Dienstag, 26. November 2013

christliche Perspektive

Richte dein Auge auf dich selbst und hüte dich, das Tun anderer zu richten.
Wer andere richtet, macht sich vergebliche Arbeit, irrt sich oft und sündigt leicht; wer aber sich selbst richtet und erforscht, dessen Mühe ist allzeit erfolgreich.
Wie uns eine Sache am Herzen liegt, so urteilen wir oft darüber; denn das richtige Urteil verlieren wir leicht aus Eigenliebe.
Wäre Gott jederzeit das lautere Ziel unseres Verlangens, würden wir nicht so leicht in Unruhe kommen, wenn uns etwas gegen den Sinn geht.
Aber oft ist etwas in uns verborgen oder wirkt auch von außen auf uns ein, was uns in gleicher Weise anzieht.
Wiele suchen bei ihrem Tun und Lassen heimlich sich selbst und merken es nicht.
Sie scheinen auch in gutem Frieden zu sein, wenn eine Sache nach ihrem Wunsch und Sinn läuft.
Geht es aber anders, als sie wünschen, so werden sie schnell aufgeregt und mißmutig.
Aus gegensätzlichen Meinungen und Ansichten entspringen oft Mißhelligkeiten unter Freunden und Mitbrüdern, unter Ordensleuten und Frommen.
Eine alte Gewohnheit wird schwer aufgegeben, und niemand läßt sich gern wider seine eigene Meinung leiten.
Wenn du dich mehr auf deine Vernunft oder Betriebsamkeit als auf die siegreiche Kraft Jesu Christi verläßt, wirst du selten und nur sehr langsam ein erleuchteter Mensch, weil Gott will, daß wir uns ihm vollkommen unterwerfen und uns durch glühende Liebe über alle Vernunft erheben.

Um nichts in der Welt und keinem Menschen zuliebe darf man etwas Böses tun; wohl aber soll man ein gutes Werk manchmal unterlassen oder auch gegen ein besseres austauschen, um einem Bedürftigen zu helfen.
Denn dadurch geht das gute Werk nicht verloren, sondern wird in ein besseres umgewandelt.
Ohne Liebe nützt das äußere Werk nichts.
Alles aber, was aus Liebe geschieht, wie gering und unscheinbar es auch sein mag, bringt reiche Frucht.
Denn Gott sieht mehr auf den Grad der Liebe als auf das Werk, das einer verrichtet.
Viel wirkt, wer viel liebt.
Viel wirkt, wer recht wirkt.
Recht wirkt, wer mehr dem Allgemeinwohl als seinem Eigenwillen dient.
Oft scheint etwas Liebe zu sein und ist mehr sinnliche Zuneiung, weil Neigung, Eigenliebe, Hoffnung auf Vergeltung und Hang zur Bequemlichkeit im Spiele sind.
Wer die wahre und vollkommene Liebe hat, der sucht in keiner Sache sich selbst, sondern verlangt nur danach, daß Gottes Ehre in allem geschehe. Er beneidet auch keinen, weil er nicht für sich allein Freude begehrt und auch nicht in sich selbst sich freuen will, sondern in Gott über alle Güter beseligt zu werden wünscht.
Er schreibt keinem etwas Gutes zu, sondern führt es ganz auf Gott zurück. Von diesem Urquell geht alles aus, in diesem Endziel ist die selige Ruhe aller Heiligen gegründet.
Wer nur einen Funken wahrer Liebe hätte, der würde wahrlich empfinden, daß alles Irdische voll Eitelkeit ist.

Was man an sich oder anderen nicht zu bessern vermag, soll man geduldig ertragen, bis Gott es anders fügt.
Denke nur, so sei es besser für deine Erprobung und Geduld, ohne die unsere Verdienste nicht hoch zu bewerten sind.
Du mußt jedoch bei solchen Hindernissen beten, Gott möge dir gnädig beistehen, damit du sie mit Gelassenheit ertragen kannst.
Wenn jemand sich auf ein- oder zweimalige Ermahnung hin nicht belehren läßt, so streite nicht mit ihm, sondern stelle alles Gott anheim, damit sein Wille und seine Ehre bei all seinen Dienern gefördert werde; er weiß wohl das Böse zum Guten zu lenken.
Bemühe dich, fremde Fehler und Schwächen in Geduld zu ertragen, weil auch du vieles an dir hast, was von anderen ertragen werden muß.
Wenn du dich selber nicht so machen kannst, wie du wünschtest, wie wirst du einen anderen nach deinem Gefallen umschaffen können.
Es mißfällt uns, daß anderen so viel gestattet wird, und doch wollen wir uns selbst nichts versagt wissen, was wir wünschen.
Andere wollen wir durch Satzungen eingeschränkt sehen, aber wir selbst lassen uns nicht im geringsten einschränken.
Dies zeigt deutlich: Selten beurteilen wir unsere Mitmenschen so wie uns selbst.
Wenn wir alle vollkommen wären, was hätten wir dann noch von anderen für Gott zu leiden?
Nun aber hat Gott es so eingerichtet, daß einer des anderen Last tragen lerne! Denn keiner ist ohne Fehler, keiner ohne Bürde, keiner genügt sich selbst, keiner ist allein klug genug; wir müssen uns alle gegenseitig ertragen, trösten, stützen, unterweisen und ermahnen.
Wie tugendhaft aber jemand ist, das offenbart sich am besten in einer schwierigen Lage. Solche Gelegenheiten machen den Menschen nicht schwach, sie zeigen nur, wie er wirklich ist.

(Nachfolge Christi I,14-16)

1 Kommentar:

  1. Willkommene Anregung, dieses grossartige Werk von Thomas von Kempen waehrend meines Weihnachtsurlaubs in der alten Heimat mal wieder zu lesen.

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