Montag, 20. Juli 2020

Pastorale Umkehr

Eine kleine Beobachtung am Rande bezüglich der neuen Instruktion aus Rom.

Bestimmte Kräfte der katholischen Kirche in Deutschland haben seinerzeit versucht, die Enzyklika "Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus möglichst zu verwässern, um bloß nichts an ihren Plänen ändern zu müssen. Ein sehr schönes Beispiel, bei dem das schon sprachlich deutlich wird, ist die Nr. 27 dieses Schreibens, wo in der "gültigen" deutschen Fassung eine "pastorale Neuausrichtung" benannt wird. Im spanischen Original steht freilich etwas anderes, dort ist die Rede von einer "conversión pastoral", also einer pastoralen Umkehr oder Bekehrung - etwas durchaus in einem positiven Sinn Erschütterndes, das man hierzulande aber äußerst ungern möchte.

Diese sprachliche Abmilderung beißt jene bestimmten Kräfte nun in den Popo, da die neue Instruktion nicht nur die Pfarrer stärken und eine Klerikalisierung der Laien so gut es geht eindämmen will, sondern das alles und noch viel mehr geschieht auch noch unter dem Stichwort der "pastoralen Umkehr" (ital. conversione pastorale) gleich im Titel. Tja. Ob man sich dem jetzt stellt? Vermutlich nicht.

Donnerstag, 16. Juli 2020

Fühlen mit der Kirche

Jan-Heiner Tück im Interview auf katholisch.de (hier), gefragt nach der Verbindlichkeit der zu glaubenden Unfehlbarkeit des Papstes: »Wenn ein "sentire cum ecclesia – ein Fühlen mit der Kirche" gegeben ist, braucht es keine Totalidentifikation mit der Lehre der Kirche zu geben. Die Anerkennung des Glaubensbekenntnisses reicht.«

Nein, das reicht definitiv nicht.

Erstens ist "Totalidentifikation" an dieser Stelle ein völlig falsches und irreführendes Wort, denn eine Totalidentifikation, also eine Identifikation seiner selbst mit allem was zur Kirche gehört und was in der Kirche geschieht, ist schlicht nicht möglich. Niemand kennt alles und jeder wählt aus und setzt Schwerpunkte. Was es aber geben kann und geben soll, ist der Wille, den ganzen Glauben der Kirche getreu anzunehmen, selbst in den Punkten, die man nicht kennt, oder die für einen selbst nicht so zentral im eigenen geistlichen Leben sind (impliziter Glaube).

Zweitens kann es kein "sentire cum ecclesia" geben, wenn ein solcher impliziter Glaube nicht gegeben ist; der Verweis darauf eignet also nicht als Argumentationsgrundlage. Das ist in etwa so, als wenn ich sagen würde "Wenn Blindheit gegeben ist, dann braucht es keine Wertschätzung für die Malerei von Rubens oder Rembrandt." Die Aussage ergibt keinen Sinn: Ich kann nicht "Fühlen mit der Kirche", wenn ich nicht (zumindest implizit) will, was die Kirche will, liebe was die Kirche liebt und glaube was die Kirche glaubt. Dies zu tun ist Vorbedingung für ein "Fühlen mit der Kirche", nicht andersrum.

Der Ausdruck "sentire cum ecclesia" stammt von Ignatius von Loyola, und dieser verband damit ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Tück hier darlegt. Für Ignatius gilt der Gehorsam (gegenüber der Kirche, die er aus diesem Anlass insbesondere in ihrer Hierarchie und ihrem Lehramt verortet) mehr als eigene innere Regungen: Für ihn bedarf das Bewegtsein durch den Geist Gottes der Verleiblichung, so wie auch Christus sichtbar Mensch geworden ist. Das ist für ihn der Gehorsam gegen die Kirche.
Nie hätte Ignatius die eigene innere Regung, erst recht nicht das eigenen Gefühl oder das eigenen (rationale) Urteil höher gestellt als das, was ihm von Seiten der Kirche vorgegeben oder gesagt wird (die Rangfolge ist: 1. Papst, 2. Vorbild der Heiligen, 3. die eigene Vernunft). Das ist für ihn "Fühlen mit der Kirche": Das eigene Empfinden und Wollen an der Kirche (dem Lehramt) ausrichten. Das berühmte vierte Gelübde der Jesuiten, der Gehorsam gegen den Papst, hat genau hier seine Begründung. Dabei handelt es sich nicht um eine Geringachtung der Vernunft oder des eigenen Mittuns, sondern es drückt sich hier das Vertrauen aus, dass derselben Geist Gottes, der im Herzen jedes Menschen wirken kann, sich vorzüglich (und objektiv gültig) in der Kirche ausdrückt, nicht geringer, als er sich im Leben Jesu und der Heiligen ausdrückte.

Wenn ein Mensch meint, er könne das (fälschlich so bezeichnete) Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht annehmen, dem hält Ignatius entegegen: "Denn oft mag das, was so gar nicht mit der menschlichen Klugheit übereinzustimmen scheint, sehr wohl eins sein mit der göttlichen Klugheit: denn diese lässt sich nicht eingrenzen in die Gesetze unserer Vernunft." Wer sich in seiner Ablehnung vom Geist bewegt glaubt, dem muss klar sein: "immer ist es für diesen Mystiker [d.i. Ignatius] die hierarchische Kirche, die ihm zum Maßstab der Echtheit allen Geistes wird." (Hugo Rahner, Ignatius 379)

Mittwoch, 15. Juli 2020

Fixierung auf das Priestertum

Auf katholisch.de wird wieder einmal die Werbetrommel für das Frauenpriestertum (und Priester im Nebenberuf) gerührt (hier). Diesmal ist es der Vizeprovinzial der Pallottiner.

