Mittwoch, 26. Juni 2013

Die Psyche der Generation Aufbruch

Ungemein klare und aufschlussreiche Einsichten mit Seltenheitswert in die Psyche so mancher Katholiken und Priester gewähren Andreas Odenthal (Liturgiewissenschaftler in Tübingen) und Wolfgang Reuter (habilitierter Privatdozent für Pastoraltheologie in Vallendar) in der Herder Korrespondenz vom April 2013 in einem Artikel über das "pro multis" ("Vergiftung des Heiligtums? Überlegungen anlässlich der Neuübersetzung der Kelchworte"). Beide sind irgendwie "vom Fach".
Sieh her, Deutschland: Deine Theologen!

Normalerweise tu ich mir das Schmierblatt nicht an, aber heute stieß ich während einer Stunde der Muße beim Schmökern in der Fakultät auf diese Perle des Absurden. Vor allem blieb ich daran haften, weil die schizophrene Argumentation und die unverhohlenen Aufrufe zum Ungehorsam identisch sind mit dem aktuellen Freiburger Ungehorsamsaufruf (siehe dazu hier und hier)... ein Schelm, wer aus dieser Korrelation irgendwelche Kausalschlüsse zieht. Erwähnte ich schon, dass dieses Blättlein in Freiburg erscheint?

In dem Text heißt es u.a.:
»Übernimmt der Priester die Neuübersetzung des Messbuchs, wird der eher fortschrittliche Teil der Gemeinde ihn als papsttreu und angepasst einstufen, etwa nach dem Motto: Kaum kommt eine Änderung aus Rom, wird sie bereitwillig übernommen. Bleibt der Priester bei der bisherigen Übersetzung, wird der eher konservative Teil der Gemeinde ihm ein renitentes Verhalten unterstellen, dem das "sentire cum ecclesia" (wobei unter "ecclesia" lediglich die Hierarchie verstanden wird) fehlt.«
- Ins Auge sollte zu allererst stechen, was hier die offenbare, schon in der ersten Zeile implizierte, Vorausetzung ist: Dass es jedem Priester freistünde, das "neue neue Messbuch" zu verwenden oder nicht. Als ob es eine Sache der Vorliebe des Priesters wäre, welches liturgische Buch er verwendet! Darauf komme ich noch zurück.
- Es ist auch sehr schön, die Sprache zu beobachten: "fortschrittlich" versus "angepasst". "Fortschrittlich" ist derjenige, der bei dem gegenwärtigen (an vielen Stellen mehr schlecht als recht übersetzten) Messbuch stehenbleibt; "angepasst" ist der, der sich gegen den theologischen wie populären Mainstream stellt, der also den eben erwähnten "fortschrittlichen" Stillstand nicht mitmachen will (und sich stattdessen lieber, gut katholisch, in Einklang mit der Gesamtkirche begibt).
- Weiters ist es sehr aufschlussreich, dass hier die Annahme von etwas, das "aus Rom" kommt, derart negativ dargestellt wird. Im grunde handelt es sich hier also an eine Absage an alles, was mit "Gehorsam" im hierarchischen (nicht demokratischen) Sinne zu tun hat.
- Ich würde dem Priester in so einem Fall kein renitenten Verhalten unterstellen... ich würde ihm unterstellen, sein bei der Weihe abgegebenes Gelübde zu brechen, nämlich das des Gehorsams!
- Was hier dem Priester als "sentire cum ecclesia" unterstellt wird, ist eine billige Farce, bloß nicht beachten! Ich erinnere mich da spontan an gewisse Erlebnisse im Sandkasten: "... hast du wohool!"

