Montag, 25. Februar 2013

Freiheit der Schöpfung

Chaplins Klassiker "Modern Times" von 1936
Die Lektüre dieser beiden Einträge wird für das Folgende vorausgesetzt: Intelligent Design? und Ist es "designt"?


Der Titel ist doppeldeutig.
Zunächst meint er den Schöpfungsakt und also die Freiheit Gottes zu seiner Schöpfung. Denn Gott hat die Welt nicht aus einer Notwendigkeit geschaffen, etwa um sich durch sie seiner selbst gewahr zu werden (Hegel) oder um überhaupt seine Existenz in ein Werden zu überführen (wie in der Prozesstheologie nach Hartshorne). Er hat sie in völliger Freiheit geschaffen... er hätte es auch nicht tun können.

Diese Freiheit Gottes geht sogar so weit, dass er sie, die Freiheit, zu ihrer Erfüllung bringt, indem er schließlich mit seinen Geschöpfen einen Bund eingeht. Vergleichbar mit der Erfüllung der Freiheit des Menschen etwa im unauflöslichen Versprechen der Treue in der Ehe: Ein Akt der Freiheit, der dann aber eine Einschränkung dergestalt bedeutet, dass er die Beliebigkeit ausschaltet. So ähnlich ist es auch mit dem Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat. (Daher die bräutlichen Motive bei der Beschreibung dieses Verhältnisses.) Freiheit bestet nicht in der ständgen Verfügbarkeit aller Möglichkeiten, sondern sie verwirklicht sich dann, wenn sie eingesetzt wird, sprich, wenn eine Wahl, eine Entscheidung getroffen wird. Jede Entscheidung ist ein Massenmord an Möglichkeiten.

Und sogar noch grundlegender hat sich Gott (in Freiheit) eine Beschränkung auferlegt: Gott respektiert die Freiheit seiner Geschöpfe. Und damit sind wir nun beim zweiten Sinn des Titels: Die Schöpfung ist frei.

Gott ist kein Diktator der Schöpfung, sondern lässt ihr ihre geschöpfliche Freiheit. Die Schöpfung ist im "freien Werden" begriffen und in diesem hat sie durch das ihr von Gott eingegebene Potential all das hervorgebracht, was wir um uns sehen. Gott ist kein Ingenieur der ständig in seine Schöpfung eingreifen muss. Hätten die Kreationisten recht, wäre die einzige Erklärung für die zahllosen Fossilien die wir finden, dass Gott ständig Fehlschläge erlitt. Er schafft etwas, es stirbt aus, er muss es ersetzen. Wenn Gott direkt hantierend das zustandegebracht hätte, was wir faktisch in den Fossilien finden, dann hat er eine geringere "Erfolgsquote" als jeder Ingenieur.

Gottes Macht und Gewalt ist dann klar ersichtlich, wenn nicht er als Akteur an zahllosen einzelnen Prozessen kausal teilgenommen hat, sondern wenn er das getan hat, was er, aus Liebe, mit uns Menschen sowieso tut: Er lässt die Schöpfung sich selbst entfalten. Er zwingt sie nicht. Er nimmt keinen kausalen Einfluss auf die Entwicklung oder den Ablauf irgendwelcher Prozesse, wieso sollte er auch? Wenn ein unendliches, ewiges, allwissendes und allmächtiges Wesen das Universum geschaffen hat, wie vernünftig wäre es dann, dass er nach der anfänglichen Schöpfung ständig nachjustieren muss, damit das passiert, was er haben will? Zwar hasse ich technische Analogien aber: Eine Maschine funktioniert dann gut, wenn sie funktioniert, ohne dass ständig nachjustiert werden muss!