Daran wird wieder einmal etwas sehr deutlich: Diese Agenda zeigt mehr als alles andere eine geradezu krankhafte Fixierung ihrer Vertreter auf den Priester (Klerikalismus). Der Eindruck ist: um etwas in der Kirche zu gelten, oder um etwas für das Reich Gottes zu bewirken, genügt die Taufe nicht, es braucht auch das Sakrament der Weihe.

In diesem Fall ist dieser Eindruck besonders grell, denn jener Vizeprovinzial der Pallottiner verleugnet damit ausgerechnet die wesentlichen Impulse des Heiligen Vinzenz Pallotti, den Papst Pius IX. nicht grundlos als "Pionier der katholischen Aktion" charakterisiert hat. Sein Anliegen war es gerade, alle Katholiken - Arbeiter, Lehrer, Diener, Bauern, Hausfrauen etc. - zum Apostolat in ihrem wie auch immer großen oder kleinen Aktionsradius zu ermutigen. 
Diese Fixierung auf das Priestertum steht in direkten Gegensatz dazu.

Dass ein Priester ebendies nicht im Nebenberuf sein kann, ist klar, das muss nicht kommentiert werden. Dass der so Redende nicht glaubt, ein Papst könne diese Sache entscheiden, zeigt eigentlich nur seine Ignoranz in Sachen des Glaubens.

Dienstag, 14. Juli 2020

Heilige Wurzeln

Aus dem Evangelium des letzten Sonntags: "Auf felsigen Boden ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort hört und sofort freudig aufnimmt, aber keine Wurzeln hat, sondern unbeständig ist; sobald er um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt wird, kommt er zu Fall."

Auch wenn ich das Etikett furchtbar finde, gebrauche ich es einmal: Liberale Katholiken. Also solche, die meinen, die Kirche neu erfinden zu müssen, die nicht viel geben auf das überkommene Glaubensgut der Kirche.
Mir tun diese Leute Leid. Ehrlich. Sie tun mir insbesondere darum Leid, weil sie den unermesslichen Schatz an geistlicher Erfahrung, an mystischer und systematischer Beschäftigung mit den Dingen des Glaubens, an Betrachtungen, Gebeten und Hymnen beinahe ausschließlich nur in der Weise des Verdachts oder sogar der Abscheu betrachten können. Wenn, um ein Beispiel zu nennen, von Irenäus über Gertrud die Große bis Hugo Rahner die Eucharistie insbesondere als Opfer, unser Bezug zu ihr als Mitopfern und Selbstopfer betrachtet wird, dann können solche Leute damit nicht nur nichts anfangen, sondern sie müssen es als etwas glücklicherweise Überwundenes betrachten oder es in eine bis zur Unkenntlichkeit verwaschene Form umdeuten. Und damit versperren sie sich den Zugang zu allem, was diese geistlichen Giganten dazu gedacht haben.

Dieser unermessliche Schatz der Erfahrungen, Überlegungen und Betrachtungen der Kirche, insbesondere ihrer ungezählten Heiligen, ist für sie höchstens in vereinzelten Klischees zugänglich (etwa Franz von Assisi als Umweltaktivist). Einen zusammenhängenden Gedanken, geschweige denn einen ganzen Text eines heiligen Schriftstellers oder eines Konzils, können sie nie wirklich verstehen und echten geistlichen Nutzen daraus ziehen - viel zu fremd (überwunden) ist es.

In meiner Arbeit wie auch im privaten Umgang merke ich immer wieder, dass die Menschen, insbesondere die, die hauptamtlich für die Kirche arbeiten, keine Wurzeln in der Geschichte der Kirche haben. Sie scheinen zu glauben, ihre Schwierigkeiten, etwa in Sachen Katechese, seien neu und schlimm und sie müssten sich etwas ausdenken... dabei ist nichts neu und die Tradition bietet bereits alle Antworten.

Heilige bringen Heilige hervor: Jeder Heilige wurde in seinem Leben wesentlich geprägt oder sogar unmittelbar bekehrt durch das Wirken oder die Schriften anderer Heiligen. Überhaupt sind die Vorbilder und das Denken der vorangegangenen Glaubenden immer Inspiration und Antrieb für das christliche Leben gewesen. Dieser "Generationenvertrag" ist heute weitestgehend gekündigt, denn jenseits vereinzelter Klischees können die meisten Katholiken, insbesondere im Kirchenapparat, mit Leben und Schriften der Glaubenden vor uns nichts mehr anfangen.
Das scheint mir ein wesentlicher Grund für die Krise zu sein: Nicht nur, dass wir den auf uns gekommenen Glauben nicht mehr wollen, sondern weil wir ihn nicht wollen, können wir keine Wurzeln in die Glaubensgeschichte schlagen. Wir verdorren und kommen zu Fall.

Es täte Not, die Heiligen als Zeugen des Glaubens, nicht bloß als Klischees, in allen Bereichen der Kirche neu zu entdecken, zu studieren und ernstzunehmen...

Freitag, 5. Juni 2020

Der Theologe und die gleichgeschlechtliche "Benediktion"

Der Ewald Volgger, der an der Linzer Katholischen Privat-Universität als Liturgiewissenschaftler tätig ist und von der österreichischen Bischofskonferenz damit beauftragt wurde, Möglichkeiten zur Segnung homosexueller Paare zu erarbeiten, durfte sich neulich auf katholisch.de (hier) ausführlich zu genau diesem Thema äußern. Erfreulicherweise nimmt er kein Blatt vor den Mund und legt ganz offen dar, dass seine Bestrebungen darauf abzielen, die Lehre der Kirche zu ändern und letztlich auch Homosexuellen die Möglichkeit zu geben, kirchlich (sakramental) zu heiraten. Letzteres natürlich nicht sofort: um das dumme Volk nicht zu verunsichern, soll dieses Ziel schrittweise umgesetzt werden, wozu er als Etappenziel eine ganz offizielle Benediktion (Segnung) durch die Kirche vorschlägt, die dann etwa ins Kirchenbuch eingetragen wird, nicht unähnlich einer Jungfrauenweihe. Sobald sich das dumme Volk daran gewöhnt hat, kann diese Sakramentalie dann zum Sakrament erklärt werden.
Natürlich, wie üblich, ist dabei jede menge Quatsch ausgesagt, der theologisch nicht tragfähig ist. Die Wünsche jenes Liturgiewissenschaftlers sind nur dies, seine persönlichen Träumereien, die mit der Lehre der Kirche völlig unvereinbar sind.

