Montag, 1. Juli 2013

Herman Schell

Jakob Herman Schell, 1850 in Freiburg im Breisgau geboren, 1906 gestorben, war auf faszinierende Weise anachronistisch. Studiert hat er in Freiburg, Würzburg und Rom, 1872 (im Alter von 22!) hat er in Freiburg in Philosophie promoviert, 1873 wurde er zum Priester geweiht, 1883 dann die Promotion in Theologie in Tübingen.
Leo Scheffczyk sagte über ihn, er habe 50 Jahre zu früh gelebt. Und wie er damit recht hat!

Schell hat vieles (positive) was vor, mit oder nach dem Zweiten Vatikansichen Konzil in der Kirche geschah vorweggenommen. Als sein Hauptwerk kann wohl seine "Katholische Doagmatik" gelten, die 1889-1893 erschien und die in den 70ern eine kritische Neuausgabe erfuhr. So hat Schell etwa in seiner Dogmatik die gleiche Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau gelehrt (was, siehe hier, noch bis mitte des 20. Jahrhunderts in Theologie und Kanonistik alles andere selbstverständlich war), er strich die Bedeutung der Predigt in der hl. Messe heraus (die nach damaligem Verständnis nicht zur Feier gehörte und eher lax gehandhabt wurde), er lehrte die Einheit des Weihesakramentes und als Materie des Sakraments der Priesterweihe (was es dann für ihn auch als ein einziges erweist) nannte er die Handauflegung und eben nicht die Überreichung des liturgischen Gerätes (wie man seit dem Mittelalter dachte). Letzteres wurde ein halbes Jahrhundert später von Pius XII. höchstautoritativ so festgelegt. Schell sprach sich außerdem für einen weiträumigeren Gebrauch der Volkssprache in der Liturgie und eine verstärkte Beteiligung der Laien an derselben aus.

Herman Schell starb recht früh an Herzversagen, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass er zeitlebens viel zu kämpfen hatte. Einige seiner Schriften fanden sich schließlich aus Gründen auf dem Index der verbotenen Bücher wieder, die nicht wenig fragwürdig sind (es ging dabei ausdrücklich nicht um seine theologischen Sondermeinungen!) und er scheint überhaupt der Lieblingssandsack vieler seiner Kollegen gewesen zu sein.
Er war ein Querdenker und seiner Zeit voraus, er liebte die katholische Kirche über alles und sprengte die damals übliche Neuscholastik für sich auf (was wohl der Hauptgrund für die Anfeindungen war), indem er, vereinfacht gesagt, den Glauben nicht aus sich selbst heraus zirkulär begründete indem er etwa einfach Thomas zitierte und damit die Argumente der Atheisten für erledigt betrachtete, sondern er ging wirklich die Argumente der Gegner an. Er betrieb im Prinzip das, was Thomas machte, nur eben im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, während seine Kollegen eher in der damals gesamtkirchlich anzutreffenden "Einkehr" verharrten.

Natürlich ist auch Schell nicht frei von Fehlern, aber immerhin wurde er nach dem letzten Konzil wieder entdeckt (und inzwischen weiderum quasi vergessen, da er für alles was mit dem "Geist des Konzils" zu tun hat nicht nutzbar ist) und es waren ja auch nicht alle seine Zeitgenossen gegen ihn. Matthias Joseph Scheeben etwa, hat ihn in höchsten Tönen gelobt und besonders die tiefe Kenntnis von Patristik und Scholastik, die Schell in seiner Dogmatik bewies, herausgestellt. Er war ein "apologetischer Dogmatiker", der das museale Mausoleum, wie es Schleiermacher nannte, in das die damalige Kirche sich hineinmanövriert hatte, aufbrach... 50 Jahre vor der Zeit.

1 Kommentar:

  1. Pardon, Herman Schell in allen Ehren, aber der Text trieft ja so vor antischolastischen Vorurteilen, dass man meinen könnte, in den 60er Jahren gelandet zu sein. In Schells Zeit war die Neuscholastik überhaupt erst einmal richtig im Aufwind und etwas vollkommen Neues. Wenn man die Berichte von Klerikern weniger Jahrzehnte vorher hört, kannten die vom Aquinaten nicht mehr als den Namen. Und in Deutschland hielt man es nie besonders mit einem strengen Thomismus, so auch heute, während es in anderen Ländern einen gewissen Aufwärtstrend gibt...
    Grundsätzlich wurden Thomas' Argumenten überhaupt wieder Bedeutung beigemessen, und ich lese in den apologetischen Werken thomistischer Prägung absolut keine zirkeligen Autoritätsargumente, wie Du sie beschreibst. Sie diskutierten so, wie es z.B. ein Edward Feser auch heute tut.
    Die zahlreichen Empfehlungen des thomistischen Systems in Schreiben der jüngeren Päpste gehen auch sehr explizit darauf ein, dass in Thomas nicht nur eine Figur mit archäologischer Symbolkraft zu sehen sei, dessen Doktrin und philosophisch-theologisches System aber mehr oder minder entbehrlich ist...im Gegenteil (was natürlich jetzt ein Autoritätsargument ist :-D ).

    Trotzdem danke für den interessanten Artikel. Ich bin mir durchaus bewusst, dass auch in der Schultheologie jener Tage nicht alles so rosig war - mMn unter anderem auch, weil der Scholastizismus nur ein Lippenbekenntnis war und nicht gelebt wurde - und durchaus oft so gar kein Geist der Nächstenliebe herrschte. Gegen den Strom zu schwimmen war damals sicher genau so schwer wie heute...

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