Freitag, 5. April 2019

Der mahnende Papst Paul VI.

Der heilige Papst Paul VI. hat sich in seinen letzten Amts- und Lebensjahren nicht gerade selten über fragwürdige Tendenzen innerhalb der Kirche in aller nur wünschenswerten (und selbst bei Johannes Paul II. so kaum jemals anzutreffenden) Deutlichkeit geäußert. Im Gang der Jahre merkt man, wie die Enttäuschung zunimmt, er muss unglaublich gelitten haben unter dem, was da geschah. Ich möchte ein paar Fragmente zitieren. Etwaige Ähnlichkeiten mit aktuellen Ereignissen, Haltungen und Praktiken in der Kirche, auch in höheren und höchsten Leitungsebenen der derselben, kann jeder selbst für sich entdecken.

In einer Ansprache im geheimen Konsistorium am 24. Mai 1976 setzte sich der Papst mit häretischen und schismatischen Tendenzen in der Kirche seiner Zeit auseinander. Nachdem er zunächst in erstaunlich herzlichem und hoffnungsvollem Ton über die Anhänger des Erzbischofs Lefebvre gesprochen hat, wendet er sich dem (aus der politischen Skala)  anderen Extrem zu:
»Auf der entgegengesetzten Seite, was ihre ideologische Position betrifft, jedoch gleichermaßen Ursache tiefen Schmerzes ist, befinden sich jene, die im irrigen Glauben, die Linie des Konzils fortzusetzen, eine Haltung vorgefaßter und mitunter unbeugsamet Kritik an der Kirche und ihren Einrichtungen eingenommen haben.
Wit müssen deshalb mit der gleichen Bestimmtheit sagen, daß wir auch die Einstellung derer nicht annehmen können:
  • die sich für autorisiert halten, sich ihre eigene Liturgie zu schaffen, wobei sie mitunter das Meßopfer oder die Sakramente auf die Feier ihres eigenen Lebens oder Kämpfens oder aber auf das Symbol der Brüderlichkeit einschränken oder sogar mißbräuchlich die Interkommunion praktizieren;
  • die in der Katechese die Unterweisung in der Lehre herabmindern oder sie nach ihrem Geschmack entstellen, entsprechend den Interessen, dem Druck oder den Forderungen der Menschen;
  • Tendenzen, die die christliche Botschaft tiefgreifend verfälschen, wie Wir schon in dem Apostolischen Mahnschreiben Quinque iam anni vom 8. Dezember 1970, fünf Jahre nach Abschluß des Konzils, aufgezeigt haben (vgl. AAS 63/1971, S. 99 [s. unten]);
  • die so tun, als ob sie die lebendige Tradition der Kirche von den Vätern bis zu den Verlautbarungen des Lehramts nicht kennten, und die Lehre der Kirche, ja selbst das Evangelium, die geistlichen Realitäten, die Gottheit Christi, seine Auferstehung oder die Eucharistie neu interpretieren, sie so praktisch ihres Inhalts entleeren, eine neue Gnosis schaffen und in gewisser Weise in die Kirche die „freie Prüfung“ (liberum examen [s. dazu unten]) einführen; dies ist um so gefährlicher, wenn es sich dabei um Personen handelt, die die überaus hohe und schwierige Aufgabe haben, katholische Theologie zu lehren; 
  • die die spezifische Funktion des Priesteramtes verkürzen; 
  • die die Gesetze der Kirche oder die von ihr aufgezeigten ethischen Forderungen schmerzlich übertreten; 
  • die das Leben aus dem Glauben so verstehen, als handle es sich darum, die irdische Gesellschaft zu ordnen, es auf politische Aktionen reduzieren und zu diesem Zweck Wege einschlagen, die dem Evangelium widersprechen; man geht dabei so weit, daß man die jenseitige Botschaft Christi, seine Verkündigung des Reiches Gottes, sein Gesetz der Liebe unter den Menschen, die in der unaussprechlichen Vaterschaft Gottes gründet, mit Ideologien vermischt, die eine solche Botschaft von ihrem Wesen her verneinen durch eine völlig entgegengesetzte Lehre; man propagiert einen Widernatürlichen Bund zwischen zwei Welten, die selbst nach Meinung der Theoretiker der anderen Seite miteinander unvereinbar sind.« (Entnommen aus: Papst Paul VI., Wort und Weisung im Jahr 1976, Rom 1977, 263-264)


