Samstag, 30. April 2022

Über Messstipendien

Bis vor kurzem nicht für möglich gehalten, nie einen Gedanken daran verschwendet... aber ich lasse mich ja grundsätzlich immer gerne von der Wirklichkeit eines Besseren belehren: Offenbar kann es in der katholischen Kirche in Deutschland passieren, dass das Pastoralteam einer Pfarrei beschließt, Messstipendien abzuschaffen.

Ach. Achso? Das geht?

Nein, natürlich nicht.

 

Aber der Reihe nach.

Was ist ein Messstipendium?

Ein Messstipendium (oder: Messintention) ist eine (Opfer)Gabe eines Gläubigen an einen Priester, mit dem Sinn, ihn zu verpflichten, eine Heilige Messe in der Intention (mit dem Anliegen, in der „Meinung“) des Gebers zu feiern. Heutzutage besteht es in einer Geldgabe. Diese Praxis ist so alt wie die Kirche, nur dass es sich bei den Gaben in den ersten ca. acht Jahrhunderten der Kirche meist um Naturalien (Lebensmittel) handelte. Diese auf die Feier der Messe konzentrierten Zuwendungen entwickelten sich aus den (Opfer)Gaben, die die Gläubigen generell für den Unterhalt und die wohltätige Arbeit der Kirche beisteuerten. Auf diese Weise sorgten die Gläubigen für den Unterhalt der für sie im heiligen Dienst stehenden Priester.

Die Bischöfe können festlegen, was die üblichen Beträge für ein Messstipendium sind (aber natürlich dürfen auch höhere oder niedrigere Beträge angenommen werden) und welchen Anteil an diesem Betrag der Priester selbst erhält, der Rest wird „nach oben“ weitergereicht und ist Zweckgebunden für die wesentlichen Aufgaben der Kirche.

Zumeist ist der von den Bischöfen festgesetzte Betrag in Deutschland 5€, wovon dem Priester 2,50€ zustehen. Hier in Deutschland ist der Anteil, den der Priester erhält, für diesen selbst eigentlich unerheblich, denn die Priester werden hierzulande im Allgemeinen ziemlich gut bezahlt (und dafür, dass sie keine Familie ernähren müssen und häufig nicht einmal Miete zahlen, sogar fast fragwürdig gut), weshalb sie i.d.R. dieses Geld unmittelbar einem guten Zweck zukommen lassen (andernfalls müssten sie es als Einkünfte versteuern). In vielen anderen Weltgegenden leben die Priester, wie es schon am Anfang der Kirche war, von diesen Stipendien, sie bestreiten damit ihren Lebensunterhalt.

Pro Priester und Messe darf nur eine solche Intention und folglich auch nur ein Stipendium angenommen und „erfüllt“ (Fachausdruck: „appliziert“) werden, sie wird dann im Verlauf der Messe erwähnt. Spätestens mit dem Priesterschwund der letzten Jahrzehnte und dem leider weit verbreiteten Wegfall der täglichen Zelebration können längst nicht alle Messstipendien, die – Gott sei Dank! – noch immer vergleichsweise zahlreich von den Gläubigen gegeben werden, von den Priestern erfüllt werden. Wenn man hierzulande oft eine ganze Reihung von Intentionen, etwa beim Totengedenken im Hochgebet, vernehmen kann, dann sind diese vielen Erwähnungen zwar legal, aber tatsächlich gilt diese Messe nur für die erste genannte Intention. Die anderen Intentionen werden samt Stipendium weitergereicht an andere Priester (z.B. in Klöstern), dank moderner Kommunikationstechnologie etwa auch an diejenigen in anderen Ländern, für die die Messstipendien die einzige Einkommensquelle sind. Über all das muss genau Buch geführt werden. Idealerweise nimmt der Geber eines Stipendiums auch an der entsprechenden Heiligen Messe teil, denn die Gabe des Stipendiums ist eigentlich nur der Anfang seiner Teilnahme, die sich in der Mitfeier der ganzen Messe verwirklicht und im Empfang der göttlichen Gegengabe – der Kommunion – ihren Höhepunkt erreicht.

 

Messstipendien abschaffen zu wollen ist aus verschiedenen Gründen falsch und zeugt v.a. von gravierenden Defiziten im Verständnis der Dinge des Glaubens und von erheblicher zwischenmenschlicher (pastoraler und diakonischer) Kurzsichtigkeit.

1) Zwar mögen Messstipendien für hiesige Priester keine relevante Einkommensquelle sein, weshalb die Frage aufkommen könnte „wozu?“, aber für andere Priester ist es das durchaus! Für Adveniat, Misereor etc. zu sammeln, aber dann Messstipendien abschaffen zu wollen, ist einfach zynisch. Hier mangelt es offenkundig an einem Bewusstsein für die kirchliche Gemeinschaft jenseits des eigenen Kirchturms.

2) Offenbar ist es eine hierzulande weit verbreitete Meinung, Messstipendien bezögen sich nur oder v.a. auf das Totengedenken in der Messe. Tatsächlich ist das nicht so, sie können mit jedem sinnvollen Anliegen verbunden sein (dann hört man etwa die Formulierung: „in einer bestimmten Meinung“). Faktisch sind sie hierzulande in der großen Mehrheit der Fälle mit den Verstorbenen verknüpft, eben weil man meint, es habe (nur) damit zu tun. Wenn wir das Totengedenken, oder besser: das Gebet für die Verstorbenen, als „Normalfall“ der mit einem Messstipendium verbundenen Intentionen annehmen, dann ist ihre Abschaffung erst recht als schwerwiegend, ja als grausam zu bezeichnen. Auch hier mangelt es an einem Bewusstsein für die Weite der kirchlichen Gemeinschaft, denn diese umfasst nicht nur die (vor Ort und auf der ganzen Welt) Lebendigen, sondern auch die Verstorbenen im Fegefeuer und im Himmel. Natürlich steckt hinter dem Versuch der Abschaffung der Messstipendien letztlich der weitestgehende Verlust des Glaubens an die Realität des Fegefeuers. Daher müsste das „Gebet für die Verstorbenen“, das Gott als Adressat und eben jene Verstorbenen als „Nutznießer“ hat, „für die“ gebetet wird, oftmals wohl eher „Aufforderung zur Erinnerung an die Verstorbenen“ heißen, weil als Adressat und zugleich Nutznießer eigentlich nur die Hinterbliebenen im Blick sind. Was würde ein „Gebet für die Verstorbenen“ auch bringen, wenn es kein Fegefeuer gäbe?


