Am 30. Juni 1968 veröffentlichte Papst Paul VI. sein „Credo des Gottesvolkes“, das wohl auf Anregung des französischen Philosophen Jacques Maritain und des schweizer Theologen und Kardinals Charles Journet initiiert und im Wesentlichen durch jenen Maritain verfasst wurde. Die Absicht beschreibt Paul VI. so:
»Wir wollen ein Credo sprechen, das — ohne eine dogmatische Definition im eigentlichen Sinne des Wortes sein zu wollen — in der Substanz mit einigen Erweiterungen, die durch die geistige Situation unserer Zeit geboten sind, das Credo von Nizäa wiederholt, das Credo der unsterblichen Überlieferung der heiligen Kirche Gottes.«
Also: Der Papst
möchte den Glauben der Kirche „in der Substanz mit einigen
Erweiterungen, die durch die geistige Situation unserer Zeit geboten
sind,“ darlegen und versteht dies im Kern als eine Wiederholung
des bis heute maßgeblichen Glaubensbekenntnisses von Nicäa, des
ersten ökumenischen Konzils der Kirche. Das Credo des Gottesvolkes ist heute unter Theologen wie Gläubigen weitestgehend unbekannt. Es existiert bestenfalls als dunkles Schema einer unklaren Andeutung in nebeligen Erinnerungen an eine langweilige Vorlesung über neuere Kirchengeschichte. Für „ernsthafte Theologie“ und „mündigen Glauben“ ohne jede Bedeutung.
Der „Denzinger“, jenes seit über 150 Jahren ständig weitergeführte Standardwerk, beansprucht für sich, ein „Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen“ von der Bibel bis heute zu sein (wobei schon die deutsche Übersetzung des Buchtitels etwas unterschlägt, nämlich jene Lehräußerungen, die die Moral betreffen). Angesichts dieses Anspruchs ist es daher überraschend, festzustellen, dass jenes „Credo des Gottesvolkes“ keinen Eingang in den Denzinger gefunden hat.
Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, mich mit den derzeitigen Herausgebern des Denzinger zu unterhalten und auf meine Frage, warum das Credo Pauls VI. nicht darin enthalten sei, erhielt ich zur Antwort: Es sei ja gar kein „echtes“ Glaubensbekenntnis, denn es ist viel zu lang, als dass es im Rahmen der Liturgie von einzelnen oder allen gesprochen werden könne, und dies geschehe ja faktisch auch nicht. Damals fand ich diese Erklärung schlüssig.
Wenn man in jenes andere Standardwerk, das „Lexikon für Theologie und Kirche“ in seiner dritten Auflage aus den 90er und 2000er Jahren schaut, bekommt man diese Einordnung bestätigt, dort heißt es in der Begriffsdefinition von „Glaubensbekenntnis“:
»Glaubensbekenntnisse sind formelhafte Zusammenfassungen der grundlegenden Lehren und Überzeugungen einer Religion, „Kurzformeln des Glaubens“, in denen eine Religion sich zugleich von anderen Religionen, aber auch eine bestimmte religiöse Gruppe sich von andersgläubigen Strömungen derselben Religion (Häresie) abgrenzt. Glaubensbekenntnisse unterscheiden sich aber von der reinen Darstellung der Lehre wesentlich dadurch, dass sie in der Weise eines Gebetes oder eines Lobgesangs von einzelnen wie von einer Versammlung von Gläubigen im Rahmen einer Kulthandlung [also z.B. in der Liturgie] rezitiert werden können.« ( LThK³ 4, 699)
Der Leser möge besonders den letzten Satz beachten, wo ein Glaubensbekenntnis generell als etwas bestimmt wird, das sich wesentlich von einer reinen Darstellung des Glaubens dadurch unterscheidet, dass es kultisch (liturgisch) rezitiert werden kann und wird. Dies entspricht jener auf mich zunächst plausibel wirkenden Begründung, warum das „Credo des Gottesvolkes“ nicht im Denzinger zu finden ist.
Irgendwann später fiel mir aber immer häufiger auf, wie tendenziös (und teilweise echt falsch oder mit mangelnden Quellen versehen) viele Inhalte im LThK³ dargestellt sind, und so schaute ich einmal in der zweiten Auflage des selben Lexikons aus den 60er Jahren nach. Dort ist als Definition von „Glaubensbekenntnis“ zu lesen:
»Glaubensbekenntnisse sind autoritativ bzw. traditionell fixierte Glaubensformulierungen religiöser Gemeinschaften (besonders in christlichen Kirchen als Formulierung der fides quae).« (LThK² 4, 935)
Etwas später heißt es dann noch:
»Das Glaubensbekenntnis hat seinen eigentlichen und ältesten Ort im Gottesdienst (vornehmlich in der Liturgie der Taufe; von daher die Einzahl: ich glaube).« (ebd. 938)
Es fällt auf: In der Begriffsbestimmung steht nichts von einem kultischen Rahmen, der wesentlich zum Glaubensbekenntnis gehört. Zwar wird später darauf hingewiesen, dass ein solcher der „eigentliche und älteste“ Ort des Glaubensbekenntnisses sei, aber das schließt ja nicht die Realität und Gültigkeit von uneigentlichen und weniger alten Orten aus.
