Montag, 27. Juli 2015

Kirchenaustritte und Liturgie

»In der Liturgie, besonders im heiligen Opfer der Eucharistie, "vollzieht sich" "das Werk unserer Erlösung", und so trägt sie in höchstem Maße dazu bei, daß das Leben der Gläubigen Ausdruck und Offenbarung des Mysteriums Christi und des eigentlichen Wesens der wahren Kirche wird, der es eigen ist, zugleich göttlich und menschlich zu sein, sichtbar und mit unsichtbaren Gütern ausgestattet, voll Eifer der Tätigkeit hingegeben und doch frei für die Beschauung, in der Welt zugegen und doch unterwegs; und zwar so, daß dabei das Menschliche auf das Göttliche hingeordnet und ihm untergeordnet ist, das Sichtbare auf das Unsichtbare, die Tätigkeit auf die Beschauung, das Gegenwärtige auf die künftige Stadt, die wir suchen.
Dabei baut die Liturgie täglich die, welche drinnen sind, zum heiligen Tempel im Herrn auf, zur Wohnung Gottes im Geist bis zum Maße des Vollalters Christi. Zugleich stärkt sie wunderbar deren Kräfte, daß sie Christus verkünden. So stellt sie denen, die draußen sind, die Kirche vor Augen als Zeichen, das aufgerichtet ist unter den Völkern. Unter diesem sollen sich die zerstreuten Söhne Gottes zur Einheit sammeln, bis eine Herde und ein Hirt wird.« (Sacrosanctum Concilium 2)

In Deutschland nehmen nur etwa 10% der Katholiken an dem Teil, was nach dem jüngsten Konzil der "Höhepunkt [ist], dem das Tun der Kirche zustrebt" (SC 10), ihrer Liturgie. Es ist erstaunlich, dass das aber scheinbar niemanden besonders kümmert... Ja man freut sich sogar über einen angeblichen Zuwachs der Gottesdienstebsucher um 0,1%, was aber, wenn man es mit den Austrittszahlen verrechnet (die immerhin das zehnfache ausmachen!), in absoluten Zahlen so gering ausfällt, dass es als Messungenauigkeit durchgehen könnte (grob überschlagen komme ich auf ca. 500 Köpfe).
Der eigentliche Skandal ist nicht, dass es viele Kirchenaustritte gibt (klick). Die allermeisten derer, die aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts "Katholische Kirche" austreten, haben sich schon lange innerlich von der Katholischen Kirche distanziert. Das neue Einzugsverfahren für die Kirchensteuer auf Kapitalerträge oder ein gewisser Limburger Bischof oder was auch immer gerade Tagesgeschehen ist, ist immer nur der Anlass für viele, die Kirche nun endlich auch amtlich zu verlassen, es ist aber nicht der Grund. Der Grund ist wohl eher da zu suchen, wo auch der Grund für die niedrige Beteiligung am Gottesdienst - dem innersten Wesensvollzug der Kirche - zu suchen ist.
Der Hauptgrund ist wohl schlicht eine Entfremdung vieler Menschen vom Glauben der Kirche und von dieser Kirche. Wer den Glauben der Kirche teilt und danach zu leben sich bemüht, der hat auch innerlich wie äußerlich Anteil an ihrem liturgschen Leben, denn dieses ist gleichbedeutend mit der Gemeinschaft mit der Kirche. 


