Lang lang ist's her. Weiter gehts mit dieser kleinen Serie über Evolution und Kreationismus. Beim letzten Mal (hier) habe ich versucht zu zeigen, dass Intelligent Design (ID) sozusagen "genetisch" nichts anderes ist als Kreationismus. Diesmal will ich das konkret beweisen.
Das Steckenpferd von Intelligent Design ist die so genannte "nichtreduzierbare Komplexität" (NK). Die Definition für NK vom Schöpfer des Konzepts (zumindest sieht er sich selbst als dieser), Michael Behe, lautet: »A single system which is composed of several interacting parts that contribute to the basic function, and where the removal of any one of the parts causes the system to effectively cease functioning.« (Behe, Darwins Black Box, 1996a, 9) Behe ist ein durchaus verdienter Biologe der viele (nicht ID relevante) peer-reviewte Veröffentlichungen vorzuweisen hat. Hier geriet er aber auf Abwege. Nicht ohne Grund hat es nie eine ID relevante Arbeit das peer-review überlebt.
Anyway: Ein nichtreduzierbar komplexes System ist also ein System, das, so Behe, nicht durch graduelle Entwicklung zustande gekommen sein kann, weil alle Teile notwendig sind, damit es eine Funktion erfüllt. Dies, so Behe, sei ein Hinweis auf „intelligentes Design“.
Dieses Konzept hat, im Gegensatz zu nahezu allen anderen kreationistischen Argumenten, einen Vorteil: es kann getestet werden. Ganz besonders stolz ist Behe übrigens über das bakterielle Flagellum.
Hier ist eine Video mit einer sehr guten Widerlegung des Arguments, worin gezeigt wird, wie und dass nk Systeme durch Evolution entstehen und dass wir viele "reduzierte" Varianten vieler als nichtreduzierbar komplex bezeichneter Systeme in der Natur finden, womit das Argument restlos widerlegt ist.
Ein Beispiel das im Video nicht vorkommt, ist die Blutgerinnung: Behe beschreibt an einer Stelle die Blutgerinnung, wie sie bei uns funktioniert mit den verschiedenen beteiligten Faktoren der Reaktionskaskade und konstatiert dann: »... none of the cascade proteins are used for anything except controlling the formation of a clot. Yet in the absence of any of the components, blood does not clot, and the system fails.« (Behe 84-86)
Und er hat recht: Wenn in dieser Kaskade bei uns ein Faktor "fehlen" würde, würde es nicht funktionieren. Schade nur für Herrn Behe, dass dem Delphin ein bestimmter Faktor (XII) fehlt, sein Blut aber dennoch gerinnt. Es gibt außerdem noch andere Beispiele für fehlende "Teile" bei der Blutgerinnung anderer Tiere.
Die Sache ist die: "nichtreduzierbar komplex“ bezeichnet ein System in seinem gegenwärtigen Zustand, nicht dessen Entstehung! Es sagt überhaupt nichts über die Entstehung aus. Genau hier liegt Behes fataler Fehler (siehe Video).
Dass
man bei manchen System keine Teile entfernen kann, ohne die (gegenwärtige) Funktion
zu gefährden ist eigentlich trivial und bedeutet nicht, dass sich das System nicht durch natürlich
Prozesse hätten entwickeln können. Nach dieser Logik wäre Brückenbau
unmöglich, weil durch das Entfernen einer Stütze die Brücke einstürzt.
Für
jede Struktur, die von Intelligent Design Vertretern als
„nichtreduzierbar komplex“ und darum als Indiz für "Design" vorgebracht
wurde, haben Wissenschaftler plausible, Fakten gestützte Szenarien
vorgelegt, wie es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickelt hat. Bei den meisten, wie etwa beim Auge, finden wir sogar zahlreiche "reduzierte" Vorstufen noch heute quietschfidel in der Natur.
