Neulich hinterließ Marcus, der mit dem c
einen Kommentar in dem er mich auf etwas aufmerksam machte, was ich
in einem kurzen Exkurs behandeln möchte. Ich meine nicht so sehr das
Beispiel, was er für angebliche "Irrtümer der
Evolutionstheorie" umschrieben hat, sondern das was hinter so
einem "Vorwurf" steht. Eine naturwissenschaftliche Theorie
eines "Irrtums" überführen zu wollen ist ähnlich
sinnvoll, wie zu erwarten, dass eine Theorie sich irgendwann in Fakten verwandelt. Letzteren Irrtum habe ich am Beginn dieser kleinen Serie behandelt, und es scheint geboten, doch noch ein paar Worte zu
diesem Thema, gemeint ist Wissenschaftstheorie, zu verlieren.
Eine Theorie kann sich nicht irren.
Menschen können das.
Eine Theorie ist ein Werkzeug um
Wissenschaft zu betreiben, also nach dem "wie" von
Naturprozessen und -phänomenen zu fragen. Ein Werkzeug, das kann
jeder Schreiner bestätigen, kann sich nicht irren. Wenn das Möbel
am Ende eine Fehlkonstruktion ist, ist nicht das Werkzeug schuld,
sondern entweder derjenige, der das Werkzeug benutzt hat, oder
derjenige, der das Werkzeug konstruiert hat (wobei es dann eig.
wieder die Schuld des Benutzers ist, da er das fehlkonstruierte
Werkzeug nicht als solches erkannt hat).
Was hinter dem Terminus technicus
"Theorie" steht, habe ich ja schon erklärt. Und es ist
eben etwas ganz anders, als was man im alltäglichen Sprachgebrauch
unter einer "Theorie" versteht (nämlich eine "Meinung"
oder "Vermutung").
Hinter der Annahme, etwas (noch)
Unerklärtes würde eine Theorie infrage stellen oder gar widerlegen,
steht ein ähnlicher Denkfehler, wie hinter der Annahme, Darwinismus sei eine Religion, der v.a. Biologen anhängen. Und wie diese ist
auch jene Annahme falsch.
Dieses Konzept ist gerade für Christen
oft schwer zu verstehen, da für den Christen gewisse Dinge an die
Autorität einer Person gebunden sind; namentlich: Jesus Christus.
Was Christus auf Erden gelehrt hat ist wahr und wichtig, weil
Christus es gelehrt hat. Ja mehr noch: Das Entscheidende am Neuen
Testament ist gar nicht so sehr das, was Jesus gelehrt hat, sondern
v.a. Jesus selbst! Das meiste was dieser jüdische Rabbi von sich
gegeben hat war nicht so unheimlich originell: Andere antike
Weisheitslehrer (Buddha, Zarathustra, Sokrates, Mose; später auch
Seneca) haben das meiste so oder ähnlich auch schon vor Jesus
gelehrt. Das Wichtige ist die Person Jesu selbst: Der Sohn Gottes,
eines Wesens mit dem Vater; und das was er getan hat: für unsere
Sünden gestorben und auferstanden. Selbst wenn kein einziges Wort
von ihm überliefert wäre, würde das nichts an seiner Bedeutung
ändern.
Die Bibel wiederum bezieht ihre
Autorität von Gott. Wenn nicht Er sie geschrieben hätte, wäre sie
nicht das, was sie ist.
In der Wissenschaft ergibt sich die
Autorität einer jeden Idee jedoch nicht aus demjenigen, der die Idee
hatte: Selbst wenn Einstein ein pädophiler Massenmörder gewesen
wäre, wären seine Ideen dennoch richtig und wichtig. Auch wenn
Darwin ein Atheist gewesen wäre und in seiner Freizeit kleine
Mietzekatzen massakriert hätte, wäre seine Idee der natürlichen
Selektion revolutionär und für die Begründung der modernen
Biologie essentiell gewesen. Oder, um weniger emotionasgeladene
Gebiete der Naturwissenschaft zu nehmen: Wenn ein überaus
experimentierfreudiger Statiker gute Arbeit leistet und sein Gebäude
jedem Erdbeben standhält, ist es völlig egal, was für eine
Persönlichkeit oder Weltanschauung er hat! Andersrum: Wenn der
Statiker es versaut hat und bei einem leichten Beben 100 Leute unter
seinem Bau begraben werden, weil er etwas falsch berechnet hat, ist
es völlig egal, ob er der geistige Bruder von Mutter Theresa ist: er
hat es versaut und wird so schnell keine Aufträge mehr bekommen!
