Dienstag, 14. Oktober 2014

Dürftige Theologie - 15 - Einzelfälle

Bitte die Einführung (hier) beachten!


Im Juli 1993 veröffentlichten die Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz (Saier, Lehmann und Kasper) ein Hirtenwort, in dem sie das, was Familiaris Consortio vorgibt (dass wiederverheiratete Geschiedene nicht zur Kommunion und zur Beichte zugelassen werden können), recht kreativ umdeuteten (siehe meine Befassung mit diesem Hirntenbrief hier). Den grottenschlechten "Katholischen Erwachsenenkatechismus" zitierend (man ist bei soetwas natürlich zur Selbstreferenz verdammt...) heißt es dort:
»Das kirchliche Recht kann aber "nur eine allgemein gültige Ordnung aufstellen, es kann jedoch nicht alle, oft sehr komplexen einzelnen Fälle regeln". Deshalb ist im seelsorgerlichen Gespräch zu klären, ob das, was im allgemeinen gilt, auch in der konkreten Situation zutrifft.«

Hier wird fälschlich suggeriert, dass "in der konkreten Situation" anders verfahren werden könnte, als FC dies "allgemein gültig" ausführt, sprich, dass man durchaus wiederverheiratete Gescheidene zu den Sakramenten zulassen könne...
Einzelfälle, individuelle Situationen, Ausnahmen... alles unter dem Banner der "Barmherzigkeit"... Also das, was Kardinal Kasper im Februar beim Konsistorium vorgeschlagen hat und was gegenwärtig auch an der Synode von manchem vorgebracht wird.


Die Antwort auf jenes oberrheinische Hirtenwort blieb jedenfalls nicht aus. Sie kam 1994 von der Kongregation für die Glaubenslehre (hier nachzulesen) und in diesem Dokument wird u.a. kurz und knapp die Vorgabe von Familiaris Consortio deutlich charakterisiert und somit der Winkelzug der oberrheinischen Bischöfe ausgehebelt:
»Die Struktur des Mahnschreibens und der Tenor seiner Worte zeigen klar, daß diese in verbindlicher Weise vorgelegte Praxis nicht aufgrund der verschiedenen Situationen modifiziert werden kann [immutari non posse ob differentes condiciones]

Die Vorschriften gelten. Eine Anpassung an Einzelfälle wird ausgeschlossen. Der Grund ist eigentlich offensichtlich: Es geht hier nicht um das "Privatproblem" der Betroffenen, sondern es betrifft die soziale und sakramentale Struktur der Kirche, was hier geschieht. Im Einzelfall etwas zu tun, was dem allgemeinen Gesetz widerspricht, ist schlicht ein Rechtsbruch. Mord ist, weil es "allgemein" verboten ist, auch im Einzelfall nicht erlaubt! Wieso sollte das mit kirchlichen Gesetzen anders sein?
Die Kirche kann die Sünde nicht gutheißen, und sie darf sie erst recht nicht befördern - nicht allgemein, nicht in "Situationen".
Natürlich geht es bei alledem letztlich darum, dass die "Pastoral" als Quelle für "neue Normen" angesehen wird und folglich die Lehre entsprechend den menschlichen Erfahrungen modifiziert werden soll. Nicht mehr das göttliche Gebot, das die Kirche verkündet, soll Maßstab des Handelns sein, sondern die Bedürfnisse der Menschen.

Im Jahre 1977 veröffentlichte die Internationale Theologische Kommission (die gewissermaßen für das Lehramt des Papstes einen theologischen Unterbau schafft und mit internationalen Experten besetzt ist) eine umfassende Arbeit über die katholische Lehre vom Sakrament der Ehe (hier nachzulesen), dem "sechzehn christologischen Thesen" über die Ehe des Anfang dieses Jahres verstorbenen Jesuiten Gustave Martelet als gebilligt angefügt wurden. These 12 befasst sich mit dem Thema "Ehescheidung und Eucharistie" und enthält das folgende sehr aufschlussreiche Statement:
»Ohne die mildernden Umstände und zuweilen auch die Qualität einer auf die Ehescheidung folgenden Zivilehe zu verkennen, bleibt der Zugang von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie unvereinbar mit dem Geheimnis, dessen Dienerin und Zeugin die Kirche ist. Würde sie wiederverheiratete Geschiedene zur Eucharistie zulassen, so würde sie diese Ehepartner glauben machen, sie könnten auf der Ebene der Zeichen mit dem kommunizieren, dessen eheliches Geheimnis sie auf der Ebene der Wirklichkeit ablehnen.
Die Kirche würde sich in diesem Fall ferner mit Getauften in dem Moment einverstanden erklären, wo diese sich in einen objektiven und klaren Widerspruch zum Leben, Denken und Sein des Herrn als Bräutigam der Kirche begeben oder darin verbleiben. Könnte sie das Sakrament der Einheit jenen spenden, die in einem wesentlichen Punkt des Geheimnisses Christi mit ihr gebrochen haben, wäre sie nicht mehr Zeichen und Zeugin Christi, sondern vielmehr sein Gegenzeichen und seine Gegenzeugin. Dennoch rechtfertigt diese Ablehnung kein entehrendes Vorgehen, denn das würde zugleich der Barmherzigkeit Christi mit den Sündern, die wir selber sind, widersprechen.«

