Freitag, 8. Juni 2012

Buchreligionen

Es ist ein überaus weit von der Wahrheit weg und also in die Irre führender Weg, wollte man das Judentum oder das Christentum zur Buchreligion erklären und dann mit dem Islam in einen Pott werfen.

Der Islam ist tatsächlich eine Buchreligion, weil der Koran, so der Glaube, präexistent bei Gott war und 1 zu 1 Gottes Wort ist. Das hat erstens zur Folge, dass es eigentlich keine Übersetzung geben kann (denn Gott spricht arabisch) und zweitens, dass es in aller Regel keine kritische Exegese gibt (auch eine eher "mystagogische Exegese" wie etwa im Sufismus ist eher die Außnahme, weswegen die Sufis aber auch Verfolgung leiden mussten). Im Grunde zeigt das Verhältnis vom Koran zu Gott eine gewisse Parallelität zum Verhältnis von Jesus Christus zu Gott.
Und das ist auch schon der Unterschied und der Grund, warum das Christentum keine Buchreligion ist: Woran Christen glauben ist eine Person, nicht ein Buch. Wir sind also wenn überhaupt eine Personenreligion, und keine Buchreligion. Dass aber Gott Person ist, ist sowieso klar (für den Christen).

Das ist auch das Problem, das ich mit Evangelikalen habe: Regelmäßig hört man solche Wendungen wie "I believe in the Bible", "Ich glaube an die Bibel". Oder die hämische Frage "Glaubst du etwa nicht an die Bibel?", worauf ich klar und deutlich antworte: "Nein. ich glaube an Gott!" Das evangelikale Modell kann natürlich nur zu Scheuklappenindoktrination führen, denn hier wird die Wahrheit mit dem Buchstaben identifiziert, ja schlimmer noch, zuweilen sogar mit einer bestimmten Übersetzung der Schrift (etwa King James).
Das ist aber eine krasser Widerspruch sowohl zum Judentum als auch zum eigentlichen Mysterium des Christentums... auch das Judentum ist keine Buchreligion, denn ihr "Buch", die Tora, kündet nur den Willen Gottes, sie ist nicht selbst göttlich, nicht selbst die Wahrheit.
Das Neue Testament wiederum bringt Kunde von Christus: Zuerst war die Beziehung zum lebendigen Christus da, dann wurde darüber geschrieben.

Und das ist Grund Nr. 6701 warum ich gerne katholisch bin: Nur hier ist die Reihenfolge getreu bewahrt: Am Anfangs steht Gott selbst in Jesus Christus und die Gemeinschaft derer, die in Beziehung zu Ihm stehen. Dann, mittels dessen, was wir "Tradition" (lat. tradere: überliefern) nennen, kommt die Norm des Ganzen zustande, immer geleitet durch den Heiligen Geist.

Das mag der Grund sein, weshalb der große zivilisatorische Fortschritt (v.a. die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Methodik) ausgerechnet im Christlichen (katholischen!) Kosmos erwachsen ist: Die Beziehung zu einer Person ist etwas lebendiges, etwas dialogisches... im Islam gibt es keinerlei Beziehung... es gibt nur den Buchstaben und der ist unveränderlich.

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