(aus: Joseph Ratzinger, Gesammelte Schriften 9/2, 981-983 [= Ein Neues Lied für den Herrn, 47-49])»Der Mensch von heute versteht die christliche Erlösungslehre nicht mehr. Sie findet keine Entsprechung in seiner eigenen Lebenserfahrung. Er kann sich unter Sühne, Stellvertretung, Genugtuung einfach nichts vorstellen. Das, was mit dem Wort Christus, Messias, gemeint war, kommt in seinem Leben nicht vor und bleibt damit leere Formel. Auf diese Weise fällt das Bekenntnis zu Jesus als Christus ganz von selbst dahin. […] Erlösung wird durch Befreiung im neuzeitlichen Sinn ersetzt, die mehr psychologisch-individuell oder mehr politisch-kollektiv verstanden werden kann und sich auch gern mit dem Mythos vom Fortschritt verbindet. Dieser Jesus hat uns nicht erlöst, aber er kann ein Leitbild sein, wie Erlösung, d.h. Befreiung, zustande kommt. Wenn aber keine schon geschenkte Gabe der Erlösung zu vermitteln ist, sondern nur Anweisungen für unsere Selbsterlösung zu geben sind, dann ist wiederum die Kirche im überlieferten Sinn ein Unding, ja, ein Ärgernis. Sie trägt dann keine Vollmacht in sich; die beanspruchte Vollmacht ist unter dieser Voraussetzung nur angemaßte Macht. Stattdessen müsste sie zu einem Ort der »Freiheit« in einem psychologischen oder politisch verstandenen Sinn werden. Sie müsste der Raum unserer Wunschträume vom befreiten Leben sein; sie kann auf nichts jenseitiges verweisen, sondern muss sich jeweils in meiner eigenen Erfahrung als innerweltlich erlösende Instanz bewähren. Alle Unerlöstheit meiner eigenen Existenz, alle Unzufriedenheit mit mir selbst und den anderen fallen auf sie zurück.[...] Man kann sich einen Gott nicht mehr vorstellen, der sich um den einzelnen Menschen kümmert und der überhaupt in der Welt handelt. Gott mag den Urknall angestoßen haben, wenn es ihn schon geben sollte, aber mehr bleibt ihm in der aufgeklärten Welt nicht. Es scheint fast lächerlich, sich vorzustellen, dass ihn unsere Taten und Untaten interessieren, so klein sind wir angesichts der Größe des Universums. Es erscheint mythologisch, ihm Aktionen in der Welt zuzuschreiben. [...] Wenn aber Gott mit uns letztlich nichts zu tun hat, dann fällt auch der Gedanke der Sünde dahin. Dass eine menschliche Tat Gott beleidigen könne, ist vielen ein ganz unvollziehbarer Gedanke geworden. So besteht für die Erlösung im klassischen Sinn des christlichen Glaubens überhaupt kein Anlass mehr, weil es kaum jemand einfällt, die Ursache für das Elend der Welt und der eigenen Existenz in der Sünde zu suchen. Deshalb kann es natürlich auch keinen Sohn Gottes geben, der in die Welt kommt, um uns von der Sünde zu erlösen, und der dafür am Kreuz stirbt. Von daher erklärt sich noch einmal die grundlegende Veränderung im Verständnis von Kult und Liturgie, die in letzter Zeit von Langem her vorbereitet vor sich gegangen ist: Ihr erstes Subjekt ist nicht Gott, auch nicht Christus, sondern das Wir der Feiernden. Und sie kann natürlich auch nicht Anbetung als primären Sinn haben, für die ja bei einem deistischen Gottesverständnis kein Grund besteht. ebenso wenig kann es um Sühne gehen, um Opfer, um Vergebung der Sünden. Es geht vielmehr darum, dass sich die Feiernden ihrer Gemeinschaft untereinander versichern und damit aus der Isolation heraustreten, in die die moderne Existenz den Einzelnen hineindrängt. Es geht darum, Erlebnisse der Befreiung, der Freude, der Versöhnung zu vermitteln, Schädliches zu denunzieren und Impulse für die Aktion zu geben. Deswegen muss auch die Gemeinde ihre Liturgie selbst machen und nicht aus unverständlich gewordenen Traditionen empfangen; sie stellt sich selber dar und feiert sich selbst. Allerdings darf man auch eine Gegenbewegung nicht übersehen, die gerade in der jungen Generation immer deutlicher wird: Die Banalität und der kindische Rationalismus selbst gebastelter Liturgien mit ihrer künstlichen Theatralik werden in ihrer Armseligkeit immer mehr durchschaut; ihre Nichtigkeit wird offenbar. Die Vollmacht des Mysteriums ist verschwunden, und die kleinen Selbstbestätigungen, mit denen man diesen Verlust wettmachen will, können auf die Dauer nicht einmal die Funktionäre befriedigen, Wie viel weniger diejenigen, die sich von solchen Aktionen angesprochen fühlen sollen. [...] Schließlich darf man sagen, dass dort, wo die Liturgie vom Mysterium durchleuchtet ist, wieder neue Orte des Glaubens entstehen.«
