»Widerlegt man nämlich die Häretiker aus den Schriften, dann erheben sie gegen eben diese Schriften die Anklage, dass sie nicht zuverlässig seien, keine Autorität besäßen, auf verschiedene Weise verstanden werden könnten, und dass aus ihnen die Wahrheit zu finden nur die imstande seien, die die Tradition verstünden. Diese sei nämlich nicht niedergeschrieben, sondern werde durch die lebendige Stimme überliefert, weswegen auch Paulus sage: "Weisheit reden wir unter den Vollkommenen, aber nicht die Weisheit dieser Welt" (1Kor 2,6). Unter dieser Weisheit versteht jeder von ihnen natürlich das von ihm erfundene System, so dass nach Ihnen die Wahrheit bald bei Valentinus, bald bei Markion, bald bei Cerinth ist. Später war sie natürlich bei Basilides oder bei einem seiner Widersacher, der auch nichts Rechtes vorbringen konnte. Denn verdreht sind sie alle, und trotzdem schämen sie sich nicht, sich selbst als die Richtschnur der Wahrheit hinzustellen.
Berufen wir uns aber ihnen gegenüber auf die apostolische Tradition, die durch die Nachfolge der Priester in der Kirche bewahrt wird, dann verwerfen sie wieder die Tradition, nennen sich klüger als Priester und Apostel und sagen, sie hätten allein die Wahrheit gefunden. Die Apostel hätten den Worten des Heilandes noch allerlei aus dem Gesetz beigemischt; und nicht bloß die Apostel, sondern auch der Herr habe seine Aussprüche teils vom Demiurgen, teils aus dem Ort der Mitte, teils von dem Allerhöchsten. Sie aber wüssten klar, rein und schlicht das darin verborgene Geheimnis — fürwahr, eine ganz unverschämte Gotteslästerung! So stehen sie also weder auf dem Boden der Schrift, noch der Tradition.
Gleichsam gegen Schlangen, die sich glatt nach allen Seiten herauszuwinden suchen, haben wir also zu kämpfen. Deshalb müssen wir ihnen auch von allen Seiten entgegentreten; vielleicht, dass wir dann einige von ihnen durch die Zurückweisung stutzig machen und bewegen können, zur Wahrheit zurückzukehren. Denn wenn es auch nicht leicht ist, dass eine Seele, die vom Irrtum umgarnt ist, wieder vernünftig wird, so ist es doch nicht absolut unmöglich, dass sie dem Irrtum entrinne, wenn ihr die Wahrheit entgegengehalten wird.« (Adv. Haer. III,2,1-3)
Heute so zutreffend wie vor über 1800 Jahren, als Irenäus von Lyon dies schrieb, nur die Häretiker heißen heute anders.
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