Was mich aber besonders stutzig/wütend gemacht hat, ist diese rhetorische Frage: "Können zwei gleichgeschlechtlich liebende Menschen ihre Taufberufung für ein gemeinsames Leben verfolgen und von der Kirche den Segen dazu erhalten?" Noch deutlicher wird es, wenn er meint, die Kirche müsse "gleichgeschlechtliche Beziehung als gemeinsame Entfaltung der Taufberufung" würdigen.
Die Berufung Gottes, die an jeden Getauften ergeht, ist die Berufung zur Heiligkeit: "Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht und ein jeder von euch verstehe, sein eigenes Gefäß in Heiligkeit und Ehre zu halten, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen." (1 Thess 4,3-5; vgl. Eph 1,4) Volgger verkehrt die Mahnung des Apostels in ihr genaues Gegenteil, und offenbar hat er überhaupt kein Problem damit. So wird heutzutage Theologie betrieben!

Für mein Verständnis ist das Ansinnen jenes Liturgiewissenschaftlers nicht nur häretisch, es ist insbesondere blasphemisch und gefährlich für das Seelenheil vieler. Für die Frage, ob praktizierte Homosexualität (nach dem biblischen Zeugnis) sündhaft ist, verweise ich auf einen früheren Beitrag HIER (vgl. die sehr klugen Worte von Wolfhart Pannenberg hier), wo ich u.a. frage: "Kann [die Kirche] etwas segnen - hier also einer Handlungsweise den Segen Gottes zusprechen - was Gott selbst nach seinem einmütigen Zeugnis in der ganzen Offenbarung als Gräuel und schwere Sünde verwirft? Würde die Kirche soetwas tun, müsste man mit dem Apostel ernsthaft fragen: 'ist dann Christus ein Diener der Sünde?' (Gal 2,17)" Zur Frage der grundsätzlichen Möglichkeit der Beurteilung der Sünde siehe HIER.
Wie gesagt, ich begrüße die seltene Ehrlichkeit des Mannes, aber das was er sagt, ist klar zu verurteilen... bedauerlich, dass meine Kirchensteuer auch dazu verwendet wird, dass den Menschen solches Gift verabreicht wird. Ich bin natürlich nicht dafür, dass wir Häretiker verbrennen. Diese Lösung war vielleicht mal zeitgemäß, aber heute wäre es schon hilfreich, wenn solche Leute nicht im Namen der Kirche und zumal in einer katholischen Einrichtung lehren dürften und ihr Gift nicht über kirchliche Medien wohlwollend verbreitet werden würde.

Mittwoch, 3. Juni 2020

Heiliges Haus

Es folgt ein aktueller Beitrag von katholisch.de mit dem Titel "Kirchengebäude: Versammlungshaus oder heiliger Ort?" (hier) mit meinen kritischen Anmerkungen. Wenig verschleiert steht der Verfasser dem sakralen Charakter katholischer Kirchen kritisch gegenüber, den er als eine Abkehr vom ursprünglich Christlichen auffasst, auf das es sich zurückzubesinnen gelte. Der Verfasser irrt sich jedoch in seiner historischen Grundlegung ganz gewaltig und widerspricht sich dabei auch selbst. Er möchte sich für seine These sogar auf Synagoge und Moschee stützen, was nur solange funktioniert, wie man nicht nachschaut, was Juden und Muslime selbst über ihre "Bethäuser" und über ihr jeweiliges größtes Heiligtum denken.


Dass Christen ihre Gottesdienste in Kirchen feiern, ist nicht selbstverständlich. Die frühen Christen wehrten sich noch dagegen. [Falsch. Die vorkonstantinischen Gottesdiensträume befanden sich zwar innerhalb des Komplexes antiker Wohnhäuser, waren aber oftmals eigens für den Gottesdienst reserviert und entsprechend (zuweilen mit feststehenden Altären) eingerichtet.] Erst ein verändertes Glaubensverständnis sorgte für den Aufschwung der Kirchenbauten – und legte die Grundlage für verschiedene Auffassungen über die Natur eines Kirchengebäudes. [Protestantisches und katholisches Verständnis sind demnach nur „verschiedene Auffassungen“, die auf der selben „Grundlage“ beruhen… dass der Protestantismus nach 1500 Jahren Christentumsgeschichte eine zuvor nie dagewesene „Neuerung“ brachte, wird mit keiner Silbe erwähnt. Der folgende Text lässt deutlich durchblicken, dass der Verfasser das protestantische Verständnis des Kirchengebäudes favorisiert.]

Die spitzen Türme stolzer Kathedralen und Dome recken heute überall auf der Welt Kreuze in die Höhe und prägen damit die Silhouette nicht nur europäischer Städte jeder Größe. Bei den Katholiken sind Kirchen sogar extra für ihren Zweck geweihte Gebäude; in ihnen läuft der Besucher nicht einfach in den Altarraum, der oft auch noch ein paar Stufen erhöht ist – denn das ist der heiligste Ort des Gebäudes. Anders in reformierten Kirchen: Wenn überhaupt steht dort ein bescheidener Tisch im Raum, an dem die Menschen einfach vorbeigehen. [Anders lutherische Kirchen mit durchaus üblichen Altarschranken. Kurios, dass bei diesem ökumenischen Vergleich die Ostkirchen mit ihren zahlreichen uralten Traditionen völlig außen vor bleiben… der Grund ist klar: Dort ist in zahlreichen verschiedenen Ausprägungen ein sehr viel stärkeres Bewusstsein vom Heiligen Bereich erhalten geblieben.] Kirchen werden hier schlicht in Dienst genommen – von Weihe keine Spur. Beide Verständnisse eines Kirchengebäudes sind durch ganz unterschiedliche Entwicklungen in der Geschichte entstanden. [Dass es auch theologisch-inhaltliche Gründe geben könnte, bedenkt der Verfasser an keiner Stelle.]

