Montag, 25. Januar 2021

Bedenkliche Impfstoffe

Auf kath.net (hier) war vor einigen Tagen eine Stellungnahme von vier Bischöfen zu lesen, die gegen anderslautende vatikanische Verlautbarungen die Meinung vertraten, dass auf keinen Fall die aktuellen Impfstoffe gegen Covid-19 verwendet werden dürften. Dort heißt es:

»Im Fall von Impfstoffen, die aus den Zelllinien abgetriebener menschlicher Föten hergestellt wurden, sehen wir einen klaren Widerspruch zwischen der katholischen Lehre, die Abtreibung kategorisch und ohne den Schatten einer Zweideutigkeit in allen Fällen als schwerwiegendes moralisches Übel, das nach Rache zum Himmel schreit (siehe Katechismus der katholischen Kirche Nr. 2268, Nr. 2270) ablehnt, und der Praxis, Impfstoffe aus Zelllinien abgetriebener Föten in Ausnahmefällen eines „Notfalls“ als moralisch akzeptabel anzusehen, und zwar aufgrund einer entfernten, passiven, materiellen Mitwirkung. Die Argumentation, dass solche Impfstoffe moralisch zulässig sein können, wenn es keine Alternative gibt, ist in sich widersprüchlich und für Katholiken nicht akzeptabel.«

Diese Aussage ist falsch. Wer sich diesen Standpunkt zu eigen macht, sollte wissen, dass er sich damit gegen die Päpstliche Akademie für das Leben und die Kongregation für die Glaubenslehre stellt, und zwar unter den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus.

Auf zwei wesentliche vatikanische Texte dazu weisen jene Bischöfe auch selbst hin: Der erste Text mit dem Titel "Moralische Überlegungen zu Impfstoffen, für deren Produktion Zellen von abgetriebenen Föten verwendet werden" stammt von der Päpstlichen Akademie für das Leben vom 9. Juni 2005 (hier zu finden). Dieser Text bildet die Antwort auf eine konkrete Anfrage, die 2003 (also noch unter Johannes Paul II.) an den damaligen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Joseph Ratzinger, gerichtet wurde, inwiefern eben solche Impfungen legitim sind. Ratzinger hat die Experten der Päpstlichen Akademie dazu lange und ausgiebig forschen lassen (der verfügbare Text ist eine Zusammenfassung einer längeren Arbeit derselben Akademie, die in einem wissenschaftlichen Journal erschien). Der Text ist darum durchaus maßgeblich, weil er von der Kongregation für die Glaubenslehre (und damit von Ratzinger) approbiert ist und weil in ihm diese spezielle Problematik überhaupt zum ersten mal explizit vom kirchlichen Lehramt aufgegriffen wurde. Der zweite Text ist die Instruktion Dignitas Personae der Kongregation für die Glaubenslehre "über einige Fragen der Bioethik" vom 8. September 2008 (hier), damals unter dem Präfekten Kardinal Levada, von Papst Benedikt XVI. gutgeheißen.

Die relevante Passage aus der Zusammenfassung am Ende jenes ersten Dokuments von 2005:

»... im Hinblick auf die Impfstoffe, für die es keine Alternativen gibt, die Notwendigkeit betont werden muss, dafür zu kämpfen, dass andere hergestellt werden; genauso wie es in der Zwischenzeit zulässig ist, die ersteren in dem Maße zu nutzen, wie es nötig ist, um ernste Risiken nicht nur für die eigenen Kinder sondern auch und vielleicht noch mehr für den Gesundheitszustand der Bevölkerung als ganzes – besonders der schwangeren Frauen zu vermeiden«

Wichtig ist: Katholiken müssen gegen Impfstoffe, zu deren Herstellung Zellen verwendet wurden, die durch eine Abtreibung gewonnen wurden, Widerstand leisten. ABER: Solange es keine Alternative gibt und mit der Impfung eine ernste Gefahr abgewendet wird, ist sie zulässig. Genau dieser nicht ganz einfache Sachverhalt wurde bis heute im Grunde nur stets wiederholt, seit er hier (noch unter Johannes Paul II.) erstmals erarbeitet wurde.

