Dienstag, 14. August 2012

Genesis

Kreationisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie die biblischen Schöpfungserzählungen wortwörtlich nehmen: So wie es dort beschrieben wird, ist die Welt und ihre Komplexität ins Dasein gekommen. Das eigentlich offensichtlichste Problem ist schon der Plural: Es gibt mehrere Schöpfungserzählungen! Allein zwei gleich zu Beginn der Bibel direkt aneinander anschließend. Und in ihrem Literalsinn schließen die sich notwendig aus! Ansonsten gibt es (sich im Literalsinn gerne auch widersprechende) Schöpfungserzählungen überall in der Bibel, von vorn bis hinten, z.B. in den Psalmen, im Buch der Weisheit, in Ecclesiasticus, natürlich der Johannesprolog und in der Offenbarung (dann v.a. für die "Neue Schöpfung").
Natürlich werde ich das Thema später auch noch theologisch und im Hinblick auf die Naturwissenschaften behandeln... auch Augustinus, Thomas und Ratzinger werden ein entscheidendes Wörtchen mitzureden haben.


Mal spaßeshalber: Wenn wir das ersten Kapitel der Genesis wortwörtlich auffassen würden, dann...
- könnte man einen Tag-Nacht Wechsel feststellen, selbst wenn es keine Sonne, keinen Mond und keine Sterne gibt (1Mo 1,5).
- wäre das Licht vier Tage vor der Sonne da gewesen (1,3.14).
- würde der Mond von sich aus leuchten, statt von der Sonne angestrahlt zu werden (1,16).
- wären die anderen Sterne in Wirklichkeit nur kleine Lichter (in Wirklichkeit sind sie im Schnitt ebenso groß wie unsere Sonne, nur eben sehr weit weg).
- wäre der Himmel massiv, hätte die Form einer umgedrehten Schüssel und würde eine ganze Menge Wasser davon abhalten, auf die Erde zu fallen (1,7; 7,11).
- würden Pflanzen einen Großteil ihres Lebenszyklus', mindestens vom Samen bis zum Fruchttragen, an nur einem Tag durchlaufen können, ohne dabei Schwierigkeiten mit ihrem Stoffwechsel zu bekommen (1,12).
- wären alle Himmelskörper am Himmel, der ja massiv ist, befestigt, statt frei im Raum zu schweben (1,17).
- könnten alle Vögel fliegen (1,20.25).
- könnten wir jede Pflanze/Frucht bedenkenlos essen (1,29).
- wären alle Tiere Vegetarier, (1,29.30).
- wären Pflanzen keine Lebewesen (1,20ff).

Nein, das erste Kapitel der Genesis ist definitiv nicht wortwörtlich zu verstehen. Zumindest würde es in einer Zeit, in der eine gewisse naturwissenshaftliche Grundbildung Allgemeingut ist, wenig Sinn ergeben.
Viele in Genesis 1 und 2 beschriebenen Einzelheiten stimmen überhaupt nicht mit der Realität überein, sondern entsprechen ziemlich genau dem Weltbild von vor 3000 Jahren, das nur den bloßen Augenschein als Referenz hatte (die Erde ist Flach mit einer Kuppel drüber, der Himmel ist Blau weil darüber Wasser gespeichert ist, der Mond leuchtet von sich aus etc.). Darüber hinaus sind auch zahlreiche kulturelle Färbungen enthalten: Als Adam und Eva vom Baum aßen, schämten sie sich ob ihrer Nacktheit und machten sich einen Schurz. Es gibt viele Kulturen auf der Welt, in denen es diese Scham nicht gibt. Auch das Symbol der Schlange als dem Bösen ist stark kulturell gefärbt (vgl. etwa die Regenbogenschlange der Aborigines). Es wird also deutlich, wie sehr diese Erzählungen kulturell und zeitlich bestimmt sind.

