Mindestens einmal im Jahr stehe ich vor der Frage, welche Darstellung der Kreuzigung Jesu "heute" passend ist. Welche mir in der Andacht hilft, mich vielleicht erhebt oder traurig macht, berührt oder betrübt, ermutigt oder mitleiden lässt, mich beruhigt oder aufrüttelt... Welches Maß an "Immersion" ist angemessen oder geboten? Welche Anbetung der Herrlichkeit Gottes ermöglicht es mir? Welche Zuversicht oder welchen Trost bietet es mir?
Es ist ein Unterschied, ob ich eine romanische Darstellung mit einem in edler Gewandung angetanen König am Kreuz wähle, oder eine gotische "martialische" Darstellung des Zerschlagenen. Es ist ein Unterschied, ob ich eine antike eher pittoreske Darstellung mit römischen Gesichtszügen oder eine byzantinische Ikone mit seraphischer Verklärung wähle. Es ist ein Unterschied, ob ich eine moderne eher stilisierte aber wirkungsvolle Darstellung wähle, oder eine abstrakte nichtssagende. Es steht mir sogar frei, nur ein Kreuz ohne Corpus und Beiwerk zu wählen oder nur einen Corpus oder nur das Beiwerk, um des Leidens Jesu zu gedenken. (Die grässlichen im Internet kursiwerenden amerikanisch verklärten "Action-Jesus"-Darstellungen lass ich mal beiseite.)
Man darf durchaus sagen: Ein frühmittelalterlicher Lebensbaum trägt eine andere Aussage, als ein bluttriefendes Folterinstrument.
Ich merke: An diesem Ort ist jeder Einzelne gefragt. Es gibt keine kirchliche Vorschift die mir sagt, wie ich das Leiden und den Tod Jesu zu betrachten habe, wie (weit) ich mich davon berühren lasse und mit welcher Perspektive ich das Geheimnis betrachte, das dort geschieht. Die Geschichte der Frömmigkeit wie auch die der Liturgie hat im Laufe der Geschichte viele verschiedenen Blüten getrieben. Und soweit ich das überblicken kann, ist nicht nur der Kirche nichts Menschliches fremd, sondern auch ihrem Frömmigkeitsschatz. Insofern bleibt es nun also jedem Einzelnen überlassen, wie er in seinem Leben und im unendlichen Bilderschatz des Internets dem Herrn am Gedenken seiner Passion nahe sein kann...
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