Hier ein Katalog dieser Äußerungen und danach noch meine Gedanken dazu:

Die Instruktion Dignitas Personae von 2008 (Nr. 35) sagt im Grunde das gleiche:

»Natürlich gibt es innerhalb dieses allgemeinen Rahmens [des Verbots der Verwendung solcher Impfstoffe] differenzierte Verantwortlichkeiten. Aus gewichtigen Gründen könnte die Verwendung des genannten „biologischen Materials“ sittlich angemessen und gerechtfertigt sein. So dürfen zum Beispiel Eltern wegen der Gefahr für die Gesundheit der Kinder die Verwendung von Impfstoffen gestatten, bei deren Vorbereitung Zelllinien unerlaubten Ursprungs verwenden wurden, wobei jedoch alle verpflichtet sind, dagegen Einspruch zu erheben und zu fordern, dass die Gesundheitssysteme andere Arten von Impfstoffen zur Verfügung stellen.«

 

Am 7. September 2013 hat der damalige Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Gerhard Ludwig Müller, "Theologische Grundlagen zur Bewertung
bioethischer Fragen" formuliert (hier), in denen er die Bewertung von Dignitas Personae wiederholt und ein Stück weit verallgemeinert:

»Die Verwendung von Embryonen und Föten als Forschungsobjekt, von denen schon in „Donum vitae“ die Rede war und bei denen die Embryonen getötet werden, stellt ein Verbrechen gegen deren Würde dar. Die Verwendung von biologischem Material unerlaubten Ursprungs (zum Beispiel aus Abtreibungen) ist auch bei Beachtung des Unabhängigkeitskriteriums (= Trennung von Gewinnung und Verwendung, dass also, um eine Interessenkollision aus­zuschließen, Forscher, die das Material gewinnen, nicht identisch sind mit jenen, die es verwenden) nicht erlaubt. Aus gewichtigen Gründen kann jedoch die Verwendung von biologischem Material unerlaubten Ursprungs sittlich angemessen und gerechtfertigt sein, zum Beispiel bei der Verwendung von Impfstoffen, die auf diesem Weg erzeugt worden sind. Allerdings sollen die Hersteller zu alternativen Methoden bewegt werden. Vom Forscher wird verlangt, dass er sich bei der Ausübung seiner Forschertätigkeit von einem schwer ungerechten Gesetz abgrenzt und den Wert des menschlichen Lebens klar bezeugt.«

 

In einer gemeinsamen Note der Päpstlichen Akademie für das Leben, der italienischen Bischofskonferenz und der Vereinigung Katholischer Ärzte Italiens aus dem Jahr 2017 (also vor der fragwürdigen Umgestaltung der Akademie durch Papst Franziskus) wird in etwa das gleiche gesagt (hier), allerdings geht man hier erstaunlicherweise einen Schritt weiter, indem man offenbar jede (auch indirekte?) Mitwirkung verneint. Der Ruf nach Alternativen bleibt natürlich bestehen:

»As for the question of the vaccines that used or may have used cells coming from voluntarily aborted fetuses in their preparation, it must be specified that the "wrong" in the moral sense lies in the actions, not in the vaccines or the material itself.

The technical characteristics of the production of the vaccines most commonly used  in childhood lead us to exclude that there is a morally relevant cooperation between those who use these vaccines today and the practice of voluntary abortion. Hence, we believe that all clinically recommended vaccinations can be used with a clear conscience and that the use of such vaccines does not signify some sort of cooperation with voluntary abortion. While the commitment to ensuring that every vaccine has no connection in its preparation to any material of originating from an abortion, the moral responsibility to vaccinate is reiterated in order to avoid serious health risks for children and the general population.«

 

Die Note der Kongregation für die Glaubenslehre vom 21. Dezember 2020 über die Anwendung von Covid-19 Impfstoffen (hier) sagt exakt das Gleiche, was schon vorher gessagt wurde und was seit 2008 stets fast wortgleich wiederholt wurde:

»The fundamental reason for considering the use of these vaccines morally licit is that the kind of cooperation in evil (passive material cooperation) in the procured abortion from which these cell lines originate is, on the part of those making use of the resulting vaccines, remote. The moral duty to avoid such passive material cooperation is not obligatory if there is a grave danger, such as the otherwise uncontainable spread of a serious pathological agent -- in this case, the pandemic spread of the SARS-CoV-2 virus that causes Covid-19. It must therefore be considered that, in such a case, all vaccinations recognized as clinically safe and effective can be used in good conscience with the certain knowledge that the use of such vaccines does not constitute formal cooperation with the abortion from which the cells used in production of the vaccines derive. It should be emphasized, however, that the morally licit use of these types of vaccines, in the particular conditions that make it so, does not in itself constitute a legitimation, even indirect, of the practice of abortion, and necessarily assumes the opposition to this practice by those who make use of these vaccines.«


