War dieser Mann dogmatisch oder tolerant? |
... der hat oft eine ganz "eigene" Vorstellung davon, was das bedeutet. Und oft beinhaltet sie etwas anderes, als das, was die Semantik nahelegt.
Wenn ich etwas toleriere, dann muss ich dem nicht zustimmen. Ich muss es nicht einmal verstehen und mir schon gar nicht zu eigen machen, was ich toleriere. Wer etwas toleriert, der lässt zu, dass etwas geschieht. Er kann es werten, aber er sollte, so er "tolerant" sein will, es nicht hindern oder ändern, sonst ist er nicht mehr tolerant.
Von der Wortbedeutung her, kann ich also problemlos Vieles tolerieren, auch wenn ich selber damit nichts anzufangen weiß oder es vielleicht sogar als eher inopportun oder für den jeweiligen Anlass als nur suboptimal geeignet betrachte.
Mir geht eine kleine Episode nicht mehr aus dem Kopf, die seine Eminenz Kurt Kardinal Koch vor nun bald zwei Wochen beim Internationalen Symposion zur Theologie und Spiritualitöt von Joseph Ratzinger beiläufig erzählte. Der Kardinal berichtete davon, wie er, noch in seinen Bischofsjahren in Basel, während eines Gottesdienstes mit Firmungen, sich vor der Spendung derselben einen Moment zum HErrn im Hochaltar wendete um zu beten. Im Anschluss an den Gottesdienst, so der Kardinal, sei dann jemand zu ihm gekommen und habe sich darüber erbost, dass er den Leuten in jener Minute seinen Rücken zugekehrt habe.
Wohl gemerkt: Er hat die Messe nicht versus Dominum zelebriert, er hatte sich nur eine Minute zum Beten dem HErrn zugewandt.
Eine andere Geschichte, die aber wohl leider schon einen alltäglichen Charakter hat: Der Zelebrant läd die Gemeinde (ca. 15 Leute) ein, sich zum Vaterunser und zur Kommunion um den Altar zu drapieren. Meinereiner sieht zweierlei Probleme sich auftun: 1) Wie es bei derartigen Aktionen üblich ist, sollen alle die Kommunion zunächst auf die Hand gelegt bekommen, um sie dann "gemeinsam" zu verzehren ("gemeinsames Mahl" eben)... Was tut aber derjenige, der, aus Überzeugung und durchaus auch theologisch begründet, die Mundkommunion bevorzugt? Und um das noch zu verschärfen: 2) Was tut derjenige, der, aus welchen Gründen auch immer, nicht an der Kommunion teilnehmen will oder kann oder darf?
Und warum wird der "Ausreißer", der sich an dem Ringelpiez nicht beteiligt, dann regelrecht stigmatisiert und dermaßen verdutzt angestarrt, als habe er gegen die allerheiligsten Spielregeln verstoßen?
In beiden Episoden tritt eindrucksvoll hervor, dass von manchen Leuten, die einen Gottesdienst (ich rede mal noch nicht von einer Heiligen Messe) gedanklich mitvollziehen oder im Voraus "planen", sozusagen schon in der Konzeptionsphase gewisse Dinge ausgeschlossen werden, die aber an sich durchaus gängig, um nicht zu sagen: alltäglich sind. Zum einen ist dies die Hinwendung zum HErrn und das Da-Sein gerade des Priesters für den Dienst vor selbigem (darum: Gottes-Dienst). Zum anderen ist es die schlichte Tatsache der Verschiedenheit von Frömmigkeit und Lebenswirklichkeit der Menschen.
Immer will/soll "man" alles tolerieren und nicht verknöchert, starr, dogmatisch, rubrizistisch oder moralisierend auftreten. Regeln und Grenzen sollen möglichst abgebaut werden. Aber bei näherer Betrachtung fällt auf, dass, wer "Toleranz" im Munde führt, oft eine ebenso klare wie höchst eigene Vorstellung davon hat, wie das "Spiel" zu laufen hat... Und wer sich nicht daran hält, ist raus.
Die verbindlichen Normen der Kirche heißen nicht ohne Grund so. Aber bei der Lektüre fällt doch auf, dass sie erstaunlich viel Spielraum bieten. Anders als das, was heutzutage in manchen katholischen Kreisen anzutreffen ist. Das ist nicht selten schlimmer als jede verbindliche Norm, denn dahinter stehen ganze Philosophien - um nicht zu sagen: Ideologien - und vor allem sehr viele Emotionen, die auf Kratzer und Stupser garnicht gut zu sprechen sind und günstigstenfalls mit Irritation, schlimmstenfalls mit offener Anfeindung reagieren.
There are only two kinds of people, those who accept dogmas and know it, and those who accept dogmas and don't know it.
(Gilbert Keith Chesterton)
PS. Ich vermute, dass es genau wegen der hierbei im Spiel befindlichen Emotionen sinnvoll ist, Normen zu haben: Ein Lehramt, statt unzähliger Lehrämter; ein Unfehlbarer, statt unzählbarer Unfehlbarer...
PPS. Das auf dem Foto ist natürlich Karol Wojtyla. Offenbar tun sich bis dato die Leute schwer damit, ihn in eine Schublade zu packen... je nach Thema wird er als Toleranzapostel oder Mittelaltermoralist beschrieben. Ich für meinen Teil mag ihn einfach nur so wie er ist. :)
Update: Es gibt offenbar sogar Leute, die schon durch die Verwendung einer Bassgeige anstelle einer gotischen Kasel in helle Aufregung versetzt werden können... Schätze beim Anblick eines Manipels würden solche Leute schreiend aus der Kirche rennen... lol.
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