Mit dem letzten Punkt eng zusammenhängend ist die Verwirrung, die oft (auch unter pastoralen Mitarbeitern der Kirche) herrscht, über den Unterschied zwischen einem Stipendium für die Feier einer Heiligen Messe und einem fürbittenden Gebet zugunsten eines Verstorbenen, etwa im Rahmen einer Wort-Gottes-Feier. Tatsächlich gibt es immer wieder diözesane Verlautbarungen, die einschärfen, dass für Wort-Gottes-Feiern keine Messstipendien angenommen werden dürfen. Dass dies eigens (und wiederholt) eingeschärft werden muss, offenbart die weit verbreitete Ver(w)irrung, u.a. über den Unterschied zwischen diesen beiden Gottesdienstformen, über das Verhältnis von Wort und Sakrament, sowie bezüglich des priesterlichen Dienstes. Also:

3) Ein Messstipendium für einen Verstorbenen zu geben ist ein besonderer Akt der Nächstenliebe, der – wenn er nicht bloß „aus Tradition“ und dabei eher gedankenlos getan wird – allerdings das rechte Verständnis der Eucharistie voraussetzt. In „fromm“ ausgedrückt: Mit einem Messstipendium wird nicht nur eine Bitte zugunsten des im Fegefeuer Leidenden vor Gott gebracht, sondern diesem Leidenden werden die Früchte das rettenden Opfers Christi am Kreuz zugewendet. In „verständlich“ heißt das: Jesus hat denen, die ihm nachfolgen wollen, unmissverständlich den schwerwiegenden Auftrag erteilt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19; 1Kor 11,24); gemeint ist die Feier der Eucharistie, und damit die Anteilhabe an seinem Leib und seinem Blut (vgl. 1Kor 10,16). Dieser Auftrag ist keine Nebensächlichkeit, und seine Erfüllung ist nicht „optional“. Sondern unsere Teilnahme an der Eucharistie ist von überragender Bedeutung, denn die Alternative ist schrecklich: „Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch.“ (Joh 6,53) Wie können wir die Teilhabe daran, aber auch den Trost und die Hilfe daraus, unseren „lieben Verstorbenen“ vorenthalten?


Neben diesen Fragwürdigkeiten, die ein Defizit an (welt- und überirdisch-)kirchlichem Bewusstsein („kirchlicher Gesinnung“) vermuten lassen, gibt es aber noch ein weiteres Problem mit dem Versuch der Abschaffung von Messstipendien, das selbst denjenigen auffallen müsste, die nicht weltkirchlich zu denken und zu fühlen gewohnt sind, und die auch die bereits verstorbenen Glieder der Kirche, insbesondere die „leidende Kirche“ im Fegefeuer, nicht recht beachten (Stichwort: sentire cum ecclesia): Ein Messstipendium ist, wie aus dem vorherigen Punkten deutlich geworden sein müsste, auch eine besondere verdienstvolle Tätigkeit der Gläubigen. Nicht nur ginge eine Abschaffung von Messstipendien somit zu Lasten derer, für die die Intentionen gelten (z.B. im Fegefeuer), sondern auch die (noch auf Erden lebenden) Gläubigen vor Ort würden massiv in der tätigen Ausübung ihres Glaubens beeinträchtigt, und zwar gleich in zweifacher Hinsicht:

4) Zum einen wird den Gläubigen dadurch – insbesondere dann, wenn das Stipendium zugunsten eines Verstorbenen gegeben wird, aber auch generell – eine bedeutende Übung der tätigen Nächstenliebe verunmöglicht; sie könnten ihren „lieben Verstorbenen“ diese größtmögliche Hilfe nicht durch die bestellten Diener der Kirche zuwenden, und auch für andere (nicht verstorbene) können sie diesen großen Dienst der Nächstenliebe nicht leisten. Das allein ist schon schrecklich. Dass inzwischen bei nicht wenigen Gläubigen das Bewusstsein für die Möglichkeit und die Bedeutung dieses besonderen Dienstes fehlt, macht seine Verunmöglichung nicht weniger schlimm, sondern weist auf ein Defizit in Verkündigung und Glaubenspraxis hin. Es ist außerdem besonders grausam den Gläubigen gegenüber, die noch dieses gläubige (kirchliche) Bewusstsein haben.