Ein kleiner historischer Blick auf das, was ich meine:
In der Zeit der Kirchenväter gab es noch keine Beichte, wie wir sie heute kennen. Gegen das tägliche Zurückbleiben hinter der Taufberufung (damals wurde man noch als Erwachsener getauft, nachdem man einen mehrjährigen Weg des Katechumenats und der Umkehr beschritten hat) halfen dem Christen die Werke der Barmherzigkeit, das Lesen und Hören der Heiligen Schrift und besonders die Feier der Liturgie der Kirche. Wobei bemerkt werden muss, dass die altchristliche tägliche Gottesdienstpraxis nicht um die hl. Messe kreiste, die i.d.R. nur am Sonntag stattfand. Liturgie vollzog sich während der Woche in Gestalt des Stundengebetes, das sich einer regen Beteiligung des Volkes erfreute, besonders bei der Morgen- und Abendhore.
Für schwere Sünden (die Trias aus Götzendienst/Apostasie, Ehebruch und Mord) gab es das kanonische Bußverfahren, das man einmal im Leben durchlaufen konnte und das gut und gerne auch mehrere Jahre in Anspruch nehmen konnte (vgl. meine Ausführungen dazu hier). Wesentlicher Teil dieses Bußverfahrens war der, je nach Fortschritt im Bußverfahren, völlige oder teilweise Ausschluss aus der liturgischen Gemeinschaft. Bei besonders schweren Vergehen hieß das, dass der Büßer erst auf dem Sterbebett wieder die hl. Kommunion empfangen durfte. Am Ende dieses Bußverfahrens stand keine Absolution, wie wir sie heute in der Beichte haben ("Ego te absolvo...") und die uns die Wiederversöhnung mit Gott zuspricht, sondern hier kam es, wenn der Büßer sein Leben geändert hat, zur Rekonziliation mit der Kirche(!) also zur Wiederaufnahme in die Gemeinschaft, die sich vor allem anderen in der Feier der Liturgie des Wortes und der Sakramente konstituierte.
In den ersten Jahrhunderten des Christentums war klar, dass die Gemeinschaft mit Gott nur in der Gemeinschaft der Kirche zu finden ist und zwar konkret in der Teilnahme am eucharistischen Opfer. Wer schwer sündigte, also faktisch seine Taufentscheidung zurücknahm, verlor diese Gemeinschaft und geriet damit in die Gefahrt, für immer verloren zu gehen. Wer einmal durch die Taufe in die Kirche aufgenommen wurde und dann durch eine schwere Sünde von ihr abfiel, für den gab es keine Aussicht auf Rettung, solange er sich nicht bekehrte und (einmalig im Leben!) in die volle Gemeinschaft zurückkehrte, was sich im Empfang der Eucharistie konkretisierte. Wer ein zweites Mal nach der Taufe in schwere Sünde fiel, für den gab es keine dritte Chance zur Bekehrung (die erste war die Taufe!).  

Wenn wir heute sehen, dass 90% der Katholiken in unserem Land die liturgische Gemeinschaft faktisch egal ist, dann muss uns das zu denken geben. Ich meine, wir müssen uns erstmal auch um die verirrten Schafe unserer Herde kümmern (Katholiken die der Liturgie fern bleiben), bevor wir großspurig neue Schafe hinzuzuholen versuchen! "Denn die apostolische Arbeit ist darauf hingeordnet, daß alle, durch Glauben und Taufe Kinder Gottes geworden, sich versammeln, inmitten der Kirche Gott loben, am Opfer teilnehmen und das Herrenmahl genießen." (SC 10) Es wirkt ja auch nicht gerade attraktiv: Warum sollte ich mich, im Bild gesprochen, einer Herde anschließen, deren Hirte 90% der Schafe "verloren" hat?
Wer aus der Kirche austritt, gehörte i.d.R. schon lange zu diesen 90%. Hier muss unsere Aufmerksamkeit verortet sein: Die große Mehrheit der nominellen Glieder der Kirche in unserem Land nimmt nicht "vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird" (vgl. LG 8). (In anderen Teilen der Welt riskieren die Katholiken Leib und Leben, um dies kosten zu dürfen!) Damit können wir uns nie, nie abfinden. Wir müssten eigentlich in Schockstarre sein und uns voll Tränen fragen, wie wir diese Menschen in die volle Gemeinschaft holen...
Was offensichtlich nicht funktioniert, ist die heute allüberall geübte "liturgische Kreativität", die die liturgischen Vorgaben nurmehr als Empfehlungen, keineswegs aber als verbindliche Richtlinien begreift. Der Versuch, die Liturgie auf die Bedürfnisse Einzelner zuzuschneiden oder nach eigenem Gutdünken umzumodeln, scheint wenig fruchtbringend zu sein. Jahrzehnte ständig sinkender Beteiligung geben dafür Zeugnis.
»Man kann die Liturgie also nicht immer wieder neu erfinden und sich nach eigenem Geschmack zusammenbasteln. Ich möchte, wenn ich an einem Gottesdienst teilnehme, nicht den subjektiven Einfällen und Anmutungen des jeweils Zelebrierenden ausgesetzt sein. Ich empfinde das als eine Zumutung; denn ich komme ja um die Liturgie der Kirche mitzufeiern. In der der Liturgie eigenen Objektivität drückt sich das Universale der katholischen Liturgie aus. Es geht ja um den einen Herrn, um die eine Eucharistie und so um die eine Liturgie. So kann ich überall auf der Welt die Eucharistie mitfeiern oder auch selber zelebrieren; es ist in vielfältigen Sprachen immer die eine Liturgie. Dass wir alle Brüder und Schwestern in der einen Kirche Jesu Christi sind, ist so nicht nur eine abstrakte Theorie und ein leeres Wort, es ist eine konkret erfahrbare Realität.«
(Walter Kardinal kasper, "Gottesdienst nach katholischem Verständnis", ein Vortrag im Ulmer Münster am Sonntag, 22. April 2007; hier nachzulesen)