Das "liberum examen" taucht bei Paul VI. häufiger auf. Was er damit meint, kann man etwa in dem Apostolischen Schreiben "Über die Versöhnung in der Kirche" vom 8. Dezember 1974 nachlesen. Dort heißt es:
»Was aber soll man von dem Pluralismus sagen, der den Glauben und seine Ausdrucksweise nicht als ein gemeinschaftliches und damit kirchliches Erbe betrachtet, sondern als Ergebnis der freien Kritik und der freien Prüfung des Wortes Gottes durch einzelne? Ohne die Vermittlung des Lehramtes der Kirche, dem die Apostel ihr eigenes Lehramt anvertraut haben (vgl. DV 7) und das deshalb "nichts anderes lehrt, als was überliefert ist" (DV 8) ist auch die sichere Verbindung mit Christus durch die Apostel gefährdet, die "das weitergeben, was sie selbst empfangen haben" (DV 8). Wenn einmal das Verharren in der von den Aposteln überlieferten Lehre in Frage gestellt ist, geschieht es, daß man vielleicht in der Absicht, die Schwierigkeiten des Geheimnisses zu beseitigen, Formeln von trügerischer Verständlichkeit sucht, die den wirklichen Inhalt auflösen; auf diese Weise gelangt man zu Lehren, die nicht zum objektiven Bestand des Glaubens gehören oder ihm sogar entgegengesetzt sind und darüber hinaus in einem Gefüge von auch untereinander widersprüchlichen Auffassungen stehen.« (Entnommen aus: Papst Paul VI., Wort und Weisung im Jahr 1974, Rom 1975, 520-521)

Allerdings bezieht sich dieser Terminus nicht nur auf die Heilige Schrift, auch Glaubensinhalte können (siehe oben) einer solchen "freien Prüfung" unterworfen werden. Diese Vorgehensweise würde, so der Papst (einen italienischen Professor zitierend), dem radikalsten Subjektivismus Tür und Tor öffnen (ebd. 121).
Das zuvor zitierte Schreiben über die Versöhnung in der Kirche behandelt nicht so sehr das Bußsakrament, sondern meint tatsächlich die Versöhnung sich gegenüberstehender Gruppen in der Kirche. Über die herrschende Zwietracht hat sich der Papst etwa in der Generalaudienz vom 10. Juli des selben Jahres geäußert. So sagt er beispielsweise über gewisse Vertreter der theologischen Zunft:
»Diese tun so, als hätte das Konzil Neuerungen solcher Art für die Geschichte und das konkrete Leben der Kirche angezeigt, um das Vergangene als wertlos abzutun und für die Kirche selbst einen derartigen Neubeginn zu setzen, daß ihre Glaubenssätze neu zu formulieren, der Gehorsam gegenüber ihrem Lehr- und Hirtenamt abzuschaffen und eine völlige Neugestaltung ihrer Gesetze und Lebensformen als berechtigt anzusehen seien. Dadurch soll angeblich ein zweifacher Vorteil erreicht werden: die Kirche zu den ursprünglichen Lebensformen des Evangeliums zurückzuführen und ihr zugleich ein nunmehr vorbehaltloses Zusammengehen mit den vorherrschenden ideologischen und sozialen Strömungen unseres Jahrhunderts zu ermöglichen, auch wenn diese bis jetzt grundsätzlich und im Licht ganz offenkundiger, noch immer fortdauernder schmerzlicher Erfahrungen als negativ und für den Katholizismus unannehmbar beurteilt werden.« (Ebd. 89-90)


Aus dem Apostolischen Schreiben Quinque iam anni von Papst Paul VI. anlässlich des fünften Jahrestages der Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils (8. Dezember 1970) [Ein Dokument, das merkwürdig oft abwesend ist in vielen nachkonzliaren Dokumentensammlungen...]:
»7 [...] Im selben Augenblick nämlich, da die Verkündigung des Gotteswortes in der Liturgie dank des Konzils eine wunderbare Erneuerung erfährt, die Vertrautheit mit der Heiligen Schrift im christlichen Volk zunimmt, der Fortschritt in der Katechese, wenn sie nach den Richtlinien des Konzils erfolgt, eine vertiefte Glaubensverkündigung ermöglicht, da die biblische, patristische und theologische Forschung oft einen wertvollen Beitrag zur genaueren Auslegung der geoffenbarten Wahrheiten leistet, im selben Augenblick, sagen wir, sind viele Gläubige durch eine Fülle von Zweideutigkeiten, Unsicherheiten und Zweifeln in wesentlichen Wahrheiten ihres Glaubens verwirrt. Zu diesen gehören die Dogmen der Trinitätslehre und Christologie, das Geheimnis der heiligen Eucharistie und der Realpräsenz, die Lehre von der Kirche als Heilsinstitution, der priesterlid1e Dienst inmitten des Gottesvolkes, die Bedeutung des Gebetes und der Sakramente, Forderungen der christlichen Sittenlehre, wie zum Beispiel die Unauflöslichkeit der Ehe und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. Ja, selbst die göttliche Autorität der Heiligen Schrift wird durch eine übertriebene Aussonderung sogenannter mythischer Elemente, die man als "Entmythologisierung" bezeichnet, in Frage gestellt.
8 Während allmählich gewisse Grundwahrheiten der christlichen Religion mit Stillschweigen übergangen werden, sehen wir eine Tendenz, die von den psychologischen und soziologischen Gegebenheiten her ein Christentum aufzubauen sucht, das sich von der ununterbrochenen Tradition lossagt, die es mit dem Glauben der Apostel verbindet, und ein christliches Leben anpreist, das seines religiösen Inhaltes beraubt ist.« (Entnommen aus: hier)


Derlei mahnende Worte aus dem Munde dieses Papstes ließen sich noch vermehren. Er hatte auch manches Interessante zum Thema Ökumene zu sagen...

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