5) Zum anderen wurde zu Anfang erwähnt, dass ein Messstipendium eine (Opfer)Gabe eines Gläubigen für den heiligen Dienst ist. Daran wird deutlich, dass es sich bei Messstipendien, ganz gleich, mit welcher berechtigten Intention es verbunden wird, tatsächlich um eine Form der tätigen Teilnahme (actuosa participatio) der Gläubigen am heiligen Dienst handelt, wie dies etwa Papst Paul VI. in seinem Schreiben über die Messstipendien von 1974 gleich im ersten Satz hervorgehoben hat: „Es ist feste Überlieferung der Kirche, dass die Gläubigen aus frommer und kirchlicher Gesinnung gleichsam ein gewisses eigenes Opfer dem eucharistischen Opfer anschließen, um daran tätiger teilzunehmen.“ (DEL 3312) Wenn also ein Pastoralteam die Messstipendien für seinen Zuständigkeitsbereich abschaffen will, dann beraubt es die Gläubigen dieser wichtigen Weise der tätigen Teilnahme am heiligen Dienst, die doch ansonsten immer so sehr eingefordert und befördert wird. Natürlich: Hierbei spielen sicher nicht wenig der Verlust des Verständnisses der Eucharistie als Opfer, sowie ein einseitig veräußerlichtes Verständnis von „tätiger Teilnahme“ eine wesentliche Rolle, darum werden es viele Gläubige nicht unbedingt merken. Aber auch das ist eher ein Hinweis auf ein Verkündigungsdefizit und macht die Vorenthaltung dieser Möglichkeit zur tätigen Teilnahme nicht weniger schlimm; und wiederum ist es gerade für diejenigen Gläubigen ein Schlag ins Gesicht, die den kirchlichen Glauben bezüglich der Eucharstie nach wie vor teilen, und die die Heilige Messe innerlich wie äußerlich tätig leben. Ob es klug ist, ausgerechnet diejenigen, die nach wie vor den Glauben in seiner Reichhaltigkeit leben, darin zu beschneiden?


Zu guter Letzt sei noch darauf hingewiesen, dass ein Pastoralteam (Priester, Diakone, Pastoral- bzw. Gemeindereferenten) natürlich keinerlei Kompetenz oder Befugnisse hat, Messstipendien „abzuschaffen“. Allein den Bischöfen kommt es zu, für ihren Zuständigkeitsbereich irgendetwas bezüglich der rechtlichen Ordnung des Messstipendienwesens zu ändern. „Abschaffen“ (verbieten) könnten aber auch sie es nicht, denn dazu haben sie kein Recht. Messstipendien anzunehmen ist nämlich ein Recht, das jedem Priester zusteht, einfach weil er Priester ist, und nicht, weil der Bischof es ihm gestattet (hat ein Bischof keine Regelungen getroffen, gelten ortsübliche Gewohnheiten etwa bzgl. der Beträge; verbieten kann es der Bischof nicht, es sei denn indirekt, indem er Priestern das Zelebrieren der Messe verbietet): „Gemäß bewährtem Brauch der Kirche ist es jedem Priester, der eine Messe zelebriert oder konzelebriert, erlaubt, ein Messstipendium anzunehmen, damit er die Messe in einer bestimmten Meinung appliziert.“ (Can. 945 §1 CIC) Ein Priester könnte es natürlich auch einfach generell unterlassen, Messstipendien anzunehmen, er ist schließlich nicht dazu verpflichtet (es wird ihm lediglich „eindringlich empfohlen“; ebd. §2), aber dann macht sich ein solcher Priester m.E. aus den vorgenannten Gründen schwer vor Gott und den Menschen schuldig (und ich frage mich, ob hier nicht ein schwerer Mangel hinsichtlich des Lebens seiner Berufung vorliegt).


Über die Gründe für den Willen zur Abschaffung von Messstipendien kann ich nur spekulieren. Der schlechteste wäre sicherlich, wenn man sich den Verwaltungsaufwand der Buchführung ersparen wollte. Ich vermute(!) – und habe dafür auch einige Anzeichen aus Gesprächen mit Akteuren, wenn auch an anderen Orten –, dass man dadurch die Bedeutung und Akzeptanz von Wort-Gottes-Feiern erhöhen möchte, indem man erklärt, dass das Gedenken an die Toten in ihnen nicht „weniger Wert“ ist als in einer heiligen Messe. Auch dem Selbstbild (und Prestige?) der WGF-Leiter wäre das sicher zuträglich. Die traurige Ironie ist allerdings, dass man dadurch etwaige Missverständnisse und Unklarheiten über die jeweils eigene Bedeutung dieser beiden Gottesdienstformen nur verstärkt. Womöglich sind die Verantwortlichen aber auch nicht Willens und/oder in der Lage, diesen Unterschied zu erklären, und sie wollen durch die Abschaffung dieser Peinlichkeit ausweichen? Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass einem solchen folgenschweren Entschluss besonders viel Nachdenken, Lektüre (z.B. des geltenden Kirchenrechts), Austausch mit den Betroffenen, Gebet und eigene Glaubenspraxis in diesem Bereich vorausgegangen sind... sonst würde man nicht zu einem solchen Entschluss gelangen.

 

 

PS. Die dargelegten Erwägungen verdeutlichen auch, warum Messstipendien keineswegs ein „klerikalistisches Relikt“ einer vergangenen „Priesterkirche“ sind, wie man das zuweilen hört: Die Laien müssen an die Priester Abgaben entrichten. Das ist natürlich eine durch dumme Vorurteile und Ressentiments befeuerte Verzerrung eines Sachverhalts, der sich kinderleicht auch genau andersherum deuten lässt: Messstipendien machen deutlich, dass die Priester den Laien zu dienen haben, denn jene werden von diesen beauftragt, in ihrem Anliegen in besonderer Weise vor Gott zu treten. Wollte man dieses besondere Vor-Gott-treten kritisieren, so würde man im Grunde nur die Tatsache kritisieren, dass es neben dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften ein besonderes Weihepriestertum des Dienstes gibt. Messstipendien verdeutlichen besonders eindrücklich das Zu-, Für- und Miteinander von beiden, von denen keines ohne das andere vor Gott stehen kann.