Wer Gott ständig in das freie Entfalten und Bestehen der Schöpfung eingreifen lässt, spricht ihm seine Allmacht und Allwissenheit nicht nur prinzipiell ab, er unterwirft Gott als Weltschöpfer allen Beschwernissen der irdischen Welt (zeitlicher Ablauf, Kausalität, Räumlichkeit etc.) und macht ihn zudem zu einem despotischen Kontrollfreak, der mehr mit einem Maschinenwärter gemein hat, als mit einem liebenden Gott dessen Schöpfungsmacht alles übersteigt. Gott kann sich freilich, aus Liebe, willentlich diesen Beschwernissen unterwerfen (hat er ja auch getan: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt"), jedoch wird im kreationistischen Denken Gott von diesen unterworfen: Ein Organismus, nehmen wir mal ein Bakterium, gelangt in eine Umgebung, in der es sinnvoll wäre, sich schnell fortbewegen zu können, um nicht gefressen zu werden... also muss der Maschinenwart ran und dem Bakterium ein Flaggelum montieren. (Alternativ: Das Bakterium stirbt aus, weil es kein Flaggelum hat, Gott muss ein neues erschaffen, diesmal mit Flagellum.)

Kreationisten haben, so gesehen, ein äußerst infantiles Gottesbild: nach ihrer Ansicht muss Gott ständig an seiner eigenen Schöpfung rumjustieren und sie beeinflussen, wird also von innergeschöpflichen Prozessen quasi dazu genötigt, immer wieder etwas zu tun, zu ändern, so als müsste er einen übers Ufer getretenen Fluss kanalisieren. Wenn die Schöpfung Gottes den Menschen in seiner Biologie nicht "aus sich selbst" (per Evolution) hervorbringen kann (hat Gott das System also von Anfang an eher mangelhaft geschaffen), muss Gott, da wir wissen, dass Evolution Fakt ist und wir Teil davon sind, also lenkend in das freie werden der Welt eingreifen um am Ende doch noch einen Menschen zu erhalten. Intelligent Design sagt in seiner Essenz nichts weiter aus, als dass Gott den Prozess, den er selbst aus inniger Liebe in seiner Ganzheitlichkeit geschaffen hat, steuern und bedienen muss, da dieser sonst nicht das gewünschte Ergebnis erbringen könnte/würde: z.B. Gezielte Mutationen.

Es ist eine kalte Logik der Funktionalität und Mechanisierung und ihre Vertreter unterwerfen Gott einer naturalistischen Notwendigkeit! Dafür fällt mir nur ein Wort ein: erbärmlich! Was für ein erbärmlicher Gott, dass er seine Schöpfung zwingen und mechanisch-physisch (kausal) manipulieren muss, um seinen Willen zu bekommen.

Die Vertreter dieser Ansicht preferieren es, einen Euphemismus wie "Anleitung" zu gebrauchen, Gott "leite" die Schöpfung an oder hege sie wie einen Garten. Das ist eigentlich ein Kategorienfehler: Der Garten wurde nicht vom Gärtner mit ewigem vorauswissen geschaffen, sondern aus bestehendem "komponiert". Wäre Gott also gar kein Schöpfer, sondern nur Sachwalter? Hat er die Schöpfung also vorgefunden und geht nurmehr damit um? Ist er also gar kein Schöpfer? Außerdem kann ein Garten sich auch ohne menschliches Eingreifen entwickeln und viel Schönes hervorbringen (ich empfehle einen Besuch im Wald). ID spricht diesem Garten aber gänzlich die Fähigkeit ab, aus sich heraus, in seiner eigenen Freiheit im Werden, irgendetwas sinnvolles hervorzubringen.

Und es ändert an der Sache wenig: Wenn der Mensch das einzige Geschöpf ist, das "Schöpfungspartner" Gottes ist, d.h. dieses sich Gott hingeben kann, sich seiner überhaupt, als einziges Geschöpf, bewusst ist, dann kann Gott auch nur diesen "an die Hand nehmen", nämlich dann, wenn dieser Mensch dazu sein "Ja" gibt. Der Mensch hat gegenüber Gott eine "Größe" die ihn von der gesamten Schöpfung abhebt und in relative Nähe zu Gott stellt (vgl. Ps 8,6). Nur darum ist er würdig, mit Gott einen Bund zu schließen. Gott nimmt sein Geschöpf Mensch nur dann an die Hand und führt/leitet es (vgl. Bündnisschluss), wenn dieses es auch zulässt und einwilligt (Willensfreiheit). Die Natur (alles davon, was nicht Mensch ist), kann sich aber nicht bewusst für Gott entscheiden, somit wird Gott sie auch nicht in ihrer freien Entscheidung an die Hand nehmen. Ein "Anleiten" der restlichen Schöpfung wäre kein liebender Akt in gegenseitigem Einvernehmen, sondern Zwang: Manipulation. Es wäre eine "Bedienen" der Schöpfung. Die Welt als Kasperletheater. Oder: Gott als störrisches Kind, das solange manipuliert bis es seinen Willen hat.

