»Es gehört zu den Phantastereien neuzeitlichen Denkens,
sich eine Theologie ohne Dogma zu konstruieren. Diese
Konstruktion ist phantastisch. [...] Eine Theologie, die nicht wesentlich
vom Dogma bestimmt ist, ist [...] darum Phantasterei, weil in ihr
die Offenbarung in Christus nicht konkret zum Ausdruck kommt. Mag in ihr
auch noch mit Einzelheiten dieser Offenbarung gerechnet sein, jede
Theologie, die ernsthaft voraussetzt, dass Christus zum Himmel gefahren
ist, muss sich durch das Dogma bestimmen lassen. Erst durch das Dogma
wird die Theologie aus ihrer Verbindung mit den zweifelhaftesten aller
Wissenschaften, den sogenannten Geisteswissenschaften, gelöst, aus
dieser Umgebung von Weltgeschichte, Literaturgeschichte,
Kunstgeschichte, Lebensphilosophie und wie das alles heißt. Erst durch
das Dogma wird sie in eine Sphäre erhoben, in der ein Mann leben kann.
Erst durch das Dogma aber wird es auch sichtbar, dass zur Offenbarung der
Gehorsam gehört. Denn in dem Gehorsam, den das Dogma fordert,
vollendet sich der Gehorsam gegen Christus. Wenn Christus uns auch vom
Gesetze frei gemacht hat, so doch nicht vom Gehorsam. In dem Augenblick
aber, wo das Dogma dahinfällt, in dem selben Augenblick verfallen wir
wieder dem Gesetz. Ich bekenne aber, dass, wenn ich zu wählen hätte, ob
ich dem Gesetz menschlicher Lehrmeinungen und den Schulüberzeugungen
der Professoren gehorchen wolle oder dem Dogma der Kirche, ich mich ohne
langes Besinnen für das letztere entscheiden würde. Doch Gott sei
Dank, wir brauchen ja nicht zu wählen. Brauchen darum nicht zu wählen,
weil es das Dogma gibt, auch wenn die Kirchen nichts mehr davon wissen
und wenn menschlicher Unverstand gegen die Dogmen anrennt. Man klagt so
oft über die Interesselosigkeit weiter Kreise gegenüber der Theologie.
Es gibt ein einfaches Mittel dagegen. Man habe den Mut, wieder in der
Sphäre zu leben, in der das Dogma vorkommt, und man kann gewiss sein, dass
sich die Menschen für Theologie wieder interessieren werden, so
interessieren werden, wie sich die Marktweiber in Konstantinopel für
den Streit um das ὁμοιούσιος und ὁμοούσιος interessiert haben. Die
Menschen interessieren sich nicht für unsere theologischen
Schulmeinungen und privaten Überzeugungen - und sie tun gut daran -, aber sie interessieren sich leidenschaftlich für jedes echte Dogma, und
sei es auch nur, dass sie dagegen protestieren und sich darüber
entrüsten. Das kommt daher, dass im Dogma jeder Mensch konkret getroffen
wird. Deshalb aber, weil im Dogma jeder Mensch konkret getroffen wird,
deshalb gibt es nun auch die Theologie, die das Dogma in einer ganz
konkreten Weise voraussetzt.«
Aus: Erik Peterson, Was ist Theologie?, in: ders., Theologische Traktate, München 1951, 11-43, 32-33. Diesen Vortrag hielt Peterson 1926 vor seinen evangelischen Theologenkollegen, vier Jahre vor seiner Konversion zum Katholizismus.
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