Man kann sogar sagen, dass im Grunde genommen die meisten Systeme in der belebten Natur "nichtreduzierbar komplex" sind: Viele Tiere besitzen eine Leber. Nimmt man diese Leber heraus, stirbt das Tier. Es gibt aber zahlreiche einfachere Lebensformen die keine Leber besitzen (Seeigel, Ringelwürmer u.v.m.). Es gab also eine Zeit, in der sich Lebern entwickelt haben und jetzt sind sie unverzichtbar geworden; die Tiere mit Leber sind mit dieser also gewissermaßen „nichtreduzierbar komplex“ ausgestattet. Das gleiche trifft auf unzählige Zusammenhänge in lebenden Organismen zu, ja sogar auf ganze Ökosysteme!
Jetzt kommt noch etwas sehr Interessantes: Bereits vor über 90 Jahren, also fast noch in der Frühzeit der Evolutionsbiologie, hat der Biologe Hermann Muller geschrieben, nichtreduzierbar komplexe Systeme seien eine Konsequenz der Evolution und sind zu erwarten, wenn Evolution tatsächlich stattfindet.
Er schreibt in einem Aufsatz von 1918: »Being thus finally woven, as it were, into the most intimate fabric of the organism, the once novel character can no longer be withdrawn with impunity, and may have become vitally necessary.« (Auf dieser Website wird erklärt, wie es geht. Es ist ein Zweischritt: Füge ein Teil hinzu und mach es unentbehrlich; fertig ist ein "nichtreduzierbar komplexes System"... es ist wirklich so einfach!)
Muller beschreibt es so: »Most present-day animals are the result of a long process of evolution, in which at least thousands of mutations must have taken place. Each new mutant [...] must have derived its survival value from the effect which is produced upon the 'reacting system' that had been brought into being by the many previously formed factors in cooperation; thus a complicated machine was gradually built up whose effective working was dependent upon the interlocking action of very numerous different elementary parts or factors and many of the characters and factors which, when new, were originally merely an asset finally became necessary becouse other necessary characters and factors had subsequently become changed so as to be dependent on the former. It must result in consequence, that a dropping out of, or even a slight change in any one of these parts is very likely to disturb fatally the whole machinery.« (Quelle)
Nichtreduzierbare Komplexität (Muller nennt es "Interlocking Complexity" und beschreibt es damit sehr viel genauer) wird von der Evolutionstheorie (bereits in ihren frühen Jahren) postuliert. Findet man solche Systeme wie das Immunsystem oder das Flagellum, ist das ein Beleg für Evolution, nicht dagegen!
Mullers Thesen wurden seither von der Molekularbiologie und Genetik (die es damals noch kaum oder garnicht gab) voll bestätigt.
Jetzt muss ich bezüglich der nichtreduzierbaren Komplexität als Theologe noch Folgendes erwähnen:
Da sich Intelligent Design Vertreter mit ihrer NK so krampfhaft an ihr Flagellum klammern, stehen sie einem ernsthaften theologischen Problem gegenüber: Wenn Gott das Flagellum ganz konkret und speziell für seine Funktion "designt" hat, ist Gott somit auch direkt für zahlreiche schlimme Krankheiten verantwortlich. Es stellt sich die Frage nach seiner Motivation, so ein Flagellum zu "designen", und ob das wirklich ein Grund wäre, um dann an einen "wohlwollenden und liebenden Gott" zu glauben. In meiner Wahrnehmung wäre das nicht gerade ein Akt der Liebe, dass Gott so vielen Bakterien das Überleben z.B. in unserem Körper dadurch ermöglicht, dass er ihnen Flagella gibt.
