Donnerstag, 16. Juli 2020

Fühlen mit der Kirche

Jan-Heiner Tück im Interview auf katholisch.de (hier), gefragt nach der Verbindlichkeit der zu glaubenden Unfehlbarkeit des Papstes: »Wenn ein "sentire cum ecclesia – ein Fühlen mit der Kirche" gegeben ist, braucht es keine Totalidentifikation mit der Lehre der Kirche zu geben. Die Anerkennung des Glaubensbekenntnisses reicht.«

Nein, das reicht definitiv nicht.

Erstens ist "Totalidentifikation" an dieser Stelle ein völlig falsches und irreführendes Wort, denn eine Totalidentifikation, also eine Identifikation seiner selbst mit allem was zur Kirche gehört und was in der Kirche geschieht, ist schlicht nicht möglich. Niemand kennt alles und jeder wählt aus und setzt Schwerpunkte. Was es aber geben kann und geben soll, ist der Wille, den ganzen Glauben der Kirche getreu anzunehmen, selbst in den Punkten, die man nicht kennt, oder die für einen selbst nicht so zentral im eigenen geistlichen Leben sind (impliziter Glaube).

Zweitens kann es kein "sentire cum ecclesia" geben, wenn ein solcher impliziter Glaube nicht gegeben ist; der Verweis darauf eignet also nicht als Argumentationsgrundlage. Das ist in etwa so, als wenn ich sagen würde "Wenn Blindheit gegeben ist, dann braucht es keine Wertschätzung für die Malerei von Rubens oder Rembrandt." Die Aussage ergibt keinen Sinn: Ich kann nicht "Fühlen mit der Kirche", wenn ich nicht (zumindest implizit) will, was die Kirche will, liebe was die Kirche liebt und glaube was die Kirche glaubt. Dies zu tun ist Vorbedingung für ein "Fühlen mit der Kirche", nicht andersrum.

Der Ausdruck "sentire cum ecclesia" stammt von Ignatius von Loyola, und dieser verband damit ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Tück hier darlegt. Für Ignatius gilt der Gehorsam (gegenüber der Kirche, die er aus diesem Anlass insbesondere in ihrer Hierarchie und ihrem Lehramt verortet) mehr als eigene innere Regungen: Für ihn bedarf das Bewegtsein durch den Geist Gottes der Verleiblichung, so wie auch Christus sichtbar Mensch geworden ist. Das ist für ihn der Gehorsam gegen die Kirche.
Nie hätte Ignatius die eigene innere Regung, erst recht nicht das eigenen Gefühl oder das eigenen (rationale) Urteil höher gestellt als das, was ihm von Seiten der Kirche vorgegeben oder gesagt wird (die Rangfolge ist: 1. Papst, 2. Vorbild der Heiligen, 3. die eigene Vernunft). Das ist für ihn "Fühlen mit der Kirche": Das eigene Empfinden und Wollen an der Kirche (dem Lehramt) ausrichten. Das berühmte vierte Gelübde der Jesuiten, der Gehorsam gegen den Papst, hat genau hier seine Begründung. Dabei handelt es sich nicht um eine Geringachtung der Vernunft oder des eigenen Mittuns, sondern es drückt sich hier das Vertrauen aus, dass derselben Geist Gottes, der im Herzen jedes Menschen wirken kann, sich vorzüglich (und objektiv gültig) in der Kirche ausdrückt, nicht geringer, als er sich im Leben Jesu und der Heiligen ausdrückte.

Wenn ein Mensch meint, er könne das (fälschlich so bezeichnete) Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht annehmen, dem hält Ignatius entegegen: "Denn oft mag das, was so gar nicht mit der menschlichen Klugheit übereinzustimmen scheint, sehr wohl eins sein mit der göttlichen Klugheit: denn diese lässt sich nicht eingrenzen in die Gesetze unserer Vernunft." Wer sich in seiner Ablehnung vom Geist bewegt glaubt, dem muss klar sein: "immer ist es für diesen Mystiker [d.i. Ignatius] die hierarchische Kirche, die ihm zum Maßstab der Echtheit allen Geistes wird." (Hugo Rahner, Ignatius 379)

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