Drei großartige Einsichten hat man dabei Vorgebracht (vgl. hier): "alles Denken und alle Auseinandersetzung um der Menschen willen [ist] geistliche Haltung", "Dialogprozesse, Diskussionen und Abstimmungen sind geistliche
Prozesse" und "Vielfalt in Einheit zu leben ist geistlicher Weg." Also: Gebet brauchen wir nicht, denn praktizierte Demokratie ist quasi schon die Höchstform des Gebets. Diese Logik ernstgenommen, sind die hohen Geistlichen in unserem Land also... die Politiker?
Man kennt das natürlich aus anderen Bereichen, z.B. aus diözesanen Entwicklungsprozessen: Man tut,
was immer man will (z.B. Strukturmaßnahmen), und behauptet dann, dies
als "geistlichen Prozess" gestalten zu wollen. In der Realität ist dann häufig
der einzige Hinweis darauf, dass es sich um einen "geistlichen Prozess"
handelt, die Behauptung, dass dies so sei (z.B. in Hamburg). Aber wahr
ist: Man kann solche Prozesse als "geistliche Prozesse" gestalten, z.B.
mit regelmäßigem Gebet. Am suizidalen Weg ist man aber schon einen
Schritt weiter (hin zur Säkularisierung des Christentums): Man behauptet
gar nicht mehr, den Prozess "geistlich" gestalten zu wollen, sondern
man erklärt, der Prozess sei aus sich heraus schon "geistlich": "Diskussionen, Abstimmungen und Wahlen sind geistliche Prozesse".
Dass die Autoren sich mit ihrer "geistlichen Haltung", ihrem "geistlichen Prozess" und ihrem "geistlichen Weg" letztlich fernab des Christentums stellen (bzw. dieses in weltlichen Strukturen auflösen) erhellt auch daraus, dass sie behaupten, mit der Forderung nach mehr Gebet (gegen die sie sich wenden) sei zugleich eine gewisse Ablehnung von Demokratie verbunden. Und damit haben sie tatsächlich recht: Wirkliches Gebet ist mit Demokratie eher unvereinbar, weil die Wahrheit Gottes nicht per demokratischer Abstimmung gefunden, sondern nur von Gott selbst eingegeben werden kann. Kennen diese Leute etwa nicht das bedeutendste Beispiel für "Demokratie" (Herrschaft des Volkes) in der Bibel? Hier ist es:
»Als das Volk sah, dass Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Götter, die vor uns herziehen. Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat - wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist. Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her! Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron. Er nahm sie aus ihrer Hand. Und er bearbeitete sie mit einem Werkzeug und machte daraus ein gegossenes Kalb. Da sagten sie: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.« (Ex 32,1-4)
Aber zum Thema.
Diese Menschen scheuen sich auch nicht, Ignatius von Loyola dafür zu missbrauchen, dass man prinzipiell alles an der Kirche per Demokratie ändern könne, weil nichts von vornherein feststeht:
»Ignatianisch gesprochen braucht es die 'Indifferenz', also die Unvoreingenommenheit von persönlichen Vorlieben, Vorurteilen und Vorfestlegungen.«
Zugegeben: Die ignatianische Gleichmütigkeit (so übersetzt man das richtiger, nicht mit "Unvoreingenommenheit") wird in ca. 99% aller Fälle, in denen auf sie Bezug genommen wird, missbräuchlich verdreht oder zumindest grob falsch verstanden, wenn man sie z.B. als "Ausgeglichenheit" oder als Inbegriff von "Meditation" auffasst. In diesem Fall handelt es sich aber um eine ideologisch motivierte missbräuchliche Verwendung auf höchster Ebene - nämlich zur Infragestellung der Identität der Kirche.
Also, Ignatius: Die ignatianische Gleichmütigkeit gehört zu "Prinzip und Fundament" der Exerzitien. Dort wird sie wie folgt beschrieben (aus der Übersetzung von H.U.v.B.):
»Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten.
Die andern Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen, und um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, dass der Mensch sie soweit zu gebrauchen hat, als sie ihm zu seinem Ziele hin helfen, und soweit zu lassen, als sie ihn daran hindern.
Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, dass wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dementsprechend in allen übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu dem Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind.«
»Um das wahre Fühlen zu erlangen, das wir in der diensttuenden Kirche haben sollen, werden die folgenden Regeln beachtetDie erste. In Absehung jeglichen [privaten] Urteils müssen wir den Geist gerüstet und bereit halten, dazu hin, in allem zu gehorchen der wahren Braut Christi Unseres Herrn, die da ist Unsere Heilige Mutter, die Hierarchische Kirche.Die zweite. Loben [im Sinne von: Wir versprechen zu tun] die Beichte beim Priester und den Empfang des Heiligsten Sakramentes einmal im Jahr, und viel mehr noch jeden Monat, und viel besser noch alle acht Tage, unter den erforderten und geschuldeten Bedingungen.[...]
Die neunte. Loben endlich alle Vorschriften der Kirche, stets bereiten Geistes, um Gründe zu ihrer Verteidigung zu finden und in keiner Weise zum Widerstand gegen sie.
[...]«
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