Mittwoch, 14. November 2012

Der Katechon

Ich habe dieser Tage, im Lichte der aktuellen Entwicklungen in vielen Ländern hin zu einer Legalisierung etwa der gleichgeschlechtlichen "Ehe" und anderer solcher Tendenzen, die Rede vom Katechon verschiedentlich erlebt. Ein paar abendliche Gedanken zu diesem Begriff.

Katechon ist ein Begriff den Paulus verwendet: gr. katecho bedeutet aufhalten, niederhalten; das Substantiv meint "der Aufhaltende" (oder auch: Hemmende).
»Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt. Erinnert ihr euch nicht, dass ich euch dies schon gesagt habe, als ich bei euch war? Ihr wisst auch, was ihn jetzt noch zurückhält, damit er erst zur festgesetzten Zeit offenbar wird. Denn die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit ist schon am Werk; nur muss erst der beseitigt werden, der sie bis jetzt noch zurückhält (2Thess 2,3-7)

Mir scheint der Kontext, in dem das Wort derzeit von manchen gebraucht wird recht irreführend. Man identifiziert nämlich häufig die Kirche mit ihm in dem Sinne, dass es die Kirche sei, die sich (als letzte Instanz) gegen die schon genannten gesellschaftlichen Trends, gegen die Anomie stellt. Es ist ein recht dunkler Begriff und Paulus macht es uns nicht eben einfacher, ihn zu verstehen, wenn er sich ohne es weiter auszuführen auf etwas beruft, was er den Thessalonichern mündlich gesagt hat (soviel zu "sola scriptura"...).

Die Kirchenväter sahen im Katechon das römische Imperium bzw. die staatliche Macht an sich benannt. Zuweilen dachte man, der Antichrist würde aus dem Volk Israel kommen und es sei folglich die römische Herrschaft über deren Land, was ihn zurückhält. Den Katechon mit der Kirche zu identifizieren halte ich für sehr fragwürdig, da es heißt, dieser Katechon werde vor dem Ende beseitigt werden, sodass er den Antichrist eben nicht länger aufhalten kann. Die Kirche wird aber nicht vor dem Ende beseitigt, sie wird am Ende verherrlicht. Ihr Schicksal ist defintiv ein anderes. So sehr also die Kirche sich gegen solche dramatischen Tendenzen des moralischen Verfalls stemmt, scheint mir dies nicht den Sinn des den Antichrist Aufhaltenden zu treffen.

Dietrich Bonhoeffer hat sich sehr (im positiven Sinne) erschütternd damit befasst (Ethik, 46). Er sieht ebenfalls den Staat in der Rolle des Katechon, gesteht aber der Kirche zumindest eine unterstützende Funktion zu in dem Sinne, dass der Staat in seiner zwangsläufigen Not in der Kirche einen "Bundesgenossen" erblicken wird, und dass "alles, was an Elementen der Ordnung noch vorhanden ist [...] die Nähe der Kirche" sucht. Bonhoeffer geht aber noch weiter und nimmt die zentrale Aufgabe der Kirche in den Blick (für ihn als Protestant ist das die Predigt) und kommt so alsbald zum Martyrium, wenn er schreibt:  "ihr [der Kirche] Leiden ist dem Geist der Zerstörung unendlich viel gefährlicher als die etwa noch verbliebene politische Macht."

Außerdem, und das stellt Bonhoeffer auch sehr schön heraus, besteht die Aufgabe der Kirche gar nicht darin, das Ende abzuwenden. Sie verkündet ja Christus den Lebendigen und damit auch den Kommenden, dessen Kommen sie sogar erfleht.

Mit dieser Einschränkung, bei der sich der eigentliche Katechon, die Ordnungsmacht (nach Bonhoeffer: eine physische Kraft!), nurmehr an die Kirche ankuschelt, kann ich gut leben. Aber die Kirche kann nicht der Hauptakteur sein wenn es darum geht, den letztlichen Abfall zu hemmen, da sie, wie gesagt, nicht vor dem Ende beseitigt wird (zumal sie ja auch keine weltliche Macht sein darf) und weil sie den Kommenden verkündet.
Der moralische Verfall ist ein Phänomen, das v.a. vom Staat sehr direkt gesteuert werden kann, etwa durch moralfreie Gesetze (Abtreibung etc.). Der Einfluss der Kirche ist sehr viel subtiler und (außer vllt. im deutschsprachigen Raum) nicht an staatliche Strukturen gebunden. Die Kirche wird vielmehr "das Todesleiden Jesu" an ihrem Leib tragen müssen (vgl. 2Kor 4,10) und wie Er standhalten in der Flut, um so die Krone der Herrlichkeit (s. Bild) zu erlangen. Sie kann aber die Flut nicht aufhalten.


PS. Interessanterweise kann gr. katecho auch bedeuten, etwas "im Besitz zu behalten". Das mag mit ein Grund sein, warum manche Kirchenväter auch den Satan selbst als den Katechon betrachtet haben... was hieße das dann für den Staat, der doch z.B. die Gesetze sein Eigen nennt?

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