gänzlich von der Kirche ausschließen, vielmehr ihnen zwei bis drei Jahre (nur) das Zuhören gestatten und hernach ihnen erlauben, (mit den Gläubigen) zusammenzustehen, ohne aber an der Gemeinschaft am Gute [d.i. die Eucharistie] teilzunehmen. Zeigen sie dann eine Frucht der Buße, so soll man sie wieder in ihre Stellung in der Gemeinschaft einsetzen.«

Es leuchtet ein, dass so eine Praxis heute nicht mehr machbar ist. Das wäre allein schon deshalb ein völliger Anachronismus, weil die Bußpraxis inzwischen eine völlig andere ist, nämlich mit regelmäßiger (wenigstens einmal jährlicher) Beichte und Absolution.

Dann ist da noch die Sache mit der Abkehr vom Bösen... In Kanon 3 schreibt Basilius:
»Im allgemeinen ist aber die Entfernung von der Sünde eine verlässigere Arznei. Wer also aus Fleischeslust die Gnade verloren hat, dann aber in der Abtötung des Fleisches und durch dessen völlige Unterordnung unter das Gesetz der Enthaltsamkeit von den Lüsten absteht, von denen er besiegt worden, der wird uns damit einen vollgültigen Beweis seiner Heilung erbringen.«

Welchen Sinn hätte dieser jahrelange Weg des Weinens, Hörens, Kniens und Stehens, wenn man dann doch weiterhin das tut, was der Grund für die Buße ist? Der Kanon 39  kann uns einen Hinweis geben auf die Tatsache der Fortdauer des Ehebruchs, wenn es dort heißt: "Die mit einem Ehebrecher zusammenlebt, ist die ganze Zeit hindurch eine Ehebrecherin."  Und der Kanon 18 schließlich zeigt, wie wichtig die Abkehr von diesem fortdauernden sündigen Tun ist, wenn dort die Rede davon ist, dass die Christen einen Mann, "der zu einem fremden Weibe geht, einen Ehebrecher nennen und ihn" - und jetzt kommts: "nicht eher zur Gemeinschaft zulassen, als bis er von seiner Sünde absieht".


Jetzt wird es kompliziert: Wie gesagt, trifft Basilius einige Unterscheidungen. Kanon 77 bezog sich nur auf Männer die ihre Frau verlassen haben. In Kanon 9 lesen wir:
»der verlassene Mann aber verdient Nachsicht, und diejenige, die mit einem solchen zusammenlebt, wird nicht verdammt.«

Wenn also der Mann verlassen wird, ist es, als sei nichts gewesen. Der Mann darf sich offenbar neu binden und begeht keinen Ehebruch. Noch nichtmal irgendeine Buße wird erwähnt, obwohl wir doch oben sahen, dass selbst die (Männer und Frauen), die nach dem Tod ihres Gatten erneut heiraten, Bußen auferlegt bekamen (auch wenn Basilius der Meinung ist, dies erst bei der dritten Ehe tun zu müssen).
Aber ist das überhaupt realistisch? Es wird in Kanon 35 näher ausgeführt, wo es heißt:
»Bei einem Manne, den seine Frau verlassen hat, muß man nach der Ursache der Verlassung forschen. Stellt sich heraus, daß sie ohne Grund von ihm gegangen ist, so verdient er Verzeihung, sie aber Strafe. Es wird ihm die kirchliche Gemeinschaft gewährt werden.«

Das ganze wird dann noch komplizierter, wenn es in Kanon  37 heißt:
»Wer heiratet, nachdem ihm die fremde Frau genommen worden, macht sich der ersten Frau gegenüber eines Ehebruches schuldig; der zweiten gegenüber wird er ohne Schuld sein.«
Wird die Frau "genommen", ist der Mann also an sich schuldlos, begeht aber dennoch Ehebruch, wenn er wieder heiratet.
Und dann heißt es in Kanon 48: 
»Eine Frau, die von ihrem Manne verlassen wurde, muß nach meiner Meinung so bleiben.«
Die Frauen sollen sich also genrell nicht neu binden, egal ob sie die Verlassenen sind! Und das in einer Zeit, in der Frauen, im Unterschied zu den Männern, schwerrlich alleine überleben konnten? Eine Begründung fehlt übrigens.


So weit die Bestandsaufnahme... Die Vorschriften des Basilius sind ein regelrechter Wust mit ziemlich krassen kasuistischen Spitzen. (Kardinal Caffarra hat hier überzeugend dargelegt, warum solche Kasuistik überwunden werden muss.) Man darf wohl auch einige Fragen stellen, z.B. warum Basilius den "bloßen" Ehebruch, ohne die Frau zu verlassen, für so viel schlimmer erachtet, als das Verlassen der Frau mit anschließendem "Quasi"ehebruch, zumal, wenn Basilius der Meinung ist, die Verlassene müsse dann allein bleiben...

Grundlegend für Basilius' Denken in dieser Sache ist das, was er in einer anderen Schrift, seiner Moralia, klar vertritt, dass sich nämlich Mann oder Frau überhaupt nicht von einander trennen dürfen, außer im Fall von bereits vorliegendem Eherbuch, also gründend auf die angebliche jesuanische Unzuchtsklausel (siehe hier). Übrigens verbietet Basilius an dieser Stelle eine zweite Eheschließung, egal ob jemand verlassen wurde oder selbst verlassen hat!
Diese Unzuchtsklausel wurde übrigens in den ersten drei christlichen Jahrhunderten stets so gedeutet, wie ich es (siehe Link) auch tat und gerade nicht als eine Ausnahme vom Scheidungsverbot aufgefasst. Erst ab dem 4. Jahrhundert begannen einzelne Theologen, darin eine Ausnahme zu sehen, die eine Scheidung gestattet.

Ein weiteres Problem beim Verständnis der Kanones des Basilius ist, dass nicht immer klar ist, wo Basilius Zugestandnisse an das weltliche Recht macht und wo nicht (das wird dann beim nächsten Mal, wenn es um Gregor von Nazianz geht, eine Rolle spielen).
Was Walter Kasper vorschlägt, nämlich eine zweite eheähnliche Verbindung zu Lebzeiten des ersten Partners abzusegnen und die in dieser Form Lebenden "nach einer Zeit der Buße" zur Eucharistie zuzulassen, kann man nun zwar mit Basilius wohl irgendwie rechtfertigen, aber dazu müsste man einige seiner kasuistischen Denkstrukturen übernehmen, gleichzeitig einige seiner Prämissen fallenlassen und seine Gedanken recht kreativ neu zusammenschustern. Wirklich auf Basilius berufen kann man sich also eher weniger, außer man betreibt exzessive Rosinenpickerei.
Für unser Thema festzuhalten ist: Für Basilius steht am Ende des Bußweges die Wiederzulassung zu den Mysterien, und offenbar auch unter Beibehaltung der neu eingegangenen Beziehung (anders ist es nicht erklärlich, dass er manche neue Bindungen für untadelig hält)... das wird zwar nie direkt erwähnt, scheint aber gegeben.

Beim nächsten Mal geht es um Gregor von Nazianz und die anderen Kleinigkeiten, die Kasper diesbezüglich von den Vätern erwähnt. Damit will ich dann diesen "Väter-Teil" abschließen und mich danach einigen inhaltlichen Fragen von Kaspers Referat zuwenden.

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