Donnerstag, 7. Januar 2021

Exkommunikation, neutestamentlich

Es jährte sich in diesen Tagen zum 500. Mal die Exkommunikation Martin Luthers. Wie üblich bei runden Zahlen, wurde auch diesmal wieder die Aufhebung dieser Exkommunikation gefordert. Wer so redet offenbart damit freilich weniger sein ökumenisches Feingefühl sondern v.a., dass er nicht weiß, was eine Exkommunikation ist. Denn tatsächlich ergäbe eine solche Aufhebung wenig Sinn, da eine Exkommunikation mit dem Tod des Exkommunizierten bereits aufgehoben ist. Im Übrigen würde ein "symbolischer" Akt der Exkommunikationsaufhebung eher den Charakter einer gotteslästerlichen Anmaßung tragen, denn das Urteil über die Verstorbenen steht allein Gott zu. Dies für einen Verstorbenen zu tun, der mit seinem Tod dem Gericht Gottes überstellt ist, hieße, sich Gottes Autorität anzumaßen bzw. sich über dieselbe zu stellen.

Heute neigt man ja sehr dazu, der Kirche grundsätzlich jede Berechtigung zur "Bestrafung" oder "Verurteilung" von Menschen etwa aufgrund von Häresie abzusprechen, egal ob die Betreffenden Akteure tot oder lebendig sind. Bestimmt bloß ein Zufall, dass zugleich die Häresien wie die Pilze aus dem Boden schießen, mehr und mehr auch aus bischöflichem Mund.


Jedenfalls: Die Kirche hat sehr wohl das Recht (und sogar die Pflicht) Glieder aus ihrer Gemeinschaft auszuschließen, die ansonsten mit ihrem Dableiben v.a. zu ihrer Zersetzung beitragen würden. (Nein, "Zersetzung" ist kein Nazisprech [etwa: Wehrkraftzersetzung], das ist Biologie: so genannte "Zersetzer" - fachsprachlich auch Destruenten oder Reduzenten genannt [das Gegenteil sind die Produzenten; beides wesentlich für den natürlichen Stoffkreislauf] - sind solche Organismen, die organische Materialien in anorganische Stoffe zerlegen, hier zählen insbesondere die schon erwähnten sprießenden Pilze dazu.)

 

Zunächst haben wir das Wort Jesu über die brüderliche Zurechtweisung der Sünder: "Sündigt aber dein Bruder, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein." (Mt 18,15) Das Vorgehen ist hier sehr klug beschrieben, denn wenn die Ermahnung unter vier Augen nicht fruchtet, sollen ein oder zwei Zeugen mitgenommen werden (V. 16), fruchtet auch das nicht, soll die ganze Gemeinde nachhelfen. Das setzt natürlich voraus, dass es in der Gemeinde ein ausgeprägtes Bewusstsein von Richtig und Falsch, von gottgefälligem Leben und Sünde gibt. Für uns Heutige stellt das ein erhebliches Problem dar, denn dies ist oft nicht mehr gegeben, auch nicht unter den bestellten Hirten.

Das alles hat übrigens nichts mit Überheblichkeit oder mit dem Thema Macht zu tun, denn wer Ohren hat zu hören, der merkt, dass diese brüderliche Zurechtweisung immer nur momentan ist, und der heute Ermahnende morgen schon der Ermahnte sein kann: "Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit" (Kol 3,16). Das Bewusstsein von Richtig und Falsch bedeutet ja nicht, dass keiner mehr etwas falsch macht, es hat aber zur Folge, dass es auffällt (und zwar in erster Linie als eine Gefahr für den, der falsch liegt)!! Es zeigt sich in dem Wort aus Mt 18 ein hohes Maß an Diskretion und Umsicht, aber zugleich auch ein ungeschönter Realitätssinn, denn wenn alles nichts hilft und der Sünder auch auf die ganze Gemeinde nicht hört, dann muss notwendig das eintreten, was der Sünder selbst durch sein Verhalten faktisch bereits umsetzt: Ausschluss aus der Gemeinde.

Jesus: "Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner." (Mt 18,17)

Die frühen Christen haben diese Worte Jesu beherzigt.

