Eigentlich wollte ich an dieser Stelle ein paar Gedanken über die die Dissoziation des Menschen mit seiner (durchaus auch biologischen) Identität sammeln, und wie so viele Menschen sich heute geradezu babylonisch zum Schöpfer ihrer selbst machen und dabei nicht nur sich selbst, sondern auch die Familie und damit die Gesellschaft zusehends zerstören... Aber dann stellte ich fest, dass unser "Heiliger Grosßvater" Benedikt XVI. in seiner letzten Weihnachtsansprache vor der Römischen Kurie im Dezember des letzten Jahres bereits sehr weise und klar darüber gesprochen hat. Darum verschieb ich das und lasse ihn zu Wort kommen.
Nundenn:
»Die große Freude, mit der in Mailand Familien aus aller Welt einander begegnet
sind, zeigt, daß die Familie trotz aller gegenteiligen Eindrücke auch heute
stark und lebendig ist. Aber unbestreitbar ist doch auch die Krise, die sie -
besonders in der westlichen Welt – bis auf den Grund bedroht. Es war
beeindruckend, daß in der Synode immer wieder die Bedeutung der Familie für
die Glaubensvermittlung herausgestellt wurde – als der genuine Ort, in dem
die Grundformen des Menschseins weitergegeben werden. Sie werden erlernt, indem
sie miteinander gelebt und auch erlitten werden. So wurde deutlich, daß es bei
der Frage nach der Familie nicht nur um eine bestimmte Sozialform geht, sondern
um die Frage nach dem Menschen selbst – um die Frage, was der Mensch ist und wie
man es macht, auf rechte Weise ein Mensch zu sein.
Die Herausforderungen, um die
es dabei geht, sind vielschichtig. Da ist zunächst die Frage nach der
Bindungsfähigkeit oder nach der Bindungslosigkeit des Menschen. Kann er
lebenslang sich binden? Ist das seinem Wesen gemäß? Widerspricht es nicht seiner
Freiheit und der Weite seiner Selbstverwirklichung? Wird der Mensch er selber,
indem er für sich bleibt und zum anderen nur Beziehungen eingeht, die er
jederzeit wieder abbrechen kann? Ist Bindung für ein Leben lang Gegensatz zur
Freiheit? Ist die Bindung auch des Leidens wert? Die Absage an die menschliche
Bindung, die sich von einem falschen Verständnis der Freiheit und der
Selbstverwirklichung her wie in der Flucht vor der Geduld des Leidens immer mehr
ausbreitet, bedeutet, daß der Mensch in sich bleibt und sein Ich letztlich für
sich selbst behält, es nicht wirklich überschreitet. Aber nur im Geben seiner
Selbst kommt der Mensch zu sich selbst, und nur indem er sich dem anderen, den
anderen, den Kindern, der Familie öffnet, nur indem er im Leiden sich selbst
verändern läßt, entdeckt er die Weite des Menschseins. Mit der Absage an diese
Bindung verschwinden auch die Grundfiguren menschlicher Existenz: Vater, Mutter,
Kind; es fallen wesentliche Weisen der Erfahrung des Menschseins weg.
Der Großrabbiner von Frankreich, Gilles Bernheim, hat in einem sorgfältig
dokumentierten und tief bewegenden Traktat gezeigt, daß der Angriff auf die
wahre Gestalt der Familie aus Vater, Mutter, Kind, dem wir uns heute ausgesetzt
sehen, noch eine Dimension tiefer reicht. Hatten wir bisher ein Mißverständnis
des Wesens menschlicher Freiheit als einen Grund für die Krise der Familie
gesehen, so zeigt sich nun, daß dabei die Vision des Seins selbst, dessen, was
Menschsein in Wirklichkeit bedeutet, im Spiele ist. Er zitiert das berühmt
gewordene Wort von Simone de Beauvoir: „Man wird nicht als Frau geboren, sondern
man wird dazu“. („On ne naît pas femme, on le devient“).
In diesen Worten ist die Grundlegung dessen gegeben, was man heute unter dem
Stichwort „gender“ als neue Philosophie der Geschlechtlichkeit darstellt. Das
Geschlecht ist nach dieser Philosophie nicht mehr eine Vorgabe der Natur, die
der Mensch annehmen und persönlich mit Sinn erfüllen muß, sondern es ist eine
soziale Rolle, über die man selbst entscheidet, während bisher die Gesellschaft
darüber entschieden habe. Die tiefe Unwahrheit dieser Theorie und der in ihr
liegenden anthropologischen Revolution ist offenkundig. Der Mensch bestreitet,
daß er eine von seiner Leibhaftigkeit vorgegebene Natur hat, die für das Wesen
Mensch kennzeichnend ist. Er leugnet seine Natur und entscheidet, daß sie ihm
nicht vorgegeben ist, sondern daß er selber sie macht. Nach dem biblischen
Schöpfungsbericht gehört es zum Wesen des Geschöpfes Mensch, daß er von Gott als
Mann und als Frau geschaffen ist. Diese Dualität ist wesentlich für das
Menschsein, wie Gott es ihm gegeben hat.
Gerade diese Dualität als
Vorgegebenheit wird bestritten. Es gilt nicht mehr, was im Schöpfungsbericht
steht: „Als Mann und Frau schuf ER sie“ (Gen 1, 27). Nein, nun gilt,
nicht ER schuf sie als Mann und Frau; die Gesellschaft hat es bisher getan, und
nun entscheiden wir selbst darüber. Mann und Frau als Schöpfungswirklichkeiten,
als Natur des Menschen gibt es nicht mehr. Der Mensch bestreitet seine Natur. Er
ist nur noch Geist und Wille. Die Manipulation der Natur, die wir heute für
unsere Umwelt beklagen, wird hier zum Grundentscheid des Menschen im Umgang mit
sich selber. Es gibt nur noch den abstrakten Menschen, der sich dann so etwas
wie seine Natur selber wählt. Mann und Frau sind in ihrem Schöpfungsanspruch als
einander ergänzende Gestalten des Menschseins bestritten. Wenn es aber die von
der Schöpfung kommende Dualität von Mann und Frau nicht gibt, dann gibt es auch
Familie als von der Schöpfung vorgegebene Wirklichkeit nicht mehr.
Dann hat aber
auch das Kind seinen bisherigen Ort und seine ihm eigene Würde verloren.
Bernheim zeigt, daß es nun notwendig aus einem eigenen Rechtssubjekt zu einem
Objekt wird, auf das man ein Recht hat und das man sich als sein Recht
beschaffen kann. Wo die Freiheit des Machens zur Freiheit des
Sich-selbst-Machens wird, wird notwendigerweise der Schöpfer selbst geleugnet
und damit am Ende auch der Mensch als göttliche Schöpfung, als Ebenbild Gottes
im Eigentlichen seines Seins entwürdigt. Im Kampf um die Familie geht es um den
Menschen selbst. Und es wird sichtbar, daß dort, wo Gott geleugnet wird, auch
die Würde des Menschen sich auflöst. Wer Gott verteidigt, verteidigt den
Menschen.«
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Ich freue mich über Meinungen, (sinnvolles) Feedback und Hinweise aller Art. Fragen sind auch immer willkommen, eine Garantie ihrer Beantwortung kann ich freilich nicht geben. Nonsens (z.B. Verschwörungstheorien, atheistisches Geblubber und Esoterik) wird gelöscht. Trolle finden hier keine Nahrung.