Dienstag, 26. April 2022

Feinde auch im Inneren der Kirche

»Der Herr hat uns gesagt, daß die Kirche auf verschiedene Weise immer leiden würde bis zum Ende der Welt. [...] Unter dem Neuen, das wir heute in dieser Botschaft entdecken können, ist auch die Tatsache, daß die Angriffe gegen den Papst und die Kirche nicht nur von außen kommen, sondern die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert. Auch das war immer bekannt, aber heute sehen wir es auf wahrhaft erschreckende Weise: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche. Und darum ist es für die Kirche zutiefst notwendig, daß sie neu lernt, Buße zu tun, die Reinigung anzunehmen; daß sie einerseits zu vergeben lernt, aber auch die Notwendigkeit der Gerechtigkeit sieht; denn Vergebung ersetzt die Gerechtigkeit nicht. Mit einem Wort, wir müssen gerade das Wesentliche neu lernen: die Umkehr, das Gebet, die Buße und die göttlichen Tugenden. So antworten wir. Seien wir realistisch darauf gefaßt, daß das Böse immer angreift, von innen und von außen, aber daß auch die Kräfte des Guten immer gegenwärtig sind und daß letztendlich der Herr stärker ist als das Böse.«

Benedikt XVI. am 11. Mai 2010 auf den Flug nach Portugal (HIER nachlesbar).

Donnerstag, 7. April 2022

Niemandem das Katholischsein absprechen!

Im kirchlichen Diskurs kann man es immer wieder erleben, wie rechtgläubigen Katholiken vorgehalten wird: "Willst du X etwa das Katholischsein absprechen?"

Jene Katholiken täten gut daran, dies nicht zu tun, denn, ob richtig oder falsch, damit disqualifiziert man sich im Diskurs. Geschickter ist es, sich am Vorbild Joseph Ratzingers zu orientieren: Als dieser 2003 nach der (längst überfälligen) Suspendierung von Gotthold Hasenhüttl gefragt wurde (Hasenhüttl muss spätestens seit seinem Buch "Kritische Dogmatik" von 1979 als faktischer Atheist betrachtet werden, er durfte aber bis in die 2000er Jahre ungestört katholische Theologie lehren), und der Interviewer konkret wissen wollte, ob Hasenhüttl nach Ratzingers Ansicht "nicht mehr katholisch" sei, antwortete der Kardinal (bezogen auf jenes Buch Hasenhüttls): »Was im Innersten seines Herzens ist und vorgeht, das überlassen wir dem lieben Gott. Aber was er geschrieben hat, ist nicht katholisch.« Dies lässt sich nicht nur auf Geschriebenes, sondern auch auf Gesprochenes anwenden. Jeder Gesprächspartner muss eingestehen, dass es Statements gibt, die "nicht katholisch" sind, ob geschrieben oder gesprochen - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt - und sei es nur eben dieses, jemandem das Katholischsein abzusprechen.

Im übrigen lässt sich dieses Absprechen auch ganz einfach guten Gewissens dadurch vermeiden, dass man sich das vom Gegenüber gemeinte "Katholischsein" einfach als das denkt, was vor dem Standesamt in den Personalausweis ein- bzw. aus diesem ausgetragen wird. Hasenhüttl darf man daher inzwischen übrigens guten Gewissens absprechen, katholisch zu sein, schließlich hat er 2010 seinen Austritt aus der Kirche erklärt.

Mittwoch, 6. April 2022

Der offener Brief an die Kardinäle Hollerich und Marx

Der offene Brief von Father Philip G. Bochanski, Executive Director von Courage International an die Kardinäle Jean-Claude Hollerich und Reinhard Marx, die in letzter Zeit offen die kirchliche Lehre diesbezüglich abgelehnt haben (von HIER). Courage International ist ein seit über 40 Jahren bestehendes Netzwerk von Katholiken mit homosexuellen Neigungen und denen, die ihnen verbunden sind, die der katholischen Lehre entsprechend leben wollen. Infos gibt es HIER; das "Handbook" (als PDF frei verfügbar) ist eine sehr lesenswerte Ressource zu dem ganzen Themenkomplex.

In diesem Kurzen Schreiben steht im Grunde alles drin, mehr ist nicht dazu zu sagen, mehr braucht man nicht zu sagen.


Your Eminences,

As a priest engaged for many years in pastoral ministry to people who experience same-sex attractions, I read your recent public comments about Catholic teaching on homosexual acts with serious concern.

You suggested, Cardinal Hollerich, that “the sociological-scientific foundation of” the Catholic doctrine that homosexual acts are immoral “is no longer correct,” and you called for “a fundamental revision of Church teaching” and “a change in doctrine.” You took the same stance on this issue, Cardinal Marx, and justified your position by remarking that “the Catechism is not set in stone” and that “one may also question what it says” on this important moral teaching.

Yet the paragraph of the Catechism to which you refer presents this teaching in a remarkably firm way. That is, it notes that the teaching is clearly based on Sacred Scripture and consistently taught by the tradition of the Church (2357). This invocation of Scripture and Tradition is unusual in the Catechism, but appears often when the Church explains the charism of infallibility. Its use here clearly means that this teaching, which flows from the anthropological fact of the nature of sexed human bodies, is an infallible teaching of the ordinary universal magisterium.

When each of us was preparing for ordination, like all of our brother deacons, priests and bishops, we made a public Profession of Faith and swore an Oath of Fidelity. When we took that oath, we swore in regard to such teachings that we would “hold fast to” the Church’s doctrine, “faithfully hand it on and explain it, and … avoid any teachings contrary to it.” We invoked the Holy Trinity and the holy Gospels to witness to our honesty and sincerity.

Your Eminences, I beg you, please be faithful to your oath.

