Samstag, 10. Mai 2014

Dürftige Theologie - 10 - Toleranz/Akzeptanz

Büßergewand der hl. Klara v. Assisi
Bitte die Einführung (hier) beachten!


In der Diskussion um die zivil wiederverheirateten Geschiedenen brachte Kardinal Kasper das Bonmont ein, die Kirche könne doch wohl, wie es laut Kasper einige Kirchenvärter getan haben sollen (siehe dazu die Teile 4 bis 6 dieser Reihe), etwas "dulden, was an sich unmöglich ist" (im Buch S. 64). Die deutsche Version des auf Italienisch gehaltenen Vortrags (ich traue dem Kardinal zu, dass er seinen Vortrag auf italienisch verfasst hat) sagt hier aber etwas dezent anderes als das, was die Kardinäle zu hören bekamen. Im Konsistorium hörte sich das so an: "tollerare ciò che di per sé è impossibile accettare"; also: "etwas tolerieren, was an sich unmöglich akzeptiert werden kann". Das Begriffspaar um das es also gehen muss, ist Akzeptanz/Toleranz. Dieser Gedanke wurde seit dem Konsistorium von Kasper und anderen immer wieder vorgebracht (z.B. hier).
Die Situation der zivil wiederverheirateten Geschiedenen solle also geduldet, toleriert werden, nicht aber akzeptiert.

Was hier vorliegt ist in meinen Augen recht populistisch und intellektuell (zumal theologisch) und v.a. pastoral eigentlich nicht durchzuhalten. Ich klammere das offensichtliche Problem mal aus, welches darin besteht, dass eine solche Unterscheidung theoretisch schön klingt, praktisch aber unerheblich ist: Akzeptanz und Toleranz sind zwei Begriffe, die in der Alltagswelt nicht selten austauschbar gebraucht werden. Und auch die "Toleranz" einer zweiten zivilen Ehe würde ganz automatisch irgendwann (eher früher als später) als "Akzeptanz" interpretiert und entsprechend bewertet und benannt werden (und spätestens dann wäre nicht mehr plausibel zu machen, worin der Unterschied zwischen der "ersten" und der "zweiten" Ehe besteht)... das ist nur menschlich. Dies beiseite gelassen, geht es mir im Folgenden nur um die theoretische Unterscheidung: ich tue mal so, als wäre sie im Alltag durchsetzbar.

Toleranz drückt, etwa im Unterschied zum Respekt, keine Wertschätzung aus, sie beinhaltet aber eine klare Wertung. Toleranz (von lat. tolerare: tragen, ertragen) hegt man gegen etwas, was man eigentlich ablehnt, dessen "Dasein" man aber nichts desto trotz, eben: toleriert. Toleranz hat ein deutlich passives Moment an sich. Ich kann z.B. einen Parasiten tolerieren, der sich mir unter die Haut bohrt. Wichtig ist, dass man das Übel (als solches) wahrnehmen muss, um es tolerieren zu können: Toleranz ist keine Ignoranz. Etwas zu tolerieren, so belehren uns die Wörterbücher, bedeutet, es geschehen, es zuzulassen, ohne es in irgend einer Weise gutzuheißen oder zu unterstützen.

Akzeptanz ist etwas völlig anderes, denn sie ist immer auf ein Gut gerichtet, hoffentlich also auf etwas Positives und Wahres. Wenn ich etwas akzeptiere, dann nehme ich es an (lat. accipere: annehmen), ich mache es mir zu eigen. Akzeptanz ist immer aktiv, sie geschieht in einem "Akt des Akzeptierens". Etwas Böses zu akzeptieren ist Frevel, denn es würde eine Ablehung der Wahrheit bedeuten. Wer meint beides akzeptieren zu können, das Falsche und das Wahre, betrügt sich selbst, denn diese beiden widersprechen sich. Etwas Wahres hingegen nur zu tolerieren impliziert die eigentliche Ablehung dieses Wahren. (Ein Atheist kann meine Religion tolerieren, ich aber kann nie seinen Atheismus akzeptieren.)