Die Persönlichkeit dessen, der eine
Theorie entwickelt, spielt keine Rolle; was zählt ist, ob die
Theorie funktioniert!
Aus dem gleichen Grund haben Theorien
ihre Autorität nicht aus sich selbst heraus: Eine Theorie ist nur so
lange sinnvoll, gültig und in Gebrauch, wie sie funktioniert, d.h.
so lange sie die relevanten Fakten möglichst gut zu erklären
vermag. Kann sie es nicht, muss sie modifiziert und verbessert
werden. Und genau das geschieht mit jeder wissenschaftlichen Theorie
unablässig.
Nehmen wir mal das Beispiel von Marcus:
Angenommen, da hätten einige Forscher tatsächlich Beobachtungen
gemacht, die mit dem, was uns die Theorie der Evolution bisher(!) an
Erklärungen an die Hand gibt, nicht wirklich erklärt werden können
oder dem sogar zu widersprechen scheinen. Ist jetzt also die Theorie
in Schwierigkeiten, oder gar das Faktum der Evolution, dessen
Beschreibung die Theorie dient?
Antwort: Nein.
Wenn Wissenschaftler etwas finden, was
mit den bisherigen Werkzeugen nicht zu erklären ist, dann muss eben
das Werkzeug modifiziert (in der Schreineranalogie: ausgetauscht)
werden; Wenn bisherige Erklärungen nicht ausreichen, dann ist das
der Moment, wo sie so richtig aufblühen! Das ist der Moment, in dem
Wissenshaft ihrem Namen alle Ehre macht!
Die Geschichte der Wissenschaft -- oder
konkreter: die einer bestimmten Theorie, ist eine Geschichte der
ständigen Konfrontation mit Dingen, die man mit dem was man hat
(noch) nicht erklären kann! Das ist es, was Wissenschaft ist. Darum
habe ich auch in nahezu jedem Beitrag dieser Serie stets betont, dass
eine jede Theorie ständig in Bewegung ist und das Infragestellen
ganz ganz wichtig.
Was das angeht, was Marcus konkret
angesprochen hat, kann ich, solange ich keine Quelle habe (Zahlen,
Daten, Fakten; ein peer-reviewtes wissenschaftliches paper wäre ideal!), nichts dazu sagen. Es scheint mir aber, dass hier,
wie so oft, nur Medientrara gemacht wird weil's Quote bringt, nicht,
weil es einen wirklichen Grund dafür gibt. Es gab auch (wohl ausreichend
wissenschaftlich angehauchte) Sendungen, die im Kielwasser von Dan
Brown für reichlich Quote sorgten... und die Fachwelt fasste sich nur
an den Kopf und weinte bitterlich...
Ganz abstrus wird es, wenn nicht nur
die Theorie, sondern die Fakten durch so etwas "Unerklärtes" in Zweifel gezogen werden sollen.
Die Frage die es sich stets zu stellen
gilt, ist die der Alternative: Angenommen, es stimmt... angenommen,
natürliche Prozesse können die Beobachtungen nicht erklären. Was
wäre die Alternative? Hat Gott eingegriffen? Hat er ein Wunder
vollbracht (so unbedeutend und sinnlos es auch ist)? Hat er die
Naturgesetze gebrochen um uns (bzw. den wenigen Fachleuten, die die
nötige Bildung haben um es überhaupt nur zu bemerken) zu sagen
"Hallo, hier bin ich!"?
Oder ist es nicht vllt. doch einfach
nur so, dass wir hier (wieder einmal) vor dem einzigen Grund stehen,
warum wir überhaupt Wissenschaft betreiben: Weil wir etwas noch nicht
wissen und sich uns hier eine Möglichkeit bietet, etwas Neues zu
lernen?
Etwas (noch) nicht Erklärtes oder
Verstandenes ist kein Widerspruch zu dem schon Erklärten und
Verstandenen, es ist der Anreiz zum Weitermachen! Ein "Ich
verstehe es nicht" ist kein Grund, das bisher Gelernte zu
verwerfen, sondern es will eben auch verstanden und gelernt werden!
