Samstag, 16. Mai 2020

Joseph Ratzinger über den suizidalen Weg

Es folgt ein Text von Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1970, also von vor 50 Jahren! 

»[D]as recht verstandene Interesse an der Kirche [zielt] primär gerade nicht auf sie selbst, sondern auf das, wovon her und worauf hin sie da ist, darauf also, dass (mit den Worten der Augsburgischen Konfession zu reden) das Wort Gottes in seiner Reinheit und unverfälscht verkündet und der Gottesdienst recht gefeiert wird. Die Frage der Ämter ist nur soweit wichtig, so weit sie dafür die Vorbedingung bedeutet. Nochmal anders ausgedrückt: Das kirchliche Interesse ist nicht die Kirche, sondern das Evangelium. Das Amt sollte möglichst lautlos funktionieren und nicht primär sich selbst betreiben. Gewiß, jeder Apparat braucht einen Teil seiner Kraft auch, um sich selbst in Gang zu halten. Aber er ist um so schlechter, je mehr er im Selbstbetrieb aufgeht und er wäre gegenstandslos, wenn er nur noch sich selbst betriebe.
In dieser Hinsicht freilich stehen die Dinge heute reichlich schlecht. Der notwendige Prozess der Reform, d. h. der Brauchbarmachung der Kirche für ihren Auftrag in der veränderten Situation von heute, hat alles Interesse so sehr auf den Selbstvollzug der Kirche gerichtet, dass sie weithin nur noch mit sich selbst beschäftigt scheint. Zweifellos kann der kommenden gesamtdeutschen Synode in der gegenwärtigen Situation der Kirche eine bedeutende Aufgabe zufallen; in vieler Hinsicht ist eine solche Synode wohl eine Notwendigkeit. Dennoch scheint ihre Vorbereitung, so, wie sie mancherorts betrieben wird, den eben erwähnten Trend in ungesunder Weise zu verstärken. Man klagt darüber, dass die große Menge der Gläubigen im allgemeinen zu wenig Interesse für die Beschäftigung mit der Synode aufbringe. Ich muss gestehen, dass mir diese Zurückhaltung eher ein Zeichen von Gesundheit zu sein scheint. Christlich, d. h. für die eigentlich vom Neuen Testament gemeinte Sache, ist nämlich wenig damit gewonnen, wenn Menschen sich leidenschaftlich mit Synodenproblemen auseinandersetzen – so wenig jemand schon dadurch zum Sportler wird, dass er sich eingehend mit dem Aufbau des Olympischen Komitees beschäftigt. Dass den Menschen die Geschäftigkeit des kirchlichen Apparats, von sich selbst reden zu machen und sich in Erinnerung zu bringen, allmählich gleichgültig wird, ist nicht nur verständlich, sondern objektiv kirchlich gesehen auch richtig. Sie möchten gar nicht immer neu weiter wissen, wie Bischöfe, Priester und hauptamtliche Katholiken ihre Ämter in Balance setzen können, sondern was Gott von ihnen im Leben und im Sterben will und was er nicht will. Damit aber sind sie auf dem rechten Weg, denn eine Kirche, die allzuviel von sich selbst reden macht, redet nicht von dem, wovon sie reden soll. Leider muss man in dieser Hinsicht (und nicht nur in dieser) heute einen beträchtlichen Verfall der Theologie und ihrer Vulgarisationsformen fest stellen: Der Kampf um neue Formen kirchlicher Strukturen scheint weithin ihr einziger Inhalt zu werden. Die Befürchtung, die Henri de Lubac am Ende des Konzils geäußert hatte, es könnte zu einem Positivismus des kirchlichen Selbstbetriebs kommen, hinter dem sich im Grunde der Verlust des Glaubens verbirgt, ist leider ganz und gar nicht mehr gegenstandslos.«

(aus: J. Ratzinger / H. Maier, Demokratie in der Kirche)

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