Gehen wir nochmal weiter zurück. In der ersten Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche aus den 30er Jahren heißt es darüber:
»Glaubensbekenntnis (Symbolum, Confessio, Credo), jedes autoritativ festgestellte Formular zum Bekenntnis des kirchlichen Glaubens; vgl. […].
Die Römische Liturgie gebraucht heute folgende Glaubensbekenntnisse: […]« (LThK¹ 4, 528)
Auch hier ist wieder der Bezug zur Liturgie deutlich, aber für die Definition dessen, was ein Glaubensbekenntnis für sich genommen ist, spielt das wieder keine Rolle. Man beachte das Wörtchen „jedes“.
Gehen wir nochmal einen Schritt zurück, zu Wetzer und Welte‘s Kirchenlexikon vom Ende des 19. Jahrhunderts. Dort heißt es zum Stichwort Glaubensbekenntnis:
„Glaubensbekenntnis oder Glaubenssymbol nennt man jedes auctoritativ festgestellte Formular für das Bekenntnis des kirchlichen Glaubens.“ (WuW² 5, 676)
…
Es zeigt sich ein Muster: Dass ein Glaubensbekenntnis wesentlich dadurch definiert sei, dass es in der Liturgie verwendet werden kann, hat erst nach der Veröffentlichung von Pauls VI. „Credo des Gottesvolkes“ in die Begriffsdefinition für ein Glaubensbekenntnis Eingang gefunden. So ein Zufall aber auch.
Schaut man in das Standardwerk von John N.D. Kelly („Altchristliche Glaubensbekenntnisse – Geschichte und Theologie“; wird seit einem halben Jahrhundert bis heute nachgedruckt), stellt man fest, dass der Befund in der alten Kirche sehr bunt ist. Wichtig für uns ist: Ein Glaubensbekenntnis wurde zwar oft (nicht immer!) in der Taufliturgie von den Täuflingen rezitiert, aber diese Rezitation bildete nur den Abschluss des vorbereitenden katechetischen Prozesses, dessen wesentlicher Inhalt es war, dieses Bekenntnis zu erklären. Den wesentlichen Ort des Glaubensbekenntnisses auf die (Tauf)Liturgie einzuschränken, ist daher Unsinn. Tatsächlich hatten Glaubensbekenntisse viele Einsatzorte (Kelly nennt: Taufe, Gottesdienst, Predigt, katechetische Unterweisung, Polemik gegen Häretiker, Dämonenaustreibungen), sie waren nie nur auf den Kult beschränkt. Daher spricht Kelly spezifisch von „deklaratorischen Glaubensbekenntnissen“, wenn er die Glaubensbekenntnisse beschreibt, die im Rahmen etwa der Taufliturgie gesprochen (deklariert) wurden. Es gab folglich von Anfang an auch nicht-deklaratorische Glaubensbekenntisse – auch außerhalb des Kultes –, und die waren darum nicht weniger echte (auch offizielle) Glaubensbekenntnisse.
Natürlich: Man wollte das „Credo des Gottesvolkes“ ganz einfach nicht, gerade in Deutschland nicht (in anderen Ländern wurde es durchaus positiv aufgenommen!), da es den unwandelbaren Glauben der Kirche inmitten der nachkonziliaren Wirren bekräftigte. Darum hat man es totgeschwiegen und sogar aus dem Denzinger bewusst rausgelassen (auch wenn etwa die Definition im damals aktuellen LThK dies noch nicht erforderte). Man beachte auch: Es war das Jahr von Humanae Vitae (HV); das Credo erschien nur einen Monat zuvor… Mit HV war Paul VI. für den theologischen Mainstream erledigt, sein Credo konnte man so noch einfacher fallenlassen. HV konnte man schlecht totschweigen und aus dem Denzinger rauslassen, denn alle sprachen darüber; aber das Credo, das konnte man weglassen, ohne dass es jemandem auffiel, denn alle sprachen ja über HV, niemand sprach über das Credo – wenn es überhaupt jemand tat in dem einen Monat vor HV.
Vielleicht war es ja so: Trotz allem dezent peinlich berührt von der Tatsache, dass man ein feierlich vom obersten Hirten der Kirche verkündetes Glaubensbekenntnis im maßgeblichen „Kompendium der Glaubensbekenntnisse“ nicht aufgenommen hatte, definierte man den Begriff „Glaubensbekenntnis“ fortan einfach um, sodass jener Text in dieses Kempendium per Definition gar nicht (mehr) hineingehört: Das „Credo des Gottesvolkes“ ist nämlich gar kein „Credo“ im eigentlichen, wahren Sinn, müsst ihr wissen! Sache erledigt.