To violate your oath over this teaching would do great harm to the very people you sincerely want to help. “Neglect of the Church’s teaching prevents” these brothers and sisters of ours “from receiving the help that they need and deserve,” as the Dicastery for the Doctrine of the Faith wrote in 1986. To claim that this definitive teaching can change raises false hopes among our brothers and sisters, and is sure to leave them feeling more overlooked and resentful each time the Church faithfully restates it. By reinforcing this misunderstanding of the divine ordering of sexuality, you encourage them to seek happiness in relationships that ultimately cannot satisfy, rather than to seek fulfillment in chaste friendships.

To violate your oath would also wound our brothers and sisters who strive to live chastely in harmony with the Church’s teaching, or to encourage their loved ones to do so, at the cost of great personal sacrifice. They look to the bishops of the Church as their spiritual fathers, and seek from you affirmation and support for the commitments to chastity they have made, as faithful Catholics. When they hear you suggest that such commitments are unnecessary, they feel unseen and disrespected by the very people whose love and care they seek the most.

To violate your oath would certainly harm the moral credibility of the Church, in the eyes of the faithful and in the opinion of the world. On the eve of His Passion, Our Lord’s sincere prayer was for unity among his apostles, “so that the world may believe” (John 17:21). You stand in the place of those apostles and have undertaken the awesome responsibility of closely advising the successor of St. Peter. Your public dissent from the Church’s teaching can only create confusion and division among the faithful, and be a scandal to the secular world.

To violate your oath would, I fear, also create great harm for you. As a brother priest and collaborator in the sacred ministry, may I be so bold as to remind you, with great respect and fraternal concern, of the solemn significance of the oath we have taken? To break an oath is to commit the sin of perjury, and to deliberately persist in such a grave sin puts one’s eternal salvation in jeopardy.

It has been my privilege for almost half of my life to serve Christ’s Church as a priest, and an immense joy for more than half of my priesthood to serve Catholics who experience same-sex attractions and their loved ones. It is a great consolation to carry out this ministry with the support and encouragement of the universal Church and its eminent pastors.

Your Eminences, I beg you, please be faithful to your oath.

With sincere respect,

Father Philip G. Bochanski

Executive Director, Courage International

Dienstag, 8. März 2022

Bätzing verdreht Henri de Lubac

In seiner Predigt zur Eröffnung der Vollversammlung der DBK am 7. März 2022 hat der Vortsitzende der DBK ausgerechnet Henri de Lubac zitiert, um seine kruden Ideen über die Kirche Ausdruck zu geben. Er führte aus:

»Die Kirche Jesu Christi ist „katholisch“. Und das meint weit mehr als „römisch-katholisch“ in seiner konkreten Gestalt. Katholizität, so hat es der französische Jesuit Henri de Lubac (1896–1991) durch beharrliche Studien herausgearbeitet, ist ein Zielbild, geschichtlich stets eine Herausforderung und niemals Besitzstand, den es zu verteidigen gilt. „Der Katholizismus [...] ist die Form, die die Menschheit annehmen soll“, schreibt de Lubac, „um endlich sie selbst zu werden. Er ist die einzige Wirklichkeit, die, um zu sein, es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen, also alles andere als eine ‚geschlossene Gesellschaft‘“ (Henri de Lubac, Glauben aus der Liebe [„Catholicisme“, 1938 erschienen]. Übertragen und eingeleitet von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln-Freiburg 1992, 263: Weiter spricht er davon, den Katholizismus zeichne eine Unduldsamkeit seiner Grundsätze und zugleich eine unendlich umfassende Geschmeidigkeit aus). Katholisch, das ist gelebte Verbundenheit, nicht konfessionelle Enge, nicht Abschottung und Identität durch Grenzziehungen. [...] Katholizität meint Verbundenheit. Um dieses Zielbild zu verwirklichen, müssen wir wohl noch etliche Barrieren überwinden, Durchbrüche wagen und bisher gültige Denkweisen verändern – und zuallererst demütig bekennen, wie sehr wir uns in der Kirche an unseren eigenen Geschwistern schuldig gemacht haben; wie sehr wir deren Leben belastet und ihnen die Verbundenheit verwehrt haben.«


Bätzing möchte mit allen Menschen "verbunden" sein, und meint damit v.a., dass die Kirche alles, was diese Menschen tun, etwa in ihren Betten, akzeptieren soll.

Damit verkehrt er die Aussage von de Lubac in ihr genaues Gegenteil. Ja, de Lubac sagt: »Die Kirche ist überall zu Hause, und jeder soll sich in der Kirche zuhause fühlen können« (ebd.), aber er wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass dies bedeuten könnte, dass sich die Kirche entsprechend an alles anpassen müsse, am wenigsten in Sachen der Moral. De Lubac stellt vielmehr klar, dass die Kirche "ohne jede Naivität" auf die Menschen zugeht, d.h. sie nimmt nicht einfach alles an, sondern sie unterscheidet, sucht das "Gute" und das "Wahre" und meidet zugleich den Irrtum (ebd. 264-265) [gemäß der Mahnung des Paulus: »Prüft alles und behaltet das Gute!« (1Thess 5,21) Immer Eingedenk des darauffolgenden Verses: »Meidet das Böse in jeder Gestalt!« Vgl. ebd. 254-256]. Die sichtbare Katholizität, die sich in der Vielfalt zeigt, die sie beherbergt, ist so letztlich Ausdruck ihres inneren Reichtums.