Ursprünglich gab es bei den Christen keine speziellen Gottesdienstgebäude, man traf sich in Privathäusern. [Stimmt. Und zwar in eigens für den Gottesdienst vorgesehenen und eingerichteten Räumen.] Die Überlieferungen der Paulusbriefe und der Apostelgeschichte zeigen, dass Versammlungen an öffentlichen Treffpunkten die absolute Ausnahme waren. [Vielleicht lag das daran, dass die Christen verfolgt wurden? Oder daran, dass das, was die Christen feierten, von solcher Art war, dass es nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war – etwas „Heiliges“ gar?] Heilige Häuser gab es bei den Christen nicht – damit orientierten sie sich am Judentum. Für Juden gab es auf der ganzen Welt nur ein einziges heiliges Gebäude: den Tempel von Jerusalem. Nur hier durfte geopfert werden, nur hier fanden Kulte statt. [Demnach wäre der gänzliche Verzicht auf ein heiliges Gebäude aber gerade nicht Ausdruck einer Orientierung am Judentum!] Andere Häuser, die sie Synagogen (wörtlich "Versammlung") nannten, waren schlichte Versammlungsstätten der Gemeinden ohne sakrale Funktion [Ganz falsch. Die Synagogen entstanden nach der Zerstörung des ersten Tempels, weil es für das Gebet eines besonderen Ortes bedurfte. Es waren nicht einfach Versammlungen, sondern hier wurde das Gesetz verlesen und gebetet. Versammlungsorte und Begegnungsstätten der Gemeinde wurden sie erst sekundär. Es wurden sogar Elemente des Tempels für die Synagogen übernommen, insbesondere die Bima (etwa: Kanzel) und ein eigener Bereich (Balkon) für Frauen. Übrigens: Auch nichtjüdische Männer müssen in Synagogen (und auf jüdischen Friedhöfen) ihr Haupt bedecken; in manchen Synagogen zieht man sich sogar vor dem Betreten die Schuhe aus. Keine heiligen Stätten?] – das ist bis heute so. Tempel als wortwörtliche "Gotteshäuser", also Wohnhäuser von Gottheiten, gab es im Heidentum. Von diesem Verständnis wollten sich Christen wie Juden absetzen. [Nur ein Stichwort: Schechina. Zu Deutsche etwa: Wohnstatt (von hebr. schachan: wohnen, zelten; vgl. das lat. tabernaculum: Zelt). Im Tempel ist Gott wahrhaft gegenwärtig, deswegen ist es so ein heiliger Ort. Und er ist es bis heute, auch wenn er äußerlich zerstört ist. Der Unterschied zu den Heiden besteht darin, dass es sich hier nicht um einen Lokalgott oder eine mythologische Gottheit unter anderen Göttern handelt, sondern um den einzig wahren Gott.]

Doch die Welt änderte sich: Der große Tempel in Jerusalem wurde 70 n. Chr. von den Römern zerstört, Juden und Christen entwickelten sich auseinander. Außerdem verbürgerlichte sich das Christentum: Lebten die ersten Christen noch in der Erwartung, dass der Erlöser bald wieder auf die Welt kommen würde, verlegte sich der Fokus mit der Zeit mehr und mehr auf das Hier und Jetzt. Ämter und Rituale wurden deshalb immer stärker sakral aufgefasst: Aus dem gemeinschaftlichen (Sättigungs-)Mahl entwickelte sich die Eucharistie [Sehr falsch. Die Wahrheit ist: Die Eucharistie war von Anfang an vom Mahl unterschieden, anfangs jedoch mit einem solchen zeitlich und räumlich verbunden. Die Trennung der beiden aufgrund von Missbräuchen zeichnet sich schon bei Paulus deutlich ab.], der Posten des bisher nur symbolisch als Priester bezeichneten Gemeindevorstehers wandelte sich zu einem Weiheamt. [So „sympolisch“, dass es bei Paulus einen ganzen Kriterienkatalog für ihre Eignung gibt und es das Auflegen der Hände brauchte, um sie in ihr „symbolisches“ Amt einzuführen.] Gleichzeitig wurde aus einer verfolgten Gruppe von Christusanhängern die wachsende Staatsreligion des Römischen Reiches. Das führte zu einer weiteren Sakralisierung des Christentums und dem Bedürfnis nach öffentlichkeitswirksamen Bauten für Gemeinde und Gottesdienst.

Die Christen orientierten sich architektonisch bewusst an einem römischen Profanbau, der Basilika. Hier wurde Markt gehalten und fanden Gerichtsverhandlungen statt. In dieses weltliche Versammlungshaus stellten die Christen nun einen Altar. [Genau falsch herum: „Basilika“ ist ein Bautyp. Als Bautyp sagt er nichts über die Funktion des Gebäudes aus. Die Tatsache, dass ein Altar hineingestellt wurde, gibt die Funktion an: Sakralbau.] Altäre standen bei den Heiden vor den Tempeln [Manchmal. Manchmal auch drinnen.], deren Inneres war nur zur persönlichen Andacht vorgesehen. Im Christentum kommt die Gemeinde um den Ort des Kultes zusammen, heidnische und jüdische, profane und sakrale Vorstellungen finden sich hier also gleichermaßen wieder, wobei das sakrale Verständnis hinter dem Versammlungscharakter merklich zurücktritt. [Nein.]

