Aus aktuellem Anlass. Aus einem Brief des
damaligen Bischofs von München und Freising (1977), Joseph Kardinal
Ratzinger, an Prof. Richard Egenter, in Reaktion auf einen Beitrag
desselben in „Stimmen der Zeit“. Entnommen: JRGS 12, 154-158.
[…] Wenn der Zölibat der Weltpriester nicht eine gemeinschaftliche kirchliche Form ist, sondern eine private Entscheidung, dann verliert er seinen wesentlichen theologischen Gehalt und seine entscheidende persönliche Fundierung, denn dann hört er auf, ein von der Kirche getragenes Zeichen zu sein und wird zur privaten Absonderlichkeit. Dann ist er nicht mehr zeichenhafter Verzicht um des im Glauben übernommenen Dienstes willen, sondern Eigenbrötelei, die deshalb mit gutem Grund verschwindet.
[…] Wichtiger ist zum andern das Prinzipielle, um das es geht: Ihre Argumentation setzt voraus, dass als Zölibatäre nur Menschen passen, die ohnedies nicht heiraten wollen oder können. Aber damit steht doch alles auf dem Kopf. Der Zölibat ist ein sittlich und religiös belangvolles Phänomen nur und gerade dadurch, dass Menschen um Gottes und seines Dienstes willen auf den grundlegenden menschlichen Wert der Ehe verzichten, die an sich zur Ehe fähig und willens wären. Wenn der Kreis der Zölibatäre ein Verein von Hagestolzen ist, ist er nichts wert. Wichtig wird er allein dadurch, dass Menschen um des Herrn willen und um in der Kirche das gemeinschaftliche Zeichen ihrer Hoffnung auf den Herrn zu geben, das preisgeben, was sie nicht preisgeben Würden, wenn nicht dieses gemeinschaftliche und öffentliche Zeichen ihnen einen neuen Aufttrag und eine neue Weise der Erfüllung setzen würde.
[…] Wenn Sie vom Charisma der Ehelosigkeit sprechen, sieht es so aus, als sei das Charisma eine naturale Angelegenheit, die man hat, wie man Zähne oder Augen hat. Nun können auch Zähne ausfallen und Augen schwach werden, d. h., auch die Gaben der Natur sind nicht schlicht da, sondern bedürfen der Pflege. […] Die Zerbrechlichkeit des Charismas ist eher noch größer; jedenfalls ist es nicht einfach »da«. »Charisma« der Ehelosigkeit bedeutet, dass mir im Ringen mit dem Herrn und mit mir selbst, im Mitglauben und Mitleben mit der Kirche, im Getragenwerden durch die Menschen in ihr, ihr Gebet, ihr Wort, ihr Dienen und Leiden die Kraft wird, mich einem Ruf zur Verfügung zu stellen, der mir zugemessen ist, und diesen Ruf in allen seinen Dimensionen zu bestehen, in ihn hineinzureifen Tag um Tag, durch Abstiege und Aufstiege, durch Regen und Sonne hindurch, wie es dem Vorgang des Reifens wesentlich ist. […] Weil es so ist, kann das Zutrauen zum Zölibat in den jungen Menschen zerredet werden und das beweist dann nicht, dass sie kein »Charisma« haben, sondern dass dem Charisma der Raum verbaut worden ist. Dass es heute weniger »Berufungen« gibt als in Ihrer und in meiner Generation, liegt doch nicht daran, dass Gott sich weniger um die Kirche kümmert oder dass er sich etwas anderes für sie ausgedacht hat, sondern daran, dass die Kirche müde geworden ist und ihm keinen Einlass gewährt. Wie soll sich ein junger Mensch für das eschatologische Abenteuer des Zölibats entscheiden können, wenn die Kirche selbst nicht mehr zu wissen scheint, ob sie es noch wollen soll? Im Drama der Entscheidung wiegt jedes Wort, und allzu leicht kann man den Boden in einem Augenblick wegziehen, der über Ia oder Nein, über die Kraft des Bestehens oder die Unkraft des Zurückweichens definitiv entscheidet.
[…] Natürlich ist er heute in vieler Hinsicht ungleich schwerer als vor fünfzig Jahren. Aber die sexuelle Verwilderung, die die Menschen mit ihren Produkten an jeder Straßenecke überfällt, steht doch der Ehe genauso entgegen wie dem Zölibat. […] Auch die Ehe kann nur im Widerstand gegen die »Atmosphäre« von heute gelebt werden, und die unter Klerikern manchmal genährte Vorstellung, man brauche nur in die Ehe zu fliehen, um alle Probleme los zu sein, verkennt doch den Trend des Heute ebenso wie den inneren Anspruch der Ehe, die im Mut und der Geduld derer, die den Weg des Zölibats gehen, ihre stärkste Stütze und Bejahung findet.
Schließlich: Natürlich gibt es Zölibatsverfehlungen und ungünstige psychische Auswirkungen, wo er unter falschen Voraussetzungen angegangen wurde. Aber auch das sollte man nicht verbergen, dass die Ehe vor ähnlichen Gefahren keineswegs immunisiert. Und über den Negativa sollten wir doch nicht vergessen, wie viele reife und große Gestalten in der Schule des Priestertums der katholischen Kirche herangewachsen sind; hätte es sie nicht gegeben, hätten wir doch alle nicht den Weg zu diesem unzeitgemäßen und gerade darin so zeitgemäßen Wagnis gefunden.
[…]
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