Herr Jesus Christus, Du bist verborgen im Sakrament Deines Todes, durch den Du die Sünden der Welt gebüßt und uns den Frieden des Herzens gebracht hast. Ich knie vor Dir nieder und bete Dich an. Die alten Christen haben Dich in diesem Sakrament genannt: Arznei der Unsterblichkeit, Gegengift gegen das Sterbenmüssen. So oft schon habe ich Dich als das Brot des Lebens in mich aufgenommen, und man hat mir dabei gesagt: Der Leib Unseres Herrn Jesus Christus bewahre Deine Seele zum ewigen Leben. Siehe, da bin ich nun vor Dir und ich bin ein Sünder. Ein noch leiblich lebender Mensch, in dessen innerste Gewissensmitte schon einmal, ja vielleicht schon oft, der ewige Tod eingebrochen ist. Auch dann, wenn Du mich, der ich innerlich tot war, wieder lebendig gemacht hast durch das unbegreifliche Sakrament Deiner Versöhnung, auch wenn die heilige Gnade wieder in mir lebt, muß ich es täglich erfahren: Noch steht der seeliche Tod vor der Tür meines Herzens. Noch lebe ich in meinem zur Sünde hingierenden Fleisch. Noch dräut jener Feind, dessen Werke aufzulösen Du zu uns gekommen bist im Advent deiner Menschwerdung, den Du hinausgeworfen hast in der ohnmacht Deines Kreuzestodes. Noch ist das Geheimnis der Bosheit am Wirken. Ich spüre es in den Versuchungen meines Leibes, in den Zweifeln meines Geistes. O heilbringende Opfergabe, noch dräut der Krieg des Feindes. Ich habe den Kampf gegen Fleisch und Blut, gegen Welt und Satan noch nicht endgültig bestanden. Noch ist für mich Niederlage möglich, Seelentod, ewige Hölle.
Aber ich weiß es im Glauben, ich bekenne es vor dem Sakrament Deines Blutes: Du hast mich erlöst. Du hast meinem Herzen Deine Liebe wiedergeschenkt im Blut Deines durchbohrten Menschenherzens. Du hast die tödliche sieche Menschheit angehaucht und ihr Menschen gesandt, zu denen Du sprachst: "Empfanget den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden nachlasst, dem sind sie nachgelassen" (Joh. 20,22). Seitdem ist es wahr geworden: "Du sendest Deinen Geist und alles wird neu, und Du wirst umgestalten das Antlitz der Erde" (Ps. 103,30).
Bilde darum auch das Antlitz meines Herzens um. Gib mir den christlichen Geist der lauteren und schönen Gewissensklarheit. Gib mir die von Deiner Gnade geschenkte und von Deinem Gesetz gelenkte Freiheit des Christenmenschen. Gib mir Deine eigene Ehrfurcht vor der Majestät des Gewissens in mir und in den anderen. Laß mich in den Entscheidungen meines Herzens nie das Wort Gottes überhören, Dein Wort, Du im Sakrament so stummes und unüberhörbares Wort Gottes.
Laß mich Deinen Willen erkennen, Deinen Willen für mich, Deinen Willen gerade jetzt und hier in diesem Augenblick meines Lebens. Ich weiß, Herr, daß ich immer wieder Deinen Willen umzubiegen suche nach meiner Laune. Mein Herz kennt die tausend Kunststücke der Dialektik des sündiogen Menschen, solange mit meinem Gewissen zu handeln und zu feilschen, bis es nachgibt und nur noch das befiehlt, was ich will und gerne tue. Von den vorentschiedenen Leitbildern meines Lebens befreie mich. Erleuchte mich. Gib mir den Mut, mit unerwarteten Forderungen von Dir zu rechnen, den Mut, mir von Dir etwas zutrauen zu lassen, wozu meine Kräfte nicht auszureichen scheinen, den Mut, an Deine Kraft in meiner Schwachheit zu glauben und nach Deinem Willen zu fragen. Gib mir die Nüchternheit des wahren und ehrlichen Knechtes, der weiß, daß in Deinem Dienst eine kleine Tat mehr wiegt, als ein großes Gefühl und tausend hochgemute Vorsätze. Du kannst über mich verfügen, wie es dir gefällt, o Herr. Du kannst die Wunder Deiner überströmenden Gnade auch in der mittelmäßigen Gewöhnlichkeit des Lebens von jedermann bergen, Deinen Schatz in irdenen Gefäßen. Aber laß diese Wahrheit mir nicht zum Vorwand werden, hinter dem mein Herz seine Feigheit, Trägheit und Mittelmäßigkeit versteckt. Solches ist nie Dein Wille. Zeige mir Deinen Willen. Gib mir Kraft, als guter und getreuer Knecht Deinen Willen zu sehen und allezeit zu erfüllen.
Gib mir Deinen Segen und laß in meinem Herzen etwas aufbrennen von jenem Frieden, den die Welt nicht kennt, von jener unsäglichen Freude der Erlösten, denen die Sünden vergeben sind und deren Gewissen in lauterer Klarheit vor Gott steht. Ich möchte mit dem bekehrten Augustinus beten: "Nicht mit zweifelsschwangerem Herzen, nein, mit sicherem Gewissen liebe ich Dich, o Herr, Du hast mein Herz durchbohrt mit Deinem Wort" (Bekenntnisse 10,6). Selbst wenn meine Sünden röter wären als Scharlach, so bitte ich Dich doch: Sei meinem Gewissen die Unruhe, ohne die es keinen Frieden gibt. "Spät habe ich Dich geliebt, o Du Schönheit, so alt und doch so neu, spät habe ich Dich geliebt. Aber Du hast gerufen und meine Taubheit gespalten. Du hast geblitzt und gestrahlt und meine Blindheit in die Flucht geschlagen. Du hast geduftet, und ich habe den Hauch eingeatmet und lechze nun nach Dir. Du hast mich angerührt, nun bin ich entbrannt in Sehnsucht nach Deinem Frieden" (Bekenntnisse 10,27).
Laß mich in Deiner erlösenden Gnade ein fröhlicher Mensch sein, erfüllt von der Freude, die da ist die schönste Gabe Deines heiligen Evangeliums.
Amen.
(Hugo Rahner)
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