Paulus: "Einen Menschen, der die Gemeinde spalten will, weise ab, wenn er einmal und noch einmal ermahnt ist, und wisse, dass ein solcher ganz verkehrt ist und sündigt und sich selbst damit das Urteil spricht." (Tit 3,10-11)

[Ein kleiner sprachlicher Schlüssel zu diesem Paulus-Zitat, das komischerweise immer recht verharmlosend übersetzt wird: "Ein Mensch, der die Gemeinde spalten will" heißt im Griechischen hairetikon anthropon = ein häretischer Mensch; "abweisen" ist gr. paraitu = zurückweisen, ablehnen, nichts damit zutun haben; "ganz verkehrt" ist gr. ekstrepho = korrupt, pervers, da steckt das Wort strepho drin: das Innere nach Außen kehren; "sich selbst das Urteil sprechen" ist gr. autokatakrisis = Selbstverdammung.  --  Also: "Habe nach der ersten und zweiten Zurechtweisung nichts zu schaffen mit dem häretischen Menschen, und wisse, dass ein solcher korrupt ist und sündigt, durch sich selbst verdammt."]

 

Häretiker und hartnäckige Sünder stellen sich faktisch selbst ins Abseits, sie treten aus der Gemeinschaft der Glaubenden heraus. Leider merkt man das heute nicht mehr so deutlich, weil jenes Abseits so dermaßen überfüllt ist. Aber es ist doch Abseits (auch während der arianischen Krise in der frühen Kirche war das Abseits überfüllt, auch mit Bischöfen [die auch zumeist die Theologen der damaligen Zeit waren]). Die Menge der sich im Abseits Befindlichen spielt keine Rolle.

Jesu Worte und die des Paulus sind klar: Wer sich hartnäckig durch seine Worte (Häresie) oder seine Taten (Sünde) gegen die Gemeinde wendet, soll von den Gemeindemitgliedern als aus dieser ausgeschlossen betrachtet werden, was faktisch aber nur eine Anerkenntnis der bereits vom Betroffenen selbst bewirkten Realität bedeutet. Diese "offizielle" Anerkenntnis des Sachverhalts ("so sei er für dich...") hat insofern seinen Sinn, als dass es so an diesem Faktum keinen Zweifel gibt, auch wenn der Betroffene behauptet, er wolle ja gar nicht aus der Gemeinschaft heraustreten. Denn so ein Gang ins Abseits ist eine objektive Wirklichkeit, die nicht durch Behauptungen oder Beteuerungen wettzumachen ist (es gab ja bereits mehrmalige Ermahnungen samt der Möglichkeit zur Umkehr vor dem Heraustritt!), sondern die eine entsprechend wirksame Handlung zur Behebung des Missstands erfordert: Umkehr auf den Weg Gottes, Rückkehr in die Gemeinschaft.


Wir wissen, dass Paulus eigenhändig Leute aus Gemeinden ausgeschlossen hat. Nachdem er etwa im Kolosserbrief über den "guten Kampf" spricht, den die Christen zu kämpfen haben, kommt er auf die zu sprechen, die diesem Anspruch nicht gerecht werden wollten. Wohlgemerkt: wollten. Es geht nicht um ein "nicht können", oder um ein passives erleiden, sondern um ein nicht wollen, es geht um Leute, die den christlichen Anspruch "von sich gestoßen und am Glauben Schiffbruch erlitten" haben (1Tim 1,19). Es geht also um Menschen, die sich selbst durch ihr Wollen und/oder Tun faktisch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen haben (auch wenn sie vielleicht anderes behaupten). Vgl. auch dazu Gal 5,19-21. Die Reaktion des Paulus ist so v.a. eine Warnung und eine Deutung dessen, was die hier Gemeinten selbst schon getan haben: "Unter ihnen sind Hymenäus und Alexander, die ich dem Satan übergeben habe, damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern." (V. 20) "Dem Satan übergeben" drückt recht genau das aus, was eine Exkommunikation meint, denn sie beinhaltet v.a. den Ausschluss von den Gnadenmitteln der Kirche (Sakramente), die für den von Paulus beschriebenen Kampf erforderlich sind: "Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch." (Joh 6,53)

Ein solcher Ausschluss kann von Paulus übrigens auch delegiert werden, sodass er selbst nur "im Geiste" dabei ist: "Wenn ihr im Namen unseres Herrn Jesus versammelt seid und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus bei euch ist, sollt ihr diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches." (1Kor 5,4-5) Das ist interessant, weil es zeigt, welche Autorität Paulus besessen hat ("mit der Kraft unseres Herrn") und dass eine Gemeinde nicht beliebig handeln konnte. Wenn aber schon die ersten Christen nicht immun gegen den Irrtum und die Sünde waren - Paulus: "Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?" (1Kor 5,6); und noch deutlicher: "ihr Wort frisst um sich wie ein Krebs[geschwür]" (2Tim 2,17) -, und sich nur dadurch zu helfen wussten, dass sie die Akteure ausschlossen, welche Arroganz (oder Dämlichkeit? oder Feigheit?) ist das, die uns Heutigen versichert, wir wären jenseits solcher Konflikte und bräuchten folglich auch solche Maßnahmen nicht mehr?