Nicht ganz: Natürlich bringt das wieder neue Probleme, denn der „Denzinger“ enthält bereits aus früheren Jahrhunderten „Glaubensbekenntnisse“, die dieser neuen Definition nicht entsprechen und somit eigentlich herausfallen müssten. Bestes Beispiel ist das 1564 von Papst Pius IV. formulierte „Trienter Glaubensbekenntnis“ (DH 1862-1870), das in seiner Entstehung frappierende Ähnlichkeit zum Credo des Gottesvolkes von Paul VI. hat: Auch das Trienter Glaubensbekenntnis wurde in der Folge eines ökumenischen Konzils von einem bedeutenden Theologen jener Zeit angeregt (nämlich vom Kirchenlehrer Petrus Canisius) und vom Papst veröffentlicht um nachkonziliaren Wirren Einhalt zu gebieten. Angesichts solcher Ähnlichkeiten des Trienter Glaubensbekenntnisses könnte man das „Credo des Gottesvolkes“ auch völlig zu Recht als „Vatikanisches Glaubensbekenntnis“ bezeichnen. Auch das „Trienter Glaubensbekenntnis“ ist viel zu lang um in einem gottesdienstlichen Rahmen vorgetragen zu werden: Sein erster Teil ist das „große Glaubensbekenntnis“ von Nicäa und Konstantinopel, aber das ist nur ungefähr ein Viertel des ganzen Textes.
Ein anderes Beispiel ist das nochmal sehr viel längere Glaubensbekenntnis der 11. Synode von Toledo, das „Toletanische Glaubensbekenntnis“ aus dem Jahr 675 (DH 525-541), das gleichfalls für den liturgischen Gebrauch nicht geeignet ist (es ist etwa so lang wie 14 große Glaubensbekenntnisse).
Dann gibt es auch Glaubensbekenntnisse, die in Briefform versandt und verlesen wurden, aber nie in liturgsichem Rahmen als tatsächliches Glaubensbekenntnis von Einzelnen oder der ganzen Gemeinde gesprochen wurden, z.B. der Brief des griechischen Kaisers Michael Palaiologos an Papst Gregor X. aus dem Jahr 1274 (DH 851-861). Es gab auch Glaubensbekenntnisse, die etwa von Häretikern bei Konzilien oder Synoden unterschrieben werden sollten, um in die Gemeinschaft der Kirche zurückzukehren, z.B. der „Libellus fidei“ von Papst Hormisdas aus dem Jahr 515 für die Rückkehrer aus dem Akazianischen Schisma (DH 363-365); oder solche, die bestimmte Kirchenfürsten anlässlich ihrer Erhebung in besondere Ämter zu unterschreiben oder zu sprechen hatten, etwa das Glaubensbekenntnis, das Erzbischof Simon Evodius 1743 ablegen musste, als er auf den Patriarchenstuhl der Maroniten erhoben wurde (DH 2525-2540).
All diese entsprechen nicht der aktuellen Definition eines Glaubensbekenntnisses im LThK.
Vielleicht sollte der Denzinger korrekter „Kompendium ausgewählter Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen“ heißen…
Achja: Das Argument, dass jenes Credo Pauls VI. ja nur als „Motu proprio“ in den Akten des Apostolischen Stuhles Eingang gefunden habe, und daher von geringer lehramtlicher Relevanz sei, ist nicht tragfähig, denn der Denzinger enthält, soweit ich sehe, auch noch einige andere Schreiben, die als Motu proprio veröffentlicht wurden (z.B. von vor Paul VI.: DH 3503 und 3537–3550, sowie aus neuerer Zeit: 4820–4823, 5065–5066 und 5067–5068). Welche Autorität der Papst selbst ihm zumisst, ist aus seiner einleitenden Bemerkung ersichtlich, worin es u.a. heißt: „In gleicher Weise will es Uns scheinen, dass Wir den Auftrag erfüllen müssen, den Christus Petrus anvertraute, dessen geringster Nachfolger Wir sind, in der Lage zu sein, unsere Brüder im Glauben zu bestärken.“
Wir lernen: Weder
dem LThK noch dem Denzinger sollte man blind trauen. Es steckt immer
auch Auswahl und Tendenz darin, und seit dem Zweiten Vatikanischen
Konzil gehen diese meist gegen die Kirche und ihren überlieferten
Glauben. Aber so funktioniert Theologie heute eben...
Das „Credo des Gottesvolkes“, das man m.E. zu Recht als Glaubensbekenntnis des Zweiten Vatikanischen Konzils betrachten kann (in Analogie zu denen früherer Konzilien), samt Einleitung des Papstes kann man z.B. HIER nachlesen. Empfehlenswert ist die Ausgabe des Johannes-Verlags Leutesdorf von 1969, da ist auch ein Kommentar Pauls VI. mit abgedruckt. Außerdem hat Ferdinand Holböck 1970 unter dem Titel „Credimus – Kommentar zum Credo Pauls VI.“ einen sehr ausführlichen Kommentar veröffentlicht. Beides ist antiquarisch beziehbar.
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