Nun könnte man meinen, Kasper würde hier etwas insofern Richtiges sagen, als die Kirche natürlich eine "zweite Ehe" nicht akzeptieren, bestenfalls eben tolerieren kann. Aber auch das stimmt natürlich nicht, denn die Kirche muss immer, wie Jesus es auch tat, die Menschen zur Umkehr aufrufen; nie darf sie sich mit der Sünde abfinden, nie ihr gegenüber passiv werden. Aber auch dieses kleine Detail will ich in diesem Beitrag nicht ausführlich behandeln.
Das Problem das ich mit Kaspers Rede von der Toleranz habe ist zunächstmal dieses, dass Kasper seine Toleranz am Ende eben doch als Akzeptanz verkauft und auch als solche verkaufen muss, denn, da geh ich jede Wette ein, niemand von den Betroffenen, möchte "(nur) toleriert" werden! Jemandem ins Gesicht zu sagen, er bzw. seine Lebensweise würde "(nur) toleriert", ist eine ganz schreckliche Aussage und wird in keinem Fall als ein Ausdruck von Barmherzigkeit wahrgenommen werden! "Wir tolerieren dich" klingt nicht besonders einladend...

Dass Kasper für die Väterzeit eine "Pastoral der Duldung" annimmt, verwundert, denn gerade die Christen damals duldeten die in schwere Sünde Gefallenen eben gerade nicht in ihrer Mitte, sondern schlossen sie aus der Gottesdienstgemeinschaft aus. Für die gab es den Büßerstand, in dem sie in aller Öffentlichkeit nicht selten Jahre oder gar Jahrzehnte lang die kirchliche Buße auf sich nahmen und erst in einem langwierigen Prozess sukzessive wieder in die Gemeinde integriert wurden (siehe dazu hier), immer unter der Voraussetzung, sich von dem begangenen Übel abgewendet zu haben. (Dahinter steht freilich Kaspers Fehldeutung des Kanons 8 des Konzils von Nicäa, siehe dazu hier.)
Heute haben wir keinen Büßerstand mehr, niemand wird aus der Gottesdienstgemeinde ausgeschlossen. Was geblieben ist, ist ein Ausschluss von den Sakramenten in einigen wenigen schwerwiegenden Fällen (und wenn man Deutscher ist und keine Kirchensteuer zahlt...), der aber im Interesse der Betroffenen geschieht, da die Sakramente nicht nur Gnadengeschenke sind, sondern auch an bestimmte Voraussetzungen gebunden sind, wie wir das gerade bei den Kirchenvätern noch viel rigoroser finden als heute.

Fakt bleibt, dass es auch heute und immer Sünder gibt und dass gerade ein Vergehen gegen die Gemeinschaft der Kirche, wie eben der Ehebruch (der ist eben keine Privatsache!), Folgen hat. Und so sehr man hier auch von interessierter Seite auf die Tränendrüsen drückt: Es ist ein Status, in den man freiwillig tritt. Es mag vorkommen, dass jemand schuldlos ist am Zerbrechen einer Ehe, aber das Eingehen einer zweiten zivilen Ehe geschieht nicht schuldlos.
Wie ich beriets andernorts zu diesem Thema bemerkt habe (hier):
»Das Leben im Ehebruch ist numal ein Stigma! Es kann weder die Kirche noch sollte es einen selbst kalt lassen, sofern man den Glaubenssatz von der Unauflöslichkeit der Ehe akzeptiert. (Wenn man ihn nicht akzeptiert, sollte es m.E. eh keine Rolle spielen, welche Sakramente man empfängt und welche nicht, da man offenkundig eh so seine Privatmeinungen über deren Inhalt und Wirkung zu haben scheint). Es ist ein Stigma für das man sich entscheidet! Freiwillig (denn niemand wird zu einer zweiten zivilen Ehe gezwungen)!«

Genau das wird bekämpft. Der bloße Eindruck einer "Stigmatisierung" ist es, der abgelehnt wird. Jemand der in zweiter ziviler Ehe lebt, will sich und seine Beziehung genauso anerkannt wissen, wie jede andere Ehe. Man will nicht stigmatisiert sein, obgleich man es nun einmal ist und zwar aus eigenem Entschluss heraus (aus dem gleichen Grund kann auch nicht die orthodoxe Praxis übernommen werden, siehe dazu hier). Man will ganz akzeptiert sein, und wird sich auch mit weniger nicht zufrieden geben, da man es als diskriminierend betrachten würde (vgl. hier). Niemand will ein "Bürger zweiter Klasse" sein... aber zu genau soetwas degradiert man jemanden, wenn man ihn bloß "toleriert"!
Außerdem muss man wohl auch die Frage stellen, was genau hier eigentlich toleriert werden soll: Dass Menschen Sünder sind, wird in der Kirche immer schon toleriert (im Unterschied zu allerlei Sekten aller Jahrhunderten), das wäre also nichts furchtbar Neues... Die Sünde aber kann die Kirche nicht tolerieren! Sie kann sich der Sünde gegenüber nie passiv verhalten, sondern muss gegen sie aktiv vorgehen! "Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde." (Joh 8,34) Der ganze Sinn von Jesu Heilswerk ist die Befreiung aus dieser Sklaverei und auch der Auftrag der Kirche ist ganz wesentlich darauf ausgerichtet... das Joch der Sklaverei zu tolerieren, widerspräche der Berufung des Christen: "Die Sünde soll nicht über euch herrschen; denn ihr steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade." (Röm 6,14)