Etwas später im Text:
»Ein Priester wird - zumindest in einer ersten Phase nach der Änderung - nicht mehr unbefangen die Herrenworte sprechen können, weil sie verraten, welche kirchenpolitische Position er einnimmt. Das allerheiligste Zentrum liturgischen Feierns wird damit "politisiert" und verliert seine doch so wichtige Einheit und Erlösung stiftende Funktion. Das Heiligtum ist durch eine Überreglementierung des gewohnten liturgischen und rituellen Feierns in seinem Kern bedroht, wenn gar nicht vergiftet.«
- Wir lernen: Es geht bei der Übersetzung des Messbuches, speziell der Herrenworte, gar nicht um Wahrheit, den Dienst an Gott oder gar das Wirken Gottes an uns... es geht um das Image des Priesters!
- Warum sollte eine wortgetreue Übersetzung des für die ganze Kirche gültigen Messbuches die "so wichtige Einheit und Erlösung stiftende Funktion" der Liturgie politisieren?
- Ich halte dagegen: Durch solches Gesabbel politisiert man sie! Dieser ganze Artikel (und seine unselige Verwandtschaft) politisieren die gesamte Angelegenheit, die eigentlich eine theologische (mithin philologische) und spirituelle ist!
- Bitte merken: Reglementierung des gewohnten Feierns.

Die Rede ist dann noch von einem "Bruch", der darin bestehe, dass "ohne Not [...] eine vierzigjährige Praxis geändert" wird. Soso... eine dem Original getreuere Übersetzung eines an sich aber inhaltsgleichen Buches, das gerademal 40 (vierzig) Jahre in Gebrauch war, ist also ein Bruch. Und das ist schlecht. Was ließe sich aufgrund dieser Argumentation für die Liturgiereform nach dem letzten Konzil als Schlussfolgerung ziehen, bei der bekanntlich das komplette Messbuch, das viele viele Jahrhunderte in Gebrauch war, grundlegend umgearbeitet wurde? War das gut?... Aber ich schweife ab. 
Weiter im Text:
»Zudem ergibt sich ein nicht geringes theologisches Dilemma, wenn künftig an einer solch zentralen Stelle das "Gesetz des Betens" (lex orandi) nicht mehr mit dem "Gesetz des Glaubens" (lex credendi) übereinstimmt.«
- Na endlich kommen wir zu des Pudels Kern: Was die Autoren glauben und wovon sie sagen, dass das auch die Katholiken im deutschen Sprachraum glauben, ist das, und nur das, was expressis verbis in dieser bestimmten (mehr schlecht als recht gelungenen) Übersetzung des römischen Messbuches steht. Nicht aber, was im für die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche vorgeschriebenen (weil die lex orandi dieser Kirche wiederspiegelnden) Messbuch enthalten ist. Bingo. Danke! Wegtreten.

Regelrecht drohend und zum Fremdschämen einladend heißt es dann noch im Bezug auf die Wiederzulassung der "alten" Messe: 
»Man wird nicht fehlgehen zu prognostizieren, dass die damals vom Papst vorgetragenen Argumente für die alte Messe als außerordentlicher Form neben der ordentlichen modifiziert zur Anwendung  kommen werden, indem sie auf das bisherige und das kommende deutsche Messbuch übertragen werden: "Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein" [...].«
- Warum habe ich nur den Eindruck, diese "Prognose" ist eher soetwas wie ein Aufruf? Hier werden schon die Messer gewetzt und die Kanonen in Stellung gebracht!
- Benedikt ist noch am leben, und schon wird er von den Geiern ausgeschlachtet... das ist so fad!