Solche Missverständnisse sind es auch, die von Kreationisten und anderen pseudowissenschaftlichen Grüppchen allzugerne ausgenutzt werden (das gleiche Spiel wie bei den Dan Browns und Hans Küngs dieser Welt): sie behaupten unablässig Lücken in der Evolutionstheorie und glauben, so ihre eigene Idee in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken. Was sie nicht kapieren ist, dass jede Theorie Lücken hat. Zum Glück! Sonst gäbe es keinen Grund, noch zu forschen. Ihre eigene Idee hat übrigens keine Lücken, sie ist eine einzige solche, denn sie erklärt nichts. (Dazu, so Gott will, komm ich noch genauer.)
Dr. Pepper sagt:
»Stoning non-conformists is part of science. Stoning conformists is also part of science. Only those theories that can stand up to a merciless barrage of stones deserve consideration. It is the creationist habit of throwing marshmallows that we find annoying.«
Nachtrag: Wie konkret die Evolutionstheorie seit ihrem Bestehen ständig hinterfragt und in all ihren Aspekten infrage gestellt wurde und wird, habe ich bereits anhand einiger Beispiele beschrieben. SO muss Infragestellung in der Wissenschaft laufen: nicht dadurch, dass man Löcher in der bestehenden Theorie sucht (was sinnfrei ist), sondern indem man selber eine bessere Erklärung für ein Phänomen findet! (Schönes Video, das die Unwichtigkeit der Person Darwins für die gegenwärtige Evolutionstheorie beschreibt.)
1) Ich habe nicht die Evolution als solche in Frage gestellt, sondern habe nur von einer Doku berichtet, die ich vor ca 2 Jahren gesehen habe, die die These einer reinen Trial&Error-Evolution in Frage stellte. Ob dieses Modell mit dem man Mutationen quantifiziert und mit Wahrscheinlichkeiten versehen hat, wissenschaftlich haltbar ist, kann ich als Laie auf dem Gebiet nicht beurteilen, wie über 99% der Zuschauer.
AntwortenLöschen2) Was ich in einem Kommentar kritisiert habe ist nicht die Evolution, sondern den Evolutionismus, daß heißt die Behauptung, aufgrund bisheriger Erkenntnisse über den Evolutionsprozeß jegliche Ursächlichkeit und Beteiligung Gottes bestritten wird. Was in meinen Augen unwissenschaftlich ist, denn es wird fachfremd eine Falsifizierung behauptet, bei der man nicht mal grundlegende Annahmen zur Beweisbarkeit einer metaphysischen Existenz mit einbezieht.
3) Ich weiß nicht nur aus dem Internet, sondern auch aus persönlichen Erfahrungsberichten von Menschen, die in den USA leben, daß dort gerade aber nicht nur im Bible Belt als Trotzreaktion auf die Kreationisten (die in meinen Augen irren in ihrer Vorstellung der Entstehung des Lebens) in den Schulen, Colleges und Unis neben der Evolutionstheorie auch der Evolutionismus weit verbreitet gelehrt wird, letzteres als Schlußfolgerung aus ersterem.
4) Sprache wird von keiner Person oder Institution verbindlich geregelt. Das "eine Theorie irrt", als Kurzform für "der Postulator der Theorie irrt sich" ist in meinen Augen legitim, solange man den eigentlichen Inhalt der Aussage nicht aus dem Blick verliert. Das erinnert mich an die Reaktion von Wolfgang Thierse als ein Journalist ihn fragte, ob er sich bei Helmut Kohl entschuldigt hätte: "Können Sie kein Deutsch? Man kann nur um Entschuldigung bitten, aber sich nicht entschuldigen!" Fakt ist, eine öffentliche Abbitte für seine unverschämte Äußerung über den Tod von Kohl's Frau hat es weder als Entschuldigung noch als "um Entschuldigung bitten" gegeben, wovon er damit abgelenkt hatte.
Ich wollte weder semantische Haare spalten noch dir irgendwas vorwerfen, noch irgendwelche säkularen Fundamentalismen schönreden.