Auf der anderen Seite muss auch die Frage berechrigt sein, wo unser Bemühen, die Menschen in die volle Kirchengemeinschaft zu holen, seine Grenzen hat. Jesus hat definitiv nicht versucht, es jedem recht zu machen, und wir dürfen es auch nicht, weil das nie ohne faule Kompromisse geht. Viele unter den 90% mögen vielleicht auch einfach desinteressiert sein oder sich bewusst abwenden von dem, was die Kirche feiert. Die Reaktion der Kirche darf aber es niemals sein, diese Inhalte zu verschweigen, zu verwässern oder gar aufzugeben, nur um zu versuchen "jeden mit ins Boot zu holen". "Wenn man euch aber in einem Haus oder in einer Stadt nicht aufnimmt und eure Worte nicht hören will, dann geht weg und schüttelt den Staub von euren Füßen." (Mt,10,14) Was die Kirche glaubt und was sie feiert und woraus sie eigentlich ihr Handlungspotential schöpfen sollte, namentlich die Eucharistie als die reale Vergegenwärtigung von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi in seinem Leib und Blut unter den Zeichen von Brot und Wein, erregt immer auch Anstoß und wird immer Ablehnung finden. Nicht weniger der moralische Anspruch von Gottes Geboten. Als Jesus seinen Jüngern und den Juden das Mysterium seines Leibes und Blutes für uns zur Speise offenbarte, gab es diese Reaktion: "Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm." (Joh 6,67) Und Jesus hat nicht versucht, sie vom Weggehen abzuhalten. Er sagte nicht "Halt mal, das war doch nur metaphorisch gemeint! Kein Grund, hier Anstoß zu nehmen", sondern er ließ sie ziehen. Jesus ist immer "ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses", weswegen sich viele an dem Wort, das zu verkünden die Christen berufen sind, stoßen (1. Petr 2,8).
Die Kirche hat nicht zuerst attraktiv zu sein (lat. attrahere: [her]anziehen), sondern sie muss missionarisch, verkündigend sein. Der Auftrag der Kirche lautet zuerst: Geht hinaus, lehrt, tauft, verkündet das Evangelium (Mk 16,15; vgl. z.B. auch Mt 22,9). Auch die Fürsorge für die Menschen muss zunächst auf die Menschen als Menschen zielen, denn die christliche Ethik ist keine funktionale Ethik, die der Image-Pflege dient. Erst sekundär und eher beiläufig (quasi als Nebeneffekt christlichen Lebens, nicht als Resultat einer von Marketing-Profis entworfenen Image-Kampagne!), soll die Kirche auch die Stadt auf dem Berg sein, zu der die Menschen von sich aus ziehen weil sie (hoffentlich) sagen "seht, wie sie (einander) lieben".

Anbiederung ist keine Option für Christus und die Christen. Wir müssen stattdessen zu unserem Proprium finden. Was nottut, ist zu allererst eine vertiefte Hinführung zum Glauben und zur Liturgie. Die Liturgie darf nicht als schmückendes Beiwerk, nerviges Pflichtprogramm, freudiges Beisammensein ("wo sich die Gemeinde feiert") oder optionaler folkloristischer Ausdruck dessen verstanden werden, was auf dem Steuerbescheid unter "Religionszugehörigkeit" vermerkt ist. Es braucht ein neues Bewusstsein von der Bedeutung der Liturgie für das Christsein, womit einhergehen würde ein tiefes Verstädnnis davon, was es überhaupt heißt, Christ zu sein. Das ist nämlich etwas wesentlich anderes, als ein "guter Mensch" oder gar ein Gutmensch zu sein. Es ist zu allererst eine besondere Beziehung zu Gott und ein Gehorsam gegen ihn... die Apostel (und ihre Nachfolger) sind dazu da "in seinem [d.i. Christi] Namen den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden" (Röm 1,5), nicht es allen recht zu machen.