Schließlich wurde genau dieser Punkt von der vatikanischen Codiv-19 Kommission zusammen mit der Päpstlichen Akademie für das Leben in ihren "20 Punkten für eine fairere und gesündere Welt" vom 29. Dezember 2020 (hier) wiederholt:

»On the moral responsibility of undergoing vaccination (also on the basis of what has been said in n. 3), it is necessary to reiterate how this issue also involves the relationship between personal health and public health, showing their close interdependence. In the light of this connection, we consider it important that a responsible decision be taken in this regard, since refusal of the vaccine may also constitute a risk to others. This also applies if, in the absence of an alternative, the motivation is to avoid benefiting from the results of a voluntary abortion. In fact, in these cases, as the Congregation for the Doctrine of Faith states, it can be considered "morally acceptable", under precise conditions, "to receive Covid-19 vaccines that have used cell lines from aborted fetuses in their research and production process." This is a matter of material passive cooperation (as opposed to formal cooperation), since it is indirect and remote, particularly given the intention underlying the decision, the contingency with respect to the accused immoral event, and the current circumstances in which we find ourselves. Therefore, the criteria that would make ethically illicit the decision to vaccinate are non binding. For this reason, such refusal could seriously increase the risks for public health.«

 

Offenbar halten einige maßgebliche Persönlichkeiten die Verwendung solcher Impfstoffe doch für akzeptabel... Es gibt echte moralische Bedenken, aber es gibt auch eine echte Gefahr, der es durch Impfungen zu wehren gilt.

Es ist jedenfalls nicht so, wie das zuweilen kolportiert wird, dass sich in der aktuellen Bewertung der Impfproblematik bloß die unausgegorene Privatmeinungen etwa von Papst Franziskus äußern würde: Seit diese Frage unter Johannes Paul II. zum ersten Mal von Organen des päpstlichen Lehramtes aufgegriffen, bearbeitet und beantwortet wurde, blieb die Anwort im Wesentlichen gleich. Nur dass es damals in einem Einzelfall um eine ganz bestimmte Impfung angesichts ganz bestimmer staatlicher Vorgaben ging - heute haben wir es mit einer Pandemie zu tun, was die Frage umso drängender macht. Und, nein, das hat auch nichts mit dem "unfehlbaren päpstlichen Lehramt" zu tun, weswegen man diese Weisungen aus Rom angeblich ignorieren könnte. Das außerordentliche Lehramt hat sich überhaupt noch nie zu bioethischen Fragen geäußert; mit diesem Argument ließe sich also im Gegenteil gerade auch Abtreibung legitimieren, denn diese wurde ja nicht "ex cathedra" für moralisch verwerflich erklärt. Im Übrigen finde ich es schon bemerkenswert dreist, dass jene vier Bischöfe sich ausgerechnet jetzt derart zu Wort melden... wenn sie sich so sehr an dieser Einschätzung des Lehramts stören, warum haben sie nicht schon 2005, 2008, 2013 oder 2017 etwas dagegen gesagt?

Dass diese Impfungen unter den gegebenen Bedingungen (Mangel an Alternativen, große Gefahr gerade für schwächere Gleider der Gesellschaft) trotz stets wach zu haltender moralischer Bedenken legitim sind, ist die Weisung des ordentlichen Lehramts, an das die Katholiken durchaus gebunden sind, und sie werden des weiteren eindringlich gehalten (so sinngemäß der Papst beim Urbi et Orbi an Weihnachten 2020, hier), diese Impfungen im Interesse des Allgmeinewohls (Nächstenliebe) auch anzunehmen.


Nachtrag: Nicht mit Hilfe embryonaler Stammzellen hergestellt und insofern moralisch unbedenklich sind die Impfstoffe von Moderna und Biontech-Pfizer, das kann man etwa in den diesbezüglichen Stellungnahmen der polnischen und US-amerikanischen Bischöfe nachlesen. Die deutschen Bischöfe interessieren sich für dieses Thema offenbar nicht (Hauptsache, der Kaffee in den Ordinariaten ist fair gehandelt). Wo diese verfügbar sind, sind die anderen Impfstoffe (AstraZeneca, Johnson&Johnson) also abzulehnen.

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