Eine Exkommunikation ist unbarmherzig... im Kopf dessen, der nicht weiß, was eine Exkommunikation ist. Entscheidend für unser Thema ist nämlich, dass ein "offizieller" Ausschluss aus der Gemeinschaft der Glaubenden (zur Erinnerung: das gilt immer nur zu Lebzeiten des Ausgeschlossenen) keine Verdammung ist, sondern genau im Gegenteil dem Heil des Betroffenen dient. Zur von Paulus genannten Übergabe an den Satan "zum Verderben des Fleisches" gehört wesentlich die Erklärung/Ergänzung des Apostels: "auf dass sein Geist gerettet werde am Tage des Herrn" (1Kor 5,5) und, bereits zuvor zitiert, "damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern" (1Tim 1,20). Sprich: Es geht um die Hoffnung, dass der Betroffene sich bekehrt. Paulus macht sehr deutlich, dass seine "Vollmacht, die mir der Herr gegeben hat", Leute aus der Gemeinschaft auszuschließen, dazu dient "zu erbauen, nicht zu zerstören." (2Kor 13,10) Das Ziel jeder Exkommunikation ist und war schon immer nicht der Ausschluss (den die Betroffenen ja faktisch selbst bewirken) und damit die Zerstörung - sondern die Rückkehr, die Wiederaufnahme, die Versöhnung mit Gott und mit der Kirche. Mit Paulus gesprochen: Jemand wird ausgeschlossen "damit er schamrot werde." (2Thess 3,14) Im Umkehrschluss haben wir dann genau das, was wir heute überall erleben können: Die maßlose Unverschämtheit vieler Theologen und pastoralen Mitarbeiter.

Eine Exkommunikation soll heilen, alles andere ist ein Missverständnis. Zerstören (zersetzen) tun die Sünden und die Häresien, deshalb müssen ihre hartnäckigen Akteure - zum Schutz der anderen und ihnen selbst hoffentlich zu Besserung - ausgeschlossen werden. Die Auferbauung der Kirche und ihre Erhaltung, soweit es an ihren Gliedern und insbesondere ihren Hirten liegt (Paulus wusste sich in dieser Verantwortung), verlangt den Widerstand, verlangt - dank Corona wissen nun auch Nichtbiologen, wovon ich spreche - eine Immunreaktion gegen die Häresie. Die Antikörper sind alle schon da, es braucht keine Impfungen mehr, denn die Häresien von heute sind immer nur die Häresien von gestern mit neuem Etikett. Die Immunosuppression, die gegenwärtig flächendeckend geschieht, ist Teil der Erkrankung und darf nicht als Errungenschaft (der Freiheit oder gar Mündigkeit) verkannt werden.

Dennoch ist eine angemessene Sprache und Haltung, und v.a. viel Zuwendung aus Liebe erforderlich. Ermahnung und Liebe gehören neutestamentlich aufs Engste zusammen (vgl. 1Petr 2,11; Jud 1,3; 1Kor 4,14; 2Kor 2,8; Röm 15,13) und sind von hoher Priorität: "Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit..." (Phil 2,1) Und wenn es nicht anders geht und die Ermahnungen nicht fruchten, dann... ... In der katholischen Kirche in Deutschland kommt es nie so weit, denn hier finden Ermahnungen nur noch in die belanglose oder falsch Richtung statt: wenn nicht ausreichend gegendert, nicht genügend CO₂ eingespart, oder wenn einmal in die richtige Richtung (an Sünder und Häretiker) ermahnt, oder wenn die Lehre der Kirche als Standpunkt vorgebracht wird... 

 

Vor 500 Jahren waren die meisten Bischöfe hierzulande nur untätig oder unfähig, heute machen einige ihrer Nachfahren begeistert mit beim Trubel... Das Thema Exkommunikation könnte bald in höchstem Maße aktuell werden...

 

 

PS. Als kleine ironische Note habe ich hier stets die Lutherübersetzung zitiert, denn die ist nicht nur bei diesem Thema einfach kerniger...

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