Damit ist freilich nicht Gottes schöpferisches Wirken bloß auf das allursächliche erste Aufglimmen beschränkt. Ich bestreite nicht eine creatio continua, also das fortwährende schöpferische Handeln Gottes an seiner Schöpfung und überhaupt die Tatsache, dass er sie zur Gänze im Dasein hält. Dem widerspricht ja schon die Bibel, die vom ersten bis zum letzten Buch immer wieder von "(Neu)Schöpfung" spricht. Es soll damit lediglich ausgesagt werden, dass Gottes Schöpferwirken nicht im Manipulieren einzelner Aspekte und Details der Natur zu finden ist (z.B. das Basteln eines Flagellums... das dann schlimme Krankheitserreger befähigt, uns Menschen zu quälen). Was die Kreationisten behaupten und wogegen ich mich wende, ist ein ständiges kausales Eingreifen Gottes in Naturprozesse! Wenn dem so wäre, hätten diejenigen die sich mit der Theodizee befassen ein ernstes Problem: Wenn Gott die ganze Zeit lenkend und konkret formend und gestaltend in allerlei Prozesse eingreift (wir das merkwürdigerweise aber nicht sehen und überprüfen können): Warum gestaltet er dann lauter Bakterien, Pilze, Viren und Parasiten bzw. lässt sie sich frei entfalten? Ganz zu schweigen von Naturkatastrophen, die ja auch großen Einfluss auf die Entwicklung des Lebens haben (siehe Massenaussterben etc.). Was ist mit genetischen Defekten die unsägliches Leid verursachen, wenn doch Gott ständig an der DNA von allerlei Lebewesen rumbastelt? Wenn Gott kontinuierlich die Physis manipuliert, warum lässt er dann so viel Schreckliches zu? Oder ist er hier sogar der eigentliche Akteur?

Greift Gott hingegen nicht ständig manipulierend ein, ist die Existenz solcher Wirklichkeitsaspekte völlig plausibel, denn sie gehören zum Weltganzen dazu. Beispiel Erdbeben: Sie sind Teil jener geologischen Prozesse, die Leben auf der Erde überhaupt erst ermöglichen (Stichworte sind z.B.: Plattentektonik und Kohlenstoffkreislauf) und ohne sie gäbe es ein ökologisches Chaos (und vermutlich ein ähnliches Schicksal des Planeten, wie es der Mars vor Urzeiten erlebt hat). In der Natur gibt es kein Gut und Böse: Die Explosion eines Sterns vernichtet alles Leben in einem großen Umkreis... doch gäbe es nie Sternenexplosionen, gäbe es nie Elemente jenseits von Eisen (siehe PSE), da diese bei solchen Explosionen gebildet werden. Unser Sonnenssystem besteht "in zweiter Generatiuon": Weil ein Stern explodierte und sich aus der entstandenen Gaswolke ein neuer Stern und die Planeten bildeten, gibt es uns! Lange Rede, kurzer Sinn: Dinge die wir als schädlich oder gar tödlich empfinden und erfahren, gehören ebenso zum Lauf der Welt.

Wirkt Gott also nicht in der (geologischen, biologischen etc.) Welt?
Doch, natürlich! Aber nicht in einem kausalen Sinne, wie es Kreationisten aller Couleur (inkl. ID) behaupten!


»Groß bist du, o Herr, und deines Lobes ist kein Ende; groß ist die Fülle deiner Kraft, und deine Weisheit ist unermesslich. Und loben will dich der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung; der Mensch, der sich unter der Last der Sterblichkeit beugt, dem Zeugnis seiner Sünde, einem Zeugnis, dass du den Hoffärtigen widerstehest; und doch will dich loben der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung. Du schaffest, dass er mit Freuden dich preise, denn zu deinem Eigentum erschufst du uns, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir.« (Augustinus, Confessiones)

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