Kurioserweise nennt de Lubac sodann etwas beim Namen, was Bätzing eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste, denn er, Bätzing, tut genau das, was du Lubac hier verwirft, bis in die Wortwahl ("verbinden") hinein: 

»So wenig die Methode der Kirche naiv ist, so wenig ist sie synkretistisch. Künstlich erzeugt und häufig das Werk von Verwaltungsinstanzen und Gelehrten, setzt der Synkretismus einen niedergehenden Glauben voraus. Er ist eine Beleidigung des lebendigen Gottes. Im Geistigen ist er unfruchtbar wie die Politik und die Philosophie, der er entstammt. Er erniedrigt und verflacht alle Elemente, die er verbindet [...].«

Genau da sind wir: Die Kirche (in Deutschland!) ist im Niedergang begriffen und Bätzing möchte durch Verwaltungsinstanzen und mit gelehrten Redelsführern (suizidaler Weg) das Ruder herumreißen, indem er einen Synkretismus fabriziert, der allerlei wesentliche Elemente des Katholischen erniedrigt und verflacht (z.B. das Priestertum und eben die Moral).

Die Kirche kann Heimat für alle Menschen sein, weil sie die Fülle der Gnade und der Wahrheit Gottes ihr eigen weiß. Als Christen glauben wir, dass einer der Weg, die Wahrheit und das Leben für alle Menschen ist. Dass die Kirche "katholisch" ist bedeutet gerade nicht, dass sie allen Menschen angepasst werden kann oder gar soll, sondern im Gegenteil, dass alle Menschen sich ihr anschließen können auch in ihrer Strenge und Klarheit. De Lubac weiter (durchaus kämpferisch):

»Endlich kann hier auch nicht von "Liberalismus" die Rede sein, von Willfährigkeit gegenüber dem Irrtum oder vom Schalwerden des evangelischen Salzes. Wie das Christentum in der ganzen Strenge seiner Forderungen vorgetragen werden muss, so muss man es auch in seiner ganzen Reinheit hervortreten lassen. Es wäre sträflich, die sanfte Strenge des Evangeliums zu verschleiern; aber nicht weniger, es mit überflüssigem Ballast zu beschweren; dies hat schon das erste Konzil verkündet. Und wenn es auch ausgemacht ist, dass das Bekehrungswerk in seinem Wesen nicht darin besteht, die übernatürliche Wahrheit zu adaptieren, sie auf das menschliche Maß herabzudrücken, sondern umgekehrt den Menschen ihr anzupassen und ihn zum Maß dieser Wahrheit, die ihn beherrscht und ihn richtet, zu erheben, so müssen gerade wir, ihre Diener, uns vor nichts so sehr hüten als vor einer lästerlichen Verwechslung unserer Geschmäcker, unserer Gewohnheiten, unserer Vorurteile, unserer Leidenschaften, unserer Beschränktheiten und Schwächen mit der göttlichen Religion, von der wir noch so wenig durchdrungen sind. Wir sollen die Seelen für Gott, nicht für uns gewinnen, und ihnen. Gott schenken, statt uns selbst ihnen aufdrängen. Wenn man dies für Liberalismus hält, so ist es jedenfalls kein anderer als der der Liebe. Da mihi amantem et scit quid dicam.

Das große Beispiel des hl. Paulus ist am geeignetsten, vor jeder hier möglichen Verwechslung im voraus zu sichern. Keiner schämte sich weniger als Paulus, das Ärgernis des Kreuzes zur Schau zu tragen, und keiner fürchtete mehr als er, dessen Kraft abzustumpfen. Keiner hat vorbehaltloser als er die Notwendigkeit verkündet, mit dem Irrtum und der Sünde zu brechen und sich selbst zu sterben, um ein neues Leben in Christus zu leben: "Fegt aus den alten Sauerteig und seid ein neuer Teig." Aber Paulus weigert sich, auf die Forderungen der judaisierenden Christen einzugehen. Er erhebt sich sogar gegen jene, die seine Kühnheit einschüchtert. Geschieht es einzig deshalb, "um, wie er selbst sagt, dem Evangelium kein Hindernis zu schaffen" oder "für Christus eine große Menge" Heiden zu gewinnen? Diese Absicht erklärte sein Verhalten nicht ganz. Was den Apostel bestimmt, ist nicht vor allem das Interesse der Propaganda: es ist die Logik seines Glaubens. Seine Gegner werfen ihm vor, dass er aus politischer Klugheit das Joch des Herrn erleichtert, indem er das Gesetz aufgibt. Nein, erwidert er, nicht damit die Menschen mich gut aufnehmen, handle ich so, sondern um mich Gott verdient zu machen. Wenn ich das "Evangelium Gottes" predige, will ich es nicht "nach Menschen weise" verkünden. Weit davon entfernt, die Lehre aus Opportunitätsrücksichten zu kompromittieren, verteidigt Paulus vielmehr ihren wahren Charakter gegen die unklugen Zugeständnisse Petri. Er weigert sich, das Evangelium andern zuliebe zu ändern, weil er damit Christus untreu würde (1Kor 1,17; 5,7; 9,12 und 19-22; Gal 1,10-11; 2,11-24).

Der Geist, der den Apostel leitet, ist derselbe, der noch heute die Kirche lenkt, und der durch die Stimme der letzten Päpste spricht [gemeint sind Pius IX. bis Pius XI.]. Der Weg, auf den er uns verpflichtet, ist der einzig sichere. Ihm folgen ist weder Naivität noch Synkretismus noch Liberalismus, sondern einfach Katholizismus.« (ebd. 265-267)

Bätzing sollte nochmal genau nachlesen und sich dann schämen! Ich kann bloß hoffen, dass sein bischöflicher Mitbruder aus Regensburg, der ein ausgewiesener Experte für Henri de Lubac ist, ihn auf seine Verirrung (und die Irreführung seiner Zuhörer) hinweist.

Donnerstag, 24. Februar 2022

Gottesmutter von Potschajiw, bitte für uns!