Die Kirche wird letztlich auch in Mitleidenschaft gezogen, wenn sie ihre Glieder nicht ermahnt und zur Umkehr ruft, sondern sie stattdessen gewähren lässt und ihr Tun folgenlos lässt. Der Päpstliche Rat für die Interpretation der Gesetzestexte erklärte im Jahr 2000 über den canon 915 CIC, der festlegt, wer vom Empfang der Eucharistie ausgeschlossen ist, Folgendes (hier nachzulesen):
»In der Tat ist es ein objektiver Schaden für die kirchliche Gemeinschaft, wenn jemand, der öffentlich als unwürdig bekannt ist, den Leib des Herrn empfängt; es ist ein Verhalten, das die Rechte der Kirche und aller Gläubigen verletzt, in konsequenter Weise den Ansprüchen dieser Gemeinschaft entsprechend zu leben. Im konkreten Fall der Zulassung der geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen zur hl. Kommunion betrifft das Ärgernis - verstanden als ein Handeln, das die andern zum Schlechten bewegt - zugleich das Sakrament der Eucharistie und die Unauflöslichkeit der Ehe. Ein solches Ärgernis besteht auch dann, wenn ein derartiges Verhalten leider keine Verwunderung mehr hervorruft; ja, gerade angesichts der Verformung der Gewissen wird ein geduldiges und zugleich entschiedenes Handeln der Seelsorger umso notwendiger, zum Schutz der Heiligkeit der Sakramente, zur Verteidigung der christlichen Moral und zur richtigen Unterweisung der Gläubigen.«
 
Sehr erhellend bei der Frage nach den "Einzelfällen" ist aber m.E. vor allem etwas, was Papst Benedikt XVI. 2012 zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota sagte (hier; sehr lesenswert!) und worin sehr präzise aufgedeckt wird, was die Folgen einer solchen Überbetonung der "individuellen Situation" sind:
»[...] Dies hat zu einer Kreativität im rechtlichen Bereich geführt, bei der die einzelne Situation zum entscheidenden Faktor bei der Feststellung der wahren Bedeutung der Rechtsvorschrift im konkreten Fall wird. Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, "oikonomia" – sehr geschätzt in der östlichen Tradition – sind einige der Begriffe, auf die man bei dieser Auslegungstätigkeit zurückgreift. Es muß sofort gesagt werden, daß dieser Ansatz den Positivismus, den er anklagt, nicht überwindet, sondern sich darauf beschränkt, ihn durch einen anderen zu ersetzen, in dem die menschliche Auslegungstätigkeit sich zum Protagonisten aufschwingt bei der Bestimmung dessen, was rechtlich ist. Es fehlt das Bewußtsein für ein objektives Recht, nach dem gesucht werden muß, denn dieses bleibt Spielball von Überlegungen, die den Anspruch erheben, theologisch oder pastoral zu sein, am Ende jedoch der Gefahr der Willkür ausgesetzt sind. Auf diese Weise wird die Rechtshermeneutik ausgehöhlt: Im Grunde besteht kein Interesse daran, die Gesetzesweisung zu verstehen, da sie jeder Lösung dynamisch angepaßt werden kann, auch wenn diese dem Buchstaben des Gesetzes widerspricht.«