Die Tendenz zur Sakralisierung [Schlimm!] wurde in den nun folgenden Jahrhunderten immer stärker. In die Kirchen wurden im Mittelalter sogenannte Lettner gebaut, also steinerne Schranken oder Wände, die den Bereich des Klerus von dem der Laien trennten. So manifestierte sich der immer stärker als heilig empfundene Charakter des Gebäudes mit dem Altarraum als geistlichem Zentrum. [Irreführend. Der Lettern wurde nicht zum Zwecke einer Trennung errichtet, sondern er ist eine Weiterentwicklung der frühchristlichen Cancelli (Kanzeln): Er diente dem Vortrag der Lesungen und der Gesänge (Lettner kommt von lat. lectiorum: Lesepult). Die „trennende“ Wirkung ist sekundär und keineswegs für einen Lettner charakteristisch: Ein Lettner ist keine Wand, sondern besteht aus (oft nach beiden Seiten hin offenen) Bögen/Gewölben. Die byzantinische Ikonostase hat eine gewollte trennende (aber auch zusammenführende) Funktion, der Lettner nicht.]

Einen Wendepunkt bildete die Reformation. Johannes Calvin (1509-1564) stand im Rückbezug auf die Bibel und das frühe Christentum für eine radikale Entsakralisierung des Kirchenraums. Er warf die Altäre aus den alten Kirchen, deren Platz am Ende des Raumes blieb demonstrativ leer. Bei Calvin gab es nur noch einfache Tische. [Auf den für das unterschiedliche Raumverständnis entscheidenden Unterschied, nämlich Sinn und Inhalt dessen, was in diesen Räumen geschieht und gefeiert/getan wird, geht der Verfasser überhaupt nicht ein. Die jeweiligen Räume werden unterschiedlich verstanden, weil in ihnen ganz unterschiedliche Dinge geschehen: Im einen Raum geschieht die sakramentale Vergegenwärtigung des Opfers unserer Erlösung, an dem die Gläubigen leibhaftig Anteil erhalten; das andere ist ein Predigtgottesdienst, bei dem die Belehrung und Ermahnung der Gläubigen im Zentrum steht. Aus dem gleichen Grund ist es auch falsch, eine katholische Kirche mit einer Synagoge zu vergleichen, eher müsste man sie mit dem Tempel in Jerusalem vergleichen  (Anwesenheit/Gegenwart Gottes).]  Die Kirchenräume in der Nachfolge von Martin Luther (1483-1546) standen hingegen für eine vermittelnde Position: Der Altar blieb zwar an seinem Ort, eine Sakralität des Raumes als Ganzes gab es allerdings nicht mehr.

Das unterschiedliche Verständnis von Kirchengebäuden [Irreführend. Es geht nicht um das „Verständnis von Kirchengebäuden“, sondern um das Verständnis dessen, was in diesen Gebäuden geschieht!] spiegelte sich auch in deren architektonischer Gestaltung wider: Katholische Bauten lenkten den Blick des Besuchers auch künstlerisch gleich in Richtung des Altars, mit jedem Schritt in seine Richtung wird die Stimmung feierlicher und erfurchtseinflößender. Diesen Effekt vermieden die Protestanten [Weil es nichts Ehrfurchteinflößendes gab, auf das man zuging; anders in einer katholischen Kirche.]: Der die Fallhöhe von Heiligkeit und Weltlichkeit zelebrierende Barock blieb im Calvinismus auf Einzelfälle beschränkt, auch die Lutheraner gingen mit ihm sparsam um, die Kirchen sind schlichte Häuser des Zusammenkommens. [Ich kenne viele Protestenten, die dem widersprechen würden.] Wesentlich beliebter war im Protestantismus der Klassizismus als Bauform – obwohl der sich auf die Formen antiker Tempel bezog, die ein ganz anderes Sakralverständnis hatten.

Die nichtsakrale Grundeinstellung teilen die evangelischen Kirchen bis heute mit den Bauten der anderen abrahamitischen Religionen. Synagogen sollen im orthodoxen Judentum einfache Versammlungshäuser sein, die sich in ihrer Gestaltung nicht von ihrem Umfeld abheben. [Der Verfasser hat offenkundig noch nie eine orthodoxe Synagoge betreten. Es würde ihn gewiss überraschen, dass es auch in Synagogen ein „ewiges Licht“ (hebr. ner tamid) gibt, nahe beim mit kostbaren Stoffen verhängten Thoraschrein, das auf die Tempelmenora verweist und den unsterblichen Glauben Israels symbolisiert. Die im Schrein aufbewahrten Thorarollen, die nicht mit bloßen Händen berührt werden sollen, sind mit kostbaren Stoffen bekleidet, die vor der Lesung geküsst werden. Die Synagoge wird im Judentum ausdrücklich auch als „kleines Heiligtum“ oder „kleiner Tempel“ (hebr. mikdasch me‘at) bezeichnet (vgl. Hesekiel 11,16).] Die prächtigen Synagogen des 19. Jahrhunderts entstehen im assimilierten liberalen Judentum der Städte und orientieren sich in ihrer auf den Effekt setzenden Gestaltung an katholischen Gotteshäusern. Auch Moscheen sind keine Sakralräume [Weshalb auch niemand die Schuhe ausziehen muss, um hineinzugehen…]: Hier können außerhalb des Gebets auch Kinder gestillt oder Tee getrunken werden. [Aus dem Qur‘an, 24. Sure, Verse 16-17: „In den Häusern, deren Errichtung Allah erlaubt hat, damit dort Seines Namens gedacht werde, preisen Ihn des Morgens und des Abends Männer, die weder Handel noch Geschäft abhält von dem Gedenken an Allah und der Verrichtung des Gebets und dem Entrichten der Steuer.“ Der heiligste Ort der Muslime ist übrigens, ähnlich dem Judentum, ein Gebäude: Die Ka'ba.]