Der Grund, warum es in der Bibel sehr viele falsche Naturbeschreibungen gibt, aber auch, natürlich, einige richtige, ist eigentlich offensichtlich: Wie jede Kultur, haben auch die Israeliten die Welt in der sie Lebten betrachtet, das ist nur menschlich. Davon ausgehend lassen sich 4 Voraussagen machen für die sich dann auch Belege finden:
1. Was sie direkt betrachten konnten hat durchaus seine Richtigkeit.
Beispiel: das "Widerkäuen" von Hasen (5Mo 14,7) ist zwar physiologisch betrachtet ein anderes Widerkäuen als das der... nunja... Wiederkäuer, aber der Augenschein bleibt bestehen. 
2. Was nicht direkt für sie zu betrachten war oder zumindest aus einer nur eingeschränkten Perspektive, wird schon weniger korrekt sein.
Beispiel: dass Fledermäuse Vögel und Wale Fische sein sollen (5Mo 14,11-16; Jona 2,1), entspricht genau dem, was wir bei einer Kultur, die noch keine besonders ausgereifte Biologie, geschweige denn Ornithologie besitzt, erwarten würden. Der Augenschein ist Maßstab. 
3. Was dann schließlich gänzlich außerhalb ihrer Möglichkeiten (der Erreichbar- und Beobachtkeit) lag, ist mit großer Wahrscheinlichkeit falsch beschrieben und wir finden stattdessen nur Beschreibungen vor, die mit bloßem Auge möglich waren.
Beispiel: Der Himmel ist blau, weil darüber große Mengen Wasser gelagert sind die sich bei Regen über die Erde ergießen (1Mo 7,11) und der Mond scheint von sich aus zu leuchten (1,16). Mangels Fernrohr bekommt man eben diesen Eindruck (danke, Galilei!).  
4. Bei Dingen die noch weiter der Wahrnehmung entzogen waren, die man garnicht sehen konnte, wie etwa die Erschaffung der Welt oder die Tiefen der Ozeane, mussten Mythen und Legenden herhalten um zu erklären was dort (gewesen) ist.

Es gibt kein Schilderungen von Naturphänomenen in der Bibel die man in der jeweiligen Zeit und angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel nicht erwarten würde. Wir finden genau das Muster an Wirklichkeitstreue und falschen (weil dem Augenschein geschuldeten) Beschreibungen, das wir erwarten würden, nicht nur wenn man ein heiliges Buch verfasst, sondern wenn man, als Mensch in so einer Kultur, irgendein Buch schreibt, in dem man Elemente der täglichen Erfahrung einfließen lässt.
Die Bibel ist kein naturwissenschaftliches Buch und will es auch nicht sein.


Die Genesis ist im Gesamtkontext der Schrift in keiner Weise als ein aktualer naturhistorischer Bericht physikalischer Ereignisse zu verstehen, sondern enthält, hinsichtlich der Botschaft des AT und NT, kategorische Aussagen über das alles bestimmende und konstituierende der Welt im allgemeinen und der Menschheit im Besonderen. Die Schöpfungserzählungen teilen uns mit, 
1. dass die Welt geschaffen ist, 
2. in Freiheit und Liebe und 
3. dass sie „gut“ war (und durch die Sünde Hort derselben wurde). 
Sie sagen uns weiter, 
4. dass alle Tiere und Pflanzen, 
5. alle Aspekte der physikalischen Wirklichkeit (was wir heute mit Hilfe von Astronomie, Geowissenschaften etc. erkunden) geschaffen und erhalten werden von Gott.
Und schließlich sagen sie uns, 
6. dass der Mensch gleichfalls geschaffen wurde, 
7. als Mann und Frau, 
8. nach dem Abbild Gottes und darum 
9. mit der Würde und Vollmacht zu herrschen und zu bewahren.
Das sind die Aussagen der Schöpfungserzählungen!
Nicht: "Sonne, Mond und Sterne sind an der Himmelsschüssel festgeklebt" und "der Mensch besteht hauptsächlich aus Lehm", sondern das wichtigste überhaupt wird ausgedrückt: der Sinn des Ganzen.

Sinn ist hier zu verstehen als:
"Richtungs"-Sinn: Von Gott her und auf Gott hin.
"Inhalts"-Sinn: Zum (Er-)Leben im Lobpreis und in der Liebe Gottes und zu einander.
"Wert"-Sinn: Von Gott in freier Liebe geschaffen und erhalten. Schließlich (NT) in Christus in freier, liebender, hingebender, Mit-Leidung und stellvertretender Er-Leidung verherrlicht.
"Auftrags"-Sinn: Nutzung und Bewahrung der Schöpfung; Leben im Mit- und von einander.

Es ist eine Heilsbotschaft, keine geophysikalische oder astronomische Berichterstattung. Oder, mit einem geflügeltes Wort, das Galilei zugeschrieben wird, umgedreht: Die Bibel sagt uns, wie wir in den Himmel kommen, nicht wie die Himmelsmechanik funktioniert. 
Wenn Kreationisten die Schöpfungsgeschichte als naturalistische Berichte der Entstehung der Welt auffassen, stellt sich mir ernsthaft die Frage nach der geistigen Gesundheit dieser Leute. Wenn wir nämlich die Erzählungen bloß faktisch-naturalistisch auffassen, widersprechen sie sich an zahlreichen stellen und stehen mit der Wirklichkeit in krassem Konflikt.