Der Text stammt aus dem Jahr 1992. Gegenwärtig wird von unzähligen Theologen
in Fakultäten und Bistümern die Abkehr vom Mysterium zugunsten
selbstgebastelter Liturgien und Rituale mit viel Aufwand betrieben. Dies scheint ihnen schon deshalb geboten, weil die Eucharistie des geweihten Priesters bedarf... das sind gleich zwei Sakramente, die in erdrückender Deutlichkeit unermüdlich beweisen, dass wir auf das Heil angewiesen sind, das nicht von uns selbst kommen kann. Unerträglich! Dass nicht wenige
Bischöfe sich schon länger auch aktiv daran beteiligen, stellen dieser
Tage die Bischöfe Jung in Würzburg [hier] und Neymeyer [hier] in Erfurt eindrücklich dar. Der viel beschworene Priestermangel dient nur als Vorwand, eigentlich kommt er nämlich sehr gelegen: Jedes Mittel ist recht, um „die Fixierung auf die Eucharistiefeier aufzubrechen und den Wert anderer Gottesdienstformen zu vermitteln.“ (so Neymeyer)
Man entzieht sich damit bewusst oder unbewusst der eigenen Pflicht und Verantwortung; im Grunde ist es ein Verrat am Herrn selbst, dessen größtes Gebot - "Tut dies zu meinem Gedächtnis!" - relativiert wird. Man lässt sich vom Strom der Zeit in Richtung Abrgund treiben und fühlt sich dabei sogar noch als "mutiger" Vordenker und -kämpfer, weil man sich gegen einen anderen Strom stellt: Gegen den mystischen Strom, der von den Wunden des Erlösers ausgeht, das Rinnsal, das unter dem Altar entspringt und zum großen Fluss wird, der Gnadenstrom.
Wieder ein Volltreffer... Wirklich prophetisch. Danke übrigens für deinen Blog, ich lese die Beiträge immer mit Gewinn!
AntwortenLöschenHm, die Tagespost reißt den Satz von Neymeyr aus dem Zusammenhang. Im Kontext ist er mehr eine vorsichtige Distanzierung von den Forderungen der ortsansässigen Fakultätstheologen als ein Gleichklang.
AntwortenLöschenAnders als letztere spielt der Bischof nicht die Eucharistie gegen andere Gottesdienstformen aus. Vielmehr betont er sogar die Wichtigkeit, die Eucharistie real (statt virtuell) und in Gemeinschaft zu feiern, wenngleich er die Wiederentdeckung des Stellvertretungsgedankens lobt; er selbst hat die Messe in diesem Sinne privat gefeiert.
Anderes als in anderen Bistümern war die Messfeier vom Bistum Erfurt niemals untersagt, sondern es wurde sogar ausdrücklich aufgefordert, sie zu feiern, wo es ohne Verstoß gegen die staatlichen Einschränkungen möglich war -- ggf. eben als Priester stellvertretend alleine. Nachdem am 23. April Thüringen gottesdienstliche Versammlungen überraschend ab sofort wieder unter Vorlage eines Schutzkonzepts erlaubt hat, werden auf der Grundlage des diözesanen Schutzkonzepts vom 25. April seit dem 27. April im Bistum Erfurt wieder flächendeckend öffentliche Messen gefeiert, wenn auch mit der staatlichen Beschränkung auf 30 Teilnehmer in geschlossenen Räumen. Der Bischof hat seine Priester daher aufgefordert, sonntags zu trinieren, um möglichst viele Eucharistiefeiern anzubieten und so möglichst vielen Gläubigen die Teilnahme zu ermöglichen.
Der von der Tagespost zitierte Brief des Bischofs liest sich eher dahingehend, dass auch Gemeindereferenten und Diakonatshelfer aufgefordert werden, so viele Gottesdienste wie möglich anzubieten. Das meint sowohl Wort-Gottes-Feiern als auch explizit das Stundengebet. Von der "theologisch" geforderten Kreativität ist m.W. keine Rede.
Ja, ich gebe zu, der Brief ist, wenn er so, wie ich ihn verstehe, gemeint ist, nicht sehr glücklich formuliert. Die Distanzierung hätte deutlicher ausfallen können und müssen. Was die Tagespost da reinliest, steht aber definitiv nicht da. Das ist journalistisch sehr unredlich, vor allem wenn man aus einem internen Dokument zitiert (der Brief ist formlos und an die pastoralen Mitarbeiter des Bistums gerichtet; wäre nicht eine handschriftliche Unterschrift drunter, könnte man die Echtheit in Zweifel ziehen...).
Die Bischöfe stehen unter massivem Druck. Wer von ihnen Überzeugunstäter und wer nur zu schwach ist, dem Druck standzuhalten, ist schwer zu unterscheiden. Beten wir für sie!