Doch auch die christlichen Kirchen sind mehr als nur Gottesdienstorte: Da in calvinistischen Gottesdiensten die Orgel nicht erklingen durfte, wurde sie seit dem 16. Jahrhundert außerhalb der Liturgie gespielt, die Kirchen wurden zusätzlich zum Ort für Konzerte. Auch die Bewegung der bürgerlichen Gesangsvereine und Kirchenchöre machte die Gotteshäuser aller Konfessionen auch zu Orten der Musik.

Besonders deutlich wurde die Mehrfachfunktion von Kirchen vor allem im Protestantismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Zum Teil wurden Gemeindezentren gebaut, deren Räume auch für Gottesdienste genutzt werden. Im Katholizismus blieb die Kirche dagegen auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) ein heiliger Ort, der nicht einfach so zum Raum für Feiern oder Gruppenstunden umfunktioniert werden kann. [Was der Verfasser offenbar bedauert.]

Die fortschreitende Säkularisierung stellt an die Kirchengebäude nun wieder neue Fragen: Die großen Kirchen der Vergangenheit werden in den bisherigen Dimensionen nicht mehr gebraucht [… und das soll sich auch nicht ändern…?], neue Raumkonzepte müssen her. Gegen die Doppelnutzung der Protestanten setzen katholische Gemeinden zum Teil die Aufteilung bestehender Räume – das Heilige und das Profane bleiben getrennt.
Als Räume [und mehr nicht!] bleiben Kirchen aber weiterhin gefragt, auch von Menschen außerhalb der Institution Kirche. Beispielsweise in Ostdeutschland engagieren sich auch Konfessionslose in Initiativen zur Rettung historischer Kirchen im ländlichen Raum. Denn von einer pluralen Gesellschaft werden Kirchen heute vielfältig genutzt: Die einen schätzen sie als Raum der Kultur, wieder andere als Ort der persönlichen Einkehr und der Begegnung mit dem Übernatürlichen und Heiligen – auch abseits spezifisch christlicher Frömmigkeitsformen. [Wir lernen: Im Christentum darf es das „Heilige“ (sakrale) in einem Gebäude nicht geben, es stellt eine mittelalterliche Fehlentwicklung dar, gegen die sich die frühe Christen sogar zur Wehr gesetzt haben (diese Behauptung aus dem Einleitungstext hat der Verfasser nicht einmal versucht zu belegen); aber für nichtchristlich-außerkirchliche „persönliche Einkehr“ ist es im Kirchenraum willkommen. Die Anbetung des in seinem Leib und Blut real gegenwärtigen Gottessohnes soll der esoterischen „Begegnung mit dem Übernatürlichen“ weichen.] Besonders auf dem Land sind sie zudem Identifikationsmerkmal und ein Sinnbild für Heimat in einer von Digitalisierung und Globalisierung geprägten Gegenwart. Als Zeichen für Gemeinschaft und Orientierung gelten sie also auch den Kirchenfernen etwas.
Die vom Mitgliederschwund gezeichneten Kirchen werden also auf lange Sicht nicht mehr allein Herren in ihren Häusern sein. Die Allgemeinheit wird Wünsche an die Kirchen und deren Gebäude herantragen. Die spirituelle Dimension wird aber zentral bleiben: Denn auch touristische Besucher schätzen Kirchen, die nicht nur steinerne Museen sind, sondern noch für Gottesdienste genutzt werden. [Die Touristen! Das ist doch mal ein Argument...] Wo Kirchen zunehmend vielzweckige Gebäude werden, könnten sich Gläubige auf ein altes Konzept zurückbesinnen: Die Hauskirche. [Die mit dem eigens für die Feier des Herrenmahls reservierten und eingerichteten Raum?] Schon Luther sah die Trias aus lateinischer, deutscher Messe und dem Hausgottesdienst. Als hyperlokale Gemeinschaft in einer von Individualisierung und einer wachsenden Zahl von Single-Haushalten geprägten Gesellschaft neue Impulse für Gemeinschaft und Spiritualität geben. Auch das 21. Jahrhundert wird Kirchen also neu für sich definieren. [Schade, dass die Christen die Definitionshoheit über ihre eigenen Gebäude an das Jahrhundert, (lat. saeculum, daher das Wort „Säkularisation“: weltlichmachung, der Welt angleichen), abtreten mussten...]



Das ist die Qualität des kirchensteuerfinanzierten katholischen Journalismus. Die Agenda ist klar: weg von allem, was "Heilig" ist, Sakramente spielen keine Rolle mehr, weshalb sie gleich gar nicht erwähnt werden.

Sonntag, 24. Mai 2020

glaubwürdig

Erdbeerbär
Es hat in der kirchlichen Sprache der letzten Jahrzehnte eine gewisse Verschiebung stattgefunden, auf die ich kurz eingehen will.
Konkret geht es mir um die Glaubwürdigkeit, genauer darum, inwiefern jemand oder etwas „glaubwürdig“ ist. Eigentlich handelt es sich dabei um ein Attribut des Verkündigenden Akteurs: Der Zeuge ist Glaubwürdig, d.h. der Zeugnisgebende, der Verkündiger.

Fast unmerklich ist die Verschiebung, wenn dann plötzlich aber von der "glaubwürdigen Verkündigung" die Rede ist. Dann ist nicht mehr der Redende und Handelnde Glaubenszeuge glaubwürdig oder unglaubwürdig, sondern eben die von diesem Subjekt abgehobene Verkündigung, also das, was er tut und wie er redet. Das ist gefährlich, denn so gesehen kann auch eine Lüge glaubwürdig sein, wenn sie nur überzeugend vermittelt wird. Derjenige, der das Zeugnis gibt, ist unerheblich, wichtig ist nun sein Tun und Sprechen.