Nochmal: Nicht die hohen Austrittszahlen sollten uns aufhorchen lassen. Kardinal Marx irrt, wenn er etwa im letzten Jahr in seiner Floskeltierade angesichts der 2013 nicht weniger katastrophalen Austrittszahlen sagte, wir müssten dem "begegnen, indem wir immer wieder versuchen, auf allen Ebenen Vertrauen zu schaffen durch gute und überzeugende Arbeit" (hier). Nach dieser Ma(r)xime denken leider viele in der Kirche in Deutschland. So berechtigt natürlich dieser Punkt auf irgendeinem Level sein mag, etwa bei der Krankenpflege, so scheint mir hier doch v.a. jemand zu sprechen, der sich für einen Konzernchef hält, für einen Mananger der ein Produkt oder eine Dienstleistung attarktiver machen will. (Dazu passt, dass man sich in München herzlich über Rekordeinnahmen bei der Kirchensteuer freut [klick]...) Mit Glaube und Kirche hat das jedenfalls nichts zutun. Mit dem Bemühen um "gute und überzeugende Arbeit" kann man vielleicht Beitragszahler halten, die für gute Dienste gutes Geld zu zahlen bereit sind. Aber man wird damit nicht Menschen (mehr) zu Christus führen, oder zu einem Leben in und mit der Kirche, Seinem Leib. Die inzwischen über weite Strecken säkularisierte (wenngleich auch gute Arbeit leistende) Caritas sollte uns ein Fanal sein. Ganz ehrlich: Ich schäme mich für diese Äußerung Marxens.
Zum Handeln bewegen muss uns an erster Stelle die geringe Beteiligung der (verbliebenen) Katholiken am Lebensvollzug der Kirche. Dieser Faktor offenbart das eigentliche Problem. Denn darum geht es: Um die Lebensgemeinschaft mit Gott, der sich besonders im Wort und Sakrament - in höchster Verdichtung also in der Liturgie der Kirche - uns mitteilt und uns durch seine Kirche und in dieser Kirche das Leben gibt.
»"Wir haben freudig deine hl. Geheimnisse empfangen." Das ist der Geist christlicher Frömmigkeit. Würden die Völker an den Quellen der Kirche schöpfen und lebhaften Anteil nehmen an der hl. Liturgie, den Sakramenten, kirchlichen Festen und dem hl. Offizium, dann hätten sie kein Bedürfnis nach Kino und Theater...« (sel. Ildefons Schuster, siehe hier)

Auch das dürfen wir nicht vergessen:
»Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.« (Mt 5,10-12)
Wenn das fehlt, müssen wir uns fragen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind, oder ob wir uns schon der Welt gleich gemacht haben. Bei Kardinal Marx habe ich das Gefühl, sein höchstes Ziel ist das Lob der Welt ("Toll macht ihr das!", "Danke, dass es euch gibt!") für die "gute Arbeit" der globalen NGO "Katholische Kirche" (ich finde den Link nicht mehr, aber Anfang des Jahres hat sich Marx irgendwo dergestalt geäußert, dass er die kath. Kirche als globales Mittel der Völkerverständigung betrachten würde... Gott kam dabei nicht vor). Nein, die Menschen werden nicht zur Kirche finden, wenn wir "Vertrauen schaffen", sondern sie werden nur dann zu Christus finden, wenn wir glaubhaft von Ihm Zeugnis geben und ihnen Christus, so unbequem er auch ist, authentisch zeigen.

»In der heiligen Liturgie erschöpft sich nicht das ganze Tun der Kirche; denn ehe die Menschen zur Liturgie hintreten können, müssen sie zu Glauben und Bekehrung gerufen werden: "Wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Doch wie sollen sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind?" (Röm 10,14-15). Darum verkündet die Kirche denen, die nicht glauben, die Botschaft des Heils, damit alle Menschen den allein wahren Gott erkennen und den, den er gesandt hat, Jesus Christus, und daß sie sich bekehren von ihren Wegen und Buße tun. Denen aber, die schon glauben, muß sie immer wieder Glauben und Buße verkünden und sie überdies für die Sakramente bereiten. Sie muß sie lehren, alles zu halten, was immer Christus gelehrt hat, und sie ermuntern zu allen Werken der Liebe, der Frömmigkeit und des Apostolates. Durch solche Werke soll offenbar werden, daß die Christgläubigen zwar nicht von dieser Welt sind, daß sie aber Licht der Welt sind und den Vater vor den Menschen verherrlichen.« (SC 9) 

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