Was ich meine: In der westlichen Welt sind Typhus und Cholera vielleicht nicht mehr so aktuell, anderswo aber doch. Nun sind dummerweise Sowohl Salmonellen (Salmonella enterica Serovar typhi) als auch die Choleraerreger Vibrio Cholerae begeißelte Bakterien. Wie danke ich dem "lieben Gott" dafür? Weitere mit Liebe designte Bakterien wären dann beispielsweise die nicht selten tödlichen Clostridien, die z.B. für Gasbrand (eine Art innerer Vergiftung), Botulismus (Lebensmittelvergiftung) und Tetanus verantwortlich sind... oder Listerien, die für ein ganze Reihe liebender Zuwendungen verantwortlich sind (Enzündungen von Knochen, Herzklappen, Horn- Binde und Hirnhaut, Gelenken etc. und ist zuweilen auch für Fehlgeburten verantwortlich). Diese Aufzählung könnte man beliebig fortführen. Alle diese kleinen Kerlchen sind gerade darum so effektiv, weil sie über Geißen (Flagella) verfügen. Na Prosit liebe Intelligent Design Vertreter, dieser "Designer" meint es echt gut mit uns!
Kommen wir aber mal wieder auf den Teppich: Meine Intention war ja nicht, NK zu widerlegen (das hat schon vor Jahren Michael Behe selbst getan: hier; sehr lesenswert! - was die Intelligent Design Vertreter, und auch Behe selbst, aber nicht davon abhält, es weiter als "Argument" zu verwenden...). Was ich eigentlich hier tun wollte war: zu beweisen, dass Intelligent Design Kreationismus ist. Nundenn, Vorhang auf:
Das Argument war doch Folgendes: "Das Flagellum
kann sich nicht graduell entwickelt haben, denn es ist so komplex. Darum muss es 'designt'
worden sein". Ok. Was impliziert diese Behauptung? Es impliziert
Kreationismus in
seiner schönsten Blüte!
Folgendes: Wenn es
sich nicht graduell entwickeln konnte (weil es angeblich erst funktioniert,
wenn es "komplett" ist), bedeutet das doch logischerweise auch, dass
es nicht graduell "designt" worden sein kann. Logisch.
Das heißt aber: Es muss
also auf einen Schlag "gemacht" (geschaffen?) worden sein. Ok. Was passiert, wenn ich
einem Bakterium das kein Flagellum besitzt, so mir nichts, dir
nichts, einen Flagellummotor in die Membran pflanze und eine Geißel
dranhänge? Richtig: Garnichts. Ein Flagellum ist, wie etwa der Arm beim Menschen, Teil des Organismus und ist folglich auf vielerlei Weise in diesen integriert und v.a. auch in dessen DNA "beschrieben" (sonst würde es ja nicht weiter vererbt!). Zudem muss so ein Flagellum physiologisch in die Funktion des ganzen
Organismus eingebunden werden damit das Bakterium auch wirklich damit
umgehen und leben kann (Verankerung, Energieversorgung, Steuerung etc.). Würde man einem Menschen einen zusätzlichen
Arm an die Hüfte nähen, hätte das ungefähr den selben Effekt.
Der
ganze Organismus müsste also nolens volens umgestaltet werden. Da wäre es wirklich
einfacher, gleich den gesamten Organismus fix und fertig aus dem
Nichts zu erschaffen.
Letztlich ist es egal, ob man
Gott (pardon: den "intelligenten Designer") nun das komplette
Bakterium (oder einen anderen komplexen Organismus, z.B. den
Menschen) fix und fertig aus dem Nichts ins Dasein rufen lässt (-> Kreationismus), oder Teile davon:
beide Male behauptet man ein magisches Eingreifen und ein "Aus-dem-Nichts-ins-Dasein-ploppen" einer überaus komplexen Struktur (die immer den ganzen Organismus und sein Erbmaterial betrifft!). "Nichtreduzierbare Komplexität" bezeichnet also nichts
anderes als "Kreationismus im kleinen Maßstab".
Q.E.D.
(Die Evolutionstheorie sagt uns hingegen, dass all diese Strukturen sich sukzessiv in den Organismen entwickelt haben. Darum sind sie eingebunden, funktionieren und nutzen ihnen. So einfach ist das.)