Die Gottesmutter von Potschajiw ist eine spätbyzantinische Ikone (Typus Eleusa, die Mitleidende, Erbarmende) aus dem Mariä-Entschlafens-Kloster (das zweitgrößte Kloster der Ukraine, gehört zum Moskauer Patriarchat[!]) in Potschajiw, eine Stadt am Rande der Karpaten im Westen der Ukraine, die zuweilen als das "ukrainische Lourdes" bezeichnet wird.

Das erste Wunder, eine Erscheinung Mariens in einer Flamme, soll in Potschajiw im Jahr 1193 geschehen sein, es ist noch heute im Stadtwappen abgebildet. Am Ort der Erscheinung sei eine Quelle entsprungen, die noch heute fließt. Weitere Wunder, insbesondere in Zusammenhang mit der Ikone der Muttergottes, sollen v.a. im 16. Jahrhundert geschehen sein.

Die Ikone wird von Katholiken wie auch Orthodoxen gleichermaßen verehrt (im 18. Jahrhundert entstandte Papst Klemens XIV zwei Kronen für die Ikone, eine für Maria, eine für das Jesuskind, womit er die Wundertätigkeit der Ikone anerkannte); sie ist besonders für die ukrainisch-griechisch katholischen Christen von großer Bedeutung.

Gottesmutter von Potschajiw, bitte für uns!

Mittwoch, 23. Februar 2022

...weder Schrift noch Tradition

»Widerlegt man nämlich die Häretiker aus den Schriften, dann erheben sie gegen eben diese Schriften die Anklage, dass sie nicht zuverlässig seien, keine Autorität besäßen, auf verschiedene Weise verstanden werden könnten, und dass aus ihnen die Wahrheit zu finden nur die imstande seien, die die Tradition verstünden. Diese sei nämlich nicht niedergeschrieben, sondern werde durch die lebendige Stimme überliefert, weswegen auch Paulus sage: "Weisheit reden wir unter den Vollkommenen, aber nicht die Weisheit dieser Welt" (1Kor 2,6). Unter dieser Weisheit versteht jeder von ihnen natürlich das von ihm erfundene System, so dass nach Ihnen die Wahrheit bald bei Valentinus, bald bei Markion, bald bei Cerinth ist. Später war sie natürlich bei Basilides oder bei einem seiner Widersacher, der auch nichts Rechtes vorbringen konnte. Denn verdreht sind sie alle, und trotzdem schämen sie sich nicht, sich selbst als die Richtschnur der Wahrheit hinzustellen.

Berufen wir uns aber ihnen gegenüber auf die apostolische Tradition, die durch die Nachfolge der Priester in der Kirche bewahrt wird, dann verwerfen sie wieder die Tradition, nennen sich klüger als Priester und Apostel und sagen, sie hätten allein die Wahrheit gefunden. Die Apostel hätten den Worten des Heilandes noch allerlei aus dem Gesetz beigemischt; und nicht bloß die Apostel, sondern auch der Herr habe seine Aussprüche teils vom Demiurgen, teils aus dem Ort der Mitte, teils von dem Allerhöchsten. Sie aber wüssten klar, rein und schlicht das darin verborgene Geheimnis — fürwahr, eine ganz unverschämte Gotteslästerung! So stehen sie also weder auf dem Boden der Schrift, noch der Tradition.

Gleichsam gegen Schlangen, die sich glatt nach allen Seiten herauszuwinden suchen, haben wir also zu kämpfen. Deshalb müssen wir ihnen auch von allen Seiten entgegentreten; vielleicht, dass wir dann einige von ihnen durch die Zurückweisung stutzig machen und bewegen können, zur Wahrheit zurückzukehren. Denn wenn es auch nicht leicht ist, dass eine Seele, die vom Irrtum umgarnt ist, wieder vernünftig wird, so ist es doch nicht absolut unmöglich, dass sie dem Irrtum entrinne, wenn ihr die Wahrheit entgegengehalten wird.« (Adv. Haer. III,2,1-3)


Heute so zutreffend wie vor über 1800 Jahren, als Irenäus von Lyon dies schrieb, nur die Häretiker heißen heute anders.

Dienstag, 22. Februar 2022

Unterscheidung der Geister

»Der im Glauben Unmündige, so lehrt uns der Apostel Paulus, ist daran zu erkennen, dass er "nach dem Fleische" urteilt, das heißt: nach rein irdischen, nur diesseitigen Maßstäben, Leitbildern, Interessen. Aber so ist niemals zu erfassen, was von Gott kommt (vgl. 1Kor. 2,12-16). [...] Und es ist - christlich beurteilt - naiv zu meinen, die Hinweise der Heiligen Schrift seien überholt, dass der Satan sich in der Gestalt eines Lichtengels zeigen kann, die Werke Christi dagegen auf den Bösen Geist zurückgeführt werden (vgl. 2Kor 11, 13; Mk 3,22). Man kann durchaus als wahre Erfüllung des Christentums schildern, was dem Geiste Christi widerstreitet. Man kann als Intention des Konzils hinstellen, was die Kirche zerstört. Umgekehrt kann man das wahrhaft Kirchliche als schädlich darstellen, aber auch leicht jedes eigene Konzept mit dem falschen Glanz der Unfehlbarkeit umgeben.«


Kardinal Bengsch, Glaube und Kritik, 101f.