LöschenDu scheinst da aber was verwirrt zu haben. Bitte trennen: Wissenschaft - Ideologie. Das eine hat mit dem andern nichts zu tun. (Dass man jeden Aspekt der Wirkluchkeit und/oder Gesellschaft zu einer Ideologie pervertieren kann ist ein VÖLLIG anderes Thema und es ist im obigen Beitrag ganz sicher NICHT das Thema.)
Was du "kritisiert" hast ist die Theorie der Evolution in ihrer gegenwärtigen Gestalt, weil du sagst, dass du gehört/gelesen hast, sie könne dies und jenes nicht erklären. Und ich habe gezeigt, dass solch ein "Vorwurf" keinen wirklichen Sinn ergibt, da die Konfrontation mit Unerklärtem das ist, was Wissenschaft unablässig tut, man nennt es "Forschen". Das ist genau das, was der obige Beitrag aussagt; mehr nicht. Wo ist das Problem?
Wenn du nun aber sagst, deine Kritik richte sich an eine Ideologie mit Namen "Evolutionismus" und diese Kritik besagt "Ihr seit mir zu materialistisch", dann ist das etwas gänzlich anderes. Und auf so eine Kritik kann ich nur antworten, was ich schon andernorts ausgeführt habe: Naturwissenschaft ist per Definition naturalistisch. Wo sie diese Beschränkung nicht einhält hört sie auf Naturwissenshaft zu sein. Ihr ihren Naturalismus vorzuwerfen ist also in etwa so Sinnvoll, wie einem Apfelbaum vorzuwerfen, dass an ihm keine Melonen wachsen.
Welche Schlussfolgerungen der (in seiner Geschaffenheit nicht "bloß naturalistische") Mensch dann aus den Ergebnissen der Naturwissenschaft zieht ist ein völlig anderes Thema.
PS. Ich kann mir nicht vorstellen, dass IRGENDEIN Biologe Evolution jemals als "bloß Trial&Error" aufgefasst hätte. Das ist schlicht falsch, da es den Fokus auf einen Negativeffekt legt, der alles andere als wesentlich ist. Natürlich beobachten wir auch das, aber das ist keine Evolution. Das meinte ich mit schwammigen Voraussetzungen: Es wäre tatsächlich ziemlich unsinnig Evolution bloß so zu betrachten.
Ich kann nicht umhin zu vermuten, dass hier noch ein gewichtigerer iIrrtum herrscht: Was du im Endeffekt sagst ist, dass irgendwelche Forscher etwas beobachtet hätten, was die gegenwärtige (!) Theorie nicht erklären kann, und DARUM müssten sie nun "über ihren Tellerrand" hinausblicken, und etwas Übernatürliches in Betracht ziehen? Irre ich mich, oder ist das deine Argumentation?
LöschenWenn dem so ist: Vorsicht! Halt! Das ist genau der Fehler, den sämtliche Kreationisten tun! Und der nur eine einzige Konsequenz hat: Das Ende jeder Naturwissenschaft. Man stelle sich vor, Nicola Tesla hätte etwas "Übernatürliches" (und somit für die Naturwiwssenshaft nicht erreichbares) für Blitze und Elektrizität verantwortlich gemacht. Oder Niels Bohr hätte die Eigenschaften von Atomen einer göttlichen Wirkmacht zugeschrieben. Oder oder oder...
Wenn der Naturwissenshaftler etwas findet, was er nicht erklären kann, dann sucht er nach einer Erklärung! Und weil er Naturwissenschaftler ist, sucht er nach einer natürlichen Erklärung. Er MUSS, er KANN NICHT anders. Und NUR SO funktioniert Naturwissenschaft; alles andere ist Theologie/Philosophie.
Zu sagen, "das können wir nicht durch natürliche Prozesse erklären" ist eine Bankrotterklärung, ist die Aufgabe (surrender) allen wissenschaftlichen Strebens. Und es ist v.a. überaus dumm, da, siehe Bohr und Tesla, mit so einer Denke aller wissenschaftlicher Fortschritt niemals zustande gekommen wäre.
Wieder: Die Frage nach der Alternative. Wenn das beobachtete Phänomen tatsächlich keine natürliche Erklärung hätte, was wäre dann die Aufgabe der Wissenschaftler? Keine. Sagen: "Gott wars!" und fertig. Sachen packen und nen neues Betätigungsfeld suchen.