»Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken.« (Mt 10,9-10 LÜ)
Wenn wir heute soetwas lesen, denken wir gleich an etwas uriges, archaisches, ans Überleben in der Wildnis und die Bedürfnislosigkeit eines obdachlosen Wanderlebens... wir mischen eine gehörige Portion Romantik mit hinein und schon sind wir beim barfüßigen blumenstreichelnden Hippie angelangt. Mal abgesehen davon, dass die Einheitsübersetzung sich keinen Gefallen tut, wenn sie am Ende des zweiten Satzes das Wörtchen "Wanderstab" gebraucht (der Stab diente dem Reisenden in jener Zeit ganz wesentlich als Mittel zur Selbstverteidigung, er diente nicht dem "Wandern"!), ist diese Passage für heutige Ohren also zunächstmal herzlich nichtssagend... Will Jesus, dass wir alle barfuß laufen? Ist das ein Appell an Bedürfnislosigkeit und freiwilligen Verzicht? Outet sich hier jener Öko-Jesus, der heute so sehr en vogue ist?
Es ist bei den Worten Jesu immer von Vorteil, sich vorzustellen zu versuchen, wie seine damaligen Zeitgenossen diese Worte wohl verstanden haben. Schaut man in den historischen Kontext, frag man mal die ursprünglichen Hörer dieser Worte des Messias, dann ergibt sich ein anderes Bild.
Dem typischen Israeliten zur Zeit Jesu waren diese Worte Jesu sehr vertraut. Er kennt sie im Wesentlichen auswendig seit Kindertagen und er beherzigt sie auch selbst: Der Verzicht auf Geld, Stecken und Schuhe ist die Voraussetzung für den Zutritt zum Ort der Gegenwart Gottes im Tempel!
Im Buch Exodus heißt es:
»Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!« (Ex 3,5 LÜ)
Als dem Josua vor der Eroberung Jerichos der Heerführer erscheint, heißt es:
»Der Anführer des Heeres des Herrn antwortete Josua: Zieh deine Schuhe aus; denn der Ort, wo du stehst, ist heilig. Und Josua tat es.« (Joh 5,15 LÜ)
Wenn nun Jesus seinen Aposteln diese Anweisung gibt (und sie noch erweitert), dann hören seine Zeitgenossen etwas ziemlich aufreibendes: Die ganze Welt soll ihnen Tempel sein, sie sollen in ihr als in einem Ort der Gegenwart Gottes umhergehen!
Und mehr noch: Als Jesaja den Befehl erhält, drei Jahre lang nackt und barfuß umher zu gehen, als Zeichen über Ägypten und Kusch, heißt es:
»Der Herr hatte durch Jesaja, den Sohn des Amoz gesprochen und gesagt: Geh, leg dein Bußgewand ab und zieh deine Schuhe aus! Jesaja hatte es getan und war nackt und barfuß umhergegangen.« (Jes 20,2 LÜ)
Die von Jesus Angesprochenen sollen geradezu prophetisch umhergehen wie der große Prophet Jesaja!
Es geht bei diesen Worten Jesu nicht zunächst um die Armut des Gesandten, sondern um den Reichtum dessen, wozu er Gesandt ist und wohin. Der Apostel ist gesandt als Diener Gottes in die Welt, in die er sein erlösendes Wort zu bringen hat und in der er zugleich für diese Welt vor Gott eintritt... oder gegen sie Zeugnis ablegt:
»Und wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede nicht hören wird, so geht heraus aus diesem Hause oder dieser Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Wahrlich, ich sage euch: Dem Land der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher ergehen am Tage des Gerichts als dieser Stadt.« (Mt 10,14-15 LÜ)
Keine Spur von Ökoromantik oder romantischer Bedürfnislosgikeit, hier geht es um ein prophetisches Amt als Verkünder, Mahner und Gesandter des Herrn.
Dass die Apostel ohne Stab, also ohne effektive Mittel zur Selbstverteidiogung ausziehen sollen, verstärkt den Ernst der Sache im Hinblick auf den Gesandten: Er soll sich der Welt ausliefern und darin gerade sein Vertrauen auf Gott unter Beweis stellen.
Es ist ein hartes Wort, wer kann so leben, in dieser Welt?
Nur in Gott.
Ohne "Stecken". So ergeht es den verfolgten Christen ...
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