Und diese Verschiebung geht inzwischen auch noch einen Schritt weiter, wenn die Rede ist von der "glaubwürdigen Botschaft", die es zu verkündigen gilt. Nun ist nicht mehr der Verkündigende gemeint, aber auch nicht seine Verkündigung als Tätigkeit, sondern der Inhalt dieser Verkündigung. Und genau da liegt der Knackpunkt: Wenn ich darum bemüht bin, den Inhalt "glaubwürdig" zu machen, dann bedeutet das nichts anderes, als dass ich diesen Inhalt zur Erhöhung seiner "Glaubwürdigkeit" entsprechend an Geschmack und Vorlieben der Hörer anpasse. Wohl gemerkt, es geht hier nicht bloß um die sprachliche Gestalt (das wäre die Verkündigung), sondern um den Sinn, der verkündet wird. Zuweilen ist genau das auch schon mit der Redewendung "glaubwürdige Verkündigung" gemeint, wenn nämlich mit "Verkündigung" der Inhalt gemeint ist.

Es wird gerade modern, im Rahmen pastoraler Erneuerung von der Wichtigkeit einer "glaubwürdigen Botschaft/Verkündigung" zu sprechen, die es zu verkündigen gilt. Nicht selten verbirgt sich dahinter aber nicht das wahre Evangelium, sondern eine für die Adressaten zurechtgestutzte Verballhornung desselben, die vielleicht gewitzt und sogar charmant daherkommt (etwa wie der Erdbeerbär), aber letztlich irreal und hohl ist. Das ist dann natürlich nicht tragfähig, weil es nicht in die Tiefe reicht (denn dort würde der Anspruch des Evangeliums unausweichlich werden) und es ist damit im Letzten auch nicht glaubwürdig, nicht des Glaubens würdig.

Der Inhalt des Evangeliums ist nie unglaubwürdig. Er kann unglaublich anmuten, aber diese Anmutung gilt es gerade zu überwinden, das ist das durchaus anspruchsvolle Wechselspiel von Verkündigung und Bekehrung. Das Evangelium wird umso weniger unglaublich, je glaubwürdiger seine Verkünder und Zeugen sind.

Montag, 18. Mai 2020

Johannes Paul II. über "Mission"

»Auf die Frage warum Mission? antworten wir mit dem Glauben und der Erfahrung der Kirche: sich der Liebe Christi öffnen bedeutet wahre Befreiung. In ihm, und in ihm allein, wer den wir befreit von jeder Entfremdung und Verirrung, von der Sklaverei, die uns der
Macht der Sünde und des Todes unterwirft. Christus ist wahrhaft "unser Friede" (Eph 2,14), und "die Liebe Christi drängt uns" (2 Kor 5,14), die unserem Leben Sinn und Freude gibt. Die Mission ist eine Frage des Glaubens, sie ist ein unbestechlicher Gradmesser unseres Glaubens an Christus und seine Liebe zu uns. Die Versuchung heute besteht darin, das Christentum auf eine rein menschliche Weisheit zu reduzieren, gleichsam als Lehre des guten Lebens. In einer stark säkularisierten Welt ist nach und nach eine Säkularisierung des Heiles“ eingetreten, für die man gewiss zugunsten des Menschen kämpft, aber eines Menschen, der halbiert und allein auf die horizontale Dimension beschränkt ist. Wir unsererseits wissen, dass Jesus gekommen ist, um das umfassende Heil zu bringen, das den ganzen Menschen und alle Menschen erfassen soll, um die wunderbaren Horizonte der göttlichen Kindschaft zu erschließen.« (Johannes Paul II, Redemptoris Missio 11)

Heiliger Johannes Paul der Große, bitte für uns!

Samstag, 16. Mai 2020

Joseph Ratzinger über den suizidalen Weg

Es folgt ein Text von Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1970, also von vor 50 Jahren! 

»[D]as recht verstandene Interesse an der Kirche [zielt] primär gerade nicht auf sie selbst, sondern auf das, wovon her und worauf hin sie da ist, darauf also, dass (mit den Worten der Augsburgischen Konfession zu reden) das Wort Gottes in seiner Reinheit und unverfälscht verkündet und der Gottesdienst recht gefeiert wird. Die Frage der Ämter ist nur soweit wichtig, so weit sie dafür die Vorbedingung bedeutet. Nochmal anders ausgedrückt: Das kirchliche Interesse ist nicht die Kirche, sondern das Evangelium. Das Amt sollte möglichst lautlos funktionieren und nicht primär sich selbst betreiben. Gewiß, jeder Apparat braucht einen Teil seiner Kraft auch, um sich selbst in Gang zu halten. Aber er ist um so schlechter, je mehr er im Selbstbetrieb aufgeht und er wäre gegenstandslos, wenn er nur noch sich selbst betriebe.
In dieser Hinsicht freilich stehen die Dinge heute reichlich schlecht. Der notwendige Prozess der Reform, d. h. der Brauchbarmachung der Kirche für ihren Auftrag in der veränderten Situation von heute, hat alles Interesse so sehr auf den Selbstvollzug der Kirche gerichtet, dass sie weithin nur noch mit sich selbst beschäftigt scheint. Zweifellos kann der kommenden gesamtdeutschen Synode in der gegenwärtigen Situation der Kirche eine bedeutende Aufgabe zufallen; in vieler Hinsicht ist eine solche Synode wohl eine Notwendigkeit. Dennoch scheint ihre Vorbereitung, so, wie sie mancherorts betrieben wird, den eben erwähnten Trend in ungesunder Weise zu verstärken. Man klagt darüber, dass die große Menge der Gläubigen im allgemeinen zu wenig Interesse für die Beschäftigung mit der Synode aufbringe. Ich muss gestehen, dass mir diese Zurückhaltung eher ein Zeichen von Gesundheit zu sein scheint. Christlich, d. h. für die eigentlich vom Neuen Testament gemeinte Sache, ist nämlich wenig damit gewonnen, wenn Menschen sich leidenschaftlich mit Synodenproblemen auseinandersetzen – so wenig jemand schon dadurch zum Sportler wird, dass er sich eingehend mit dem Aufbau des Olympischen Komitees beschäftigt. Dass den Menschen die Geschäftigkeit des kirchlichen Apparats, von sich selbst reden zu machen und sich in Erinnerung zu bringen, allmählich gleichgültig wird, ist nicht nur verständlich, sondern objektiv kirchlich gesehen auch richtig. Sie möchten gar nicht immer neu weiter wissen, wie Bischöfe, Priester und hauptamtliche Katholiken ihre Ämter in Balance setzen können, sondern was Gott von ihnen im Leben und im Sterben will und was er nicht will. Damit aber sind sie auf dem rechten Weg, denn eine Kirche, die allzuviel von sich selbst reden macht, redet nicht von dem, wovon sie reden soll. Leider muss man in dieser Hinsicht (und nicht nur in dieser) heute einen beträchtlichen Verfall der Theologie und ihrer Vulgarisationsformen fest stellen: Der Kampf um neue Formen kirchlicher Strukturen scheint weithin ihr einziger Inhalt zu werden. Die Befürchtung, die Henri de Lubac am Ende des Konzils geäußert hatte, es könnte zu einem Positivismus des kirchlichen Selbstbetriebs kommen, hinter dem sich im Grunde der Verlust des Glaubens verbirgt, ist leider ganz und gar nicht mehr gegenstandslos.«