Kommen wir langsam zum Schluss:
»Die über vierzig Jahre geübte Version "für alle" - von Johannes Paul II. in seinem Gründonnerstagsbrief von 2005 als adäquate Interpretation gewürdigt - wäre von hierher mit denselben Maßstäben zu messen wie der alte Ritus. Und dann, so die Prognose, steht neben der außerordentlichen Form die ordentliche Form in zwei approbierten Fassungen, der von 1970 und der zukünftigen.«
- Jenen bekloppten Rekurs auf den armen seligen Johannes Paul II., von dem man niederträchtigerweise ab und an mal einen Satzfetzen ausschlachtet, den man aber ansonsten geflissentlich ignoriert, habe ich hier (klick) schon bedacht.
- Glauben die Autoren wirklich (wirklich!), dass "Rom" einfach so das bisherige (mehr schlecht als recht übersetzte) Messbuch bestehen lassen wird, nur weil irgendwelche Gurken das aufgrund ihres "renitenten Verhaltens" so möchten? Wenn ja, dann liegt hier vielleicht eine Pathologie (wahlweise auch eine Besessenheit) vor, und nicht einfach nur Unwissenheit ...
»Postmoderne Beliebigkeit wird in Zukunft die Feier der Eucharistie im deutschen Sprachraum prägen - von Einheitlichkeit im Beten keine Spur.
Es steht zu befürchten, dass in Folge der Entscheidung Roms bezüglich der Übersetzung der Kelchworte der Schaden groß sein wird. Zu verantworten ist er von der Hierarchie, nicht von denen, die das Messbuch nutzen - oder es eben nicht nutzen.«
- Vor Lachen konnte ich mich kaum halten, als ich das laß. Mal ehrlich: Genau die Leute, die sich hier aufregen und "postmoderne Beliebnigkeit" blöken sind diejenigen, die sich sowieso nie an Rubriken halten und die Messe eher, dem eigenen Ego frönend, nach Bauchgefühl denn nach objektiven Regeln "zelebrieren". Denen geht doch die "Reglementierung des Feierns" (s.o.) am Ar*** vorbei! Man prognostiziert also das, was man selbst seit Jahrzehnten praktiziert (und was mit ein Grund für die Einführung des neuen Messbuches ist, das nämlich auch in den Rubriken einige überfällige Nachbesserungen enthält... auch dies wird diese Leute nicht kümmern).
- Bemerkenswert ist, wie die Autoren schlicht und ergreifend Unfähig sind "Einheit im Beten" über den deutschen Tellerrand hinaus zu erwägen... für sie spielt nur der Binnenraum eine Rolle, um den es bei diesem Streben nach "Einheit" aber gar nicht geht (sondern um die Weltkirche)! Provinzialismus par excellence!
- Und wieder dieses "befürchten"... das hat sowas mafiöses: "Ich befürchte, ihre körperliche Gesundheit wird in den nächsten Tagen schwer mitgenommen werden..."
- Merke: Ob der Priester das hoffentlich bald kommende vorgeschriebene Messbuch "nutzt", bleibt dem Priester überlassen. Finde den Fehler!
- Was hier zum Ausdruck kommt, ist ein absolutistischerer Klerikalismus, gegen den die Gegenreformation wie ein Kindergottesdienst wirkt. Der Priester entscheidet. Der Priester übt hier Macht aus... die ihm im Übrigen gar nicht zusteht!
- Ob die Piusbrüder anfangs auch so dachten?

Ziel einer erneuten Diskussion um das pro multis, worüber zu diskutieren ja bekanntlich insiofern sinnfrei ist, weil die Sache vorbei und endgültig entschieden ist, soll sein: 
»Schaden vom innersten Heiligtum der Eucharistie abzuwenden«.
 - Nunja... möglicherweise wird der Schaden groß sein... aber wenn hier etwas geschädigt wird, dann das goldene Kalb, dessen Anbetung hier propagiert wird!
 

Ansonsten war es bei der Lektüre recht erheiternd, wie die Notwendigkeit einer Katechese zum Messbuch (die der emeritierte Papst in seinem Brief zum pro multis angemahnt hat) regelrecht als etwas Irriges ins Lächerliche gezogen wird... Was auch mehr sagt, als den Autoren lieb sein dürfte: Offenbar sind sie nie in den Genuss einer Sakramentenkatechese gekommen... oder einer anständigen Liturgievorlesung...
Soweit dieser intime Blick in die Psyche deutscher "Aufbruchskatholiken"... ein besserer Begriff fiel mir nicht ein. Sorry.

1 Kommentar:

  1. Aufbruchskatholiken stimmt natürlich irgendwie. Abbruchkatholiken finde ich auch nicht unpasssend. Prälat Imkamp nennt sie "Krawalltheologen"... ;-)

    Schönes Wochenende!

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