Montag, 28. Dezember 2020

Kindermord von Bethlehem

 

Alle Jahre wieder werden wir durch irgendwelche offiziellen kirchlichen Kanäle mit der Auskunft beglückt, dass der Kindermord von Bethlehem ja eigentlich gar kein historisches Ereignis gewesen sei(n könne), weil er außerhalb der Bibel nicht bezeugt sei. So auch dieses Jahr wieder zielsicher auf katholisch.de (hier): »Eine zeitgenössische Bestätigung jedenfalls gibt es nicht. Vielmehr muss man einräumen, dass selbst der Historiker Flavius Josephus, der in seinen 'Antiquitates Iudaicae' doch recht ausführlich über die Herrschaftszeit des Herodes des Großen berichtet, kein Wort über einen Kindermord in Betlehem verliert. Sein Schweigen über dieses doch sehr grausame Ereignis ist zumindest ein sehr gewichtiges Indiz, dass der Kindermord keine historische Tatsache ist.«

Weil mir das schon sehr lange auf den Keks geht, hier mal die sehr gescheiten Ausführungen von Heinrich Klug ("Das Evangelium als Geschichtsquelle und Glaubensverkündigung", S. 499-501):

»Das Johannesevangelium, das als topographisch zuverlässig durch die wissenschaftliche Forschung immer mehr anerkannt wird, bezeichnet Bethlehem zur Zeit Jesu als einen ‚Flecken‘ (Joh 7,42: Komä = Dorf, Kastell). In einem solch kleineren Ort ist die Zahl der jährlichen Geburten nicht bedeutend groß. Bei dem Kindermord war diese kleine Zahl noch halbiert, weil die Mädchen nicht ermordet wurden. Außerdem muß aber besonders die damals große Kindersterblichkeitsziffer berücksichtigt werden. Gemäß damaliger Auffassung galt der Wert eines Menschenlebens als gering, vor allem bei der Anerkennung der Verfügungsmacht über Leben und Tod seiner Untertanen durch einen Tyrannen wie Herodes oder zur Befestigung der römischen Herrschergewalt. Unter dem römischen Prokurator Sabinus wurden nach einem Aufstand zweitausend Männer auf einmal ans Kreuz geschlagen und getötet. Ferner hatte nach heidnischer Aufassung vielfach der Vater das Recht, sein Kind nach der Geburt anzuerkennen oder zu töten. […]
Herodes ließ gleich bei seinem Regierungsantritt 45 Anhänger des letzten Hasmonäers hinrichten (Flav Jos, Ant 15,133). Auch gegen seine eigene Familie wütete er so, daß er die ganze männliche Nachkommenschaft des Hyrkanos ausrotten ließ. […] Flavius Josephus faßte sein Urteil über Herodes in die Worte zusammen: Herodes ‚wütete gegen Schuldige und Unschuldige mit gleicher Bosheit‘ (Flav Jos, Ant 17,634). Der Bericht des Evangeliums über den Kindermord des Herodes stimmt genau überein mit den außerbiblischen Angaben über die negativen Charakterzüge des Herodes: Ehrgeiz, Herrschsucht, Mißtrauen, Verschlagenheit, Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit. Mit den großen politischen Ereignissen und den Massenmorden durch Herodes, besonders an dem jüdischen Hochadel und an anderen führenden Persönlichkeiten ist allerdings der Mord in Bethlehem im Hinblick auf die verhältnismäßig geringe Zahl und die politische Bedeutungslosigkeit der unmündigen Kinder armer, unangesehener Leute von Bethlehem nicht zu vergleichen. Entweder erschien dem Schriftsteller Flavius Josephus der Kindermord von Bethlehem als weltgeschichtlich und volkspolitisch nicht bemerkenswert, oder dieser Vorfall war ihm bei der Fülle der anderen politisch bedeutungsvollen Ereignisse jener Zeit überhaupt nicht bekannt. Auf keinen Fall ist das Schweigen über den Vorfall in Bethlehem ein Beweis gegen die Geschichtlichkeit des Kindermordes.«

 

Zum Video: Philip Stopford, Lully, Lulla Lullay, aufgeführt von Voces8. Die bewegendste Vertonung des Geschehens um den Kindermord, die ich kenne. Ich empfehle gute Kopfhörer.

1 Kommentar:

  1. Zu nennen wäre auch die Erwähnung durch den heidnischen Schriftstellers und Philosophen Macrobius Ambrosius Theodosius (gest. 430), der in seiner "Saturnalia" davon berichtet, dass neben "Knaben, die jünger als zwei Jahre" waren, auch der Sohn des Herodes zu den Getöteten gehörte, was Kaiser Augustus besonders zugesetzt haben soll. Petrus Abaelardus hat diesen Teil später für einen Hymnus sogar übernommen.

    Quellenverweise habe ich dazu bereits auf meinem Blog gesammelt.
    https://dunkelkathole1.blogspot.com/2019/12/die-hl-unschuldigen-kinder-historizitat.html

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