(aus: J. Ratzinger / H. Maier, Demokratie in der Kirche)

Donnerstag, 7. Mai 2020

Naive Theologen

Angesichts einiger weniger kontroverser Äußerungen des emeritierten Papstes am Ende der neuen Benedikt-Biographie von Peter Seewald (sehr lesenswert, ich kann es kaum beiseite legen!), fühlt sich der Freiburger Fundamentaltheologe Herr Striet – einer der wenigen Theologen, die ganz offen dem Atheismus frönen (s. meine Bemerkung hier) – dazu herausgefordert zu betonen, dass unsere Gesellschaft ganz und gar „nicht religionsfeindlich“ sei. „Allerdings“, so führt er fort, „verlangen sie von Menschen, die ihre religiösen Überzeugungen in den öffentlichen Diskurs einbringen wollen, dass sie so gute Gründe für sie aufbringen können, dass sie auch zu überzeugen vermögen.“ (hier).

Ein Wort: Naiv.

Ich glaube, Herrn Striet ist wirklich davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft „nicht religionsfeindlich“ ist. Und ich habe eine Vermutung, warum er davon überzeugt ist.

Ums kurz zu machen: Herr Striet fühlt sich in dieser Gesellschaft geborgen und keineswegs angefeindet, weil er selbst alles nur Denkbare tut, um mit dieser Gesellschaft konform zu sein! Die „Religion“ die er vertritt, steht per Definition in keiner ernsthaften Spannung zu dieser Gesellschaft, denn ihr oberstes Ziel besteht in der Gleichförmigkeit mit ihr.
Das und nur das, meint Striet mit „überzeugen“: Es geht nicht wirklich darum, jemanden umzustimmen, sondern es geht darum ihm nach dem Mund zu reden und das weltliche Gegenüber davon zu „überzeugen“, dass man genau so ist und denkt, wie er: „Ich bin keine Gefahr für dich und dein gewohntes denken/fühlen/handeln, und ich beweise es dir, indem ich nichts vertrete, was dich kränken oder belästigen oder herausfordern könnte.“

Es ist schon erstaunlich, dass Menschen, die ihre ganze Anstrengung darauf verwenden, sich und ihre „Religion“ mit der Gesellschaft in Gleichschritt zu bringen, in vollem Ernst verkünden können, die Gesellschaft stünde dieser ihrer „Religion“ nicht feindlich gegenüber. Natürlich nicht! Wieso sollte sie?

Was Herr Striet nicht sieht, und wohl auch nicht sehen kann, ist die Tatsache, dass diese Gesellschaft durchaus religionsfeindlich ist, nämlich immer genau dann, wenn die jeweiligen religiösen Ansichten nicht widerspruchsfrei zu den Ansichten dieser Gesellschaft passen. Er kann das nicht sehen, weil er in diesen Fällen selbst auf der Seite jener Gesellschaft steht.
Die Wirklichkeit, von der Herr Striet nichts wissen möchte, ist sogar noch dramatischer: Nicht nur diese Gesellschaft ist einem überzeugten und authentischen Christentum gegenüber feindlich gesonnen, sondern die katholische Kirche selbst, so wie sie gegenwärtig in Deutschland strukturell aufgestellt ist, ist über weite Strecken gegenüber ihren eigenen Gliedern feindlich gesonnen: Wer die Lehre der Kirche unverkürzt verkündet, oder wer auch nur vereinzelten als „traditionell“ empfundenen Frömmigkeitsformen anhängt, der hat es in der katholischen Kirche in Deutschland schwer. In verantwortliche Positionen kommt man so eher nicht. Wer an den aktuellen (von der angeblich nicht religionsfeindlichen Gesellschaft vorgelegten) Dogmen der Demokratisierung und Egalisierung, der Entsakralisierung und Säkularisierung (von Kirchenraum, Priestertum, Liturgie und Sakramenten) sowie der moralischen Liberalisierung Zweifel anmeldet, wird mundtot gemacht. Wer für diese Dogmen kämpft, ist gern gesehener "Dialogpartner". Der suizidale Weg ist hier nur das offensichtlichste Beispiel.

Es ist schon irgendwie putzig, als wie naiv dieser sich selbst als der alleraufgeklärteste ansehende Kerl sich hier offenbart.