Kardinal Kasper setzt natürlich alle seine Forderungen (und es sind Forderungen, auch wenn sie mehrheitlich in Frageform formuliert sind) auf geschickte Weise niedrig an. Aber wie ich schon im letzten Beitrag dieser Serie (hier) gezeigt habe, spielt das eigentlich keine Rolle für das Endergebnis. Dass der Kardinal eine "Pastotal der Duldung" vorschlägt, ist nichts weniger als ein Affront gegen die Betroffenen, der auch dadurch nicht gemildert wird, dass man (siehe letzten Link) einigen wenigen dieser "Tolerierten" - den "Privilegierten" (N. und R. Martin) - aus welchen Gründen auch immer einen Freifahrschein zum Sakramentenempfang ausstellt.
Wobei ich mich eh frage, wie man denen, die nicht zu den wenigen "Privilegierten" gehören, das dann zu erklären gedenkt... "Ihr seid leider nicht fromm genug." oder "Ihr engagiert euch leider nicht genug." oder, um mal veralteten Jugend-Jargon zu bemühen, "Das ist halt pP [persönliches Pech]." Wo, bitte, soll bei solchem Gebaren Barmherzeigkeit sichtbar werden? Darf bzw. kann man Barmherzeigkeit überhaupt derart selektiv üben? Ist es barmherzig, die Barmherzigkeit anhand eines Eignungskatalogs zu verwalten? Aber natürlich: "Die gute Nachricht ist: Wir tolerieren euch trotzdem."... hä?


Ich glaube, dass es sich bei diesem "tolerieren/akzeptieren"-Sprech wie so oft nur um eine Worthülse handelt, die etwaige Bedenkenträger beschwichtigen soll... niemand will ernsthaft eine "Pastoral der Duldung", auch Kardinal Kasper nicht. Wie schon in Teil 9, so gilt auch hier: Alles (für alle) oder nichts!

Und, wie gesagt: Die Einführung einer solchen "Toleranz" würde ganz automatisch zu einer Wahrnehmung und Wertung im Sinne einer "Akzeptanz" führen und zu einer Verwaschung der Grenzen beitragen... 
Und dann soll nochmal einer hergehen und den Unterschied zwischen der sakramentalen und der zivilen Ehe erklären... Das alles ist sehr gefährlich, denn es ist eine, wie es das Englische so schön ausdrückt, slippery slope, eine schiefe Ebene, auf der alles einfach der Schwerkraft folgt, ob das nun beabsichtigt ist, oder nicht...


Ich empfehle dringend die Lektüre der Kapitel 6 bis 8 des Römerbriefes...
»Ihr wisst doch: Wenn ihr euch als Sklaven zum Gehorsam verpflichtet, dann seid ihr Sklaven dessen, dem ihr gehorchen müsst; ihr seid entweder Sklaven der Sünde, die zum Tod führt, oder des Gehorsams, der zur Gerechtigkeit führt. Gott aber sei Dank; denn ihr wart Sklaven der Sünde, seid jedoch von Herzen der Lehre gehorsam geworden, an die ihr übergeben wurdet. Ihr wurdet aus der Macht der Sünde befreit und seid zu Sklaven der Gerechtigkeit geworden.« (Röm 6,16-18) 

2 Kommentare:

  1. Ganz herzlichen Dank nicht nur für diesen Beitrag, sondern für die ganze Serie. Ob man die mal Seiner Eminenz schicken sollte?

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    1. Vielen Dank für die Lorbeeren. Aber ich glaube, dass eine Denkschrift an seine Eminenz sine studio et ira verfasst sein müsste... eine Qualität, die dieser Serie wohl nicht eigen ist...

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