Gregor der Große über das Priestertum

... aus einem Brief an Dominicus von Karthago:

»Denn schwer ist die Last des Priestertums; zuerst muss ja der Priester als Vorbild für Andere leben und dann dafür sorgen, dass sich seine Seele nicht um der gegebenen Beispiele willen in Eitelkeit verliere. Immer soll er des Predigtamtes eingedenk sein und mit ernstlicher Furcht erwägen, dass der Herr, da er hingeht, um sein Reich in Besitz zu nehmen, sowie bei der Austeilung der Talente zu den Knechten spricht: "Machet Geschäfte bis ich wiederkomme." Dieses Geschäft betreiben wir ohne Zweifel dann auf die rechte Weise, wenn wir durch unser Leben und unser Wort Seelen gewinnen, wenn wir auch die Schwachen in der himmlischen Liebe bekräftigen, indem wir ihnen die Freuden des Himmels vor Augen halten, wenn wir die Frechen und Stolzen durch furchtbare Androhung der Höllenstrafe erschüttern, wenn wir gegen Niemand eine Schonung kennen, die mit der Wahrheit unvereinbar ist, wenn wir Freundschaft mit Gott unterhalten, vor Feindschaft mit Menschen uns nicht fürchten.«

Samstag, 12. Februar 2022

Wahrheit ist wichtiger als Einheit

[Es] ist eine Gefahr in der Kirche weit verbreitet [...].

Wir meinen die Auffassung, dass Einheit wichtiger sei als Wahrheit, dass gleichsam ein Schisma ein größeres Übel sei als das Eindringen von Häresien in die Kirche. Hier wird der Friede unter den Gläubigen als so wichtig betrachtet, dass, wenn die orthodoxen Katholiken ihre Stimme zur Verteidigung des depositum catholicae fidei erheben gegen diejenigen, die die Botschaft Christi neu interpretieren und ihres übernatürlichen Gehaltes berauben wollen, diese von vielen Prälaten als unliebsame Ruhestörer angesehen werden. Darauf müssen wir mit Pascal erwidern:

„Ist nicht deutlich, dass, ebenso, wie es ein Verbrechen ist, den Frieden zu stören, wo die Wahrheit regiert, es ein Verbrechen ist, im Frieden zu bleiben, wenn man die Wahrheit zerstört? Es gibt also Zeiten, wo der Friede gerecht ist und andere, wo er unrecht ist. Es steht geschrieben, es gibt Zeiten des Friedens und Zeiten des Krieges, und das Gesetz der Wahrheit ist es, das hier entscheidet. Es gibt aber nicht Zeiten der Wahrheit und Zeiten des Irrtums, und im Gegensatz hierzu heißt es in der Schrift, dass die Wahrheit Gottes ewig sein wird. Und deshalb sagt Jesus Christus auch, der gesagt hat, dass er den Frieden bringen will, dass er gekommen ist, den Krieg zu bringen. Er sagt aber nicht, dass er gekommen ist, die Wahrheit und die Lüge zu bringen. Die Wahrheit ist demnach die erste Richtschnur und das letzte Ziel der Dinge." (Pascal: Gedanken 949)

Die Einheit über die Wahrheit zu stellen, ist ein fundamentaler Irrtum; überdies kann die wahre Einheit nur in der Wahrheit gefunden werden. Jede Gemeinschaft setzt einen einenden Güterbereich voraus. Nur wenn dieser Bereich einen wahren Wert besitzt und nicht einen illusorischen oder gar einen Unwert, kann er eine wahre Einheit bilden, eine concordia, die in sich wertvoll ist. Das hat schon Aristoteles in seinem Kapitel über Freundschaft (8. und 9. Buch der Nikomachischen Ethik) klar gesehen. Die Einheit, die auf der Gottesfeindschaft aufgebaut ist, ist keine wahre Einheit, sie verbindet nicht wahrhaft, so wenig wie die Einheit einer Verbrecherbande. Der Wert der Einheit hängt unlöslich von dem Wert des einenden Gutes ab. Jede wahre Einheit setzt, wie gesagt, voraus, dass das einende Gut in Wahrheit ein Gut und keine Illusion oder kein Pseudogut und erst recht kein negativ-wertiges Idol ist. Mit Recht sagt van Straaten:

„Alle sind um die Einheit besorgt, doch ziehen viele die Einheit der Wahrheit vor und vergessen, dass wahre Einheit nur in der Wahrheit erlangt werden kann. Denn das Gebet Jesu, ,dass alle eins seien', schließt ein, dass sie in Ihm eins seien und darf nicht von seinem andern Wort getrennt werden: ,Ich sage euch: jeder, der nicht durch die Türe in den Schafstall eingeht, ist ein Dieb und ein Räuber ... Ich bin die Türe!'" (Werenfried van Straaten: Monatlicher Rundbrief vom Dezember 1969)

Jede Einheit auf Kosten der Wahrheit ist nicht nur eine Pseudoeinheit, sondern auch im letzten Grunde ein Verrat an Gott. Man stellt die soziale „Bruderschaft", das „Gut-auskommen" und niemand Angreifen über die Treue zu Gott. Ich erinnere mich, dass, nachdem ich in meiner Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat" im Jahre 1935 die Haltung mehrerer deutscher Bischöfe dem Nationalsozialismus gegenüber angegriffen hatte, ein katholischer Professor mir sagte: „Wie können Sie so etwas tun! Die Hauptsache ist doch, dass alle Katholiken einig sind - ob für oder gegen Hitler, ist viel weniger wichtig." Das war eine typische Äußerung für das Stellen der Einheit über die Wahrheit und den Kult einer falschen Einheit, der von der Frage der Wahrheit abstrahiert. Das ist das Gegenteil der Haltung all der großen Kämpfer gegen den Arianismus - eines heiligen Athanasius, eines heiligen Hilarius von Poitiers und des heiligen Augustinus in seinem Kampf gegen Pelagianismus und Donatismus.


Aus: Dietrich von Hildebrand, Zölibat und Glaubenskrise, Regensburg 1970, 44-47.