Genesis 1 im speziellen ist aber etwas viel viel Tolleres!
Es ist ein Gedicht, ein Lied. Es hat einen Refrain: "Gott sah, dass es gut war" und eine klare Untergliederung in Strophen "Es wurde Abend und es wurde Morgen".
Ja, es ist nach manchen Auslegern sogar ein regelrechtes Heldenepos: Michelangelo hat das so herrlich in seinen Fresken zum Ausdruck gebracht, wie Gott der "Held" Licht und Dunkel scheidet, dem Wasser seine Grenzen weist, Sonne und Mond (heidnische Götter!) mit einem Fingerschnippen erschafft und "festzurrt" und aus seinen Befehl hin alles "so geschieht". Und das soll ein trockener Tatsachenbericht sein?


Dass es sich bei diesen Schöpfungserzählungen nicht um historische Berichte handelt, wussten übrigens auch schon die Kirchenväter. Weshalb dieser Gedanke der Kreationisten in Wirklichkeit ein höchst modernes Phänomen ist: Weder die Söhne Israels, die die fünf Bücher Mose editierten und zusammenstellten, noch diejenigen, die sich über den Kanon der christlichen Bibel Gedanken machten; weder ein Hieronymus, der die Vulgata übersetzt hat, noch ein Thomas von Aquin, wären je auf den Gedanken gekommen, diese Erzählungen als akkurate naturhistorische Berichte aufzufassen. Nur in einem biblizistischen Protestantismus konnte solch ein Gedanke entstehen.

to be continued...


PS. An meine lieben Leser: Keine Bange, ich werde hier kein einseitig szientistisches oder sonstwie ideologisches Gedankengut verbreiten. Dass dieses Blog im Wesentlichen katholischen Inhalten gewidmet ist (Verkündigung, Gebet, Liturgie, Kritik an fragwürdigen "Aufbrüchen" etc.), ist eigentlich offensichtlich... dass ich dann schwerlich ein "Religion ist Privatsache für Dumme"-Ideologe sein kann, der der Religion jede Relevanz für das "wirkliche Leben" abspricht, müsste eigentlich keines Hinweises bedürfen.
Generell gilt: Geduld! Das Thema ist so komplex und so voller Missverständnisse und Vorurteile, dass es nunmal nicht anders zu behandeln geht, als in "Bröckchen"... Wenn ich z.B.  in einem Eintrag etwas über Wesen, Sinn, Inhalt und Funktionsweise der Naturwissenshaft(en) schreibe, dann tue ich eben genau dies, entsprechend dem Stand der Dinge so wie sie nunmal gegenwärtig sind; ich erwäge dann nicht noch alle erdenklichen hypothetischen Permutationen einer mehr oder minder philosophisch sinnvollen reziproken Durchdringung derselben mit der Theologie! Das Thema wird noch vorkommen, aber: alles zu seiner Zeit! Vorauseilende Skepsis und Befürchtungen aller Art sind völlig überflüssig!
Worauf ich mich übrigens generell nicht einlasse sind sinnfreie Diskussionen darüber, "wer recht hat", denn darum geht es in dieser ganzen Serie überhaupt nicht! (Zumal wir ja alle wissen, wer Recht hat; einer dieser Leute die "Bescheid wissen" sitzt gerade auf dem Stuhl Petri. :P) Ich lege im Wesentlichen bloß dar, was Sache ist (und wo Missverständnisse liegen) und will am Ende aufzeigen, warum es keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Glaube, zwischen Schöpfung und Evolution geben kann, sobald man nur verstanden hat, warum es sich jeweils handelt. Aber genau das trifft de facto auf die meisten, die sich an solchen Diskussionen (gerade auch in sämtlichen Medien) beteiligen, nicht zu, denn entsprechende Bildung in Geistes- und Naturwissenschaft sind rar gesät, zumal im gleichen Individuum. 
Ich habe mich zu dieser kleinen Serie entschieden, weil ich das Privileg genieße, beides zu studieren, und wenigstens ein paar Leuten die Gelegenheit geben möchte, eine zumeist unfreiwillige (auf Nichtwissen beruhende) Engstirnigkeiten zu überwinden (die gibt es nämlich in beide Richtungen, und sie unterscheiden sich nur dem Namen nach!) und vllt. als Multiplikatoren zu wirken, damit auch andere davon profitieren.

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