Dazu ist eigentlich nicht viel zu sagen... Wenn die Einzelfälle darüber bestimmen, was erlaubt ist, dann wird das ganze Gesetz ausgehöhlt. Die Antwort des Papstes ist hier ebenso klar wie einleuchtend: Es geht um das "höhere Gesetz", das alleine jedem "Einzelfall" gerecht werden kann.
»Es gibt einen anderen Weg, auf dem das angemessene Verständnis des kirchlichen Gesetzes den Weg öffnet für eine Auslegungstätigkeit, die in die Suche nach der Wahrheit über Recht und Gerechtigkeit in der Kirche eingebunden ist. Wie ich vor dem Bundestag meines Landes im Berliner Reichstagsgebäude erläutert habe, ist das wahre Recht untrennbar von der Gerechtigkeit. Dieses Prinzip gilt natürlich auch für das kirchliche Gesetz, in dem Sinne, daß es nicht in ein rein menschliches Normensystem eingeschlossen werden kann, sondern mit der rechten Ordnung der Kirche verbunden sein muß, in der ein höheres Gesetz gilt. Unter diesem Gesichtspunkt verliert das positive menschliche Recht die Vorrangstellung, die man ihm zuerkennen möchte, da das Recht nicht mehr einfach mit ihm gleichgesetzt wird; das menschliche Gesetz erhält dadurch jedoch Wertschätzung als Ausdruck der Gerechtigkeit, zunächst einmal für das, was es zum göttlichen Gesetz erklärt, aber auch für das, was es als rechtmäßigen Beschluß des menschlichen Rechts einführt.
Auf diese Weise wird eine Rechtshermeneutik ermöglicht, die wirklich rechtlich ist, in dem Sinne, daß man in Übereinstimmung mit der wirklichen Bedeutung des Gesetzes die entscheidende Frage stellen kann nach dem, was in jedem einzelnen Fall rechtmäßig ist. In diesem Zusammenhang sollte Folgendes angemerkt werden: Um die wirkliche Bedeutung des Gesetzes zu erfassen, muß man stets auf die Wirklichkeit blicken, die geregelt wird, und zwar nicht nur dann, wenn das Gesetz vorwiegend das göttliche Recht zum Ausdruck bringt, sondern auch dann, wenn es in konstitutiver Form menschliche Regelungen einführt. Diese müssen nämlich auch im Licht der Wirklichkeit ausgelegt werden, für die die Regelungen gelten und die stets einen Kern des Naturrechts und positiven göttlichen Rechts enthält, mit dem jede Norm im Einklang stehen muß, um vernünftig und wirklich rechtlich zu sein. Aus einer solchen realistischen Perspektive heraus erhält das – zuweilen sehr schwierige – Bemühen um Auslegung einen Sinn und ein Ziel.«

Es bleibt bei dem, was ich schon zuvor in Teil 9 und 10 dieser Serie schrieb (hier und v.a. hier):
»"[Kasper] spricht von einer kleinen Zahl, für die eine eventuell neue Lösung in Frage käme. Was wird die riesige Anzahl der anderen Geschiedenen, was werden die kritischen bis feindlichen Medien angesichts dieser "Privilegierten" sagen? [...]"
Wie bei jeder "Ausnahmeregelung", wird auch hier sehr schnell der Druck von außen (und innen) so groß sein, dass man ausweitet und verallgemeinert, bis alle zufrieden sind. (...) Die Ausnahmen werden nicht vermittelt werden können, weil sie von der Masse ganz einfach nicht rezipiert werden wollen! Und weil diese Vermittlung ja auch tatsächlich nicht einfach wäre. (...) Man wird sich einfach, schon aus Trotz!, diskriminiert fühlen. Basta! Da kann man noch so viel die inzwischen abgedroschene Vokabel "Barmherzigkeit" im Munde führen, man wird es als Diskiminierung auffassen und "wahre Barmherzeigkeit (für alle!)" fordern.
Man wird sich Kaspers eigener Argumentstionsweise bedienen und sagen, eine "Weiterentwicklung" von bereits Erreichtem sei "möglich"; man wird seinen Vorschlag als Türöffner begreifen... Norbert und Renate Martin haben das sehr gut erfasst, wenn sie sagen, es ginge darum, "die Tür wenigstens einen Spalt weit [zu] öffnen und ein Signal der Hoffnung [zu] geben"... ja, und andere werden kommen und diese Tür, von der auch Kasper spricht, ganz aufstemmen! Der Lärm wird unerträglich sein, bis das geschieht.
Die Beteuerung, auch noch so eng umgrenzte Ausnahmen zu ermöglichen, wird einen Dammbruch nicht verhindern. Der mag schrittweise erfolgen, aber er ist unvermeidlich. Es wird umgehend einen öffentlichen Aufschrei geben und jeder, der nicht zu den "Wenigen" zählt, wird sich eine Kamera und ein Mikrophon suchen, das ZdK wird großflächige Plakate ausrollen und alle werden im Chor ein Ende dieser unverständlichen, menschenfeindlichen Diskriminierung fordern.«

»Wobei ich mich eh frage, wie man denen, die nicht zu den wenigen "Privilegierten" gehören, das dann zu erklären gedenkt... "Ihr seid leider nicht fromm genug." oder "Ihr engagiert euch leider nicht genug." oder, um mal veralteten Jugend-Jargon zu bemühen, "Das ist halt pP [persönliches Pech]." Wo, bitte, soll bei solchem Gebaren Barmherzeigkeit sichtbar werden? Darf bzw. kann man Barmherzeigkeit überhaupt derart selektiv üben? Ist es barmherzig, die Barmherzigkeit anhand eines Eignungskatalogs zu verwalten?«

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